Vorgeblättert

Leseprobe zu John Lanchester: Kapital. Teil 2

08.10.2012.
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Der Besitzer des Hauses gegenüber von Petunia Howe, Pepys Road 51, befand sich an seinem Arbeitsplatz in der City. Roger Yount saß am Schreibtisch in seiner Bank, Pinker Lloyd, und rech­nete. Er versuchte herauszufinden, ob sein Bonus dieses Jahr die Summe von einer Million Pfund erreichen würde.
     Roger war vierzig Jahre alt. Es war ihm in seinem Leben mehr oder minder alles zugeflogen. Er war etwa eins neunzig groß - ge­rade klein genug, um nicht das Bedürfnis zu haben, seine Größe durch eine gebückte Haltung zu kaschieren. Es gelang ihm sogar, durch seinen hohen Wuchs eine gewisse Leichtigkeit auszustrah­len, so als hätte die Schwerkraft beim Wachsen auf ihn weniger eingewirkt als auf andere, gewöhnlichere Leute. Die sich daraus ergebende Selbstzufriedenheit schien so wohlverdient zu sein, und er hatte offensichtlich ein so geringes Bedürfnis, den Leuten sein Glück unter die Nase zu reiben, dass sogar seine Arroganz charmant wirkte. Hinzu kam, dass Roger durchaus attraktiv war, wenn auch auf eine gewisse unpersönliche Art und Weise, und dass er über gute Manieren verfügte. Er war auf eine gute Schule (Harrow) und eine gute Universität (Durham) gegangen und hatte einen guten Job (in der Londoner Finanzwelt). Sein Timing war perfekt gewesen (kurz nach dem großen Crash und kurz bevor der Finanzsektor von all den Mathematikgenies und Glücksrittern überschwemmt wurde). Er hätte perfekt in das alte System ge­passt, als die Leute noch spät zur Arbeit kamen und früh wieder gingen und in der Zwischenzeit eine ausgedehnte Mittagspause genossen; als alles noch davon abhing, wer man war und wen man kannte und wie gut man sich anpassen konnte, und als die höchste Auszeichnung darin bestand, dazuzugehören und als ein guter Teamplayer zu gelten. Er passte aber auch hervorragend in das neue System, in dem vermeintlich alles leistungsorientiert war und in dem die Ideologie hieß: Arbeite hart, zocke hart und mache keine Gefangenen. Man musste mindestens von sieben Uhr mor­gens bis sieben Uhr abends im Büro sein, es war vollkommen egal, mit welchem Akzent man sprach oder wo man herkam, solange man unter Beweis stellte, dass man der Sache gewachsen war und Geld für seinen Arbeitgeber verdienen konnte. Roger hatte einen genialen Instinkt dafür, wann es gerade passte, die Menschen im neuen Finanzsystem an das alte zu erinnern, ohne das neue System dadurch in Frage zu stellen. Er schaffte es zu signalisieren, dass er problemlos mit dem alten System zurechtgekommen wäre, gleichzeitig aber das gegenwärtige System ganz wunderbar fand. Sogar seine Kleidung - exquisit gearbeitete Anzüge im Stil eines Mannes von Welt, angefertigt von einem Schneider, der sein Atelier nur wenige Meter von der Savile Row entfernt hatte - schien zu sagen, dass er verstand, worum es ging. (Bei der Aus­wahl hatte ihm seine Frau Arabella geholfen.) Er war ein beliebter Boss, der nie die Geduld verlor und wusste, wann man die Dinge einfach nur laufen lassen musste.
