Vorgeblättert

Leseprobe zu Bernd Mattheus: Cioran. Teil 3

01.10.2007.
In welchem Maße der Cioran jener Jahre mehrere Personen in einer zu sein scheint, belegt die Tatsache, daß er gleichzeitig zu der "Verklärung Rumäniens" in seiner Aphorismensammlung "Das Buch der Täuschungen" schreibt: "Ein Volk, das nicht glaubt, ein Monopol auf die Wahrheit zu haben, wird keinerlei Spuren in der Geschichte hinterlassen." Im selben Fragment aber auch: "Ich kenne nur zwei Zerreißungen: die jüdische und die russische (Hiob und Dostoevskij)." Vollends aporetisch wird es, wenn der Autor weiter unten bekennt: "Abscheu gegen alles Erhabene, Gute, Wahre und Schöne. Wenn du bedenkst, daß im Namen dieser Werte oder Hirngespinste Kriege geführt, gedankliche Systeme geschaffen wurden und daß durch sie die Geschichte gerechtfertigt wird!" Gleichzeitig postuliert Cioran den Willen zur Macht, nämlich daß der Mensch "nur darauf aus [ist], entweder Gott oder Politiker zu werden".

Noch weniger vereinbar mit seiner ultranationalistischen Publizistik wirkt seine intensive Auseinandersetzung mit der christlichen Mystik, woraus 1937 das Buch "Lacrimi si sfinti" (Von Tränen und von Heiligen) hervorgehen wird. Cioran ist nicht gläubig, gerade weil er der Sohn eines Popen ist und ihn die Extremisten und Zweifler faszinieren. Die stramme Orthodoxie, zu der sich die "Eiserne Garde" bekennt, ist daher eigentlich nicht seine Welt. Rückblickend heißt es über diese Lebensphase: "In dem Alter, da ich (?) 'Cartea amãgirilor' schrieb (?), lebte ich so intensiv, daß ich im Wortsinne befürchtete, als Religionsstifter zu enden? In Berlin und in München habe ich häufig Ekstasen erlebt - die für immer die Gipfel meines Lebens bleiben werden." "Wenn ich daran denke, daß ich 1934 in München mit einer solchen Intensität lebte, daß ich zu dem Schluß kam, auf dem Balkan würde eine neue Religion zum Vorschein kommen, so sehr verlieh mir mein Fieber Selbstvertrauen. Ein Vertrauen, das mich ängstigte, denn ich glaubte nicht, daß ich eine derartige Anspannung noch länger ertragen könnte."

So wird Cioran von den Polen Mystik und Macht gleichermaßen angezogen, wenn er gesteht: "In meiner Jugend strebte ich das Tamtam an, ich wollte, daß man von mir spricht, ich wollte Einfluß haben, mächtig sein, beneidet werden, es gefiel mir, aggressiv zu sein, die Leute zu demütigen etc., etc."


1937 hat sich Codreanus "Eiserne Garde" in die Partei "Totul pentru Tara" (Alles für das Land) umbenannt, ist nun eine von mehreren rechten Organisationen, die 250000 Mitglieder zählt und bei den Wahlen vom 20. Dezember 1937 eine halbe Million Stimmen gewinnen wird, somit die drittstärkste Partei darstellt.

