Vorgeblättert

Loretta Napoleoni: Die Ökonomie des Terrors, Teil 3

23.02.2004.
Um die Menschen effektiver ausbeuten zu können, gibt es sogar so etwas wie wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Schattenstaaten. Zum Beispiel wurde in Sierra Leone ein Abkommen geschlossen, um die Ausplünderung der Bevölkerung auf ein Höchstmaß zu steigern. Wenn sich die Armee aus einem Dorf zurückzieht, lässt sie Waffen und Munition für die Terrorgruppen zurück, die damit Dörfer und Städte überfallen und vor allem Bargeld rauben. Daraufhin flieht die Bevölkerung. Sobald die bewaffneten Gruppen aus den nun menschenleeren Städten abziehen, rückt die Armee an, plündert auch hier wieder und nimmt alles an sich, was die Rebellen zurückgelassen haben, weil sie es nur schwer absetzen könnten.(29) Schattenstaaten halten sich also unter Bedingungen, die an mittelalterliche Kriege erinnern, in denen die Beute ein unverzichtbarer Bestandteil des Konflikts war. Die Kriegsregeln erlauben es den siegreichen Soldaten, öffentliches Eigentum zu konfiszieren, wenn es die Zwangslage des Krieges erfordert.(30)

Die Zeche des Krieges

Die neue Kriegswirtschaft fordert Opfer, und zwar vor allem unter der Zivilbevölkerung. Wie Mary Kaldor in ihrem Buch Neue und alte Kriege zeigt, entfielen zu Beginn des 20. Jahrhunderts 85 bis 90 Prozent der Verluste in Kriegen auf das Militär. Im Zweiten Weltkrieg waren bereits die Hälfte der Toten Zivilisten. Heute liegt ihre Zahl deutlich über 50 Prozent.(31) Die Kontrolle über ein Gebiet wird häufig durch skrupellose Gewalttaten erreicht. In einem Bericht von Human Rights Watch heißt es: "In Gegenden wie der Kommune von Nyakizu in Südruanda gingen die örtlichen Beamten und andere Mörder jeden Morgen an die ›Arbeit‹. Nachdem sie einen ganzen ›Arbeitstag‹ lang Tutsi ermordet hatten, machten sie ›fröhlich pfeifend‹ Feierabend... Die ›Arbeiter‹ kehrten jeden Tag zurück, bis ihre Aufgabe erfüllt war - das heißt, bis alle Tutsi umgebracht waren."(32)

Schattenstaaten sind ökonomische Organisationen, die Krieg führen, und das spiegelt sich auch in ihrer Zahlungsbilanz wider. Der größte Posten sind die Ausgaben für Waffen und Munition. Laut Aaron Karp, ehemaliger Leiter des Arms Transfer Projects (Waffentransferprojekt) am Stockholmer Internationalen Friedensforschungsinstitut und Experte für die Frage, wie bewaffnete Gruppen mit Nachschub versorgt werden, "kostet es etwa 75 Millionen Dollar pro Jahr, eine Miliz von 10.000 Mann mit leichten Waffen zu versorgen".33 Häufig muss ein Teil dieser Kosten durch offene und verdeckte staatliche Finanzierung gedeckt werden. Die amerikanische Außenpolitik sieht nach wie vor die Finanzierung bewaffneter Gruppen vor, sei es durch rechtlich abgesicherte oder durch heimliche Operationen. Im Jahr 2001 segnete der Kongress Hilfsgelder für die SPLA in Millionenhöhe ab. Zuvor war die "Befreiungsarmee" über verdeckte Operationen gesponsert worden. 1996 versorgte die Regierung Clinton die SPLA über Eritrea, Äthiopien und Uganda mit Militärausrüstung im Wert von über 20 Millionen Dollar.(34)