     Das war ein nicht zu unterschätzendes Talent. Ein Talent, das in einem guten Jahr schon mal eine Million Pfund wert sein dürfte, sollte man meinen … Aber es war nicht so ganz einfach für Roger, die Höhe seines Bonusses auszurechnen. Das lag daran, dass es bei seinem Arbeitgeber, einer relativ kleinen Investmentbank, zahl­reiche Gesichtspunkte gab, die man in Betracht ziehen musste: die Größe des Firmenprofits im Ganzen; den Anteil, den seine Abtei­lung daran gehabt hatte, die für Transaktionen im Devisenmarkt zuständig war; die Frage, wie die Leistung seiner Abteilung im Vergleich mit der Konkurrenz abschnitt; und eine Reihe anderer Faktoren, von denen die meisten nicht gerade transparent waren und viele von dem subjektiven Urteil abhingen, das man über seine Leistung als Manager fällte. Es hatte ganz den Anschein, als wollte man diesen Entscheidungsprozess mit Absicht ver­schleiern. Verantwortlich für die Entscheidung war der Vergütungsausschuss, auch Politbüro genannt. Und das Ergebnis all die­ser verschiedenen Faktoren war, dass niemand je genau wissen konnte, welche Höhe sein Bonus haben würde.
     Auf Rogers Schreibtisch standen drei Computerbildschirme. Einer davon zeichnete die Aktivitäten der Abteilung in Echtzeit nach, ein zweiter war Rogers eigener PC, den er für E-Mails, In­stant Messaging, Videokonferenzen und seinen Terminkalender benutzte, und ein dritter spiegelte wider, welchen Verlauf der Devisenhandel seiner Abteilung während des gesamten Jahres genommen hatte. Demzufolge hatten sie einen Gewinn von ungefähr 75000000 £ gemacht, bei einem Umsatz von bisher 625000000 £. Das war nicht schlecht, fand Roger, ohne überheb­lich klingen zu wollen. Wenn man sich die Zahlen so anschaute, dann wäre es nur gerecht, wenn man ihm einen Bonus von einer Million zugestehen würde. Aber es war ein seltsames Jahr am Finanzmarkt gewesen, seit dem Zusammenbruch von Northern Rock vor einigen Monaten. Im Grunde genommen hatte sich Northern Rock mit ihrem eigenen Geschäftsmodell selbst zer­stört. Ihr Kredit war versiegt, die Bank of England hatte geschla­fen, und die Börsianer waren in Panik geraten. Seitdem waren die Kredite teurer geworden, und es herrschte eine allgemeine Un­ruhe am Markt. Roger fand das durchaus in Ordnung, denn im Handel mit Devisen führte Unruhe zu Schwankungen, und Schwankungen führten zu Profit. Es hatte am Devisenmarkt einige ziemlich einleuchtende und relativ sichere Wetten gegen Hochzinswährungen gegeben, zum Beispiel gegen den argenti­nischen Peso; einige Devisenabteilungen von Konkurrenzfir­men hatten dabei höllisch abkassiert. Deswegen war die fehlende Transparenz ein Problem. Das Politbüro maß ihn womöglich an dem Gewinnergebnis irgendeines Senkrechtstarters, eines idioti­schen halbwüchsigen Draufgängers, der ein paar verrückte, nicht abgesicherte Wetten abgezogen hatte. Mit einigen Zahlen konnte man eben unmöglich konkurrieren, wenn man nicht die Art von Risiko einging, die seine Bank für inakzeptabel hielt. Aber leider funktionierte das Ganze so, dass solche Risiken sofort viel akzep­tabler wurden, wenn sie eine spektakuläre Geldsumme einbrach­ten.
     Ein weiteres mögliches Problem war, dass die Bank behaupten könnte, in diesem Jahr weniger Gewinn erzielt zu haben, so dass die Boni generell unter den Erwartungen bleiben würden. Es gab tatsächlich Gerüchte, dass Pinker Lloyd einige ziemlich hohe Ver­luste in der Abteilung für Hypothekenanleihen hatte verkraften müssen. Und dann war da noch der weithin publik gemachte Schlag ins Kontor im Zusammenhang mit dem schweizerischen Tochterunternehmen gewesen, das in einem Übernahmekampf den Kürzeren gezogen und dessen Aktie infolgedessen einen Kurssturz von 30 Prozent erfahren hatte. Das Politbüro könnte behaupten, "es sind harte Zeiten angebrochen", "der Verlust muss gleichmäßig aufgeteilt werden", "wir spenden dieses Mal alle ein wenig Blut" und (mit einem Zwinkern) "nächstes Jahr wird alles besser". Das wäre natürlich eine ziemlich große Scheiße.