In einem am 21. Februar 1937 in Vremea gedruckten Artikel über Hitler-Deutschland, "Am Vortag der Diktatur", betrachtet Cioran kritisch die Verwandlung eines ganzen Volkes in einen "fanatischen Wald" und vergleicht die Begeisterung der Deutschen für die Ziele des 'Führers' mit einer "Wollust am Niederknien ", einer seltsamen "Unterwerfungswut". Diese angebrachte Ironie wendet er indes nicht auf Rumänien an, im Gegenteil: "In unserem Land wird buchstäblich nach der Diktatur gerufen, es herrscht ein unbändiger Haß auf die unnötige Freiheit. (?) Deshalb soll die Diktatur errichtet werden", proklamiert Cioran in der März-Ausgabe von Vremea. "Verzicht auf die Freiheit", sein Beitrag vom 21. Juli 1937 in dieser Zeitschrift, könnte eine Art Glosse zu Georges Batailles Analyse "La structure psychologique du Fascisme" (Die psychologische Struktur des Faschismus, 1933) sein. Die wahrgenommene unbewußte Komplizenschaft zwischen Opfer und Henker veranlaßt ihn allerdings nicht dazu, vor dem 'Mussolini Rumäniens' zu warnen. Im Gegenteil, Cioran begrüßt die vermeintliche Sehnsucht der Massen nach Knechtschaft oder nur Abhängigkeit: "Seit es die Welt gibt, haben die Menschen nach Freiheit gestrebt und immer frohlockt, wenn sie sie verloren haben. (?) Die Sterblichen haben immer nur jene angebetet, von denen sie in Ketten gelegt wurden. Wen haben sie zum Mythos erhoben? Die Henker ihrer Freiheit. (?) Jeder Diktator hat eine messianische Henkerseele, die mit Blut und Himmel beschmutzt ist. Die Masse verlangt danach, daß sie befehligt wird. Die sublimsten Visionen, die von Engelsflöten verströmten Ekstasen vermögen nicht so zu begeistern wie ein Militärmarsch. Adam war ein Feldwebel."

Im Juni desselben Jahres bewarb sich Cioran beim Bukarester Institut francais um ein Paris-Stipendium, indem er fingiert, eine Dissertation über Henri Bergson schreiben zu wollen. Auch dies gehört zu den zahlreichen Ungereimtheiten in Ciorans Vita. Im April 1937 hatte er von Brasov aus Mircea Eliade gefragt: "Was soll ich hier tun? Von dem Moment an, wo ich mich nicht aktiv in die nationalistische Bewegung integrieren kann, bin ich in Rumänien nicht von praktischem Nutzen."

Im "Mittelpunkt der Welt", der für ihn Paris darstellt, einmal niedergelassen, wird er im Brief vom 13. Dezember 1937 an Eliade seine Ansicht bekräftigen, Rumänien könne sich "vor dem Westen nur durch eine Revolution von rechts behaupten. Mehr denn je bin ich davon überzeugt, daß Rumäniens letzte Chance die Eiserne Garde ist? Jede Geste, die die Lunte an die Demokratie in Rumänien legt, ist ein kreativer Akt."

Spielte Cioran mit dem Gedanken, wieder in Rumänien zu leben, d. h. In einem künftigen Legionärs-Staat, als er im Winter 1940 nach Bukarest reist? Mitnichten, er will lediglich Fragen zu seinem Militärdienst klären (einem eventuellen Stellungsbefehl vorbeugen).

1940 veröffentlicht er als Privatdruck in Sibiu die Aphorismensammlung "Amurgul gindurilor" (Gedankendämmerung) und 1941 kommt die zweite Auflage seiner "Verklärung Rumäniens" heraus. Politisch erwartet ihn eine Militärdiktatur unter dem Conducator (Führer) Ion Antonescu, der im Herbst König Carol II. Zugunsten seines Sohnes Mihai zur Abdankung genötigt hatte. Im Radio Bukarest liest Cioran am 27. November 1941 eine flammende Rede zum zweiten Todestag des Capitans Codreanu, der während der sog. 'Königsdiktatur' Carol II. Am 30. November 1938 ermordet wurde: "Er hat einer Sklaven-Nation Ehre eingehaucht; er hat einem rückgratlosen Haufen den Sinn für Ehre wiedergegeben. (?) Vor Corneliu Codreanu war Rumänien eine bevölkerte Sahara. Diejenigen, die sich zwischen Himmel und Erde befanden, hatten keinen anderen Lebensinhalt als das Abwarten. Jemand mußte kommen. (?) Er wollte nicht das Elend unserer Existenz verbessern, sondern das Absolute in den täglichen Atem Rumäniens einführen. (?) Der Hauptmann hat den Rumänen einen Sinn gegeben. Vor ihm war der Rumäne nur Rumäne, also eine aus Erstarrung und Wehmut bestehende Materie. Der Legionär ist eine Rumäne mit Substanz.
(?) Seine [Codreanus] Lösungen sind gültig im Jetzt und in der Ewigkeit. Die Geschichte kennt keinen Visionär mit stärkerem Geist und so viel Weltkenntnis, gestützt auf eine heilige Seele. (?) Der Glaube eines Menschen hat eine Welt erschaffen, die die antike Tragödie und Shakespeare hinter sich läßt. Und das auf dem Balkan! Jedenfalls würde ich, wenn ich zwischen Rumänien und dem Hauptmann wählen müßte, keinen Augenblick zögern. Nach seinem Tod haben wir uns alle einsamer gefühlt. Außer Jesus war kein Toter gegenwärtiger unter den Lebenden. (?) Von jetzt an wird das Land von einem Toten regiert werden, sagte mir ein Freund an den Ufern der Seine. Dieser Tote hat ein Parfüm der Ewigkeit über unsere menschliche Spreu verbreitet und den Himmel über Rumänien wiederhergestellt."

