Vorgeblättert

Wolfgang Sofsky: Operation Freiheit, Teil 2

Auf der Suche nach Bundesgenossen hat die deutsch-französische Antikriegskoalition zweifelhafte Weggefährten gefunden. Sie geriert sich als Sprachrohr Europas, obwohl sie auf dem Kontinent außer Belgien gar keine Gefolgschaft nachweisen kann. Nicht für 25 europäische Staaten spricht sie, sondern für drei. Frankreich und Deutschland sind nicht Europa. Doch ihre Attitüde der Anmaßung ist erstaunlich. Sie fühlen sich als Wortführer der Weltmeinung, als würden die gewählten Regierungen, die für den Krieg votieren oder sich schweigend heraushalten, ihre Völker nicht repräsentieren. Und sie stellen sich als Tribun der eigenen Wählerschaft dar, die in großer Mehrheit den Krieg ablehnt und die USA für eine größere Gefahr hält als das Regime des irakischen Despoten. Auf der Wolke der Selbstgerechtigkeit glauben sich Frankreich und Deutschland stark genug, Souveränität in der Außenpolitik für sich reklamieren zu können, obwohl ihnen alle militärischen Mittel dazu fehlen. Dankbar nehmen sie daher die Unterstützung Chinas und Rußlands entgegen. Der dubiose Ruf der beiden Regimes kümmert sie nicht. Es ist eine unheilige Allianz, die da zusammengekommen ist. Im langen Schatten der ehrgeizigen Mittelmacht Frankreich, die an alte Zeiten kolonia-ler Größe anknüpfen möchte, steht eine deutsche Regierung, die auf eine selbständige Bündnispolitik von vornherein verzichtet hat. Daneben hat eine kommunistische Despotie Aufstellung genommen, die ihre nationalen Interessen in Asien im Auge hat, und eine labile Demokratie, die in Tschetschenien einen systematischen Terrorkrieg mit den Mitteln des Massenmordes führt. Die Achse Paris-Berlin-Moskau-Peking hat weder moralisch noch rechtlich den geringsten Vorsprung gegenüber der alliierten Kriegskoalition. In der Front gegen die US-Hegemonie dient die Rhetorik des Völkerrechts nur der Kaschierung der eigenen Ambitionen oder Verbrechen. Angetreten unter der Fahne humanitärer Friedensmoral haben sich die beiden europäischen Mittelmächte mit Regierungen gemein gemacht, welche die Fahne der Freiheit tagtäglich durch das Blutbad der Repression ziehen.

Der Bestand dieser Koalition ist ohnehin fraglich. Die russische Regierung, die erst nach dem 11.9.2001 den Weg nach Westen einschlug, hat zwar gegenüber den beiden europäischen Mittelmächten ein stärkeres Gewicht als gegenüber der Supermacht. Auch die Eindämmung der amerikanischen Hegemonie liegt im traditionellen Interesse Rußlands. Doch ein Zerwürfnis mit den USA kann Rußland teuer zu stehen kommen. Die Aufnahme in die Welthandelsorganisation WTO ist gefährdet, die Finanzhilfe kann eingestellt und die Kritik am russischen Terrorregime in Tschtetschenien verstärkt werden. Wenn die Vereinten Nationen weiter an Bedeutung einbüßen, verliert auch die Vetomacht Rußland das letzte Forum aus den alten Zeiten als Großmacht. Die wirtschaftlichen Interessen des Landes im Irak lassen sich bei einem Bruch mit den USA schwerlich wahren. Die Verhandlungen, die seit einem halben Jahr zwischen den USA und Rußland über die Rückzahlung irakischer Schulden, über Ölförderrechte und Absatzmärkte geführt werden, wären dann Makulatur. Alle diese Nachteile wird Rußland durch eine Option für Frankreich und Deutschland schwerlich ausgleichen können. Auch ein schmuckes Ambiente in den Festsälen des alten Regimes in Paris oder Sankt Petersburg kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich in der Antikriegskoalition die Verlierer der jüngsten Weltgeschichte zusammengefunden haben.