     Roger rotierte in seinem Drehsessel, damit er aus dem Fenster in Richtung Canary Wharf gucken konnte. Es hatte aufgehört zu regnen, und die früh untergehende Dezembersonne tauchte die Hochhäuser, die normalerweise so massiv und vollkommen un­ätherisch wirkten, einen Augenblick lang in ein klares goldenes Licht, so dass sie in Flammen zu stehen schienen. Es war halb vier, und er würde noch mindestens vier Stunden arbeiten müssen. Zu dieser Jahreszeit verließ er das Haus, bevor es hell wurde, und kam heim, lange nachdem es dunkel geworden war. Das war jedoch für Roger so selbstverständlich geworden, dass er schon lange keinen Gedanken mehr daran verschwendet hatte. Seiner Erfahrung nach waren diejenigen, die sich über die Arbeitszeiten in der City be­schwerten, entweder im Begriff zu kündigen oder kurz davor, gefeuert zu werden. Er drehte sich wieder zurück, denn lieber wandte er sich dem Inneren des Gebäudes zu, wo sich das "Par­kett" befand, wie es von allen genannt wurde, in Erinnerung an die alten Zeiten des Börsenparketts, wo die Börsianer schrien, kämpf­ten und mit ihren Papieren herumfuchtelten. Man hätte sich jedoch kaum einen größeren Unterschied zu dieser Tradition vor­stellen können als die Abteilung für Devisenhandel. Vierzig An­gestellte saßen an ihren Bildschirmen, murmelten etwas in ihre Headsets oder zu ihren Nachbarn, schauten aber im Allgemeinen nur selten von dem stetigen Datenfluss in ihren Computern auf. Rogers Büro hatte Wände aus Glas, aber es gab Jalousien, die er schließen konnte, wenn er etwas Privatsphäre brauchte. Er hatte auch ein ganz neues Spielzeug, einen Apparat, der weißes Rau­schen erzeugte. Wenn man ihn einschaltete, war es unmöglich, außerhalb des Raumes etwas mitzuhören. Alle Abteilungsleiter hatten so einen Apparat. Er war echt abgefahren. Meistens jedoch zog Roger es vor, die Tür zu seinem Büro offen zu lassen, damit er etwas von der Geschäftigkeit im Nebenraum mitbekam. Er wusste aus Erfahrung, dass es gefährlich war, sich von seiner Ab­teilung zu isolieren. Je mehr man darüber Bescheid wusste, was unter seinen Untergebenen vor sich ging, desto weniger bestand die Gefahr böser Überraschungen.
     Diese Lektion hatte er unter anderem durch die Art und Weise gelernt, wie er an seinen Job gekommen war. Er war stellvertreten­der Leiter genau dieser Abteilung gewesen, als die Bank plötz­lich stichprobenartige Drogentests machte. Vier seiner Kollegen waren getestet worden, und alle vier waren durchgefallen. Roger war keineswegs überrascht gewesen, denn der Test fand an einem Montag statt, und er wusste nur zu gut, dass sich alle jungen Bör­sianer am Wochenende vollkommen zudröhnten. (Zwei von ih­nen hatten Kokain genommen, einer Ecstasy, und einer hatte Gras geraucht - was Roger etwas bedenklich gefunden hatte, denn in seinen Augen war Marihuana eine Verlierer-Droge). Die vier wa­ren streng verwarnt worden; ihr Boss aber wurde gefeuert. Roger hätte ihm sagen können, was vor sich ging, wenn er gefragt wor­den wäre, aber das war nicht geschehen. Der Boss hatte Roger die ganze Arbeit aufgehalst, war furchtbar arrogant und durch und durch ein Bankier der alten Schule gewesen. Deswegen hatte es Roger, der sich in zwischenmenschlichen Beziehungen nicht die Mühe machte, auf hinterhältige oder intrigante Methoden zurück­zugreifen, nicht leid getan, ihn gehen zu sehen.
