Vorgeblättert

Leseprobe zu Hans-Martin Tillack: Die korrupte Republik. Teil 1

07.05.2009.
Kapitel 2 Bundestag GmbH & Co.

Lachshäppchen, Revuetheater, Karibikreisen - wie man Abgeordnete gewogen stimmt. Warum der Bundestag die UN-Konvention gegen Korruption lieber nicht umsetzt.

In den Gläsern glitzert der Cremant. Die Tische sind weiß gedeckt und die meisten Lachshäppchen schon weg. Gleich werden die Austern aus Cancale aufgefahren, die Jakobsmuscheln, das irische Lamm, die Nougatschlupfer und dazwischen die anderen sechs Gänge des fliegenden Buffets.
Ein ganz normaler Donnerstagabend in Diekmanns Austernbar im Berliner Hauptbahnhof. Schwere rote Vorhänge schützen vor neugierigen Blicken. Einmal im Monat bewirtet der Stromkonzern Vattenfall hier Bundestagsabgeordnete. Und er ist dabei ebenso großzügig wie diskret.
An diesem Abend im März 2008 ist der CDU-Rechtspolitiker Jürgen Gehb unter den Gästen. Er will erleben, wie die Journalistin Tissy Bruns aus ihrem Buch über den Kulturverfall der Berliner Politik liest. Anders als in Bonn müsse in Berlin immer alles "größer, schöner, weiter, mehr" sein, klagt sie.
Größer, schöner, mehr - wer würde das besser kennen als die Leute von Vattenfall. Seit fünf Jahren sind die Schweden dank der Übernahme von Stromerzeugern wie HEW und Bewag einer der vier großen Energiekonzerne in Deutschland. Seitdem fahren sie immer wieder Rekordprofite ein. Seitdem treten ihre Berliner Statthalter gern standesgemäß auf.
Wenn Vattenfall Abgeordnete in die Austernbar bittet, geht es freilich nie ums schnöde Geschäft, jedenfalls nicht offiziell. Kein Wort von Kohlendioxid, Klima, Kernkraft. Hier wird über Kunst geredet. Jeden Monat stellt der Energiekonzern seinen Gästen die Vernissage eines anderen Malers vor.
"Wir wollen in entspanntem Rahmen mit Ihnen das erste Jahr unserer ›Augenweiden‹ feiern und Ihnen einen kleinen Ausblick auf das Programm in 2008 geben", lockt der Konzern im November 2007 die Abgeordneten. "Wir freuen uns, Ihnen im Zuge der Veranstaltungsreihe Augenweiden Positionen zeitgenössischer Kunst ausgewählte Werke von Isabel Pauer präsentieren zu dürfen" - so steht es in der Einladung für den Abend des 9. Oktober 2008.
Es geht also um das Edle, Gute und Schöne. Ganz so, als hinge es nicht von den geladenen Gästen ab, wie scharf Vattenfalls Strompreise kontrolliert werden, wie billig der Konzern seine Treibhausgase in den Himmel blasen darf und ob die Atomkraftwerke doch ein bisschen länger laufen dürfen.
Die Vernissagen in der Austernbar seien "keine Lobbying-Veranstaltungen, sondern eine Corporate-Art-Aktivität", also Kunstförderung, erläutert man bei Vattenfall. Nur "ein verschwindend geringer Anteil der Gäste" seien Politiker.
"Vattenfall schickt besonders häufig Einladungen, immer mit viel Essen und Getränken", sagt dagegen der Grünen-Abgeordnete Hans- Josef Fell. Was die großen Stromkonzerne machen, das sei "Dauerlobbying, nicht nur dann, wenn es wirklich einen Anlass gibt".
 Aber wie gesagt, wenn Vattenfall einlädt, geht es nicht darum, Politiker gewogen zu stimmen, sondern um "Kultursponsoring". Was den Stromproduzenten treibt, ist die Verantwortung für die Gesellschaft - auch dann, wenn er für Abgeordnete, Beamte und Bundesminister einen kostenlosen Besuch der Berliner Staatsoper Unter den Linden arrangiert. Von 2005 und bis 2007 bat der Konzern alljährlich zu einer exklusiven Vorpremiere von "Carmen" oder "Manon". Auch die SPDMinisterinnen Brigitte Zypries und Ulla Schmidt sind den Einladungen schon gefolgt.
Die Gäste seien "aus allen Bereichen des Berliner Kultur-, Politikund Gesellschaftslebens" gekommen, sagt dagegen Vattenfall. Aus der Sicht des Unternehmens war das eine "Image-Aktivität, die dem klassischen Vertriebsmarketing zuzurechnen ist".

