Vorgeblättert

Leseprobe zu Georg Klein: Roman unserer Kindheit. Teil 2

01.03.2010.
Mein Haus ist ohne Fenster. Aber meine Geschwister und alle, die es ernst, also von Herzen gut oder von Herzen schlimm mit ihnen meinen, halten draußen für mich Ausschau. Gehorsam füge ich mich in die Grenzen des von ihren Blicken ausgemessenen Territoriums. Tagraum auf Tagraum rundet sich mein Panorama. Am ersten endlich gnadenlos heißen Sonnentag dieses Sommers hatten die Zwillinge die Mutter mit der bisher längsten ihrer Entdeckungsfahrten in Angst und Sorge versetzt und stundenlang in Sorge und Angst gehalten. Auf eigene Faust, ohne irgendeinem im Hof zu sagen, wohin es gehen sollte, waren sie am frühen Vormittag aufgebrochen und mit ihren kleinen Fahrrädern so weit wie noch nie hinaus, hinaus aus der Siedlung, durch zwei der angrenzenden Dörfer und tief in die westlichen Wälder hineingestrampelt.

Es war schon finster, als ihre lampenlosen Vehikel schließlich wieder in das Oval des Hofwegs bogen. Die Mutter und Frau Böhm saßen wartend auf der mittleren der drei Bänke. Annabett Böhm hatte gerade in einem letzten, hilflos verkünstelten Anlauf noch einmal versucht, ihre bangende Nachbarin zu beruhigen, obschon sie selbst, wären ihre Töchter auch nur halb so lang unerklärt ausgeblieben, per Telefon die Polizeistation in Oberhausen verständigt hätte. Die kleinen, dicken Reifen standen still. Die Zwillinge rutschten von den auch im Dunkeln speckig glänzenden Sätteln. Waden und Handgelenke taten ihnen weh und würden am nächsten Tag noch ärger schmerzen. Sie litten schrecklich Durst, brachten keinen Ton aus ihren ausgedörrten Kehlen und waren dennoch gleich allen, die von einer großen Fahrt heimkehren, hoch gestimmt. Die Mutter sah, wie erschöpft sie sich auf die Lenker stützten, sah aber auch das Leuchten in ihren Augen. Glücklich erleichtert, hielt sie ihnen vor, dass sie volle elf Stunden, fast eine ganze Runde des Stundenzeigers auf der Küchenuhr, verschwunden gewesen seien. Und dann strich sie den beiden nacheinander, den Vorwurf lachend wiederholend, lange über die blonden Locken, als müsse sie sich hier im nächtlichen Hof mit dem Tastsinn versichern, dass ihre beiden Kleinen heil geblieben waren.

Sie ahnte nicht, wie weit es die beiden Kundschafter wirklich hinausgetrieben hatte. Mitten im Wald, nach über einer Stunde grüngetönter Schattenfahrt, nach immer mühevoller werdendem Geschlängel in den Fahrrinnen der Forstfahrzeuge, hatten sie vor einem neuen Anstieg angehalten, stumm überlegt und sich nach einem doppelten Räuspern stumm entschieden, kehrtzumachen. Hätten sie ihre Räder noch diesen letzten Hügel hinaufgestemmt, hätten sie oben todsicher den schmalen Seitenweg entdeckt, der unter dicken, seit Jahren nicht mehr aufgewühlten Nadelpolstern in eine lichte Mischwaldschonung bog. Es wären jene jungen Tannen, Eichen und Buchen gewesen, die damals den Wagen umstanden, der heute Morgen aus seinen Standmulden gerissen worden ist. "Hab alles draußen, Schorsch!", hören die Zwillinge und alle anderen in der Waschküche Gebliebenen den Kapuzenmann nach vorn an den Trecker rufen. Das Wagentreppchen wird wieder hochgeklappt und mit einem Haken gesichert. Für einen Handschlag geht der vermummte Unbekannte noch ans Führerhäuschen. Dann quillt ein schwarzer Rauchstoß in den Regen, und das Gespann zieht tuckernd ab.