     Im Grunde genommen war Roger persönlich nicht unbedingt ehrgeizig. Am wichtigsten war ihm, dass das Leben nicht allzu viele Forderungen an ihn stellte. Er hatte sich unter anderem des­halb in Arabella verliebt und sie geheiratet, weil sie die Begabung hatte, das Leben vollkommen mühelos aussehen zu lassen. Das war in Rogers Augen eine nicht zu verachtende Fähigkeit.
     Er wollte Erfolg haben, und er wollte, dass man sah, dass er Erfolg hatte, und vor allem wollte er seinen Millionenbonus. Er wollte 1000000 £, weil ihm diese Summe bisher noch nie­mand ausgezahlt hatte, weil er fand, dass sie ihm zustand, und weil sie ein Beweis für seinen Wert als Mann war. Aber er wollte sie auch, weil er dringend Geld brauchte. Die Summe von 1000000 £ war ursprünglich ein vages, nicht ganz ernst gemein­tes Ziel gewesen. Sehr bald aber wurde sie zur unverzichtbaren Notwendigkeit, eine Summe, die er brauchte, um die Rechnun­gen zu bezahlen und seine Finanzen wieder auf ein festes Funda­ment zu stellen. Sein Grundgehalt von 150000 £ reichte gerade mal als "Kleidergeld" - wie Arabella es nannte -, denn es deckte nicht einmal seine beiden Hypotheken ab. Das Haus in der Pepys Road war ein Doppelhaus und hatte 2500000 £ gekostet, was er damals für das oberste Ende des Immobilienmarktes gehalten hatte, auch wenn in der Zwischenzeit die Preise noch wesentlich höher gestiegen waren. Sie hatten das Dachgeschoss umgebaut, den Keller ausgehoben, alle Leitungen und Rohre neu verlegt, weil das ohnehin ein Aufwasch war, hatten die Wände im Erdgeschoss durchbrochen, einen Wintergarten angebaut, den seitlichen An­bau erweitert und von oben bis unten alles renoviert (Joshuas Zimmer war voller Cowboy-Motive und das von Conrad voller Astronauten, obwohl er in letzter Zeit Wikinger besser zu finden schien; Arabella dachte bereits über eine Neugestaltung nach). Sie hatten zwei Badezimmer zusätzlich eingebaut und das Haupt­badezimmer erst in ein En-Suite-Bad und dann zu einem Wet­room-Bad umgemodelt, weil letztere gerade schwer in Mode wa­ren. Dann hatten sie es wieder zu einem normalen (wenn auch sehr luxuriösen) Badezimmer zurückgebaut, weil Wetroom-Bä­der irgendwie vulgär waren und weil sich die Feuchtigkeit bis ins Schlafzimmer ausbreitete und Arabella fand, dass das ihren Bron­chien schadete. Roger hatte ein Büro und Arabella ein Ankleide­zimmer. Die Küche war ursprünglich von Smallbone of Devizes, aber Arabella war davon bald nicht mehr so angetan gewesen und hatte stattdessen eine neue deutsche Küche bestellt, mit einer ganz erstaunlichen Dunstabzugshaube und einem riesigen ame­rikanischen Kühlschrank. Die Wohnung für das Kindermädchen hatte zwei separate Räume und eine eigene Küche, weil Arabella es wichtig fand, dass man das Gefühl hatte, voneinander abge­trennt zu sein, für den