Die Einladungskultur floriert

Außerhalb des Berliner Regierungsviertels ist kaum jemandem bekannt, wie hier die Einladungskultur floriert. Der Öffentlichkeit präsentieren Bundestagsabgeordnete eine andere Version. Eines dürfe man ihnen nämlich keineswegs nachsagen: dass sie irgendwie bestechlich seien. Darauf legt jedenfalls der SPD-Abgeordnete Jörn Thießen Wert, als er ein paar Wochen nach der Vattenfall-Lesung von einem Podium im Tagungssaal 2M001 des Reichstages über Lobbying spricht. "Korruption ", sagt Thießen, "gibt es unter deutschen Parlamentariern nicht."
Wer hinter die Berliner Fassaden blicken kann, sieht das oft etwas differenzierter. Gewiss, die überwiegende Mehrzahl der Parlamentarier ist nicht korrupt. Aber "es gibt faule Abgeordnete", sagt der Lobbyist Nikolaus Huss: "Und wenn ich einen faulen Abgeordneten habe, kriege ich den durch ein Abendessen auf meine Seite." Huss müsste es wissen, denn als er das sagt, ist der frühere Grünen-Funktionär gerade Managing Director bei dem deutschen Ableger des amerikanischen Public-Relations-Riesen Burson Marsteller.
Neben Treffen im Abgeordnetenbüro oder in der Verbandsvertretung sei "das Gespräch am gedeckten Tisch" für Lobbyisten "entscheidend", um auf Parlamentarier einzuwirken - so bestätigt es der ehemalige grüne Bundestagsabgeordnete Christian Simmert. Denn "nur der unbedeutendste Teil der Lobbyarbeit" finde "im öffentlichen Raum" statt.
Anders als der Abgeordnete Thießen glaubt, sind die Versuchungen für die Parlamentarier in der Tat immens. Und einige mögen ihnen erliegen. Warum auch nicht? Es ist ja kaum etwas strafbar. Und vor allem herrscht in Berlin heillose Verwirrung, welche Rolle Politik und Parlament zu spielen haben.
Sind Volksvertreter nur Kreuzungspunkte im Parallelogramm der diversen organisierten Interessen? Ist das Parlament lediglich der Ort, an dem der Abgeordnete mit Gewerkschaftsticket auf den Industrielobbyisten trifft und der Politiker, der sich einem AKW-Betreiber verpflichtet fühlt, auf den Kollegen, der Solarstrominteressen vertritt? Oder haben Parlament wie Regierung nicht eine Rolle, die über das reine Abgleichen, Aufaddieren und Austarieren der zahlungskräftigsten -- Privatinteressen hinausgeht? Sind nicht Bundestagsabgeordnete laut Artikel 38 Grundgesetz "Vertreter des ganzen Volkes"? Sind sie nicht Repräsentanten des Gemeinwohls und in erster Linie der Öffentlichkeit als Ganzes verantwortlich? Einer Öffentlichkeit, die sich vor der stetig wachsenden Kommerzialisierung der Berliner Politik hüten sollte?
Wie gesagt, die Mehrzahl der Bundestagsabgeordneten ist sicherlich nicht faul, sondern fleißig. Und richtig, wenn Firmen oder Verbände Abgeordnete einladen, geht es nicht nur um das Vergnügen, sondern oft auch um wichtige Sachfragen.