Der Iran engagiert sich in ähnlicher Weise. 1993 wurde ein Schiff, das unter der Flagge Panamas segelte, im Mittelmeer beschlagnahmt. Es hatte Boden-Boden-Raketen, 25.000 Maschinengewehre und sieben Millionen Schuss Munition geladen, die vom Iran an die muslimischen Kämpfer in Bosnien gingen. Ein Jahr zuvor war auf dem Flughafen Zagreb eine iranische Boeing konfisziert worden; sie hatte Tausende von Maschinengewehren sowie 40 Freiwillige aus dem Iran an Bord.(35) Im Jahr 2002 schließlich wurde eine iranische Waffensendung an die PLO entdeckt, die für die besetzten Gebiete bestimmt war. Nach Einschätzung Aaron Karps belief sich Anfang der neunziger Jahre der "Waffenhandel an nichtstaatliche Gruppen, also an Aufständische, ethnische Nationalisten, Terroristenzellen... kleine substaatliche Gruppen... auf annähernd 2,5 bis 3 Milliarden Dollar pro Jahr".

An der Finanzierung von Waffenkäufen sind natürlich auch Banken und Finanzinstitute beteiligt. Die Iraker wickelten ihre Waffenkäufe über den Credit Lyonnais in Frankreich und die Banca Nazionale del Lavoro (BNL) in den Vereinigten Staaten und Italien ab. Während des Iran-Irak-Kriegs gewährte die BNL-Niederlassung in Georgia, Atlanta, Saddam Hussein einen Kredit für die Aufstockung seines Militärarsenals. Die Bank diente der US-Regierung als verdeckte Quelle für die Finanzierung des irakischen Waffenprogramms; insgesamt konnte Saddam bei der Bank fünf Milliarden Dollar lockermachen. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die amerikanischen Steuerzahler schließlich die Zeche zahlten, weil die US-Regierung für einen Teil der Kredite haftete, die letztlich nicht beglichen wurden.(36) Wenn ausländische Regierungen Waffen liefern, werden die Ausgaben für Rüstungsgüter, die normalerweise die Zahlungsbilanz des Terrors belasten, zu Aktivposten. Das traf auch auf die Stinger-Raketen zu, mit denen die Vereinigten Staaten in den achtziger Jahren die Mudschaheddin in Afghanistan versorgten. Ein Großteil wurde nie benutzt, weil sie sich auf dem unwegsamen Gelände Afghanistans kaum transportieren ließen; im Lauf der Jahre wurden sie jedoch auf dem Schwarzmarkt zum Zehnfachen des Originalpreises verhökert. Auch der Iran gehörte zu den Käufern und setzte die Waffen im Jahr 1987 auf Kanonenbooten ein, die im Persischen Golf Helikopter der US-Marine unter Beschuss nahmen. Um ähnliche Szenarien zu verhindern, versuchte die US-Regierung sogar, die Stinger-Raketen zurückzukaufen, und bot Mitte der neunziger Jahre über 100.000 Dollar pro Rakete, die ursprünglich für 23.000 Dollar den Besitzer gewechselt hatten. Dieses Angebot lag allerdings erheblich unter dem Schwarzmarktpreis von gut 200.000 Dollar, so dass der Deal nicht zustande kam. 

Schwarzmarkthändler

Schattenstaaten und bewaffnete Gruppen decken sich größtenteils auf dem Schwarzmarkt mit Waffen und Munition ein. "Wo Krieg geführt wird, gibt es auch Nachfrage"(37), so Aaron Karp, und wo Nachfrage herrscht, wird sie durch ein Angebot befriedigt. Ironischerweise sind die Vereinigten Staaten die Hauptanbieter im illegalen Rüstungsgeschäft. Zahlreiche US-Unternehmen sind in diese illegalen Machenschaften verwickelt. Ein Handelsunternehmen in Los Angeles schmuggelte beispielsweise 87 US-Helikopter, die sich ohne weiteres für Kriegszwecke umrüsten lassen, nach Nordkorea. Im iranisch-irakischen Krieg versorgte ein Schmugglerring in den USA den Iran mit amerikanischen F-14-Kampfflugzeugen plus Ersatzteilen im Wert von über zehn Millionen Dollar. Zwischen 1982 und 1988 stellten US-Zollbeamte, das FBI und andere Behörden mehr als 6.000 in den USA produzierte Waffen und Militärgüter im Gesamtwert von über einer halben Milliarde Dollar sicher, die illegal über die Grenze gebracht werden sollten.(38)