Fall, dass sie - wer auch immer sie sein würde - ihren Freund zu Besuch hatte. Es gab darin einen Rauch­melder, der so sensibel war, dass er losging, sobald man sich nur eine Zigarette anzündete. Letztendlich wollten sie dann aber doch kein Kindermädchen, das mit ihnen im Haus wohnte und andau­ernd unter ihren Füßen herumlief; und einen Untermieter zu ha­ben war total uncool. Das machten nur Leute, die in den Siebzi­gern steckengeblieben waren. Also stand die Wohnung leer. Das Wohnzimmer war komplett verkabelt (mit CAT-5-Kabel natür­lich, wie überall im Haus), und mit dem Bang-&-Olufsen-System konnte man Musik im ganzen Haus hören (mit Ausnahme der Kinderzimmer). Der Fernseher hatte einen Sechzig-Zoll-Plasma­bildschirm und gegenüber an der Wand hing eines von Damien Hirsts Spot Paintings, das Arabella in einem Jahr gekauft hatte, als Roger einen recht ordentlichen Bonus erhalten hatte. Betrach­tete man den Hirst von einem ästhetischen, kunsthistorischen, inneneinrichtungsrelevanten und psychologischen Standpunkt, so kam man zu dem wohlüberlegten Schluss - fand Roger -, dass er 47000 £ plus Mehrwertsteuer gekostet hatte. Die Möbel nicht eingerechnet, hatten die Younts, inklusive der Rechnungen des Architekten, des Gutachters und der Bauarbeiter, für die Umbau­ten an ihrem Haus ungefähr 650000 £ bezahlt.
     Das alte Pfarrhaus in Minchinhampton in Wiltshire war auch nicht ganz billig gewesen. Es war ein wunderschönes Gebäude aus dem Jahr 1780. Leider wurde der Eindruck von Leichtigkeit und ausgewogenen Proportionen, der durch den georgianischen Bau­stil entstand, etwas dadurch geschmälert, dass die Innenräume eher klein waren und die Fenster erstaunlich wenig Licht durch­ließen. Ihr Gebot von 900000 £ war zunächst akzeptiert worden, dann aber wurden sie trotz mündlicher Zusage mit 975000 £ überboten und waren daraufhin gezwungen, ihrerseits ein noch höheres Gebot einzureichen. Das Haus wurde ihnen schließlich für lockere 1000000 £ zugeschlagen. Die Renovierung und gene­relle Verschönerungsarbeiten hatten 250000 £ verschlungen. Ein Teil davon war für den Rechtsanwalt draufgegangen, der die Rücknahme der vollkommen sinnlosen Denkmalschutzauflagen erwirkte. Das winzige Cottage am unteren Ende des Gartens hatte ebenfalls zum Verkauf gestanden, und sie fanden es absolut not­wendig, es dazuzukaufen, denn wenn man Freunde zu Besuch hatte, wurde das Ganze doch etwas eng. Die Verkäufer, ein schwules Pärchen, das ebenfalls zwei Häuser hatte und von dem einer ein Baugutachter war, wussten nur zu gut, dass sie die Younts in der Zange hatten, und weil die Preise überall in die Höhe schossen, hatten sie für das winzige Cottage 400000 £ aus ihnen herausgequetscht. Wie sich dann herausstellte, mussten sie wei­tere 100000 £ zur Behebung bautechnischer Probleme hinblät­tern.