Mit Opel ins Revuetheater

Ein paar Auszüge aus der Einladungsmappe eines Abgeordneten: Da bittet die industriegeförderte Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik zum Mittagessen ins Restaurant Tucher am Brandenburger Tor. Zum Thema "Rüstungsexport" spricht Unterabteilungsleiter Karl Wendling aus dem Wirtschaftsministerium. Frühaufsteher werden ab 7.45 Uhr vom US-Rüstungsriesen Lockheed Martin im Luxushotel Adlon zur "Breakfast Lecture" erwartet - es geht um den F-35 Joint Strike Fighter und das Raketenabwehrsystem MEADS. Mittagessen für Abgeordnete lässt Daimler-Repräsentant Dieter Spöri im Haus Huth am Potsdamer Platz servieren - mit keinem Geringeren als Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee als Tischredner. Thema: "Mobilität und Nachhaltigkeit".
Das sind Sachthemen, keine Frage. Trotzdem scheinen nicht wenige Firmen mit sogenannten Parlamentarischen Abenden eher auf den unterhaltungsorientierten Abgeordneten zu zielen. Das gilt nicht nur für die kulturbeflissenen Leute von Vattenfall. Auch der "Gesamtverband Textil + Mode" lädt Berliner Abgeordnete zur Kunstausstellung, einschließlich einer informellen Begegnung mit dem Maler.
Auf Kosten des Autobauers Opel können Parlamentarier am 8. November 2007 im Berliner Revuetheater Friedrichstadtpalast dagegen jungen Frauen zuschauen, wie sie ihre nackten Beine schwingen. Auf der Einladung des Autobauers ist das Programm des "Parlamentarischen Abends" im Detail aufgeführt: "19 Uhr Sektempfang im Foyer." Dann: "20 Uhr: Besuch der Revue ›Rhythmus Berlin‹. Im Anschluss: Ausklang im Revue Cafe Josephine."
Es sei dabei um "Networking" gegangen, heißt es in der Berliner Opel-Repräsentanz - sowie um Kultursponsoring, also die Unterstützung des Friedrichstadtpalastes und seiner Revuetänzerinnen.
"Manche Kollegen organisieren ihr ganzes Leben um solche Einladungen, vom Frühstück bis zum Abendessen", sagt eine erfahrene Parlamentarierin. "Die haben einen leeren Kühlschrank."
Aber warum zeigen die einladenden Firmen so viel Großzügigkeit gegenüber Abgeordneten, die sicherlich mühelos ihr Frühstück selbst bezahlen könnten? Eigentlich seien Abendempfänge "beinahe die uneffizienteste Art, Informationen an Entscheidungsträger zu übermitteln ", sagt der Burson-Marsteller-Manager Jeremy Galbraith. Aber um die Informationsübermittlung geht es ja bei derartigen Veranstaltungen offenkundig weniger - sondern doch wohl vielmehr darum, mächtige Leute in gute Stimmung zu versetzen.