Zurückgekehrt beginnt Sybille, der es nun in der Waschküche viel kälter als draußen im Regen vorkommt, schlimm zu bibbern. Sie hockt sich mit nassem Schlüpfer auf den Ball, schlüpft aus Sandalen und Söckchen und lässt sich von ihrer kleinen Schwester die kalten Füße reiben. Alle haben beobachtet, wie tief und lang die Kapuze des Fremden zu ihr hinabgebeugt gewesen ist, und alle warten nun darauf, dass sie erzählt, was ihr da geflüstert wurde. Ich weiß, mit welch besonderer Neugier unser großer Bruder ihren Bericht erwartet. Nur seine Augen haben den weißen Fleck im Gesicht des Kapuzenmanns als Mull erkannt. Sybille nennt dasselbe für alle einen Verband und zeigt dazu, als wäre ein Vergleichen nötig, auf das bandagierte Bein des Älteren Bruders. Das muss genügen. Sie sagt nicht, obwohl es ihr schon auf der Zunge liegt, wie seltsam rosig die Haut rund um die seltsam kleinen Ohren des Kapuzenmannes schimmert, behält für sich, wie gründlich das Mullrechteck rechts und links je zweimal festgeklebt ist. Des Weiteren verschweigt sie, dass über den wassergrauen Augen des Fremden die Brauen fehlen. Stattdessen berichtet sie ihren Freunden bloß, er habe nach ihrem Vornamen gefragt und nach den Namen derer, die er aus dem Waschküchenfenster herüberlugen sah. Dabei fällt ihr wieder ein, dass er in fairem Tausch auch seinen Namen preisgegeben hat. Aber den hat sie sich nicht gemerkt. Wozu auch? Wozu sich Mayer oder Müller merken? Er hieß, er heißt ja anders besser. Sybille schlottert, ihre blaugrau gewordenent. Nur seine Augen haben den weißen Fleck im Gesicht des Kapuzenmanns als Mull erkannt. Sybille nennt dasselbe für alle einen Verband und zeigt dazu, als wäre ein Vergleichen nötig, auf das bandagierte Bein des Älteren Bruders. Das muss genügen. Sie sagt nicht, obwohl es ihr schon auf der Zunge liegt, wie seltsam rosig die Haut rund um die seltsam kleinen Ohren des Kapuzenmannes schimmert, behält für sich, wie gründlich das Mullrechteck rechts und links je zweimal festgeklebt ist. Des Weiteren verschweigt sie, dass über den wassergrauen Augen des Fremden die Brauen fehlen. Stattdessen berichtet sie ihren Freunden bloß, er habe nach ihrem Vornamen gefragt und nach den Namen derer, die er aus dem Waschküchenfenster herüberlugen sah. Dabei fällt ihr wieder ein, dass er in fairem Tausch auch seinen Namen preisgegeben hat. Aber den hat sie sich nicht gemerkt. Wozu auch? Wozu sich Mayer oder Müller merken? Er hieß, er heißt ja anders besser. Sybille schlottert, ihre blaugrau gewordenen gewordenen Lippen beben. Hier in der Waschküche würde es ewig und drei Tage dauern, bis ihr Rock, bis ihre Haare wieder trocken wären. Also beschließt sie, nach oben zu gehen und sich umzuziehen. Die anderen haben sie in aller Kürze gut genug verstanden. Für jeden der Freunde trägt der Fremde jetzt denselben Namen. Weil sich der Mull so ungeheuer flach, ohne die erwartbare Erhebung, vom Kinn hinauf bis an die Augen und vom einen Öhrchen hinüber zum gleichermaßen kleingeschmorten anderen spannt, heißt dieser neue Nachbar, heißt der in unseren Sommer Eingezogene für mich und alle nur: Der Mann ohne Gesicht.


Sonnentag

Die Zwillinge sind große Schläfer. Der Ältere Bruder, der aufgewacht ist, weil er das Moped des Vaters am Kellerausgang starten hörte, sieht, wie den beiden im Doppelstockbett die Augenlider zucken. Das Fenster des Kinderzimmers schaut nach Südosten, durch das linke Drittel des roten Vorhangs suppt die Morgensonne, schon liegt ein breiter Streifen flammendes Orange über dem Kopfende der oberen wie der unteren Etage. Von seinem Bett aus greift der Ältere Bruder an den Vorhang und zieht ihn ein Stück zu sich heran. Das Licht auf den Gesichtern seiner Brüder wird kurz weiß, dann sackt der schwere Stoff zurück, wie immer hat ein einziges Aufblenden genügt, um das synchrone Wälzen einzuleiten. Stets schaffen es die beiden, samt ihren Kissen, ohne dass Ohr und Schläfe die Fühlung zu diesen Garanten ihres Schlummers missen müssten, an das andere Ende ihrer Matratzen zu wandern. Nur die dünnen Sommerdecken scheinen dieses Mal der doppelt unbewussten Krabbelpirouette widerstehen zu wollen. Sie werden, so sehr sie sich auch knäulen, nach hinten an die Wand gewurstelt. Schon liegen die Knaben verkehrt herum im Bett. Ihre Lider beruhigen sich. Sie werden nun halbwegs Schatten haben, bis die Mutter den Vorhang beiseitereißen, das Fenster öffnen und die Witzigen Zwillinge zuerst elende Schlafmützen und, fast im Anschluss, als tue ihr die Barschheit sogleich leid, ihre zwei süßen Sommermurmeltiere nennen wird.

