Vorgeblättert

Leseprobe zu Milan Füst: Die Geschichte meiner Frau. Teil 3

19.11.2007.
Auf der Insel Menorca lebte damals eine Menge hergelaufenes Gesindel: italienische Flüchtlinge, slawische Emigranten und ein paar Schweden, denen das Leben in Südamerika mißlungen war, die zweimal zum Tode verurteilt gewesen, aber beide Male entkommen und auf Büffeln quer durch den Kontinent geritten waren, vom Atlantik bis zum Pazifik, deutsche Bolschewisten, polnische Aufrührer und anderes, der Spionage verdächtiges Volk; die ich hier speziell im Sinne habe, waren ziemliche Ignoranten, halfen sich aber recht und schlecht durch, kein Mensch wußte, wie. Einer zum Beispiel dadurch, daß er jämmerlich vortrug ... und so weiter. Unter diesen Leuten lebte meine Frau. Aber auch dagegen hätte ich nichts einzuwenden gehabt. Bei denen lernt sie wenigstens das Leben kennen, sieht nicht nur die Oberfläche, sondern auch den Bodensatz - sagte ich mir. So kann sie sich wenigstens einen Begriff von dem machen, was ich in den Häfen und sonstwo gesehen habe ... Unsereins ist ja wirklich, als hätte er die Geschichte der Menschheit zusammengedrängt erlebt. - Und wie ist sie, diese Geschichte? Darüber dachte ich mir einmal: Liest sie dereinst, wenn die Erde ausgekühlt ist, jemand von Anfang bis zu Ende, so kann er nur denken, daß hier lauter Betrüger, Totschläger, Lustmörder und Hehler gelebt haben, also lauter Ungeheuer, und daß es hier keine andere Möglichkeit zur Selbsterhaltung für den Menschen gab, als zu töten ... unser Beruf vor allen anderen ist ja so, daß wir manchmal jahrelang keinen anständigen Menschen zu sehen bekommen. Und da auch meine Frau so manches gesehen hatte, brauchte ich nicht zu befürchten, sie würde mir eines Tages zimperlich kommen, o Gott, o Gott, ich hätte mich nicht fein genug ausgedrückt oder so; solches Gezeter macht mich nämlich rasend. In diesem Punkt also schien mir meine Frau gut zu mir zu passen. - Ich habe oben die Beschreibung der Verhältnisse bei den Herrschaften auf der Insel Menorca unterbrochen und will nun darin fortfahren. Mein Hauswirt, Don Juan, zum Beispiel schilderte mir die Zusammensetzung einer kleineren Gruppe, jener, aus der meine Frau hervorgengangen war, folgendermaßen. Ich versuche, es nach dem Gedächtnis wiederzugeben:

Mit der ersten Frau des Schriftstellers Koch aus Berlin muß ich beginnen. Sie war von Koch geschieden und lebte ganz gut mit einem Italiener namens Samuele Annibale Ridolfi zusammen, der ein Auto besaß. Herr Ridolfi war übrigens ein recht freundlicher Mann und hatte schöne Zähne, ich habe ihn gekannt. Das also war das erste Paar: Frau Koch und Ridolfi, sie wohnten an der Küste. Zu ihnen kam in der Silvesternacht jenes Jahres ein Ehepaar aus Skandinavien (Norwegen? Schweden?) auf Besuch; diese Ehegatten lebten, obwohl sie einander von Kindheit an kannten und aus Liebe geheiratet hatten - vor einem Jahr etwa -, in keiner glücklichen Ehe. Die Frau erkrankte bei Frau Koch und dem freundlichen Herrn Ridolfi in der Silvesternacht an Blinddarmentzündung und mußte sofort in ein Krankenhaus gebracht werden. Als sie aus dem Krankenhaus entlassen wurde, ging sie zur Erholung wieder zu ihrer Freundin an die Küste ...

"Zu wem also? Zu Frau Koch Nummer eins, der Geliebten Ridolfis, verstehen Sie das, mein Herr?" fragte mich mein Hauswirt, der gesprächige alte Herr.

"Warum sollte ich das nicht verstehen? Nur weshalb nennen Sie sie Frau Koch Nummer eins?"

"Das werden Sie gleich hören, mein lieber Herr. Doch nehmen wir dies Stückchen Papier hier; darauf werde ich Ihnen drei niedliche Liebespersonen zeichnen, damit wir die Reihenfolge nicht verwechseln - sehen Sie her! Sogar noch eine vierte, wie mir eben einfällt, und bei der befeuchte ich sogar den Bleistift, denn sie versinnbildlicht den kleinen Uriel, einen sehr gewandten, flinken Jungen, den ich gut leiden kann ..."

"Wer ist denn der Uriel? Und warum befeuchten Sie das arme Kerlchen?

"Das werden Sie gleich hören, lieber Herr", wiederholte Don Juan mit seinem unabsehbaren Lächeln. "Weil jetzt die Komplikation kommt. Da diese Gerda oben vom Nordpol überhaupt ein rosiges Geschöpf ist und während der Rekonvaleszenz Bäckchen bekam, daß sie aussah wie eine junge Tomate, war es doch natürlich, daß sie das Herz des freundlichen Annibale gewann - der feurige Italiener verliebte sich in sie. Die geschiedene erste Frau des Schriftstellers Koch aus Berlin mußte also das Haus verlassen - schauen Sie her, ich zeichne es auf. Von wo ging sie fort? Ich sage es noch einmal: von der Meeresküste. Und zwar ging sie nicht allein fort - ich flehe Sie an, seien Sie jetzt bitte nicht gleich ungeduldig -, es war nämlich noch jemand bei ihr ... Na sehen Sie, Sie haben es erraten, freilich war das der kleine Uriel, mein Herr ...

