Vorgeblättert

Leseprobe zu Bernd Mattheus: Cioran. Teil 1

01.10.2007.
S. 78 ff

Der schlaflose Agitator

In dieser Situation, d. h. Seit Oktober 1933, befindet sich Cioran gemeinsam mit dem Soziologen Anton Golopentia (1909-1951) in Berlin. Unter dem Vorwand, seine Promotion in Psychologie vorzubereiten, hat sich der stellungslose Studienrat für Philosophie erfolgreich um ein Stipendium der Humboldt-Stiftung beworben. An der Friedrich-Wilhelms-Universität belegt er Soziologie, Religionsphilosophie und Kunstgeschichte, vor allem aber hört er Nicolai Hartmann über Metaphysik.

Im Selbstgespräch seiner "Cahiers" erinnert sich Cioran drei Jahrzehnte später zuerst an seine mentale Ausnahmesituation, um seine politische Publizistik unerwähnt zu lassen: "Ich habe dort das Leben eines Irren, eines Wahnsinnigen geführt, in einer fast totalen Einsamkeit. Wenn ich nur den Mut oder das Talent hätte, den Alptraum heraufzubeschwören! (?) Es ist das negative summum meines Lebens."

Aus dem Studentenwohnheim in der Schumannstraße schreibt er am 15. November an Eliade: "Ich fühle mich in Berlin sehr wohl und bin sogar von der hier herrschenden politischen Ordnung begeistert." Derselbe politische Tenor findet sich in seinen Briefen vom Dezember 1933 an Nicolae Tatu wieder, dem er schreibt: "Nur eine Diktatur kann mich noch erwärmen, Menschen verdienen keine Freiheit." Nicolae Argintescu-Amza bestärke ihn in seinem Antisemitismus. Gleichzeitig erfahren wir etwas über seinen Alltag. Obwohl sich die Freunde Petre Tutea und Sorin Pavel ebenfalls in Berlin befinden, lebt er sehr zurückgezogen und geht offenbar nicht aus, sondern hört dafür Musik in seinem Zimmer. Andererseits weiß er von sympathischen Deutschen zu berichten, um hervorzuheben, daß die Frauen in Berlin zugänglicher seien als in Bukarest. Petru Comarnescu gegenüber bekennt er am 27. Dezember 1933 : "Einige unserer Freunde meinen, daß ich aus Opportunismus Hitleranhänger geworden bin. Um Dir die Wahrheit zu sagen: es gibt hier Dinge, die mir gefallen und ich bin mir gewiß, daß es einer Diktatur gelingen würde, unseren autochthonen Marasmus zu besiegen." Diametral entgegengesetzt die Eindrücke Antonin Artauds, der sich in diesen Jahren mehrmals zu Dreharbeiten in Berlin aufhielt.

Kaum in Berlin eingerichtet, entfaltet er in der Bukarester Wochenschrift Vremea seine polemischen Talente. So wertet er Nicolai Hartmann, das Musterbeispiel für akademisches Philosophieren, gnadenlos ab. Im Vergleich zu Heidegger oder Klages gebreche es diesem an Prophetismus und existentiellem Pathos. In seiner Eloge auf Ludwig Klages heißt es dagegen: "Klages, mit seinem Aussehen eines protestantischen Pastors und dem Temperament eines Kondottieres, überschäumend, aufbrausend, redegewandt und prophetisch, geheimnisvoll und gleichzeitig gelehrt, ist der gelungenste Mensch, dem ich bisher begegnet bin. Dieser Mann gleicht einem Zauberer und sein Charme ist unwiderstehlich. Der 'Kosmiker' war Privatgelehrter und zu keiner Zeit ordentlicher Professor. Die Verknüpfung von heidnischer Mystik mit biologistischer Metaphysik, Kulturkritik und Lebensphilosophie dürfte Cioran bestochen haben. Nur, der glänzende Rhetoriker und Dandy Klages kam auch nicht ohne einschlägige rassistische Infamien aus, die er seit der Jahrhundertwende formulierte: der Jude sei der "Vampyr der Menschheit", "die Lüge selbst", der Jude sei "überhaupt kein Mensch".