Die Zwillinge behaupten, dass sie das Längerschlafen an den Wochenenden und in den Ferien zum Witzemerken nützen. Als die Mutter sie an diesem Morgen wie immer nach ihren Träumen fragt, behaupten beide, eben noch, ehe man sie aus dem schönsten Schlummer riss, denselben neuen Witz durchmemoriert zu haben. Bevor der Ältere Bruder Einspruch erheben kann, wird der Mutter schon erzählt, was der Ami-Michi gestern in der Waschküche mehr schlecht als recht zum Besten gegeben hat. Es ist ein Einer-kommtin- die-Hölle-Witz, und die Zwillinge erzählen ihn so, dass der linke die Handlung übernimmt und der rechte mit verstellter Stimme die wörtliche Rede, die Fragen der Frischverstorbenen, einer jungen Frau, und die Antworten des Teufels einspricht. Mit beiden Stimmen hatte der Ami-Michi gestern gleich eingangs große Mühe. Denn er gehört zu denen, die beim Witzeerzählen schon mit dem ersten Satz an das lustige Ende denken müssen, dauernd kommt ihm deshalb das eigene Lachenmüssen in die Quere, und gestern hat er im kichernden Vorwärtsstümpern sogar ein komplettes Hinundher des Dialogs vergessen und musste das Ausgelassene, als keiner den Witz verstand, noch zur Erklärung hinter die Pointe flicken.

Die Mutter lacht kein bisschen. Unser großer Bruder bewundert sie dafür, denn die Zwillinge haben alles derart perfekt erzählt, dass sogar er, der es eigentlich nicht mag, ein und denselben Witz schon so bald wiederhören zu müssen, ein Losprusten nicht unterdrücken konnte. Jetzt gießt sie heißes Wasser in ihr Kaffeeglas. Der nackte Löffel schwebt noch ein Weilchen über dem dunkelbraunen Rund, rührt dann ganz gründlich um. Erst als sich alles, die kantigen Instantkörnchen samt dem feinen Zucker, spurlos aufgelöst hat, greift die Mutter nach der Kondensmilchdose. Zwischen Daumenund Zeigefingernagel präsentiert sie dabei deren Bild: Die Bärenmutter hält das Bärlein auf dem Schoß. Acht Tatzen tun so, als ob sie keine Krallen hätten. Gleich scheinheilig schweben die beiden Teddys, die pummeligen Glieder abgespreizt, aus der Wölbung der Banderole auf den Betrachter zu. Dann neigt sich der Zylinder zum Glas. Sein blanker Deckel ist zweimal durchlocht, die untere Öffnung hat einen gelben Kraterwulst. In kurzem, strammem Bogen springt die Milch in den Kaffee.

Die Witzigen Zwillinge stampfen mit ihren Löffeln in den Haferflocken und tauschen einen Blick. Sie wissen wohl, dass die Mutter keine Witze hören mag, in denen es um die gewissen Erwachsenensachen geht. Aber im Gegensatz zu ihrem großen Bruder ist es ihnen überhaupt nicht peinlich, wenn sie vor den Eltern oder anderen Großen auf dieses heikle Gelände geraten. Mit hellem Mut, mit einer Art von Pfadfinder- Courage, blicken sie der Mutter nun ins Gesicht, bereit, darüber aufgeklärt zu werden, was denn am eben Gehörten, was daran, wie die Nutte zunächst in die Hölle und dann im zweiten Teil des Witzes in den Himmel kommt und dann, was wirklich lustig ist, doch wieder zum Teufel hinuntermuss, verkehrt sein soll. Seit sie erzählen können, sind sie bombensicher, dass auch gegen den erklärten oder unerklärten Widerwillen eines Erwachsenen auf eine höhere Art in Ordnung sein muss, was über die Schienen einer Handlung geradewegs auf ein Gelächter zurollt.

