9punkt - Die Debattenrundschau - Archiv

Wissenschaft

284 Presseschau-Absätze - Seite 2 von 29

9punkt - Die Debattenrundschau vom 08.01.2024 - Wissenschaft

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Bis heute ist es empörend, wie Otto Hahn seiner Kollegin Lise Meitner, mit der er zusammen die Kernspaltung erforscht hatte, den Nobelpreis gestohlen hat, schreibt die Wissenschaftshistorikerin Birgit Kobolske, die zum Thema geforscht hat, in der taz. Hahn bekam den Nobelpreis 1945, während die nach Schweden emigrierte Jüdin leer ausging. Und Hahn tat so, als hätte er das alleinige Verdienst. "Hahns Version wurde von Anfang an durch das wirkmächtige Zusammenspiel zweier Elemente befördert: sein Schweigen und seine Inszenierung von Meitner als 'Mitarbeiterin'. Letzteres war ebenso falsch wie beleidigend. Am wichtigsten war jedoch, dass Hahn selbst nie den Eindruck korrigiert hat, die Entdeckung der Kernspaltung sei allein sein Erfolg gewesen. Im Gegenteil, im 'Memorandum deutscher Atomwissenschaftler zum Uranverein', zu dessen Unterzeichnern er am 7. August 1945 gehörte, wird betont, bei der Kernspaltung handele es sich um eine 'rein chemische Entdeckung', an der Meitner 'selbst nicht beteiligt' gewesen sei, da sie 'bereits ein halbes Jahr zuvor Berlin verlassen' habe."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 03.01.2024 - Wissenschaft

Wir haben "auch vergangenes Jahr trotz aller Diskussionen zum Klimawandel wieder einmal mehr Kohlendioxid ausgestoßen als je zuvor", sagt die Klimaforscherin Ricarda Winkelmann, die im FAZ-Gespräch wenig Grund für Optimismus sieht: "Die Klimaerwärmung ist direkt an den Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre gekoppelt, und dieser steigt durch unsere Emissionen noch immer stetig an. Entsprechend steigen auch die globalen Temperaturen. Die wärmsten Jahre seit Beginn der Aufzeichnungen liegen alle innerhalb der vergangenen zwanzig Jahre. Und diese Entwicklung zu immer neuen Rekordtemperaturen wird sich weiter fortsetzen, solange wir den Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre weiter erhöhen. Leider lässt uns die Physik des Klimasystems da keinen wirklichen Spielraum. (…) Selbst wenn wir die globale Erwärmung heute stoppen könnten, wird zum Beispiel der Meeresspiegel weltweit noch über Jahrhunderte oder gar Jahrtausende ansteigen. Unser heutiges Handeln kann also das Gesicht unseres Planeten über Generationen hinweg verändern. Wir Menschen sind wahrlich zu einer geologischen Kraft geworden. Das betrifft aber nicht nur das Klima, sondern zum Beispiel auch den Verlust von Biodiversität oder das Einbringen neuer Substanzen wie Mikroplastik in unsere Umgebung."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 23.11.2023 - Wissenschaft

Weder die Islamwissenschaften, noch die Jüdischen Studien beschäftigen sich mit antiisraelischem Hass in der arabischen und muslimischen Welt, konstatieren in der gestrigen FAZ die Nahostwissenschaftler Johannes Becke und Tom Würdemann. Und auch die Antisemitismusstudien fassen das Thema nicht an: "Auf verstörende Art und Weise werden hier weiter Grabenkämpfe der deutschen Linken ausgetragen, die auf die 1980er-Jahre zurückgeführt werden können: Im israelsolidarischen Flügel der Antisemitismus-Studien arbeitet man an der wissenschaftlichen Unterfütterung der international kaum beachteten Sonderthese, dass der nationalsozialistische Judenhass in große Teile der arabischen und islamischen Welt übertragen worden sei. In Anlehnung an die Faschisierungstheorie des Kommunistischen Bundes, der in der Bundesrepublik der Achtzigerjahre überall nur Faschismus sah, schaut dieser 'antideutsche' Flügel der Antisemitismus-Studien auf die islamische Welt und sieht auch hier überall nur eine islamisierte Version des Nationalsozialismus - allerdings fast immer ohne Quellen auf Persisch, Türkisch oder Arabisch zu rezipieren."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 17.11.2023 - Wissenschaft

