Seit Ausrufung des
Anthropozäns wurde nach einem Ort gesucht, an dem sich der Wandel der Erdepochen auch tatsächlich nachweisen lässt. Eine
Forschergruppe um die Max-Planck-Institut hat nun den Crawfordsee in Kanada zu diesem "
Golden Spike" erklärt. In der
FAZ betont Petra Ahne die Bedeutung dieser Entdeckung: "Der Begriff des Anthropozäns lief Gefahr, ein Etikett zu werden, mit dem man, klebte man es an Ausstellungen, Theaterstücke, Buchtitel, sich als auf der Höhe des Diskurses ausweisen konnte. Der Bohrkern aus dem Crawfordsee verknüpft den geologischen Befund nun wieder mit der Diagnose, in der die eigentliche
Kraft des Konzepts Anthropozän liegt. Was wie disparate Probleme wirkte - Klimawandel, Artensterben, Versauerung der Meere, die Anhäufung von Stoffen wie Plastik in der Umwelt -, wird plötzlich erkennbar als Symptome einer Kräfteverschiebung. Das einzige Lebewesen, das einen vergleichbaren Einfluss auf die Umweltbedingungen gehabt haben dürfte, waren die Cyanobakterien, die vor 2,4 Milliarden Jahren begannen, die Atmosphäre mit Sauerstoff anzureichern, was für die Einzeller von damals das Ende bedeutete, für die Lebensformen von heute den Anfang."
Bernd Scherer, als früherer Leiter des Haus der Kulturen der Welt maßgeblich an der Etablierung des Anthropozäns als Denkrahmen verantwortlich, rekapituliert die Forschungsarbeiten, die ihn am Ende aber nicht froh machen können. Denn der Crawfordsee liegt auf dem traditionellen Siedlungsgebiet der
Wendat: "Vor diesem Hintergrund sind selbst die Bohrungen im Crawfordsee nicht einfache Interventionen in die materielle Welt, sondern
Verletzungen eines heiligen Ortes, der die Geschichte eines Volkes enthält. Der See ist in der Welt der indigenen Bevölkerung ein lebendiges Wesen, die Bohrungen greifen in die Totenwelt der Vorfahren ein."
In der
taz möchte Ilija Trojanow allerdings mit Blick auf den
Climate Inequality Report "die Menschheit" in Schutz nehmen: "Die treibende Kraft des Klimawandels ist nicht die Menschheit im Allgemeinen, sondern es sind diejenigen, die vom Wirtschaftswachstum am meisten profitieren. Weltweit gehen 89 Prozent der Emissionen auf das Konto der 4 Milliarden wohlhabendsten Menschen. Knapp die Hälfte entfällt sogar auf die obersten 10 Prozent (800 Millionen). 17 Prozent aller Emissionen werden von nur 1 Prozent der Menschheit verursacht. Anders gesagt: Die untere Hälfte der Weltbevölkerung verursacht 12 Prozent der globalen Emissionen, erleidet aber 3 Viertel der Einkommensverluste aufgrund des Klimawandels."