Cioran erliegt hier dem Führerkult, den er 1937 in bezug auf Hitler als "kollektiven Wahn" qualifiziert hatte, gegen den er eine "Buddhismus-Kur" empfahl. Eines Tages wird der ernüchterte Denker notieren, was auch für diese seine Apologie eines mystischen Revolutionärs gilt: "Wenn die Menschheit dermaßen die Retter liebt, Verrückte, die sich eine Sendung anmaßen und die fanatisch an sich selbst glauben, so deshalb, weil sie sich vorstellt, daß diese an die Menschheit glauben." Ciorans Schwanken belegt überdies sein Artikel "Siebenbürgen - ein rumänisches Preußen" (Inaltarea, 1. Januar 1941), in welchem er den 'Legionären' nahezulegen versucht, daß das multikulturelle Siebenbürgen ein Modell für die künftige Entwicklung Rumäniens darstelle, da bürgerliche Werte wichtiger wären als rassische.

Am 2. Januar 1941 läuft Cioran in Bukarest dem jüdischen Schriftsteller Mihail Sebastian über den Weg, den er aus den Tagen von Eliades "Criterion"-Kreis kennt. Sebastian wird ihn in seinem Tagebuch als "strahlend" schildern. Die gute Laune Ciorans verdankt sich der Tatsache, daß ihn Horia Sima (1906-1993), Kommandant der Legionärsbewegung, also Codreanus Nachfolger, zum Kulturattache an der rumänischen Botschaft in Vichy ernannt hat. Sebastian attestiert Cioran eine "doppelte Portion Zynismus und Feigheit". Cioran notiert später: "Um 1940 war es mein Ideal, Geld zu haben, mich in einem prächtigen Hotel niederzulassen, in mein Zimmer einen dicken und weichen Teppich legen zu lassen, mich auf diesen hinzulümmeln und zu weinen."

Nach dem Putschversuch der "Statul National Legionar" (Nationalen Legion) um Horia Sima, am 21. und 22. Januar 1941, den General Antonescu mit Hilfe deutscher Truppen niederschlagen kann, rettet Cioran seine Haut, indem er fluchtartig nach Frankreich zurückkehrt. Als prominenter "Gardist" mußte er um sein Leben bangen, da Antonescu zur Vergeltung Hunderte 'Legionäre' liquidieren ließ. Immerhin klingt es nicht nach Billigung der Massaker seiner Gesinnungsgenossen, wenn Cioran sich später dem Kommunisten Herbert (Belu) Zilber gegenüber äußert, die 'Legion' "prügele sich mit dem Land". Drei Tage lang waren die 'Legionäre' brandstiftend, plündernd und mordend - insbesondere durch die von Juden bewohnten Stadtviertel Bukarests gezogen. 120 Tote gehen auf ihr Konto. Einige von ihnen finden nach Folterungen im Schlachthof den Tod: an die an Fleischerhaken aufgehängten nackten Leichen hat man den Zettel "Koscheres Fleisch" befestigt.


Mit freundlicher Genehmigung des Verlages Matthes & Seitz
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