Vorgeblättert

Leseprobe zu Alain Mabanckou: Black Bazar. Teil 2

25.01.2010.
"Doch, es gibt welche bei den Händlern im Viertel Trois-Cents, aber die Schafe von denen sind nicht mal weiß, sie sind alle schwarz, höchstens gescheckt, und mit solchen Schafen kann man keine glaubwürdigen Geschichten erzählen. Außerdem werden sie von den
Händlern mit riesigen Messern zerlegt und am Abend in den Straßen als Fleischspieß verkauft."
"Gut, aber gibt es in deinen Geschichten wenigstens ein Meer und einen alten Mann, der mit einem kleinen Jungen fischen geht?"
Ich verneinte, weil mir das Meer Angst macht, vor allem, da ich wie so viele Leute Der weiße Hai gesehen habe und noch vor dem Ende des Films aus dem Rex rausgelaufen bin.
Er hatte Willy ein Zeichen gegeben, er solle uns noch zwei Pelforth hinstellen.
"Gut", nahm er den Faden wieder auf, "aber gibt es in deinen Geschichten wenigstens einen Alten, der mitten im Urwald Liebesromane liest?"
"Nein, wie willst du denn Liebesromane mitten in den Urwald bekommen? Völlig unmöglich, das Hinterland bei uns ist eine echt abgeschiedene Gegend. Es gibt nur eine einzige Straße, die hinführt, und die stammt noch aus der Kolonialzeit."
"Ihr seid seit fast einem halben Jahrhundert unabhängig, und du erzählst mir, dass es nur eine einzige Straße gibt? Was habt ihr denn die ganze Zeit gemacht? Erzähl mir jetzt bloß nicht, die Kolonialisierung sei schuld an allem. Die Weißen sind abgezogen, die haben euch alles dagelassen, ihre Kolonialhäuser, den elektrischen Strom, eine Eisenbahn, Trinkwasser, einen Fluss, einen Atlantik, einen Hafen am Meer, Malariatabletten, Mercurochrom und sogar ein Stadtzentrum!"
"Ich kann nichts dafür, das liegt an denen, die uns regieren. Wenn sie die Straße, die uns die Kolonialisten hinterlassen haben, wenigstens erneuert hätten, dann würde dein Alter seine Liebesromane gewiss bekommen. Aber diese Kolonialstraße, weißt du, es ist eine Schande ?"
"Was ist denn los? Warum soll es eine Schande sein? Bist du etwa gegen die Kolonialisten oder was? Ich finde, den armen Kolonialisten sollte ein Denkmal gesetzt werden! Ich kann es nicht mehr hören, dass sie für alles verantwortlich gemacht werden, wo sie doch gewissenhaft ihren Job erledigt haben, uns aus der Finsternis zu führen und zu zivilisieren! Hat man sie etwa gezwungen, all das zu tun? Weißt du denn nicht, dass sie wie die Irren geschuftet haben? Überall gab es Moskitos, Teufel, Teufelsaustreiber, Menschenfresser, Grüne Mambas, die Schlafkrankheit, Gelbfieber, Blaufieber, Orangefieber und Regenbogenfarbenfieber und was weiß ich. Unsere Ebenholzlande waren voller Übel, unser Afrika war ein Trugbild, dass sich sogar Tim höchstpersönlich auf den Weg machen musste, um uns zu retten! Ich werde doch den Kolonialisten dafür nicht böse sein! Und hat sich dieser Tim etwa über uns den Kopf zerbrochen? Ist er nicht etwa mit seinen Freunden gekommen, einem Kapitän, der alle verflucht, und seinem kleinen weißen Hund, der schlauer ist als wir beide zusammen? Wenn der schon dorthin gereist ist, dann kannst du ja wohl dem Alten in den Geschichten, die du schreibst, über die Kolonialstraße ein paar Liebesromane zukommen lassen!"
"Ja, aber die Straße ist zu gefährlich, vor allem während der Regenzeit."
"Wo liegt das Problem?"
"Bei uns regnet es die ganze Zeit, und wenn es einmal regnet, kommt tausend Mal mehr runter als bei einer Sintflut?"
Nach einem Schweigen und zwei Schluck Bier schlug Roger-der-Franko-Ivorer, der verwirrt war, dass ich immer auf alles eine Antwort wusste, mit der Faust auf den Tisch:
"Ich will dir doch nur helfen, das ist alles! Begreifst du denn nicht, dass das Schreiben kein Zuckerschlecken ist? Die, die schreiben, müssen die Situationen erfinden, nicht ich. Lass mal deiner Fantasie freien Lauf und hilf diesem Alten, der sich im Urwald langweilt, damit er endlich seine Liebesromane kriegt!"
Da ich nicht antwortete, gab er klein bei: "Gut, ich weiß, ich rege mich vergeblich auf, entschuldige. Ich verlange vielleicht Unmögliches von dir. Ich sehe, wie schwierig das Ganze ist. Aber gibt es in deinen Geschichten wenigstens eine junge japanische Nymphomanin, die ihrem Psychoanalytiker erzählt, sie höre es nicht mehr klingeln, ich meine, dass sie keinen Orgasmus mehr bekommt?"
Jetzt war ich an der Reihe, mich aufzuregen. "Also bitte, wenn ich die Geschichte einer Mythomanin schreiben will, die keinen Orgasmus mehr kriegt, werde ich doch nicht in Japan suchen!"
"Hast du etwas gegen Japaner?"
