22.07.2000. Jaron Lanier beklagt sich in der FAZ über "dumme software" Im Spiegel debattierte der Informatiker Ray Kurzweil mit dem Neurobiologen Gerhard Roth über Computer mit Bewusstsein. Das Feed-Magazin berichtet über einen Computer - Kismet - der schon eifrig lernt. Hintergrund der Debatte auf dieser Seite: Die FAZ warf am 6. Juni mit einem Text von Bill Joy die NanoGen-Debatte auf. Wann genau schaffen die Roboter die Menschen ab? Und sollten die Menschen die Roboter besser gar nicht schaffen? Der Perlentaucher präsentiert den Text (in englisch), ein Radiogespräch mit Bill Joy und Ray Kurzweil, viele Links und einen Auszug aus Kurzweils Buch "Homos@piens".
Die
FAZ veröffentlicht einen mit einigem
Karacho verfassten Debattentext zu Bill Joys These von den intelligenten Computern, die die
FAZ-Leser demnächst abschaffen. Er stammt von
Jaron Lanier, dem Erfinder des Begriffs der "virtuellen Realität" und beginnt mit schönem, wenn auch leicht dröhnendem Pathos: "Seit zwanzig Jahren bin ich der Insider einer Revolution, ihrer prächtigen Dogmatik aber stehe ich als Ketzer gegenüber. Nun, da die Revolution nicht nur in der Alltagsrealität aufgetaucht ist, sondern sich die Normalität bereits für ihre Zwecke zurechtgeprügelt hat die Übernahme der Ökonomie -, scheint es wohl an der Zeit, meinen Dissens lauter als bisher hinauszuschreien."
Lanier, ein rundlicher Typ mit Rastazöpfen, wendet sich gegen
Joys und Ray Kurzweils These von einer Verschmelzung von Mensch und Maschine und den ihr zugeordneten Wissenschaften. Er findet die
Software zu dumm, als dass Computer intelligent werden könnten und konstatiert mit Entsetzen, dass
ein Programm namens Linux, das auf dem dreißig Jahre alten störanfälligen und "dummen" Unix basiert, zum
Chouchou der Investoren werden kann. Microsoft Word findet er aber auch
dämlich, und zwar wie jeder normale Computerbenutzer auch, immer gerade dann, wenn es in seiner aufdringlichen Art intelligent zu sein vorgibt und etwa Wörter oder Daten zu Ende schreiben will.
Lanier wendet sich auch gegen einen
religiösen Charakter des "kybernetischen Totalismus" eines Joy und Kurzweil, den er als einen Religionsersatz ansieht und fürchtet, dass die Vertreter dieser Theorie unter Heranziehung von Darwin wie einst Marxisten oder darwinistisch geprägte rechte Theoretiker glauben, das
einzig wahre Wissen zu vertreten.
Schließlich fragt er, ob in dem Glauben, der Computer werde so intelligent wie ein Mensch, nicht eher eine versteckte Sehnsucht steckt, selbst so leer von "innerer Erfahrung", also dumm, zu werden, wie es ein Computer ist. Hier bittet er die Tatsache zu bedenken, "dass der Haupterfinder der Idee vom Maschinenbewusstsein,
Alan Turing, ein zerquälter Mensch war. Er starb anscheinend durch Selbstmord. Als ihm während einer Hormontherapie
Brüste wuchsen entschloss er sich zu
einer Therapie, die seine Homosexualität korrigieren sollte. In dieser tragischen Schlussphase seines Lebens vertrat er leidenschaftlich die These vom Maschinenbewusstsein, und ich habe mich oft gefragt, ob er damit eine höchst originelle neue Form psychologischer Flucht und Verdrängung betrieb: ob er vor der Sexualität und dem Tod davonlief, indem er zum Computer wurde."
Einen
höchst empfehlenswerten Text hat Lanier da geschrieben, der ein bisschen durchblicken lässt, wie allzu menschlich die Rede von der Abschafffung des Menschen ist. Es ist übrigens der
zweite Text von Lanier in der FAZ,
der erste erschien am 12. Juli 2000 und ist in der Originalversion im
CIO-Magazine nachzulesen. Lanier beschreibt hier en detail, welche Folgen miserable Software haben könnte.
Auch seine
homepage lohnt einen Blick: Lanier ist nämlich nicht nur Computerexperte, sondern auch ein Musiker, der u.a. mit
Sean Lennon und
Terry Riley (an einer Oper namens Bastard, the First) zusammengearbeitet hat.
Weitere Links zur Joy-Debatte:
Artikel von John Markoff in der
New York Times und von
Glenn Harlan Reynolds in
Intellectual Capital zum Thema. Außerdem kann man einem
Symposion der Stanford-Universität mit Bill Joy und Ray Kurzweil zuhören. All diese Links sind dem Media Watch Report des
Foresight Institutes entnommen.
Wer weitere interessante Links zum Thema kennt, melde sich bitte bei
service@perlentaucher.de. Der Perlentaucher wird die Debatte hier weiter verfolgen und die Linksammlung ausbauen.
davor.