Und nun befeuchte ich wieder ein wenig meinen Bleistift ", fuhr er schelmisch fort. "Denn ich muß ja schließlich sagen, wer das ist, der kleine Uriel, nicht wahr? Jener vielverzweigte Herr Koch hat nämlich ein zweites Mal geheiratet - ja, da kann man nichts machen. Und aus dieser Ehe stammte das flinke Bübchen. Daß er sich dann auch von dieser Frau scheiden ließ - mein Gott, was kann die Welt dafür? Er war eben so, dieser Herr Koch. Und sein Kind befand sich nicht bei der Mutter, auch dafür können wir niemanden verantwortlich machen, nein, es befand sich nicht bei der Mutter, sondern bei Frau Koch Nummer eins, folglich mußte es ebenfalls das Haus verlassen - welches Haus, mein Herr? Ich betone noch einmal, das Haus an der Küste.

Wie ich das darlege!" fuhr er fort und zog mit Befriedigung an seiner Zigarette. "Wirklich sehr gut. Sie finden nicht noch einen Menschen auf dieser verfluchten Insel, en esta maldita isla, der Ihnen das so erzählen könnte. Also, die Mutter des kleinen Uriel ist nämlich eine sehr schöne Frau, eine schlanke kleine Jüdin, mit einem so weißen Hals, wie ihn die andalusischen Stuten haben, mein Herr, Hannah hieß sie, und anscheinend machte sie sich nicht viel aus dem Kind, da auch sie in gewisse Verhältnisse verwickelt war: Sie wohnte nämlich mit ihrem Geliebten, einem jungen deutschen Flieger, auf der Insel Foradade. Und es hieß, daß die beiden gut miteinander lebten. Der Mann hatte ein Wasserflugzeug und stieg häufig über der See auf. Da aber nun Herr Koch gerade an Ridolfi geschrieben und geklagt hatte, es gehe ihm in Berlin nicht sonderlich gut, schrieb Frau Koch Nummer eins - verfolgen Sie jetzt bitte die Zeichnung - an Frau Koch Nummer zwei - hier, sehen Sie, ich zeichne sie schon -, also an die Mutter des Kindes, also an die Geliebte des Fliegers nach der Insel Foradade, also an die wunderschöne Hannah und machte ihr den Vorschlag, gemeinsam hier eine Wohnung zu mieten, Herr Koch solle auch herkommen, sie könnten hier alle zusammen wohnen - das ist doch sehr einfach, nicht?" Und er grinste mir lustig ins Gesicht, er setzte sogar zum Zeichen seiner Zufriedenheit sein rotes Hauskäppchen auf.

"Nun, und jetzt kommt alles ins Gleichgewicht, es kommt die Entwirrung, die Komplikationen schämen sich plötzlich und verschwinden. Denn - was sagen Sie dazu? - das kam alles tatsächlich so zustande. Ganz genauso, die ganze Harmonie, toda armonia, mein Herr. Das heißt, in jener Wohnung hausen sie demnach jetzt zu fünfen: Frau Koch eins und Frau Koch zwei, ferner der Geliebte der zweiten Frau Koch, also der Hannah, nämlich der junge Flieger, das Kind und Herr Koch, Schriftsteller aus Berlin. Die leben da nun in diesem Gemüse glücklich zusammen."

Das war die Einleitung. Denn hier erst schaltete sich meine spätere Frau ein.

Auch von ihr wurde viel gesprochen. Wie man von dem alten Herrn, aber auch von anderen auf dieser von Klatsch umwobenen Insel hören konnte, gab sie sich damals mit dem freundlichen Herrn Ridolfi noch nicht viel ab, vermutlich hielt sie nur einen einzigen Menschen ihrer Sympathie für würdig, und das war der junge Aviatiker, der Eugen Hornmann hieß. Was ich vom damaligen Stand der Dinge erfuhr, war dies: Kaum war dieses Pärchen, Hannah und Hornmann, angekommen, verlor meine spätere Frau völlig ihre Selbstbeherrschung. So gefiel ihr der Aviatiker auf den ersten Blick. Wie denn auch nicht? Eine junge kleine Sprachlehrerin und noch dazu unter lauter Fremden. Daß sie sich freut, bei jemandem ein bißchen echte französische Art zuffenbar unangenehm war, entzog sie dem Mann ihre Gunst nicht, und darin gab ich ihr recht. Man soll nicht heikel sein, sonst kommt man auf der Erde nicht vorwärts. Besonders hinderlich ist es, einen weniger wichtigen Standpunkt den wichtigeren voranzustellen. Ich habe zum Beispiel, als ich noch gesund war, einen Butterkuchen auch dann aufgegessen, wenn er mir vor der Nase auf die Erde gefallen war. Stellen wir uns doch mal vor: Man steht auf Deck, die Sonne brennt, und der Koch bringt als Überraschung irgendein feines Frühstücksgebäck, man schluckt förmlich schon, und in dem Augenblick fällt es einem vor der Nase auf den Boden ... Als mir das passierte, habe ich es einfach aufgehoben und gegessen.

Mit freundlicher Genehmigung des Eichborn Verlages

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