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Der Umwelthistoriker Roman Köster hat gerade eine große Menschheitsgeschichte des Mülls veröffentlicht. Im SZ-Interview mit Lea Hampel kommt er unter anderem darauf zu sprechen, welchen Wandel die beiden Weltkriege beim Müll brachten: "Bis dahin war Müll etwas, womit arme Menschen ihren Lebensunterhalt bestritten haben. Mit dem Ersten und Zweiten Weltkrieg wurde Recycling vielerorts zu einer Angelegenheit des Staates. In Deutschland oder auch England wurden beispielsweise Hausfrauen dazu aufgerufen, ihre Küchenabfälle zu sammeln. (…) Recycling ist ein wirkungsvolles Propagandamittel, es kann Menschen, die nicht an der Front kämpfen, das Gefühl geben, an der Kriegsanstrengung teilzunehmen."
Stichwörter: Müll, Köster, Roman

9punkt - Die Debattenrundschau vom 21.09.2023 - Wissenschaft

Karin Truscheit informiert in der FAZ über die faszinierenden Erscheinungsformen des Fuchsbandwurms, der sich immer weiter ausbreitet. Beim Menschen kann der Parasit zum Tumor anwachsen und, da er meist nicht erkannt wird, zum Tode führen: Im Menschen "nimmt der Fuchsbandwurm eine andere Form an. Es ist eben kein Wurm, der sich durch die Leber schlängelt wie der Fadenwurm im Gehirn einer Australierin, deren Fall vor Kurzem bekannt wurde. Der Fuchsbandwurm sei das einzige bekannte Tier auf der Welt, das in der Lage sei, sich von einer 'tierischen Erscheinungsform', also einer Larve, 'umzuwandeln in tumorös wachsendes Gewebe', erklärt Klaus Brehm, Professor für medizinische Parasitologie an der Universität Würzburg. 'Es ist entwicklungsbiologisch ein einzigartiges Phänomen.' Dabei bleibt es ein fremdes Lebewesen, das sich im Körper eines Menschen immer mehr ausbreitet." Die Erkrankung bleibt aber selten.
Stichwörter: Fuchsbandwurm, Würzburg

9punkt - Die Debattenrundschau vom 07.09.2023 - Wissenschaft

Dem israelisch-arabischen Stammzellforscher Jacob Hanna ist es gelungen, eine Art 14-Tage altes menschliches Embryo zu züchten: "Hanna nennt es ein 'Synthetisches Embryo-Modell' (SEM), doch es sei einem 14 Tage alten menschlichen Embryo 'frappierend ähnlich'. Erstmals hat damit ein Laborkeim all jene Strukturen, die ein menschlicher Embryo dieses Stadiums haben sollte", berichtet Sascha Karberg im Tagesspiegel. Dadurch könnten neue Arten der Therapie ermöglicht werden, "Vorläuferzellen für die Gewebe oder Organe gewinnen, die für Transplantationen genutzt werden können", erklärt Hanna dem Reporter. Mit "echten" Embryonen darf nicht geforscht werden. Doch wann wird das Modell zum Original? Außerdem könnte man doch einfach nur Stammzellen züchten, wozu ganze Embryos, geben Kritiker zu bedenken? "Das würde voraussetzen, dass das Züchten funktionaler, transplantierbarer Zellen aus Stammzellen in der Petrischale mit künstlich hinzugefügten Botenstoffen und Wachstumsfaktoren tatsächlich funktioniert. Aber das tut es seit dreißig Jahren nicht. Der Grund, warum sich im Labor, in sich ständig drehenden Flaschen mit Kulturmedium, aus Stammzellen spontan ein Embryo bildet, ist: Stammzellen können sich selbst organisieren. Die benachbarten Zellen beeinflussen sich gegenseitig und formieren, selten, aber mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, selbstständig einen Embryo, der dann funktionale Zelltypen hervorbringt. Ich denke, dass die synthetischen Embryo-Modelle die authentischste Differenzierungsmethode für menschliche Zellen sind, die es derzeit gibt."
Stichwörter: Stammzellforschung

