Vom Nachttisch geräumt
Das Ich ist unrettbar
Von Arno Widmann
28.10.2019. Robert Musil über Identität, Ernst Mach und den schlechten Schriftsteller in seinen "Geschichten, die keine sind".Wir haben einen E-Reader und wir kaufen gedruckte Bücher. Manche - mein Sohn zum Beispiel - lesen lieber gedruckte Bücher, andere nehmen, wo immer sie können - ich zum Beispiel - einen E-Reader. Es ist also keine Frage des Alters, sondern des Verhältnisses zum Buch oder zeigt doch, wie weit Haptik und Anblick zum Lesen gehören. Oder ob es hübsch getrennt in einer anderen Verdrahtung im Gehirn untergekommen ist. Der E-Book-Leser wird eine Ausgabe von Robert Musils "Sämtlichen Werken" haben: 4000 Seiten für 99 Cents. Er wird es sich lange überlegen, ob er für 22 Euro den überaus schönen Band mit 29 Aufsätzen Musils kaufen soll. Er wird es möglicherweise nicht tun, wenn er sieht, dass alle - auch das "Interview mit Alfred Polgar" - in seiner Sammlung "Sämtlicher Werke" zu finden sind. Einzig die drei Seiten unter der Überschrift "Ein Mann ohne Eigenschaften besteht aus Eigenschaften ohne Mann" konnte der E-Book-Besitzer nicht finden. Mein Verdacht ist: Sie sind dem ersten Band von "Der Mann ohne Eigenschaften" entnommen. Diesem Verdacht bin ich nicht mehr nachgegangen. Jemand, der lieber einen Kindle in der Hand hält als ein Buch, wird, obwohl der Band mit den Aufsätzen deutlich leichter ist als sein E-Reader, die Wahl leicht fallen.
Ich habe dann doch von Mach zurückgeblättert und in dem schönen Buch geblättert und gelesen. Ein Fang sei hier mitgeteilt: "Man darf also nicht glauben, dass etwas richtig gesagt werden müsse, damit es richtig verstanden werden könne; und darauf beruht das Geheimnis der lebendigen Sprache. Fürchterlich ist es, wenn man zum Gegenteil gezwungen wird, und nur schlechte Schriftsteller nötigen den Leser, auf jedes ihrer Worte acht zu haben. Er bemerkt dann sofort, dass er in achtzig von hundert Fällen nicht die geringste Ahnung hat, warum gerade diese Worte dastehen, und findet eine solche Ausdrucksweise mit Recht unklar. Besonders lästig sind dabei die kleinen Worte und die Wahl ihres Platzes. Ein guter Schriftsteller aber wird es immer verstehn, so zu schreiben, dass man alle seine Worte verstellen könnte, und auch durch ähnliche ersetzen, ohne dass sich der Sinn ändert: das erleichtert die Aufmerksamkeit und entspricht dem modernen Prinzip. Ersatzteile herzustellen, die überall erhältlich sein müssen." So erschienen in der Prager Presse, am 11.10.1931.
Robert Musil: Geschichten, die keine sind, Open House Verlag, Leipzig 2019, 191 Seiten, 22 Euro
Ich habe dann doch von Mach zurückgeblättert und in dem schönen Buch geblättert und gelesen. Ein Fang sei hier mitgeteilt: "Man darf also nicht glauben, dass etwas richtig gesagt werden müsse, damit es richtig verstanden werden könne; und darauf beruht das Geheimnis der lebendigen Sprache. Fürchterlich ist es, wenn man zum Gegenteil gezwungen wird, und nur schlechte Schriftsteller nötigen den Leser, auf jedes ihrer Worte acht zu haben. Er bemerkt dann sofort, dass er in achtzig von hundert Fällen nicht die geringste Ahnung hat, warum gerade diese Worte dastehen, und findet eine solche Ausdrucksweise mit Recht unklar. Besonders lästig sind dabei die kleinen Worte und die Wahl ihres Platzes. Ein guter Schriftsteller aber wird es immer verstehn, so zu schreiben, dass man alle seine Worte verstellen könnte, und auch durch ähnliche ersetzen, ohne dass sich der Sinn ändert: das erleichtert die Aufmerksamkeit und entspricht dem modernen Prinzip. Ersatzteile herzustellen, die überall erhältlich sein müssen." So erschienen in der Prager Presse, am 11.10.1931.
Robert Musil: Geschichten, die keine sind, Open House Verlag, Leipzig 2019, 191 Seiten, 22 Euro
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