Für die Vereinten Nationen ist die Irakkrise ein Debakel. Entscheidungen des Sicherheitsrates sind für die Weltmacht USA offenkundig nicht bindend. Ein Veto verhindert nichts, es ist lediglich ein Akt symbolischer Politik. Frankreich und Rußland verdanken ihre Vorrechte ohnehin nur dem Ausgang des Zweiten Weltkriegs. Ihr Nein bewirkt das Gegenteil dessen, was beabsichtigt ist. Es treibt die UN weiter in die politische Bedeutungslosigkeit. Das Veto ist eine hohle Geste des Widerspruchs, die zerstört, was sie aufzuwerten sucht. Der Anspruch auf das Entscheidungsmonopol über Krieg und Frieden ist durch keine Macht gedeckt. Die UN mußten die Durchsetzung ihrer Regeln und Entschlüsse stets in die Hände der Staaten legen, die über die militärischen oder polizeilichen Mittel verfügten. Die USA sind das einzige Land, das weltweit eingreifen kann. Die Neigung, auch in Zukunft den Vereinten Nationen Personal und Gerät zur Verfügung zu stellen, dürfte nach der diplomatischen Zurückweisung kaum gestiegen sein. So stehen die Vereinten Nationen am Ende noch machtloser da als zu Beginn der Irakkrise. An die Stelle einer UN-Resolution setzten die USA ein Ultimatum an den irakischen Despoten, binnen 48 Stunden das Land zu verlassen. Die Ablehnung kam prompt.

Angesichts der fatalen Konsequenzen wirken die Manöver der deutschen Regierung töricht. Niemand hat Deutschland einen finanziellen oder personellen Beitrag zum Irakkrieg abverlangt. Trotzdem legte sich die Regierung auf ein prinzipielles Nein fest. Dem Punktgewinn im Innern stehen außenpolitisch hohe Verluste gegenüber. Die vermeintliche Prinzipientreue der Friedenspolitik entspringt einer unseligen Mischung aus Provinzialismus und Gesinnungsblindheit. Die militärische und politische Schwäche wird zur Tugend umstilisiert, die eigene Machtlosigkeit zum historischen Fortschritt verklärt. Mangels anderer Druckmittel wird die Moral als Waffe der Macht mißbraucht. Dies bekommt weder der Moral noch der Politik. Die Regierung Schröder verwechselt die Zustimmung der Wählerschaft mit außenpolitischem Einfluß. Der nicht unberechtigte Stolz auf den langen Frieden in Westeuropa verstellt den Blick darauf, daß die europäische Integration nur unter dem atomaren Schutzschirm der USA vonstatten gehen konnte. Nicht die moralische Verwandlung der europäischen Bevölkerung ermöglichte die neue Ordnung, sondern die Sicherheitsgarantie der USA. Deutschland brauchte keine Macht, um den Frieden zu bewahren, weil es den Schutz der westlichen Supermacht genoß. Es konnte sich die Illusion von der Überwindung aller Machtpolitik leisten, weil andere die Machtpolitik für Deutschland übernommen hatten. Der Idealismus des Rechts beruhte auf der handfesten Friedensgarantie der Hegemonialmacht.

Es kommt einer Kränkung des moralischen Selbstbilds gleich, wenn sich der politische Idealismus plötzlich als obsolet erweist. Lange Zeit propagierte man das europäische Modell als generelle Lektion für die Welt, für Israel und Palästina, für den Balkan, den Kaukasus oder für Afghanistan. Nachdem diese Mission geplatzt ist, verengt sich das Wahrnehmungsfeld auf die europäische Provinz. Was nicht sein darf, das ist auch nicht, ist der Leitspruch der moralistischen Außenpolitik. Antagonistische Konflikte, die keine friedliche Lösung zulassen, werden entweder ignoriert, verleugnet oder so lange verharmlost, bis sie mit dem harmonistischen Weltbild verträglich sind. Der Wille zur Selbsttäuschung scheint unbeirrbar. Machtpolitik wird als Angriff auf die eigene Sendung empfunden. Sie löst entweder völliges Unverständnis aus oder kopflose Wut. Nichts erträgt der politische Idealismus weniger als die kühle Kalkulation der Risiken, Gewinne und Verluste. Realpolitik gilt hierzulande als Zynismus, Machtpolitik als Bedrohung der Provinzmoral. Das apokalyptische Szenario für die Irakkrise verweist tatsächlich auf einen Abgrund. Es spricht vom Untergang eines liebgewordenen Weltbildes, vom Ende einer Illusion.

Mit freundlicher Genehmigung des S. Fischer Verlags.

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