In den neunziger Jahren baute Victor Bout ein internationales Netzwerk für den Waffenschmuggel auf, über das er veraltetes Material aus sowjetischen Lagerbeständen an Schattenstaaten und bewaffnete Gruppen weltweit verkaufte. Nach Erkenntnissen belgischer Behörden versorgte seine noch aus der Sowjetära stammende Flotte unter anderem die RUF in Sierra Leone, die UNITA in Angola sowie extremistische Hutu-Milizen in Ruanda.(39) In jüngerer Zeit schwang er sich zum Hauptlieferanten der Taliban auf. Wie die meisten Akteure auf dem Schwarzmarkt greift Bout meist auf den Tauschhandel zurück. So ließ er sich in Sierra Leone mit Diamanten bezahlen, in Afghanistan mit Rauschgift.(40) 

Schmuggel: Irakisches Öl, afghanische Drogen und ukrainische Waffen

Neben oder anstatt der Hilfe ausländischer Regierungen bedienen sich Schattenstaaten und Terrorgruppen des Schmuggels, um die hohen Rüstungskosten zu begleichen und Embargos und Sanktionen der internationalen Staatengemeinschaft zu umgehen. Nach Angaben der britischen Regierung hortete Saddam Hussein chemische, biologische und konventionelle Waffen, die er durch illegalen Erdölverkauf in Höhe von zwei Milliarden Dollar pro Jahr finanzierte. Der Ölschmuggel erfolgte über arabische oder muslimische Nachbarländer. Mehr als 500 Unternehmen waren an diesem Öl-für-Waffen-Geschäft beteiligt.(41) Die Kriegswirtschaft von Schattenstaaten ist oft davon abhängig, ob eine "gesunde" Schmuggelindustrie aufgebaut werden kann. Afghanistan zum Beispiel hat zwei Jahrzehnte lang nur durch den Schmuggel überlebt. Der Schmuggel ersetzt die Produktion für den Binnenmarkt und für den Export. Damit bietet er großen Bevölkerungsteilen die Chance zu überleben, während sich eine kleine Gruppe an dem Geschäft bereichert. Meist erfolgt der Schmuggel in beide Richtungen, das heißt, ein Produkt wird eingeführt, ein anderes exportiert. In Afghanistan waren Drogen-für-Waffen-Geschäfte am beliebtesten.

Auch bei den erfahrenen Schmugglern aus den Nachbarländern erwachte bald das Interesse am afghanischen Drogengeschäft; Leute wie Mansur Schahab, ein iranischer Bandit arabischer Herkunft aus Ahvaz, witterten die Marktchancen. 1996 lernte Schahab einen Araber-Afghanen kennen, der ihm 150 Kalaschnikows mit Rauschgift bezahlte. Der Mann lud ihn nach Afghanistan ein. Schahab fuhr hin und baute rege Geschäftsbeziehungen zu den Taliban auf. Seine Schmugglerbande nutzte eine Handelsroute über die iranisch-irakische Grenze und lieferte alles, von Drogen über Elektrogeräte bis hin zu Waffen und Munition.(42)

Um ihr Risiko so gering wie möglich zu halten, lassen sich Schmuggler allerhand einfallen. Zur Durchquerung der iranischen Wüste etwa verwenden sie opiumsüchtige Kamele; die Tiere befördern die illegalen Waren ohne Begleitung und reisen von einem Fix zum nächsten.(43) Die Schmuggelrouten sind die Arterien der neuen Ökonomie des Terrors; sie tragen mit einem nicht abreißenden Zustrom von Geld, Waren und Kämpfern zur Leistungsbilanz des Terrors bei. Wie einst auf der alten Seidenstraße reisen auch Schmuggler in Karawanen durch Feindesland, fernab der frequentierten Straßen und Wege der Zivilisation.