Strenge Regeln in den USA

In Deutschland gilt es als üblich, die Nase über die schmutzige amerikanische Politik zu rümpfen. Tatsächlich sind es nicht wir, die Grund zum Dünkel hätten, sondern die Politiker in Washington. Dort wurden Gesetze und Ethikregeln in den vergangenen Jahren sukzessiv verschärft. Sowohl der heutige Präsident Barack Obama wie sein republikanischer Gegenkandidat John McCain waren führend an diesen Reformen beteiligt.
US-Kongressabgeordnete dürfen inzwischen von Lobbyisten keine Gaben mehr annehmen, die über den Wert eines Schokoriegels hinausgehen. 2007 erklärte die Republikanische Partei ihren Abgeordneten im US-Repräsentantenhaus per Rundschreiben die neuen Regeln für die Annahme von "Geschenken, Essen und Reisen". Für deutsche Abgeordnete müssen sie schockierend klingen: Geschenke unter 50 Dollar seien unproblematisch, aber nur, wenn sie nicht von einem Lobbyisten kämen oder einer Firma, die Lobbyisten beschäftigt. Dazu würde in den USA wohl auch Vattenfall zählen. Gleiches, so das Merkblatt weiter, gelte für Einladungen zum Essen. Unter 50 Dollar sei alles okay, außer wenn Lobbyisten beteiligt sind. Kostenlose Snacks und Getränke für das eigene Büro? Das geht in Ordnung, solange der Wert unter zehn Dollar bleibe. Blumen oder Baseball-Caps können US-Senatoren -- ebenfalls annehmen, dann aber allenfalls noch die Einladung zu einem Stehempfang mit Snacks oder ein - kontinentales! - Frühstück. Doch gesetzte Essen müssen US-Parlamentarier selbst bezahlen.
Firmen, die Lobbyisten beschäftigen, dürfen US-Abgeordnete nicht zu Reisen einladen und ihnen keine Karten für "Disney on Ice" überreichen. Immerhin, amerikanischen Parlamentariern ist es erlaubt, Geschenke von Freunden anzunehmen. Doch selbst hier gibt es Grenzen: Wenn der Wert 250 Dollar übersteigt, muss der Beschenkte das Ethikkomitee fragen.
Die Sitten in Washington mögen uns zu streng erscheinen. Gewiss, manche US-Firmen können beim Lobbying mit ganz anderen Beträgen jonglieren als viele hiesige Unternehmen. Vielleicht bedarf ihre Lobbyarbeit allein deshalb stärkerer Regulierung. Doch der Unterschied ist nur ein gradueller. Und warum findet in Berlin noch nicht einmal eine ernsthafte Debatte darüber statt, ob unsere laxen Regeln noch angemessen sind?
Christian Humborg, der Geschäftsführer des deutschen Zweigs von Transparency International, ist einer der wenigen, die die Berliner Einladungspraxis kritisieren. Er findet, Lobbyisten müssten "verpflichtet werden, keine Geschenke, Bewirtungen oder Ausgaben zu tätigen, wenn diese den Ausgang von gesetzgeberischen oder Verwaltungsentscheidungen beeinflussen können, wenn sie nicht angemessen sind und wenn sie nicht im guten Glauben erfolgen".
Aus Humborgs Sicht ist es "eine problematische Kombination", wenn Einladungen wie die in die Austernbar "sowohl inhaltsleer wie sehr reichhaltig" sind. Im Dezember 2008 publizierte sogar der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) zusammen mit der Internationalen Handelskammer ICC einen Firmenkodex, in dem es heißt: "Auch Reisen, Freikarten für Sport- und Kulturveranstaltungen, Essenseinladungen, Dienstleistungen, Werbeprämien und Rabatte sind als Geschenke anzusehen." Und gerade "Freikarten für Sportund Kulturveranstaltungen" hätten sich "zu einem sensiblen Thema entwickelt", bei dem für Unternehmen Vorsicht geboten sei. Achtung, Korruptionsgefahr!
Bundestagsabgeordnete können ja in der Tat direkten Einfluss auf den Geschäftserfolg eines Unternehmens wie Vattenfall nehmen. Wie das funktioniert, lässt sich am 23. Juni 2008 in der - nichtöffentlichen - Sitzung des Beirates der Bundesnetzagentur in Berlin verfolgen. Die Bundesbehörde hat die Aufgabe, darüber zu wachen, dass die großen Energieversorger ihre Verteilernetze hinreichend für den Wettbewerb öffnen. In der Sitzung im Juni 2008 geht es um den Wunsch der Netzagentur, die erlaubte Rendite der Stromversorger beim Neubau von Leitungen zu kappen - im Interesse der Stromkunden. Die Energiepolitiker Rolf Hempelmann (SPD) und Joachim Pfeiffer (CDU) halten als Beiratsmitglieder dagegen. Man müsse auch "die Rahmenbedingungen für die notwendigen Investitionen" schaffen, mahnt Hempelmann laut Protokoll. Sein Kollege Pfeiffer stimmt ihm zu. Der "Ausbau der Stromnetze" sei wichtig, "damit nicht im wahrsten Sinne des Wortes ›das Licht ausgehe‹".
Unter dem Druck setzt die Agentur die Renditeansprüche der Konzerne wieder herauf. "Die Netzbetreiber haben eine sehr erfolgreiche Lobbyarbeit betrieben", klagt Agenturchef Matthias Kurth hinterher auf einer Pressekonferenz. Das bringe ihnen nun bis zu 300 Millionen Euro. "Die Preise werden weiter steigen", fürchtet der Bund der Energieverbraucher.
Sowohl Pfeiffer als auch Hempelmann bestreiten, je auf Einladung von Vattenfall in der Austernbar gewesen zu sein. Im Beirat der Netzagentur sei es ihm vor allem um die "Investitionstätigkeit von Stadtwerken " gegangen, sagt Hempelmann.
Wer über die strikten Verbote in Washington lächelt, sollte sich auch durchlesen, was das Innenministerium in Berlin den Bundesbeamten beim Umgang mit Einladungen rät. Es verbreitete im November 2004 Musterbriefe, mit denen die Ministerialbediensteten auf allzu aufdringliche Einladungen reagieren sollten.
Ein Auszug: "Da der Charakter Ihrer Veranstaltung wesentlich durch das Beiprogramm geprägt ist, bitte ich um Verständnis, dass es mir nicht möglich ist, Ihre Einladung anzunehmen. Der Öffentliche Dienst ist zur Neutralität verpflichtet. Deshalb bin ich grundsätzlich gehalten, von vornherein jeden Anschein der Beeinflussung zu vermeiden, der durch die Teilnahme an einer über eine reine Informationsveranstaltung hinausgehenden Präsentation entstehen könnte."
Der Kernsatz eines anderen Musterbriefes lautet: "Da der Charakter Ihrer Veranstaltung wesentlich durch das festliche Programm geprägt ist, kann ich Ihre Einladung nicht annehmen."

Teil 2