Dem Älteren Bruder wird unbehaglich, und bannte ihn nicht sein geschientes Bein ins linke Eck der roten Wohnküchencouch, spränge er jetzt auf, um sich ins Kinderzimmer oder noch besser ins Bad zu verdrücken, wo sich, aufs Klo gehockt, mit einem Comic-Heftchen die ganze Familienpeinlichkeit vergessen ließe. Und plötzlich weiß er, was den Zwillingen, die weiterhin die Mutter fixieren und scheinbar genau beobachten, wie sie am Glas nippt und zunächst winzige, dann größer werdende Schlucke des heißen Kaffees zu sich nimmt, im Kopf herumgeht. Die beiden überlegen zweifellos, ob sie ihr Beisammensitzen nun dazu nutzen sollen, ihr auch noch zu zeigen, was sie gestern dem Ami-Michi abgehandelt haben.

Der Ami-Michi hätte es liebend gerne selbst behalten, aber dann hat er es doch gegen drei große, noch völlig kratzerfreie Glasmurmeln aus der Sammlung der Zwillinge weggetauscht, zu drängend war die Furcht, seine Mutter könnte die leidige Sache bei ihm finden. Der Ami-Michi ist ein schlechter Verstecker, so wie er auch ein schlechter Lügner ist. Weil ihm beim Schwindeln stets nur der nächstliegende Unfug einfällt, wird heute noch, bereits in einer knappen Stunde, auffliegen, was er da kurz besessen hat. Seine Mutter wird die neuen Murmeln in seiner Hosentasche entdecken und sogleich aus ihrem Sohn herausholen, wie er sie erworben hat. Damit wird sie sich aber nicht zufriedengeben, sondern sie wird ihn zwingen, den Gegenwert, sein Fundstück, das er doch längst den Zwillingen überlassen hat, so gut er es vermag, stockend und mit hochrotem Kopf, zu beschreiben.


Die Mutter des Ami-Michi ist eine von den Müttern, die sich einbilden, alles, was ihre Sprösslinge treiben, wie von einem Hochsitz überschauen zu können. Dabei weiß sie nicht einmal, dass ihr Sohn bei den anderen Kindern, für seine Freunde wie für seine Feinde, nicht Hans-Michael, nicht Micha oder Michi, sondern Ami-Michi heißt. Wenn sie es erführe, wäre ihr natürlich klar, wer ihm diesen Beiname eingebrockt hat. Hierfür würde sie sich aber allerhöchstens ein Luftholen lang genieren, im Nu wäre die peinliche Neuigkeit in eines der üblichen fremdverursachten Ärgernisse umgedeutet und der Dummheit ihres Sohns oder der Frechheit seiner Kumpane angelastet. Selbstsüchtig, wie sie ist und bleiben wird, würde sie nicht einmal kapieren, dass "Ami-Michi" hier im Hof, zwischen dem kanariengelben ersten und dem erbsengrünen zweiten Block, und hinunter bis zum türkisen, in dem die Huhlenhäusler Suppe dampft, ja bis in den knochenbleichen weißen, in den verfluchten Block hinein, gar kein so übler Spitzname für einen Jungen ist.

Die Zwillinge haben einmal, als sie unter dem Küchentisch mit ihren gläsernen Murmeln und mit ihren Gummirittern Kegeln spielten, ihre Mama und Frau Böhm darüber reden hören, dass die Mutter des Ami-Michi mannstoll sei. Ihr Ehemann, der glaubt, seinen Hans-Michael gezeugt zu haben, ist Fernfahrer, er macht die elend weiten Touren bis nach Jugoslawien und in die Türkei hinunter, kommt deshalb eine Woche oder länger nicht nach Hause. Seine Gattin nutzt seine Abwesenheit, um die Besuche amerikanischer Soldaten zu empfangen. Die sommersprossig bleichen oder unterschiedlich braunen Kerle, vor kurzem sogar ein völlig schwarzer Mann, kommen immer vormittags. Frau Böhm, deren Küchenfenster genau vis-a-vis liegt, sieht dann, wie sich drüben im gelben Block die Schlafzimmervorhänge übereinanderschieben.