9punkt - Die Debattenrundschau vom 13.07.2023 - Wissenschaft

Der Genozid an den Armeniern von 1915 und 1916, dem Hundertausende zum Opfer fielen, ist in der Türkei weiterhin ein Tabu und wird geleugnet. Und internationale Archäologen, die bei ihren Grabungen auf Überreste der armenischen Zivilisation oder des Völkermords stoßen, respektieren dieses Tabu geflissentlich, um ihre Grabungserlaubnis nicht zu verlieren, berichtet Wolfgang Krischke in der FAZ unter Bezug auf einen Artikel des Archäologen Adam T. Smith in der Zeitschrift Current Anthropology (hier ein Abstract von Smiths Artikel,  hier der ganze Artikel als pdf-Dokument). Krischke hat auch mit einigen deutschen Forschern gesprochen. Und die wissen natürlich am Allerbesten, wie man mit dem Thema umgeht:  "Dass Forscher, die in der Türkei den Völkermord an den Armeniern thematisieren, mit dem Verlust ihrer Grabungserlaubnis rechnen müssen, bestätigt auch Reinhard Bernbeck, Professor am Institut für Vorderasiatische Archäologie der Freien Universität Berlin. Smith' Forderung nach einem offensiven Ansprechen der Armenierverfolgung begegnet er mit Skepsis. (...) Zu groß sei in der türkischen Gesellschaft über die politischen Grenzen hinweg die Übereinstimmung in der Leugnung des Genozids. (...) Statt die Türen zur Türkei zuzuschlagen, sollte man die Hoffnung auf den Diskurs mit gesprächsbereiten türkischen Akademikern setzen. Öffentliche Kritik an der türkischen Geschichtspolitik sollte, so Bernbeck, vor allem von Archäologen kommen, die außerhalb der Türkei arbeiten und so kein berufliches Risiko eingehen müssen."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 12.07.2023 - Wissenschaft

Seit Ausrufung des Anthropozäns wurde nach einem Ort gesucht, an dem sich der Wandel der Erdepochen auch tatsächlich nachweisen lässt. Eine Forschergruppe um die Max-Planck-Institut hat nun den Crawfordsee in Kanada zu diesem "Golden Spike" erklärt. In der FAZ betont Petra Ahne die Bedeutung dieser Entdeckung: "Der Begriff des Anthropozäns lief Gefahr, ein Etikett zu werden, mit dem man, klebte man es an Ausstellungen, Theaterstücke, Buchtitel, sich als auf der Höhe des Diskurses ausweisen konnte. Der Bohrkern aus dem Crawfordsee verknüpft den geologischen Befund nun wieder mit der Diagnose, in der die eigentliche Kraft des Konzepts Anthropozän liegt. Was wie disparate Probleme wirkte - Klimawandel, Artensterben, Versauerung der Meere, die Anhäufung von Stoffen wie Plastik in der Umwelt -, wird plötzlich erkennbar als Symptome einer Kräfteverschiebung. Das einzige Lebewesen, das einen vergleichbaren Einfluss auf die Umweltbedingungen gehabt haben dürfte, waren die Cyanobakterien, die vor 2,4 Milliarden Jahren begannen, die Atmosphäre mit Sauerstoff anzureichern, was für die Einzeller von damals das Ende bedeutete, für die Lebensformen von heute den Anfang."

