Im Kino

Fuchs Fatale

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster
13.03.2024. Spektakelkino, wie man es aus Hollywood nicht mehr allzu oft geboten bekommt, liefert "Creation of the Gods I: Kingdom of Storms". Wuershans Auftaktkapitel zu einer Fantasy-Blockbustertrilogie fährt ein regelrechtes Tohuwabohu an Göttern, Kriegern und Monstern auf. Ein Außen benötigt die Welt, die sich hier entfaltet, nicht mehr.


Ein junger Krieger, der sich, um seiner Familie keine Schande zu bereiten, ins eigene Schwert stürzt. Eine berittene Feuerarmee, die eine Festung stürmt. Ein Blutstropfen, der in Gestein eindringt und einen uralten Fuchsdämon befreit. Ein Kampf auf Leben und Tod in kalter Eislandschaft. Eine Prinzessin, die sich ihre eigene Haarnadel in den Hals bohrt. Eine gewaltige Schneelawine, die digital donnernd ins Tal rauscht - und das sind nur die ersten 15 Minuten…

Kurz Durchschnaufen für einen ersten Überblick: Die Feuerarmee kämpft für die das Reich, beziehungsweise die gesamte hier interessierende Welt beherrschende Shang-Dynastie, die Festung gehört zur Rebellentruppen um Lord Su, dessen Sohn sich zu Beginn selbst entleibt; und dessen Tochter (Narana Erdyneeva), vermittels der Haarnadel dasselbe vorhat, dann allerdings von dem Fuchsdämon übernommen wird, bevor die Lawine alles platt macht - leveling the playing field, aber nur ganz kurz. Denn kaum zwei Szenen und großformatige Militärparaden später wird am Shang-Hof der alte König Yi ermordet, sein Sohn Shou (Fei Xiang) übernimmt die Krone und das gesamte Reich wird von Naturplagen heimgesucht. Höhere Mächte zürnen, so scheint es, ob des Königsmordes, und nur das Selbstopfer des neuen Herrschers kann sie besänftigen. Also lässt er einen Opferaltar für sich selbst errichten - und zwar nicht irgendeinen. Wie fast alles in "Creation of the Gods I: Kingdom of Storms" ist dieser Scheiterhaufen spektakulär überdimensioniert, ein regelrechtes Scheiter-scraper, ein imperiales Repräsentationsmonument, dessen Bau unter anderem von einem marodierenden Elefanten gefährdet wird…

Jede Geste der Repräsentation birgt ihre Destruktion bereits in sich. Freilich nur, weil ein, zwei Drehbuchwendungen später eine Gegenrepräsentation errichtet werden will. Im Ergebnis heißt das: nichts und niemand kommt zur Ruhe. Schon gar nicht, wenn der Fuchsdämon im Frauenkörper ins Spiel kommt. Shou steht, so scheint es, ganz im Bann dieser luftig bekleideten, schlanken, übernatürlichen Femme Fatale, die sich auf allen Vieren an die Kamera heranschlängelt und dem neuen Herrscher der vier chinesischen Himmelsrichtungen die Wunden leckt, wodurch diese sich wie durch Zauberhand (oder eben: Zauberinnenzunge) schließen. Gelegentlich entströmt der Dämon ihrem Körper, die aggressive Raubtierweiblichkeit materialisiert sich als fauchender, schneeweißer CGI-Fuchs…



"Creation of the Gods" ist der erste Teil einer geplanten Fantasy-Blockbustertrilogie. Letzten Sommer half er dabei mit, das chinesische Kino nach dem Covid-bedingten Fastkomplettstillstand wieder in Gang zu bringen, jetzt startet er auch in Deutschland; wo man dieses Jahr vermutlich nicht viele weitere Filme dieser Dimension zu sehen bekommen wird. Das Spektakelkino Hollywoods steckt seit dem Abflauen des Marvel-Superheldenbooms in einer Krise, die vom letztjährigen Streik der Schauspieler- und Drehbuchautorengewerkschaften noch einmal forciert wurde. Bleibt man bei "Creation of the Gods" nach zweieinhalb mit historical-fantasy-Wirbelwind randvoll gestopften Stunden während des Abspanns sitzen, hat man tatsächlich den Eindruck: Der Zirkus ist weitergezogen. An den digitalen Spezialeffekten, aus denen der Film zu überwiegendem Teil besteht, waren neben chinesischen auch viele westliche Firmen beteiligt, "Herr der Ringe"-Macher Barrie M. Osborne wird als "Production Consultant" gelistet, "Crouching Tiger, Hidden Dragon"-Autor James Schamus als "Script Consultant". Die Musik wiederum stammt von Gordy Haab, der bisher vor allem für zahlreiche Videospiele im "Star Wars"-Umfeld komponierte - und tatsächlich orientiert sich sein sinfonischer Score deutlich an einschlägigen Hollywood-Blockbusteruntermalungen.