Der Zerfall der Sowjetunion hat den internationalen Schwarzmarkt mit Waffen überschwemmt. Das Abdanken der sowjetischen Zentralregierung, die Angebot und Nachfrage auf dem Rüstungsmarkt regelte, hat die drei größten Waffenproduzenten - Russland, die Ukraine und Weißrussland - veranlasst, nach neuen Märkten zu suchen. Im Jahr 2001 haben diese drei Länder Rüstungsgüter im Wert von fünf Milliarden Dollar exportiert, Geschäfte unter der Hand nicht mitgerechnet. Dabei ist Russland im Vorteil, da es Großkunden wie China und Indien beliefert, während die beiden anderen Exportländer weniger gut dastehen und auf die Nachfrage von Schattenstaaten angewiesen sind. So ist die Ukraine Hauptlieferant für die RUF in Sierra Leone. Die Waffen werden nach Liberia oder Burkina Faso eingeführt, für die kein Lieferverbot besteht, und von dort nach Sierra Leone geschmuggelt. Überdies sind auf dem Schwarzmarkt nach wie vor Waffen und Munition aus den alten Beständen der Sowjetära im Angebot. Seit zehn Jahren herrscht ein Überangebot an Waffen, das die Nachfrage kräftig angekurbelt hat.

Die Analyse der Zahlungsbilanz bewaffneter Organisationen zeigt, dass Schattenstaaten und Terrorgruppen auf eine große Bandbreite von Wirtschaftsaktivitäten zurückgreifen können. Einige von ihnen sind direkt mit der Kriegswirtschaft verknüpft, die den Terror trägt; andere beruhen auf kriminellen Handlungen und ein kleiner Anteil auf legaler Geschäftstätigkeit. Sie alle gehören zur Neuen Ökonomie des Terrors, einem Wirtschaftssystem, das sich parallel zur traditionellen, legitimen Wirtschaft entwickelt hat. Die abschließende Frage, die sich nun stellt, lautet: Wie groß ist dieses illegale System, und inwieweit überschneidet es sich mit der Weltwirtschaft?
------------------------------------------

(29) David Keen, "When War Itself is Privatised", Times Literary Supplement, Dezember 1995.
(30) Theoretisch gilt dies nur für öffentliches Eigentum; Privateigentum muss nach dem Krieg an den rechtmäßigen Eigentümer zurückgegeben werden. Lesley Green, The Contemporary Law of Armed Conflict (Manchester: Manchester University Press, 2000), S. 152-155.
(31) Mary Kaldor, New and Old Wars: Organized Violence in a Global Era (Cambridge: Polity Press, 1999); dt. Neue und alte Kriege: organisierte Gewalt im Zeitalter der Globalisierung (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2000), Kap. 5.
(32) Ebd., S.158. Siehe auch "Playing the Communal Card: Communal Violence and Human Rights Watch", Human Rights Watch 1995.
(33) Robert Block and Leonard Doyle, "Drug Profits Fund Weapons for Balkans", Independent, 10. Dezember 1993.
(34) "Sudan; USAID Boss under Fire on Sudan Policy", Africa News, 13. November 2001.
(35) Block und Doyle, "Drug Profits Fund Weapons for Balkans".
(36) "Arms Sales to Saudi Arabia and Taiwan", 28. November 1993, www.cdi.org.
(37) Ebd.
(38) Ebd.
(39) "Hunting the Merchants of Destruction", Sunday Times, 17. Februar 2002.
(40) Ebd.
(41) David Leppard, "Dossier will Reveal Iraq's Poison Cache", Sunday Times, 22. September 2002.
(42) Jeffrey Goldberg, "The Great Terror", New Yorker, 25. März 2002.
(43) Guy Dinmore, "General Declares War on Desert Traffickers", Fincancial Times, 10. Januar 2002.

Mit freundlicher Genehmigung des Verlages Antje Kunstmann.

Informationen zum Buch und zur Autorin hier