04.08.2008. Von Capote zu Kafka, von Schanghai ins Bordelais - und zurück zu einem grandiosen Bildband über China. Die Reise führt auch über Saudi Arabien, wo das Treiben der bin Ladens beobachtet wird. Die Bücher des August 2008.
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- im vergangenen
Bücherbrief- in der
Krimikolumne "
Mord und Ratschlag"
- und vor allem in den "
Büchern der Saison" vom
Frühjahr 2008 Truman Capote Erhörte GebeteRoman
Kein und Aber Verlag, Zürich 2007, 18,90 Euro
Es ist zwar nur ein Fragment, aber vielleicht das anspruchsvollste und wahrscheinlich amüsanteste dieses Sommers. Capote wollte mit diesem Roman ein Pendant zu
Prousts "Recherche" beginnen - ein Vorhaben, an dem ja bekanntlich schon Proust selbst gescheitert ist, der bis zu seinem Tod an seinem Roman weiterschrieb. Klaus Harpprecht kümmert sich in seiner Rezension für die
Zeit nicht sehr viel um diese Parallele und feiert den scharfen und bösen Witz von Capotes Fragmenten. Ein ausgezeichnetes, wenn auch für sie nicht so vorteilhaftes Porträt der
New Yorker High Society, so scheint es.
Eileen Chang Gefahr und BegierdeErzählungen
Claassen Verlag, Berlin 2008, 18 Euro
Wer sich jenseits der heutigen Boomfassade für den Mythos der Stadt
Schanghai interessiert, sollte zu den Erzählungen Eileen Changs greifen (eine davon, "Gefahr und Begierde", wurde von Ang Lee verfilmt). Drei Rezensenten haben das Buch bisher besprochen, alle erlagen dem Charme und der Melancholie der Erzählungen. Für Tilman Spengler in der
FR verbindet Chang in ihren Panoramen der Stadt in den dreißiger und vierziger Jahren "buddhistischen Existenzialismus mit der Detailfreude von
George Grosz". Auch Susanne Messmer plädierte in der
taz leidenschaftlich für dieses Buch. Sie sieht Chang als eine der zentralen Figuren der klassischen Moderne in der chinesischen Literatur.
Wolfgang Hilbig GedichteWerke
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008, 22,90 Euro
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Jürgen Verdofsky kapituliert in seiner Kritik des Bandes für die
FR: Hilbigs Werk, sagt er, ist noch nicht ausgelesen. Immerhin gibt es jetzt erstmals den Band, der diesen Eindruck nicht zu bewältigenden Reichtums hervorruft. Die
Gedichte Hilbigs in der von Fischer betreuten Gesamtausgabe, über 500 Seiten mit einem fast kompletten Überblick über Hilbigs lyrisches Oeuvre von den Anfängen bis hin zu nachgelassenen Gedichten. Jan Volker Röhnert ist in der
SZ ebenso begeistert, bemängelt aber, dass sich der Kommentar oft mit
Hintergrundinformationen zu den Entstehungsbedingungen der Gedichte in der DDR zurückhält.
FAZ und
taz stimmen in die allgemeine Begeisterung ein.
Sybille Bedford La Vie de ChateauEine Weinprobe in Bordeaux
SchirmerGraf, München 2008, 6,95 Euro
Im Grunde eine längere Reportage, vom Verlag SchirmerGraf als kleine bibliophile Ausgabe herausgebracht, ein ideales Mitbringsel, wenn man gerade
keinen Grand Cru als Gastgeschenk zur Hand hat. Bedford besuchte für die Reportage die großen
Chateaus des Bordelais im Jahr 1978. Mario Scheuermann hat das Bändchen in der
SZ begeistert besprochen. Einen der von Bedford beschriebenen Weine hat der Rezensent bei der Lektüre genossen und kann, selbst Weinkenner, nur staunen, wie präzise die Autorin diesen Wein charakterisiert hat.
Peter Wende Das britische EmpireGeschichte eines Weltreichs
C.H. Beck Verlag, München, 24,90 Euro
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Auf etwas über 350 Seiten gibt Peter Wende einen konzisen Überblick über die Geschichte des
britischen Empire.
SZ und
NZZ besprachen das Buch im Abstand einiger Tage. Franziska Augstein lobte in der SZ die
souveräne Bewältigung des sicher nicht einfach zu beherrschenden Stoffs. Vielschichtigkeit und Fragilität eines weltumspannenden Herrschaftssystems beeindruckten auch Caspar Hirschi in seiner NZZ-Rezension. Hirschi lobt die klare chronologische Struktur, die
flüssige Prosa und die fachkundige Expertise sowohl in politik-, wirtschafts- als auch kulturgeschichtlichen Belangen, und er hebt hervor, dass Wende aus der Tradition
linker Imperialismuskritik kommt.
