Vorgeblättert

Antisemitismus von links, Teil 2

Verglichen mit den anderen Staaten des Ostblocks, war die Antizionismuskampagne in der DDR, sowohl auf propagandistischer Ebene als auch bezüglich der Repressionen, noch verhalten. Dennoch bleibt erklärungsbedürftig, wie es nur sieben Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus dazu kommen konnte, daß sich ein »Antizionismus« mit offen antisemitischen Zügen in der Propaganda äußern und gar in Verfolgungen münden konnte - und das ausgerechnet in jenem deutschen Teilstaat, der sich als sozialistischer und wesenhaft antifaschistischer Staat verstand. Diese Frage bildet den Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit.

Seit dem Ende der DDR und der Öffnung der Archive von Staat und Partei wurde viel neues Material über die Säuberungen der Jahre 1948 bis 1953 zutage gefördert. Zahlreiche Studien, von Gesamtdarstellungen bis hin zur Nachzeichnung einzelner Schicksale, erweiterten das Wissen über Ablauf und Ausmaß der Säuberungen. (5) Die gesamte Antizionismusforschung ist allerdings, so meine These, durch einen gravierenden Mangel gekennzeichnet: Zwar unterliegen den einzelnen Schriften immer gewisse Vorstellungen davon, was denn eigentlich unter Antisemitismus zu verstehen sei, doch sie bleiben überall diffus, nirgendwo findet sich ein präzise bestimmter ideologietheoretischer Begriff des Antisemitismus als Ausgangspunkt, Maßstab oder heuristisches Mittel der Analyse.

Diese unterschiedlichen und nie genauer erläuterten Antisemitismusauffassungen stehen in enger Wechselbeziehung zu den überaus differenten Einschätzungen des Verhältnisses von Antizionismus und Antisemitismus - sowohl speziell bezogen auf die DDR als auch bezüglich des Antizionismus von links generell. Einige Autoren, darunter nicht wenige ehemalige DDR-Historiker, wollen erst dann von Antisemitismus sprechen, wenn dieser rassebiologisch begründet wird und sich in offenen Repressionen gegen generell alle Menschen jüdischer Abstammung äußert. Auf Basis solch einer engen und oberflächlichen Definition von Antisemitismus kann dann etwa Jürgen Kuczynski behaupten, »von ›stalinistischer Judenfeindschaft‹ in der DDR könne keine Rede sein«, weil »der Vorwurf ›Zionismus‹ in der DDR nichts mit Antisemitismus zu tun hatte. Es handelt sich um einen rein politischen Begriff«. Die Parteipresse habe »niemals auch nur einen Hauch von Antisemitismus gezeigt«. (6) Mittels eines völlig verengten Begriffs von Antisemitismus, der es ermöglicht, die gegen Juden gerichtete Propaganda und Repression zu ignorieren, soll die SED vom Antisemitismusverdacht freigesprochen werden.

Solch beschönigenden Einschätzungen steht die umstandslose Subsumierung des Antizionismus unter den Antisemitismus gegenüber. So sieht beispielsweise Edmund Silberner überall - bei Stalin, in der KPdSU, in den Stellungnahmen der SED - einen »normalen«, seit Jahrhunderten vorhandenen Antisemitismus zum Vorschein kommen. (7) Diesem Urteil wiederum liegt ein extrem weites Antisemitismusverständnis zugrunde, das jegliche »unfreundliche oder feindselige Haltung den Juden gegenüber« (8) umfaßt. Damit aber genügen bereits Einzelaussagen oder bloße Schimpfworte zum »Nachweis« von Antisemitismus. Wird jedoch Antisemitismus nicht klar bestimmt, kann es kaum gelingen, die besonderen Merkmale des Antizionismus von links in den Blick zu bekommen.

Die meisten Arbeiten zum Antizionismus bewegen sich zwischen diesen beiden Polen. Sie attestieren der SED-Propaganda für die Zeit um 1952/53 zwar »antisemitische Züge«, sehen aber im Antizionismus lediglich ein der SED von Moskau »übergestülptes« Feindbild, das die SED »politisch-taktisch« in ihrem Interesse genutzt habe. (9) Auch in diesen Arbeiten läßt sich kein fundierter ideologietheoretischer Begriff des Antisemitismus auffinden. (10)

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(5) Vgl. Fricke 1971; Thompson 1978; Kießling 1991, 1994, 1995, 1997b, 1998; Eschwege 1991; Jahnke 1993; Weber/Staritz 1993; Herf 1994a, 1994b; Keßler 1993a, 1995; Klein u. a. 1996; Weber/Mählert 1998.
(6) Kuczynski 1992b, S. 44 f. Fetscher (1974, S. 9) sieht in den Ostblockstaaten lediglich »antisemitische Tendenzen«, nimmt aber die DDR selbst von diesem Urteil aus.
(7) Vgl. Silberner 1962, 1983. Auch Leon Poliakov subsumiert den Antizionismus unter die »uralte Leidenschaft des Judenhasses« (Poliakov 1992, S. 24).
(8) So Silberner 1983, S. 9 f. »Antisemit ist jedermann, der den Juden feindlich gesinnt ist, unabhängig davon, ob seine Anklage ganz oder teilweise stimmt oder einfach grundlos ist« (ebenda, S. 291). Poliakov (1977/I, S. XI) bezeichnet unspezifisch »alle Arten von Antijudaismus« ab der heidnischen Antike als »Antisemitismus«.
(9) Otto 1993, S. 101, 96; Timm 1997, S. 389. Otto (1993, S. 95) schließt für die SED »jeglichen Verdacht auf latent vorhandene antisemitische Haltungen aus«.
(10) So auch die Kritik von Holz (1996, S. 176) in seiner Sammelrezension. Vgl. als weitere Beispiele die unbefriedigenden Ausführungen von Timm 1997, S. 40 ff.; Burgauer 1993, S. 164 ff.; Keßler 1995.

Teil 3