     Minchinhampton war absolut entzückend - die englische Land­schaft ist eben einfach unschlagbar. Da konnte jeder nur zustim­men. Aber immer die Sommerferien dort zu verbringen war dann doch ein wenig schäbig, fand Arabella. Es war ja eigentlich eher ein Wochenendhaus. Also verreisten sie im Sommer zwei Wochen lang woandershin, nahmen ein paar Freunde mit und luden jedes zweite Jahr entweder Rogers oder Arabellas Eltern ein, um eine der zwei Wochen mit ihnen zu verbringen. Der marktübliche Preis für die Art Villa, die sie sich für ihre Ferien vorstellten, lag bei 10 000 £ die Woche. Geflogen wurde natürlich Business Class. Wozu hatte man denn schließlich Geld, fand Roger, wenn nicht dafür - gesetzt den Fall, man wäre gezwungen, es in einem Punkt zusammenzufassen, was natürlich unmöglich war, aber was, wenn doch -, dass man nie wieder mit den anderen Losern in der Billigklasse fliegen musste. In zwei guten Bonusjahren hat­ten sie einen Privatjet gemietet, ein Komfort, den man schwerlich wieder missen wollte, wenn man sich einmal daran gewöhnt hatte, nicht für seine Koffer anstehen zu müssen … Oft verreisten sie auch noch ein zweites Mal im Jahr, manchmal um Weihnach­ten herum - aber Gott sei Dank nicht dieses Jahr, dachte Roger -, meistens allerdings Mitte Februar oder während der Osterferien. Der genaue Zeitraum hing von den Schulferien der Westminster Under School ab, auf die Conrad ging und die geradezu fanatisch darauf achtete, dass man sein Kind nur während der offiziellen Ferien aus der Schule nahm, ein wenig zu fanatisch, wie Roger fand, da die Kinder, um die es sich handelte, gerade mal fünf Jahre alt waren, aber dafür zahlte man eben 20000 £ Schulgeld im Jahr.
     Auch andere Kosten summierten sich, wenn man einmal an­fing, darüber nachzudenken. Pilar, das Kindermädchen, kostete 20000 £ im Jahr netto - oder eher 35000 £ brutto, wenn man die ganze verdammte Lohnsteuer dazuzählte. Sheila, das Wochen­end-Kindermädchen, bekam weitere 200 £ pro Wochenende, was sich auf ungefähr 9000 £ summierte (obwohl sie sie in bar be­zahlten und in den Ferien gar nicht - es sei denn, sie kam mit, was recht oft der Fall war, oder die Agentur vermittelte ihnen jemand anderen). Arabellas BMW M3 "fürs Einkaufen" hatte 55000 £ gekostet, und der Lexus S400, das Familienauto, das eigentlich nur vom Kindermädchen benutzt wurde, um die Kinder zur Schule oder zu Spielnachmittagen zu fahren, 75000 £. Roger hatte darüber hinaus noch einen Mercedes E500, den ihm sein Büro zur Verfügung gestellt hatte und für den er nur die Kraftfahrzeug­steuer bezahlte, die sich auf ungefähr 10000 £ im Jahr belief. Er be­nutzte das Auto jedoch so gut wie nie, weil er es demonstrativ vor­zog, mit der U-Bahn zu fahren. Das war einigermaßen erträglich; er musste das Haus um Viertel vor sieben verlassen und kam um acht Uhr abends wieder heim. Weitere Posten waren 2000 £ im Monat für Kleidung, ungefähr dieselbe Summe für die anfallenden Betriebskosten (auf beide Häuser aufgeteilt), eine Steuernachzah­lung von ungefähr 250000 £ vom letzten Jahr, Rentenbeiträge "in mindestens sechsstelliger Höhe" - wie sich sein Steuerberater aus­gedrückt hatte -, 10000 £ für ihre alljährliche Sommerparty und dann die unglaublich hohen Summen, die das Leben in London kostete - Restaurants, Schuhe, Parkgebühren, Kinokarten, Gärt­ner. Man hatte das Gefühl, dass das Geld jedes Mal, wenn man irgendwo hinging oder irgendetwas tat, nur so aus einem heraus­schmolz. Das alles machte Roger nichts aus, er war durchaus be­reit, das Spiel mitzuspielen. Es bedeutete jedoch, dass er, wenn er dieses Jahr nicht einen Bonus von einer Million Pfund bekam, durchaus in Gefahr geriet, bankrott zu gehen.

zu Teil 3