Vorgeblättert

Leseprobe zu Wendy Lower: Hitlers Helferinnen. Teil 2

14.07.2014.
In diesem Deutschland - mit dem Streit und der Unsicherheit eines unablässigen Kampfes um Wählerstimmen, einer galoppierenden Inflation und all den verwirrenden und aufregenden Perspektiven der Moderne - wuchsen die meisten der Frauen auf, die sich dann an Hitlers Völkermordprojekt beteiligen sollten.
     Der extreme Rechtsschwenk deutscher Frauen begann nicht mit der NSDAP. Von den 30 verschiedenen offiziellen Parteien der Weimarer Zeit wählten die Frauen mehrheitlich die konservativen Kräfte, stimmten aber nicht überproportional für die NSDAP, selbst als die Beliebtheit der Partei an den Wahlurnen 1932 einen Höhepunkt erreichte. Tatsächlich war die NSDAP für konservative Frauen die am wenigsten attraktive Option, denn die Nazis nahmen keine Frauen als Mitglieder auf und setzten keine Frauen als Kandidatinnen auf die Wahllisten. Moderner politischer Aktionismus, der in Wirtshäusern geplant und auf die Straßen getragen wurde, war Männersache. Frauen konnten Ende der 1920er Jahre bei Demonstrationen und in Uniform marschieren, doch am »Führer« durften sie nicht vorbeiparadieren. In den offiziellen Geschichtsbüchern der Partei erinnerte man sich gefühlsselig an die Roten Hakenkreuzschwestern, die sich um die verletzten SA-Kämpfer kümmerten: In diesen frühen Tagen des Kampfes wurde eine Menge Blut vergossen, und die Krankenschwestern der Bewegung mussten jede Menge Wunden versorgen. Frauen, die die NS-Bewegung der 1920er Jahre unterstützten, wurden als Ernährerinnen idealisiert und mit untergeordneten Rollen bedacht. Gleichwohl fühlten sich einige Frauen zu Hitlers Bewegung hingezogen und riefen aus eigener Initiative Unterstützungsorganisationen ins Leben wie etwa den Frauenkampfbund (1926), der sich die gesellschaftliche und politische Integration der Frauen in die »Volksgemeinschaft« auf die Fahnen geschrieben hatte. Deutsche Frauen, die sich Hitlers Bewegung anschlossen, leisteten ihren Beitrag an der Wahlurne, in den Parteibüros und zu Hause. Eine frühe Aktivistin berichtete 1934 vom politischen Erwachen der Frauen für die NS-Bewegung und von ihrer Rolle bei den frühen Straßenkämpfen und Wahlen:

"An diesem Kampfe konnten auch die Frauen nicht unbeteiligt bleiben, denn es ging ja um ihre Zukunft, um die Zukunft ihrer Kinder. […] Da hörten wir den ersten Redner der Nationalsozialisten. Wir horchten auf, wir gingen in weitere Versammlungen, wir hörten den Führer, und wie Schuppen fiel es uns von den Augen. […] Die Männer standen in vorderster Front. Die Frauen taten in der Stille ihre Pflicht. In mancher Nachtstunde horchten Mütter angstvoll auf einen heimkehrenden Schritt. Manche Frau spähte in den dunklen Straßen Berlins nach dem Mann, dem Sohn, der im Kampf gegen das Untermenschentum Blut und Leben einsetzte. Manches Flugblatt wurde gefaltet, um den S.A.-Männern fertig für den Briefkasten übergeben zu werden. Manche Stunde kostbarer Zeit wurde in den S.A.-Küchen und -Nähstuben verbracht. In ständiger Werbearbeit wurde Geld gesammelt. Die Kunde des neuen Glaubens von Mund zu Mund gegeben. Kein Weg war zu weit, kein Dienst für die Partei zu gering."

