Vorgeblättert

Leseprobe zu Horacio Castellanos Moya: Der schwarze Palast. Teil 3

03.05.2010.
Mittwoch, 29. März

Als hätten sie sich abgesprochen, haben heute Morgen einer nach dem anderen Pericles? Freunde angerufen und die gleichen Fragen gestellt, auf die ich immer das Gleiche geantwortet habe. Der Erste war Serafin, der den Diario Latino kommissarisch leitet, solange Don Jorge in Haft ist; danach hat Mingo angerufen, der Ärmste hat mir erzählt, dass er den ganzen Sonntag und Montag mit Migräne im Bett gelegen hat; und als letzter Chelon, Carmelas Mann. Alle drei haben sich beklagt, dass sie Pericles nicht besuchen können, wegen der Kontaktsperre, die der General verhängt hat.
     Serafin sagt, er fühlt sich mitschuldig und dass sie ihn als Verantwortlichen der Zeitung auch hätten festnehmen müssen und nicht nur Pericles, den Autor des Artikels. Ich habe ihm das geantwortet, was mein Mann bei seiner Ankunft im Polizeigebäude zu Don Rudecindo gesagt hat: dass die Behörden eigentlich Don Hermogenes, den Zensor, hätten einsperren müssen, weil er seine Arbeit nicht anständig gemacht hat. "Dein Mann ist wirklich unverbesserlich", bemerkte Serafin, und dann lachte er und sagte, manchmal habe man den Eindruck, Don Hermogenes sei Pericles? Angestellter, so große Angst habe er vor ihm. Allerdings weiß Serafin genauso gut wie ich, dass weder er noch der Zensor hier eine große Rolle spielen, sondern dass das eine Angelegenheit zwischen dem General und meinem Mann ist. Bevor wir auflegten, warnte er mich noch, dass wir vorsichtig sein müssen, dass in der Stadt Gerüchte umgehen und viele nervös sind.
     Mingo ist in Sorge, weil sie Pericles in die Zelle im Keller gesperrt haben. Vor Jahren war Mingo einmal für ein paar Tage in Haft, in dem Raum bei dem Büro des Polizeichefs; er war damals Herausgeber der Zeitung Patria, bei der mein Mann Anstellung fand, nachdem er von seinem Posten als Botschafter zurückgetreten und wir aus Brüssel heimgekehrt waren. Mingo ist ein feinsinniger Dichter mit einer schwachen Gesundheit, mich schaudert noch heute, wenn ich an seine Festnahme denke; aber der General behandelte ihn sehr respektvoll, denn Mingo war damals ebenfalls praktizierender Theosoph, bekennt sich mittlerweile aber wieder zur Kirche. Ich sagte ihm, er solle sich um Pericles keine Sorgen machen, schließlich habe der es in der Militärakademie zum Unterleutnant gebracht, mit anderen Worten: Er ist hart im Nehmen und hält einiges aus; dann erkundigte ich mich nach Mingos Frau Irmita, die an einer Art Asthma leidet, das sie sich angeblich während ihrer gemeinsamen Zeit in Genf zugezogen hat.
     Zu Chelon sagte ich, er rufe bestimmt nur an, weil er gerade tatenlos herumsitze und auf Inspiration für sein nächstes Bild warte. Niemand ist stets so gut auf dem Laufenden wie er, denn seine Carmela ist meine beste Freundin, und ich tausche mich täglich mit ihr aus. Ich erzählte ihm, meine Schwiegermutter setze darauf, dass der General demnächst wieder seine mystische Phase bekomme und Pericles dann freilasse, und daran anknüpfend wollte ich von Chelon wissen, der doch selbst Mystiker ist und an unsichtbare Kräfte glaubt, ob er nicht selbige anrufen könne, damit sie dem General seine Vorbehalte gegen meinen Mann austreiben. Chelon ist ein herzensguter Mensch, ein Künstler, aber die Politik ist nicht seine Welt.