Cioran hatte schon vorher mit Begeisterung Heideggers "Sein und Zeit" gelesen. Er sieht die "Enthüllungen über den Tod und das Nichts" der Philosophie Heideggers in Ferdinand Bruckners Stück "Krankheit der Jugend" (1926) als dramatisches Äquivalent (Gindirea, vom Dezember 1932). Erst im Abstand der Jahre wird sich Cioran entschieden von der Verbalmagie Heideggers distanzieren: "Die Faszination, die die Sprache ausübt, erklärt meiner Meinung nach den Erfolg Heideggers. Er ist ein Manipulator ohnegleichen; sein Verbalgenie ist außergewöhnlich, aber er treibt es zu weit, er räumt der Sprache eine schwindelerregende Bedeutung ein. (?) Die Nichtigkeit einer solchen Übung sprang mir in die Augen. Ich hatte den Eindruck, man wolle mich täuschen mit all den Worten."

In der Weihnachtsausgabe 1933 von Vremea nimmt der 'Auslandskorrespondent' Cioran zum Thema "Deutschland und Frankreich oder die Friedensillusion" Stellung. Die These von zwei unterschiedlichen, gänzlich unversöhnlichen Kulturen gipfelt in einer Apologie des 'Führers'. Die deutsche Seele, der deutsche Charakter, als mystisch und tragisch apostrophiert, wird ausgespielt gegen die vernunftbetonte französische Kultur des Stils. Vermittle der Führerkult den Deutschen nicht ein Sicherheitsgefühl, das der Gewißheit vergleichbar sei, ein großartiges Schicksal zu haben? "Ich liebe die Anhänger Hitlers wegen ihres Kults des Irrationalen, ihres exaltierten Vitalismus an sich, einer Virilität ohne jeglichen kritischen Geist, ohne Rücksicht und ohne Kontrolle." Zwar ahnt er die "unendliche Tragödie", die aus dem Kult des Irrationalen, der Verherrlichung der Lebenskraft resultieren könnte: entspricht dieser NS-Kult aber nicht seiner zeitweiligen Diskreditierung des "Kults der Wahrheit", dieser "Pubertätsmacke" oder dem "Symptom von Senilität"?

Abgesehen vom anti-intellektuellen Affekt, den die Hitlerei bestärkt, quält Cioran Rumäniens historische Bedeutungslosigkeit. Man ersetze Hitler durch Codreanu und Deutschland durch Rumänien in seinem Text. Wie wird ein Land vom Objekt zum Motor der Geschichte? In seinem mit "Romania in fata strainatatii" (Rumänien von außen betrachtet) überschriebenen Artikel vom April 1934 macht Cioran seinen Landsleuten deren sklavische Natur bewußt. Ganz im Gegensatz zum angemaßten Herrenrasse-Status der Nazis geißelt er die "untermenschliche Feigheit" des Rumänen: "Es ist nicht möglich, mit einem solchen Menschenmaterial eine einzige maßlose Hoffnung zu hegen. Aber aus Neigung und Geschmack habe ich stets die Maßlosigkeit gesucht und geschätzt", wird er noch 1970 schreiben. 1934 empfiehlt er den Knechten einer "französischen Kolonie", sich zumindest zu einem Macht-Kultus aufzuraffen. Seine praktischen Vorschläge zur gänzlichen Veränderung des Antlitzes Rumäniens lauten: rasche Industrialisierung, Verdoppelung der Bevölkerung. Zynismus der Geschichte: es wird dies mehr oder weniger das Programm der Kommunisten sein, nach dem Zweiten Weltkrieg, mit den bekannten katastrophalen Folgen.