"Überhaupt nichts. Aber dann kann ich auch gleich nach Haiti gehen und über Voodoo schreiben. Was stellst du dir eigentlich vor? Bis du etwa pervers? Hast du überhaupt schon mal eine Frau zum Orgasmus gebracht?"
"Psst! Du musst nicht gleich so schreien und mich beleidigen, dass es alle Leute in der Bar mitkriegen, das muss nicht sein. Ein Schriftsteller sollte diskret sein, er muss seine Umgebung beobachten, damit er sie dann umso genauer beschreiben kann ? Aber gibt es in deinen Geschichten wenigstens einen Betrunkenen, der ins Totenreich geht, um einen Palmweinsammler zu suchen, der versehentlich von der Palme gekippt ist?"
Ich verneinte, denn ich habe noch nie einen Fuß ins Totenreich gesetzt, um nichts in der Welt würde ich dorthin wollen, zumal es noch weiter weg sein soll als Japan oder Haiti.
"Sicher, aber du sollst ja nur eine Geschichte erzählen, du brauchst dir nur vorzustellen, dass du da hingehst. Das ist doch keine Hexerei, oder?"
"Ich will da nicht hin. Es gibt Orte, die verflucht sind, und Geschichten von Leuten, die das Totenreich besuchen, sind überhaupt nicht mein Ding."
"Gut, gut, aber kommt in deinen Geschichten wenigstens eine große Liebe in Zeiten der Cholera zwischen einem armen Telegrammboten und einer jungen Schülerin vor, die später einen Arzt heiratet?"
"Was ist ein Telegrammbote?" fragte ich in gestellt naivem Tonfall.
"Das kann ja noch heiter werden! Ich merke, dass du deinen Wortschatz erweitern musst ? Gibt es denn in deinen Geschichten wenigstens ein Eifersuchtsdrama mit einem Maler, der eine Frau tötet, die er bei einer Ausstellung kennengelernt hat, als sie eines seiner Bilder bewunderte?"
"Komm mir nicht mit Malerei!"
"Wie bitte? Du magst keine Malerei und nennst dich Schriftsteller?"
"Die Malerei von heute regt mich auf. In der Heimat habe ich im Französischen Kulturzentrum mal die Reproduktion eines Bildes gesehen, es hieß Les Demoiselles d?Avignon und war hässlich wie die Fresse einer Bulldogge."
"Du verstehst nichts von Malerei, das ist ein großer Nachteil ? Aber gibt es in deinen Geschichten wenigstens einen Helden mit einer Trommel, einen Helden, der mit drei Jahren nicht mehr wachsen will, der später Insasse einer Heil- und Pflegeanstalt wird und sein Leben durch ein Guckloch hindurch einem Pfleger erzählt? Ich sage dir das übrigens nur, um dir zu helfen, weil du anscheinend nicht weißt, in was für Nesseln du dich setzt und wer die Leute sind, die auf diesem Gebiet schon etwas geleistet haben. Gut wäre auch, wenn dieser Pfleger der Heil- und Pflegeanstalt eine künstlerische Ader hätte und beispielsweise Knoten knüpfen könnte, die er dann dem Insassen zeigt. Du begreifst, worauf ich hinauswill?"
Ich gab ihm zu verstehen, dass mein Held auf einer afrikanischen Trommel trommelt und ich ihm den Namen "Bastard" gegeben habe. Jener Typ, der mit meiner Lebensgefährtin und meiner Tochter zurück in die Heimat gegangen ist. "Und wenn du mir weiter mit irgendwelchen Trommeln und Tamtams kommst", fügte ich lautstark hinzu, "gehe ich nach Hause! Mir reicht?s!"
Und dann rannte ich wie eine Rakete aus dem Jip?s, denn er wurde immer betrunkener. Ich hatte ihm gesagt, dass ich ihm nichts mehr von meinen Projekten erzählen würde, er solle vergessen, was ihm Paul-aus-Großkongo erzählt habe.
Ich brüllte: "Du kapierst überhaupt nichts! Ich schreibe, wie ich lebe, ich springe von einem Thema zum nächsten und wieder zurück, so wie das Leben eben ist, falls du das noch nicht begriffen hast. Du kannst mich nicht anpissen mit deinen weißen Schafen und alten Pennern, die auf irgendein Meer fahren oder Liebesromane lesen, nur weil du mir ein paar Pelforth spendiert hast. Ich habe einen Kumpel, einen richtigen, der auf mich hört, Louis-Philippe, der kommt aus Haiti. Der ist wirklich Schriftsteller, kein Großmaul wie du, das bis zur Rente warten muss, um sein Meisterwerk aus dem Ärmel zu schütteln, das dann die ganze Welt lesen soll. Du kannst mich mal!"
In dem Augenblick trat Paul-aus-Großkongo ein und ich hörte ihn noch mit scheppernder Stimme entgegnen: "He, Arschologe, hienieden ist alles schon geschrieben worden! Alles! Und ich habe die großen Bücher dieser Welt gelesen! Da wirst jetzt nicht du kommen und irgendetwas ändern können. Und wage es bloß nicht, meinen Namen in deiner Gehörntensuada zu nennen! Wo sind sie denn gerade, deine Frau und deine Tochter? Du schaffst es ja nicht einmal, die Sache zuzugeben in deinem Buch, weil du dich schämen würdest, wenn die Leute es wüssten! Du glaubst, dass du schreiben kannst, aber in Wirklichkeit kotzt du nur deinen Hass gegen deine Ex und gegen diesen Troubadour heraus, der sie dir ausgespannt hat! Geschieht dir recht!"

Teil 3