     Von meinem Mann gibt es nichts Neues. Ich habe ihm die Bücher gebracht, um die er mich gebeten hatte. Er gab mir einen Brief für Serafin, der auch gleich jemanden vorbeischickte, um den Brief abzuholen. Ich habe Pericles erzählt, dass Papa weiter Druck auf Rechtsanwalt Molina ausübt, als Präsident des obersten Gerichtshofs endlich juristisch Position zu beziehen, denn auch wenn er ein noch so willfähriger Gefolgsmann des Generals sei, es verstoße nun einmal gegen das Recht, jemanden wegen einer angeblichen Verletzung des Pressegesetzes so viele Tage festzuhalten und im Unklaren zu lassen. Rechtsanwalt Pineda hingegen, der meinen Mann und die Zeitung vertritt, läuft bei Gericht gegen eine Mauer. "Verzeihen Sie meine Worte, Doña Haydee, aber diesem Hexer bedeutet das Gesetz einen Scheißdreck", sagte er letztes Mal düster zu mir. Ich bat ihn, weiter Druck zu machen, sich nicht geschlagen zu geben, obwohl ich im Grunde weiß, dass Pericles erst freikommt, wenn sich die Rage von "diesem Menschen" gelegt hat.
     Nach dem Mittagessen kam Clemen nach Hause, er war angetrunken und redete in einem fort, wie jemand, dem der Alkohol gefährlich zu Kopf gestiegen ist. Er schwor, dass sich etwas zusammenbraue, dass der General diesmal wirklich gehen müsse, dass ihm nur noch wenige Tage an der Macht bleiben würden, weil die Gringos die Nase voll von ihm hätten. Kurz war ich in Sorge, ob Clemen vielleicht von so einer Verschwörung weiß oder gar an ihr beteiligt ist, und Alkohol löst schließlich die Zunge - am Ende würde er noch genauso im Gefängnis landen wie sein Vater; doch dann erfuhr ich, dass er von einem Mittagessen kam, zu dem die amerikanische Botschaft hiesige Journalisten eingeladen hatte. Ich kochte ihm einen starken Kaffee, doch der Kopf sank ihm auf die Brust, und er nickte im Sessel ein. Mein armer Junge, genau wie Onkel Lalo. Ich ließ ihn schlafen, auch wenn er in der Arbeit Ärger bekommen würde; alles besser, als sich dort betrunken blicken zu lassen.
     Für den frühen Abend, wenn die schlimmste Hitze vorüber ist, hatte ich mir vorgenommen, zur Bank zu gehen und anschließend Carmela zu besuchen, aber ich wollte dann doch lieber warten, bis Clemen aufwacht; ich lasse ihn nicht gern mit Maria Elena allein. Nach eineinhalb Stunden kam er zu sich, beschwerte sich, dass ich ihn nicht geweckt hatte, und stürzte zum Sender. Ich ermahnte ihn, auf dem Weg seinen Durst bloß nicht mit einem Bier zu löschen. Warum unsere Kinder so geworden sind, wie sie sind, wird mir immer ein Rätsel bleiben: Wer hätte, als Clemen ein Baby war, ahnen sollen, dass er so wenige Charakterzüge von mir, Pericles und seinen Großeltern mitbekommen hat und dafür alle guten und schlechten Eigenschaften von Onkel Lalo? Lalo ist der jüngste Bruder meines Vaters, ein liebenswürdiger Bruder Leichtsinn, der gern über die Stränge schlägt, beim Feiern wie bei den Frauen. Ich habe mich mit Gottes Willen abgefunden; Pericles hat sich damit schwerer getan. Papa meint, der tiefere Grund sei, dass Onkel Lalo ein paar Wochen vor Clemens Geburt umgebracht wurde, und so sei sein Geist in das Kind geschlüpft.

Mit freundlicher Genehmigung des S. Fischer Verlages

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