"Mein Nationalismus, Militarismus"

Fotos aus der Zeit zeigen einen elegant gekleideten jungen Mann von kleiner Statur, der auch einmal eine Vorlesung beim Psychiater Karl Bonhoeffer in der Charite besucht. Der von Lombroso, dann von Wilhelm Lange-Eichbaum konstruierte Zusammenhang von Genie, Wahnsinn und Verbrechen treibt ihn um. Aber nicht etwa, um den Nazismus zu verstehen, sondern sich selbst, unterstelle ich, denn weiterhin plagen ihn Phasen extremer Schlaflosigkeit, die auf seine Depressivität hinweisen. Noch 1965 erinnert er sich an die Falldemonstration bei Bonhoeffer in Berlin, weil er sich mit der Verweigerungshaltung des internierten Studienobjekts identifiziert: "Ich will meine Ruhe haben."

Kaum vereinbar mit dem Elan des Pamphletisten wirkt es, wenn er den Studienaufenthalt im 'Reich' "die düsterste Zeit meines Lebens (auch die anregendste)" nennt oder an anderer Stelle detailliert eine ekstatische Erfahrung gerade in Berlin schildert. Im Brief an Nicolae Tatu vom 28. Januar 1934 heißt es, daß er keinen Gedanken mehr an eine akademische Karriere verschwende. Vielmehr stellt er sich seine Zukunft als Musikkritiker vor. Seiner Ansicht nach hätten die Deutschen große Hoffnung in die "Eiserne Garde" gesetzt.

Im April 1934 schreibt sich der Student der Philosophie an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität ein, wo er u. a.
Vorlesungen des Kunsthistorikers Heinrich Wölfflin besucht, der seinerseits Ludwig Klages schätzt.

In seinen "Eindrücken aus München. Hitler im deutschen Bewußtsein", abgedruckt in Vremea vom 15. Juli 1934 , preist Cioran seinen Landsleuten abermals Hitler als Vorbild an: "Hitler hat die politischen Kämpfe mit glühender Leidenschaft erfüllt und mit messianischem Hauch eine Gesamtheit von Werten dynamisiert, die vom demokratischen Rationalismus zu Plattheiten und Trivialitäten erniedrigt worden waren. Wir alle brauchen Mystik, weil wir der vielen angeblichen Wahrheiten müde sind, die kein Feuer hervorbringen. (?) Es gibt keinen Politiker in der heutigen Welt, der mehr Sympathie und Bewunderung in mir hervorruft als Adolf Hitler. (?) Der Führer-Mystizismus ist voll gerechtfertigt, es ist Hitlers Leistung, daß er den kritischen Geist einer ganzen Nation ausgemerzt hat." Während der Semesterferien (Juli-Oktober) hält er sich in Rumänien auf.

In seinem Artikel vom 5. August 1934 ergreift er Partei für den nationalsozialistischen Wertekanon, indem er den Humanismus als "Illusion", den Pazifismus als "politische Masturbation", Werte an sich als "Absurdität" und Freiheit für alle als demokratische Illusion, ein "beschämendes Vorurteil" denunziert. In Ciorans Augen entspricht "anarchistischer Optimismus" nicht der menschlichen Natur, um so mehr müsse alles dem Sieg der 'Bewegung' subordiniert werden. Folglich kann er auch die blutige Niederschlagung des Röhm-Putsches begrüßen: "Ich frage alle, was verliert die Menschheit, wenn einigen Dummköpfen das Leben genommen wird (?). Das Leben solcher Leute zu beenden, das Blut solcher Kreaturen zu vergießen, ist Pflicht. Oh, dieses Vorurteil vom Wert eines Menschenlebens an sich! Wert an sich! So etwas ist reine Feigheit!" Immerhin gesteht er zu, daß es ein Verbrechen wäre, einen Richard Strauss, einen Furtwängler oder Klages zu ermorden, nicht aber das Dasein von Individuen zu beenden, die lediglich ihren Willen zur Macht nicht befriedigen konnten.

Teil 2

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