Bernd Scherer, als früherer Leiter des Haus der Kulturen der Welt maßgeblich an der Etablierung des Anthropozäns als Denkrahmen verantwortlich, rekapituliert die Forschungsarbeiten, die ihn am Ende aber nicht froh machen können. Denn der Crawfordsee liegt auf dem traditionellen Siedlungsgebiet der Wendat: "Vor diesem Hintergrund sind selbst die Bohrungen im Crawfordsee nicht einfache Interventionen in die materielle Welt, sondern Verletzungen eines heiligen Ortes, der die Geschichte eines Volkes enthält. Der See ist in der Welt der indigenen Bevölkerung ein lebendiges Wesen, die Bohrungen greifen in die Totenwelt der Vorfahren ein."

In der taz möchte Ilija Trojanow allerdings mit Blick auf den Climate Inequality Report "die Menschheit" in Schutz nehmen: "Die treibende Kraft des Klimawandels ist nicht die Menschheit im Allgemeinen, sondern es sind diejenigen, die vom Wirtschaftswachstum am meisten profitieren. Weltweit gehen 89 Prozent der Emissionen auf das Konto der 4 Milliarden wohlhabendsten Menschen. Knapp die Hälfte entfällt sogar auf die obersten 10 Prozent (800 Millionen). 17 Prozent aller Emissionen werden von nur 1 Prozent der Menschheit verursacht. Anders gesagt: Die untere Hälfte der Weltbevölkerung verursacht 12 Prozent der globalen Emissionen, erleidet aber 3 Viertel der Einkommensverluste aufgrund des Klimawandels."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 28.06.2023 - Wissenschaft

Nach dem neuen Gesetzentwurf für Zeitverträge in der Wissenschaft sollen für eine Promotion künftig sechs Jahre erlaubt sein, für die Habilitation vier Jahre. Dass die großen Wissenschaftsorganisationen höflich darum bitten, daraus "mindestens" vier Jahre zu machen, bringt Jürgen Kaube in der FAZ auf die Palme: "Der gerade aus dem Amt geschiedene Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Martin Stratmann, hat nach seiner Promotion zehn Jahre gebraucht, um sich zu habilitieren. Womöglich hatte er ein schwieriges Forschungsproblem. Heute findet er 'mindestens vier Jahre' eine erträgliche Zeitangabe, worunter rein logisch natürlich auch zehn oder zwanzig Jahre fallen, nur rein praktisch nicht. Otmar Wiestler wiederum, Chef der Helmholtz-Gesellschaft, wurde 1984 promoviert und habilitierte sich 1990. Auch das war deutlich über dem jetzt für zumutbar Gehaltenen. Und so bei Katja Becker (DFG-Präsidentin) mit acht Jahren... Wie kann es sein, dass solche Leute nicht mehr zu wissen scheinen, wie lange sie für ihre eigene Wissenschaft gebraucht haben?"
Stichwörter: Wissenschaftsbetrieb

9punkt - Die Debattenrundschau vom 21.06.2023 - Wissenschaft

Hieronymus Bosch, Aufstieg der Seligen, Bildtafel aus dem  Polyptychon "Visionen des Jenseits", 1505-1515. Abb. Wikipedia
In der FAZ empfiehlt Alexander Kosenina wärmstens die Ausstellung "Das Gehirn in Wissenschaft und Kunst" im frisch und "ungeheuer modern" renovierten (gilt leider nicht für die Webseite) Medizinhistorischen Museum in Berlin: Untersucht wird, wie man neuronale Netzwerke anregt und misst. Denn "wie eine Idee, eine Willensentscheidung oder ein Traumbild entsteht, bevor es neuronale Spuren hinterlässt", sei immer noch unklar. "So ist es beispielsweise erstaunlich, dass Wahrnehmungen bei Nahtoderfahrungen nach Herzstillstand oder Hirnverletzungen große Ähnlichkeiten mit alten Gemälden aufweisen. Im Sterbeprozess kommt es wie bei Schlaganfällen zu riesigen Entladungswellen. Diese messbaren neuronalen Ereignisse erzeugen häufig Bilder von dunklen Tunneln mit starkem Lichteinfall. So etwas ist schon Anfang des 16. Jahrhunderts in den 'Visionen des Jenseits' von Hieronymus Bosch zu sehen."