Seit gestern sind sich die Zwillinge ziemlich sicher, dass das von diesen Vorhängen Verborgene, Farbbild auf Farbbild, in der seltsamen, kleinformatigen Zeitschrift nachzuschlagen ist, die der Ami-Michi am Rosenhang aus einem Packen alter Zeitungen gezogen hat. Auch deshalb, um den Ami-Michi von diesen allzu bunten, allzu detailgetreuen Einsichten in das Treiben seiner Mutter zu entlasten, haben sie ihm das Magazin nach einer ersten gemeinsamen Durchsicht abgehandelt. Jetzt wird es in einem doppelt gut ausgeheckten Spezialversteck, mitten in der vollgestopften Winzigkeit des Kinderzimmers, für künftige Prüfungen verwahrt.

Die Kinder wissen, wo sie einmal fündig wurden, liegt auch ein zweites Mal etwas für sie herum. Der flache Abhang, der hinter dem Spielplatz nach Oberhausen hinunterführt, heißt zu recht Rosenhang, weil wilde Heckenrosen alles überwuchern. Das Rankengestrüpp ist so hoch und dicht, dass es für die wenigen Spaziergänger der Siedlung, also für diejenigen, die sich einen nervösen Spitz, einen strammen Boxer oder gar einen eleganten Pudel leisten und folglich auszuführen haben, kein akzeptables, Kleidung und Fell schonendes Durchkommen mehr gibt. Die Baufirma, die das Gelände einem der Bauern, die die Wiesen hinunter nach Oberhausen mähen, abgekauft hat, spekuliert darauf, dass die Neue Siedlung eines Tages mit der alten Vorstadt Oberhausen zusammenwachsen wird. Bis dahin kümmert man sich nicht weiter um den erworbenen Grund. Die Pfosten des Zaunes haben irgendwelche Rabauken bis auf den letzten nach innen umgetreten, alle drei Reihen Stacheldraht sind in den Wiesenboden gedrückt, und nichts hindert nächtliche Autofahrer daran, im Rückwärtsgang das Heck ihrer Wagen in das Gelände hineinzuschieben und das Herangekarrte in die Rosenranken zu entsorgen.

Seit gestern, seit dem Regentag, ist, wie die Kinder gleich gesehen haben, einiges an Kram dazugekommen. Ganz vorn, fast noch am Weg, steht eine dunkelgrüne Couch. Der Wolfskopf lässt sich auf sie fallen und ruft den anderen zu das Polster sei schon wieder pulvertrocken. Nur die Schicke Sybille setzt sich nicht gleich hin. Sie muss sich erst einmal gründlich vor dem herrenlos gewordenen Polstermöbel ekeln. Im letzten Sommer, als sie auf einem anderen, inzwischen schon dicht von Dornenbögen überwölbten Kanapee am Hopsen waren, kam plötzlich, alle hüpften schon eine Weile fröhlich im selben Takt, eine graufellige Ratte aus dem hölzernen Unterbau des Stücks geschlüpft. Zart fiepsend, Schnäuzlein an Schwänzlein, folgte ihr ein ganzer Wurf junger Tiere, nur ein besonders kleines, vielleicht ein krankes oder nach überstandener Krankheit schwächlich gebliebenes Kindchen schleppte die Mutter quer im Maul den Geschwistern vorneweg.

Weil der Schniefer Sybille mit ihrem Ekel ringen sieht, erinnert auch er sich an den Auszug der Tiere. Er hatte den kleinen Konvoi damals noch ein gutes Stück ins Rosengestrüpp hinein verfolgt. Er weiß nicht, warum es Mädchen weit mehr als Jungen vor den nacktschwänzigen Nagern gruselt. Aber ihm schwant etwas. Der Schniefer hat, obwohl ihn seine Lehrerin, seine beiden großen Schwestern, sein Vater und sogar seine Mutter für eher dämlich halten, immer wieder, nicht allzu oft, aber doch regelmäßig Ideen, auf die so schnell kein anderer käme. Seinen Freunden ist dieses Vermögen, einem nach dem anderen, im Lauf ihrer Spiele aufgefallen. Und deshalb wundern sich weder der Ältere Bruder noch der Wolfskopf, weder der Ami-Michi noch die Zwillinge, dass er nun sein wie immer absolut reines Taschentuch herauszupft, es umständlich auseinanderfaltet, in seiner ganzen Schönheit auf dem grünen Cordbezug der Couch ausbreitet, es glatt streicht und dann Sybille auffordert, sich auf das hellblaue Quadrat zu setzen. Das macht sie gern, schiebt sich dabei bedacht den Rock unter die Schenkel, nach einem Weilchen lehnt sie sich sogar an, zu guter Letzt dürfen auch ihre Kniekehlen den sonnenwarmen Cord berühren.

Teil 3