Gleichwohl kann man den deutschen Frauen bei aller aktiven Unterstützung für die NS-Bewegung nicht vorwerfen, sie hätten Hitler mit ihren Stimmen an die Macht gebracht. Hitler war nicht demokratisch gewählt; vielmehr wurde er durch eine Intrige alter Männer aus der Oberschicht zum Kanzler ernannt, die glaubten, sie könnten den jugendlichen Emporkömmling dazu benutzen, die Linke zu zerschlagen und den Konservatismus wiederherzustellen.
     Kaum war Hitler im Amt, nutzten er und seine Anhänger jede Gelegenheit und jedes gesetzgeberische Schlupfloch, um Deutschland in eine Einparteiendiktatur und eine »rassenreine« Nation zu verwandeln. Im Februar 1933, nicht einmal einen Monat nach Beginn seiner Kanzlerschaft, wurden die bürgerlichen Freiheitsrechte außer Kraft gesetzt, politische Gegner wurden verhaftet und wanderten ins Gefängnis oder ins neu errichtete Konzentrationslager Dachau. Gewerkschaften wurden aufgelöst, jüdische Läden boykottiert, missliebige Bücher verbrannt. Der gesamte öffentliche Dienst wurde »wiederhergestellt«, und Beamte »nichtarischer Abstammung« zwang man in den »Ruhestand«. Zu den Verfolgten gehörten rund 8000 Kommunistinnen, Sozialistinnen, Pazifistinnen und »asoziale« Frauen. So wurde Minna Cammens, die für die SPD im Reichstag saß, im März 1933 festgenommen, weil sie antinazistische Flugblätter verteilt hatte. Sie wurde von der Gestapo verhört und in der Haft ermordet. Auch weibliche Mitglieder der Kommunistischen Partei wurden verhaftet und ermordet, oder man fand sie erhängt in ihren Gefängniszellen. Das Landeswerkhaus im niedersächsischen Moringen wurde zum ersten Lager im Reich, in dem nur Frauen interniert waren, darunter auch Zeuginnen Jehovas, die gegen den Krieg waren und sich weigerten, Hitler als ihren obersten Heilsbringer zu akzeptieren. Lina Haag und andere Frauen prominenter KPD-Mitglieder wurden zusammen mit ihren Ehemännern festgenommen. Als die Gestapo Lina Haag zur Mittagszeit zu Hause in ihrer Wohnung abholte und durchs Treppenhaus nach draußen eskortierte, hörte sie »überall im Haus die Türen gehen, sehr leise und vorsichtig«. Fünf Jahre verbrachte Haag in Gefängnissen und Lagern. In einer Einzelzelle in Stuttgart flüsterte ihr eine verzweifelte Mitgefangene zu, man habe sie zum Tode verurteilt. Als es nach und nach der ganze Trakt erfuhr, bekam eine Gefangene nebenan Schreikrämpfe, während in der gegenüberliegenden Kaserne die »heisere Stimme einer Stallwache […] unentwegt "Sag zum Abschied leise Servus" plärrt«.
     Die zunehmende Zahl weiblicher Häftlinge bedeutete auch eine Zunahme weiblicher Aufseherinnen, die vor allem aus der Frauenorganisation der NSDAP rekrutiert wurden. Auch Ärztinnen und Krankenschwestern waren in den Lagern tätig; bei Kriegsende war rund ein Zehntel des Lagerpersonals weiblich. Mindestens 3500 Frauen wurden als KZ-Wärterinnen ausgebildet, überwiegend in Ravensbrück, von wo aus sie in die verschiedenen Lager geschickt wurden, unter anderem nach Stutthof, Auschwitz-Birkenau und Majdanek. Diejenigen, die sich freiwillig für diese grausige Tätigkeit meldeten, sahen die Orte des Massenmords als Arbeitsplatz und als berufliche Chance. Die Uniform machte Eindruck, die Bezahlung war gut, und die Aussicht, über Macht zu verfügen, war verlockend. Einige der Frauen, die zu KZ-Aufseherinnen wurden, waren selbst straffällig geworden oder saßen im Gefängnis, und die neue Tätigkeit bedeutete für sie die Möglichkeit, sich im NS-System zu rehabilitieren. Während des Krieges wurden viele im Zuge der Arbeitspflicht zu dieser Art von Dienst gezwungen.
     Sobald die Bewerberinnen ihre Ausbildung absolviert, den Eid geleistet hatten und in das Lagersystem eingetreten waren, legten nur wenige eine menschliche Einstellung gegenüber den Gefangenen, für die sie zuständig waren, an den Tag. So waren die Aufseherinnen im KZ Neuengamme berüchtigt für ihr schrilles Gebrüll und für die Schläge, die sie verabreichten. Für die Häftlinge waren diese »Disziplinierungen« freilich willkürliche Terrorakte - die noch dazu besonders irritierend waren, weil sie von einer Frau verübt wurden.
     Auch außerhalb der Lager verfolgten Frauen andere Frauen. Die Haftgründe waren bewusst vage und dehnbar gehalten. Jede konnte als Drückebergerin, Saboteurin, Außenseiterin oder »Asoziale« denunziert werden. Als etwa eine Frau eine Bäckerei betrat und ihre Nachbarinnen nicht mit dem erwarteten »Heil Hitler« begrüßte, wurde sie anschließend von der Gestapo verhört. »Asoziale« - Landstreicher, Gelegenheitsdiebe, Prostituierte, das »Gesindel«, das sich auf deutschen Straßen herumtrieb und das makellose Bild arischer Schönheit besudelte - wurden verhaftet, oft sogar sterilisiert und ermordet. Eine Diktatur benötigt keinen riesigen sicherheitspolizeilichen Apparat, wenn die Nachbarn bereit sind, die Überwachungsarbeit für das Regime zu verrichten, ob nun aus Angst, Fügsamkeit, Fanatismus oder Boshaftigkeit. Persönliche und politische Rechnungen können beglichen werden. Die verletzlichsten Mitglieder der Gesellschaft, die an den Rändern, sind entbehrlich.
     Hitler verkündete, der Platz der Frau sei sowohl zu Hause als auch in der Bewegung. Auf dem Reichsparteitag der NSDAP in Nürnberg 1934 bemühte er die für ihn typische martialische Rhetorik:

"Was der Mann einsetzt an Heldenmut auf dem Schlachtfeld, setzt die Frau ein in ewig geduldiger Hingabe, in ewig geduldigem Leid und Ertragen. Jedes Kind, das sie zur Welt bringt, ist eine Schlacht, die sie besteht für das Sein oder Nichtsein ihres Volkes. […] Wir haben deshalb die Frau eingebaut in den Kampf der völkischen Gemeinschaft, so, wie die Natur und die Vorsehung es bestimmt hat. So ist unsere Frauenbewegung für uns nicht etwas, das als Programm den Kampf gegen den Mann auf seine Fahne schreibt, sondern etwas, das auf sein Programm den gemeinsamen Kampf mit dem Mann setzt. Denn gerade dadurch haben wir die neue nationalsozialistische Volksgemeinschaft gefestigt, daß wir in Millionen von Frauen treueste fanatische Mitkämpferinnen erhielten."

1936 erklärte Hitler in seiner Rede vor der NS-Frauenschaft auf dem Reichsparteitag, eine Mutter von fünf, sechs oder sieben Kindern, die allesamt gesund und wohlerzogen seien, habe »mehr geleistet, mehr getan« als eine »weibliche Juristin«. Und im Jahr zuvor hatte er sich gegen die marxistische Forderung nach »sogenannter« Gleichberechtigung gewandt, diese »sei in Wirklichkeit keine Gleichberechtigung, sondern eine Entrechtung der Frau, denn sie ziehe die Frau auf ein Gebiet, auf dem sie zwangsläufig unterlegen sein werde, weil sie die Frau in Situationen bringe, die nicht ihre Stellung, weder dem Manne noch der Gesellschaft gegenüber, festigen, sondern nur schwächen könnte«. Die Zahl der Frauen, die höhere Bildungsabschlüsse und politische Ämter anstrebten, wurde durch Quoten begrenzt. Der Parteiideologe Alfred Rosenberg fasste das nationalsozialistische Ideal der Frauenbildung so zusammen: »Der Frau sollen also alle Möglichkeiten zur Entfaltung ihrer Kräfte offenstehen; aber über eines muß Klarheit bestehen: Richter, Soldat und Staatslenker muß der Mann sein und bleiben.«

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