Oliver Sacks Der einarmige PianistÜber Musik und das Gehirn
Rowohlt Verlag, Reinbek 2008, 19,90 Euro
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Oliver Sacks ist Neurologe, nicht Hirnforscher. Er interessiert sich für Menschen, die ein
Problem mit ihrem Hirn haben und so gewisse Macken oder gerade auch Talente entwickeln. Sein neues Buch handelt von
Musik und davon, was sie in unseren Hirnen anrichtet. Es steht auf der Bestsellerliste! Und in den Feuilletons fand es begeisterte Resonanz. Barbara Dribbusch hat es in der
taz besprochen, und sie weiß jetzt, warum einige Menschen gut tanzen, aber
keine Melodie singen können. Daniel Ender lobt in der
NZZ die gut verständliche Vermittlung neurologischer Zusammenhänge sowie die lebendige, humorvolle und optimistische Darstellung überhaupt. Und Harald Eggebrecht zeigte sich in der
SZ besonders fasziniert von der Geschichte eines
Orthopäden, der nach einem Blitzschlag von unerklärlicher Klaviermusiksucht befallen wurde.
Liu Heung Shing ChinaPorträt eines Landes
Taschen Verlag, Köln 2008, 39,99 Euro
Aus aktuellem Anlass: Der Bildband des Monats. Fotojournalist Liu Heung Shing hat in den Archiven von
88 chinesischen Fotografen gestöbert und stellt eine offensichtlich überwältigende Geschichte Chinas in den letzten sechzig Jahren, erzählt in Bildern, vor. Gottfried Knapp zeigte sich in der
SZ gefesselt von den Aufnahmen, die Einblick in das Privatleben von Politikern bieten und die mitunter ziemlich entlarvend seien. Andreas Platthaus liest den Band in der
FAZ als eine kritische Darstellung der Großmacht China.
Versch. Autoren Der Flick-Konzern im Dritten ReichOldenbourg Verlag, München 2008, 64,80 Euro
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Angesichts des Preises ist das - leider - wohl eher ein Buch für Bibliotheken als für private Leser. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz hatte das Buch unserer Erinnerung nach in Auftrag gegeben, um die Luft aus dem Streit um die
Kunstsammlung des Flick-Erben
Friedrich Christian Flick zu nehmen, die seitdem im Hamburger Bahnhof gezeigt wird. Flick hat die 500.000 Euro selbst berappt. Das Buch macht nochmals deutlich, wie sehr die Flicks vom Nationalsozialismus profitierten. Und zwar noch mehr als bisher bekannt. So ließ Friedrich Flick 1938 seinen Anwalt einen Gesetzesentwurf zur
Enteignung jüdischen Vermögens formulieren, der die bisherige Handhabung noch radikalisierte, berichtet Brigitte Werneburg mit merklichem Entsetzen in der
taz. Auch für den in der
FR rezensierenden Wirtschaftshistoriker Werner Plumpe entpuppt sich Flick mehr denn je als skrupelloser Taktiker, tief verstrickt in die Verbrechen der Nazis, in Arisierung und
Zwangsarbeit. Welche Konsequenzen wird die Stiftung Preußischer Kulturbesitz jetzt aus diesen Erkenntnissen ziehen?
Steve Coll Die Bin LadensEine arabische Familie
Deutsche Verlags-Anstalt (DVA), München 2008, 24,95 Euro
Die Geschichte der
bin Ladens zu schreiben, ist eine brillante Idee: Sie ermöglicht es zugleich, das arabische Wirtschaftsleben, die Beziehungen der
USA zu Saudi-Arabien und die Geschichte des Islamismus zu beleuchten. Und der Pulitzer-Preisträger Steve Coll hat diese Aufgabe auf 735 Seiten offensichtlich auch brillant erledigt. Monika Jung-Mounib hat in der
NZZ aus dem Buch unter anderem erfahren, dass der Clan des Terror-Chefs nach den Anschlägen vom 11. September infolge des gestiegenen Ölpreises
enorme Gewinne erwirtschaftet hat. Meisterhaft findet sie die Ausführungen über Osama bin Ladens ideologische Entwicklung. Auch Thomas Speckmann zeigt sich in der
SZ beeindruckt. Er hebt besonders das weit ausgreifende geschäftliche Engagement der Familie in den
USA hervor, wo sie Einkaufszentren, Mietshäuser, Wohnanlagen, luxuriöse Landsitze oder einen Flughafen besaß.
Reiner Stach KafkaDie Jahre der Erkenntnis
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008, 29,90 EUR
Die Kritik überschlug sich, und zwar pünktlich zum Kafka-Geburtstag. "Atemlos wie einen Roman", hat Ulrich Greiner für die
Zeit diesen zweiten Band von Stachs monumentaler
Kafka-Biografie in der Zeit gelesen. Oliver Pfohlmann wird in der
NZZ analytischer und diagnostiziert gekonnten Einsatz diverser literarischer und filmähnlicher Darstellungsformen, darunter Panoramablicke, überraschende Perspektivwechsel, extreme Nahaufnahmen und szenische Einstiege, die das Buch zu einer
süffigen Lektüre machen. Schneider fand die Lektüre in der
FR so ergreifend, dass er sich dabei ertappte, wie er bang auf einen glücklichen Ausgang der Lebensgeschichte hoffte, der erwartungsgemäß ausblieb. Nur Andreas Dorschel zeigte sich in der
SZ distanzierter und störte sich gerade am Romanhaften dieser Biografie. Der
erste Band der Biografie stieß in der Kritik erstaunlicherweise auf stärkere Vorbehalte.