An der Form ist viel Hollywood, oder vielleicht eher: formal fügt sich vieles zu einem international capitalist spectacle style, der nicht mehr allzu viel mit den Shaw-Brothers-Epen der 1960er und 1970er Jahre zu tun hat, jenen Filmen, die lange die Blaupause für chinesisches Spektakelkino abgaben. Die Erzählung freilich ist durch und durch chinesisch. Sie basiert auf Figuren und Motiven des Romans "Investitur der Götter", einem Klassiker der chinesischen Genreliteratur aus dem 16. Jahrhundert. Von den Göttern selbst war in der obigen ersten Annäherung an das Tohuwabohu, das "Creation of the Gods" ist, noch gar nicht die Rede. Aber natürlich mischen auch sie mit. Sie residieren im mythischen Bergreich Kunlun, genauer gesagt schweben sie, dem Irdischen auch gemütsmäßig enthoben, in farbigen Ätherkugeln und parlieren über die Probleme der Sterblichen. Ganz sich selbst überlassen werden soll das irdische Gewürm nicht; eine magische Schriftrolle kommt ins Spiel, zudem ein selbst die Sterblichkeit wählender Götterbote (Huang Bo), sowie, als dessen Begleitung, zwei himmlische Abgesandte mit Superkräften: Nezha (Wu Yafan), ein kindlicher guter Geist, der auf Feuerrädern durch die Lüfte eilt und seine Widersacher rot umgarnt, sowie Yang Jian (Cisha), der Held, der aus der Pfütze kommt (und wieder in sie verschwindet).



Es geht einfach immer weiter: mehr Helden, mehr Götter, mehr Bösewichter, mehr Verstrickungen, mehr kinetische Monsterfights, mehr - aber längst nicht genug; das sind die besten Szenen - Fuchs-Fatale-Erotik. Irgendwann liegt ein grünes Dämonenbaby in der Gegend herum. Keiner weiß weshalb, aber wir nehmen es einfach auch noch mit, vielleicht ist es irgendwann zu irgendwas zu gebrauchen. Erstaunlicherweise bleibt das Gesamtbild, der Fülle an Erzählmaterial zum Trotz, auch für Nichtkenner des Stoffs lange einigermaßen überschaubar. Die Integration von physischen Schauspielerkörpern und dem sie umgebenden digitalen world building fühlt sich ebenso organisch an wie das Ineinander von "historischem" Schwertkampf-Schlachtegemälde (die Shang-Dynastie existierte wirklich und beherrschte China zwischen dem 18. und 11. Jahrhundert vor Christus) und Fantasy-Elementen. Bis die letzte halbe Stunde zu einer abermaligen, letzten Storytelling-Offensive mit rothaarigen Riesen, dreiäugigen Gesichtern und weiteren Attraktionen ansetzt, die sich bis in die Mid-Credit-Sequenzen (auch das hat sich der Film, leider, von Hollywood abgeschaut) fortsetzen und das Feld bereiten für "Creation of the Gods II: Demonic Confrontation", der in China bereits diesen Sommer anläuft.

Nur sehr bedingt funktioniert der Film bei all dem über Figuren. Abgesehen vom abgründig gezeichneten König Shou besteht das Personal ausschließlich aus genretypischen Abziehbildern und wandelnden Spezialeffekten. Die zwei einzigen klassischen Identifikationsfiguren, die "Creation of the Gods" uns anbietet, bleiben durchweg blass, und sind tatsächlich auch erzählerisch nachrangig, in der obigen Inhaltsbeschreibung kommen sie gar nicht vor: ein Kronprinz in Wartestellung und der Sohn eines Provinzfürsten. Beide sind geradlinig heroisch und sonst nichts.

Eine Heldenreise entwirft Regisseur Wuershan also keineswegs. Was aber dann? Akkumulationskino, könnte man vielleicht sagen, oder auch: kartographisches Kino. Tatsächlich scannt die allererste Einstellung über eine gülden eingefärbte Landkarte, bevor eine Überblendung auf fein ornamentalisierte, sanft vom Himmel schwebende Schneeflocken uns in die Welt des Films geleitet. Das digital verflüssigte Elementare - Feuer, Wasser, Luft; eher nicht: Erde - ist das Medium, in dem sich die Erzählung immer wieder auflöst. Nichts und niemand ändert sich und doch bleibt alles gleich, oder jedenfalls bleibt alles in sich verschlossen. Das Reich, das die Shangs beherrschen, unterteilt sich in vier Bereiche: Norden, Süden, Osten, Westen. Alles ist abgedeckt, Erweiterungen sind ausgeschlossen. Ein Außen jenseits der Dualität von neugierigen Göttern und dem Mythos verpflichteten Menschen hat diese Welt nicht mehr. Braucht sie vielleicht auch nicht: Das chinesische Kino hat Hollywood und den Rest der Welt aus dem Heimatmarkt inzwischen weitgehend ausgesperrt. Von der lange übermächtigen Konkurrenz holt man sich vorläufig noch technische Expertise in untergeordneten Funktionsbereichen. Auch das wird bald nicht mehr nötig sein.

Lukas Foerster

Creation of the Gods I: Kingdom of Storms - China 2023 - OT: Feng shen Di yi bu: Zhao ge feng yun - Regie: Wuershan - Darsteller: Fei Xiang, Narana Erdyneeva, Huang Bo, Wu Yafan, Cisha - Laufzeit: 148 Minuten.