Im Kino

Hartnäckige Herunterputzer

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster
23.08.2023. Gelegentlich schaut "The Inspection", Elegance Brattons Film über einen jungen, schwarzen, schwulen Navy-Rekruten, aus wie ein Werbeclip für die amerikanischen Streitkräfte. Der Film will auf etwas anderes heraus. Aber nicht unbedingt auf etwas komplett anderes.


"Es muss sich etwas ändern", meint der Sohn zur Mutter. "Wie wäre es mit Deinem Lebensstil?", antwortet die Mutter. Damit ist alles gesagt, denn das, was die Mutter den Lebensstil des Sohnes nennt, ist kein Lebensstil, sondern seine sexuelle Orientierung. Der Sohn, Ellis (Jeremy Pope), ist schwul, die Mutter, Inez (Gabrielle Union), kann das nicht akzeptieren. Und zwar sowas von nicht. Dass ihr Sohn leidet, dass er wohnungslos ist, dass er als junger, humosexueller Schwarzer allein auf der Straße lebt, bestenfalls gelegentlich in Obdachlosenheimen unterkommt, wo sich morgens am Waschbecken neben ihm ein anderer aus der Gesellschaft Herausgefallener einen Schuss setzt, dass er außerdem um ihre Liebe bettelt: All das gilt für sie nichts neben der Tatsache, dass er nie die Art von Leben führen wird, die sie sich für ihn ausgemalt hatte.

Auch von Ellis' Versuch, seiner Biografie eine Wendung zu geben, will sie zunächst nichts wissen. Schließlich geht ihr Sohn nicht zur US Navy, um fortan Frauen zu begehren, sondern lediglich, um ein Marine zu werden und nebenbei sein Leben zu retten. Ellis zieht seinen Plan dennoch durch, verpflichtet sich zum Dienst an der Waffe und wird zur Ausbildung in ein Boot Camp in Parris Island, North Carolina geschickt. Eine Entscheidung, die sein Leben verändern wird und die auch den Film auf eine neue Bahn setzt.

Zu Beginn, vor dem Marine Corps, ist das ein Film der verhuschten Blicke und arretierten Bewegungen. Während einer U-Bahn-Fahrt schneidet Regisseur Elegance Bratton auf aufregende Mitfahrende, die Ellis selbst sich kaum anzuschauen traut. Insbesondere ein Besuch bei der Mutter ist geprägt von tiefer Verunsicherung und Fremdheit im eigenen Leben, fahrige Handkameraaufnahmen separieren zwei Menschen in ihren jeweiligen Selbstgefängnissen, ein Gespräch, im Sinne eines Austauschs zwischen zwei Individuen, findet nicht statt.

Sobald Ellis auf Parris Island ankommt, wird alles anders. So wie die jungen Rekruten in Form gebracht werden, stabilisiert sich das Bild. Junge, kerzengerade Körper in Reih und Glied, angespannte Gesichter in der Bildmitte, perfekt vernähter Schuss / Gegenschuss auf und abseits des Schießstands. Sowie immer wieder: Wälder am Horizont beim Sonnenaufgang, Trainingsgerät im atmosphärischen Gegenlicht, das Sternenbanner flatternd im Wind. Vor teils mit Anleihen an der naturpoetischen Bildsprache Terrence Malicks angereichertem Amerikakitsch schreckt Bratton keineswegs zurück. Im Gegenteil: Er umarmt ihn vorbehaltslos. Man könnte aus dem Bildmaterial seines Films (und auch der leider etwas anstrengende Soundtrack der Band Animal Collective geht in diese Richtung) problemlos gleich mehrere hochgradig effektive Werbevideos für den Marine Corps montieren.




Natürlich hat Bratton anderes im Sinn. Keineswegs jedoch das Gegenteil. Das Affirmative in den Bildern, selbst noch ihr teils ans Religiöse grenzender Pathos, ist durchaus ernst gemeint, zumindest soweit es sich auf die Perspektive der Hauptfigur bezieht. Denn an einem kann kein Zweifel bestehen: Ellis ist angekommen. Das hier, Parris Island, ist bis auf Weiteres seine Welt. Mit all ihren Härten, versteht sich. Der Film spielt in den Bush-Jahren kurz nach 9/11, "Don't ask don't tell" war noch offizielle Politik der Streitkräfte, das heißt, offen Homosexuelle wurden nicht geduldet, Vorgesetzte durften jedoch keine Versuche unternehmen, heimliche Neigungen ans Licht der Öffentlichkeit zu zerren. Zumindest in der Theorie. In der Praxis schreit ein sadistischer Ausbilder Ellis kurz nach der Ankunft die Frage entgegen: "Sind Sie oder waren Sie je ein Homosexueller?" - "Nein, Sir!", darf die Antwort nur lauten, und das tut sie dann auch. Das im Militärischen stets implizierte Element der Selbstverleugnung macht sich außerdem darin bemerkbar, dass die jungen Rekruten, wenn sie von ihren ordensdekorierten Quälgeistern mal wieder zur Sau gemacht werden, von sich selbst in der dritten Person zu reden haben. "Sir, dieser Rekrut weiß nicht, wie man Sie nicht verärgert!" - mit diesen Worten verleiht Ellis einmal seiner Frustration über einen besonders hartnäckigen Herunterputzer Ausdruck. Ein kluger Satz, der zeigt, wie Selbstdistanzierung zu Erkenntnisgewinn führen kann.

Ausbildung bei den US Marines, das heißt natürlich auch: viele junge, überwiegend männliche, oft schwitzende, nicht selten teilweise oder ganz nackte Körper auf engem Raum. Wenn man allerdings nur für einen Moment seinen Tagträumen freien Lauf lässt, liegt man gleich darauf blutend am Boden der Dusche und wird von den Kameraden nach allen Regeln der Kunst vermöbelt. Je dichter Männer zusammenrücken, desto unbarmherziger kippt Kameradschaft in Homophobie.

Und dennoch: Die Armee mag, wen sie in ihre Finger bekommt, nach Herzenslust und mit einigem sadistischen Erfindungsreichtum quälen; bisweilen mag sie, wen sie in ihre Finger bekommt, gar explizit hassen. Gleichzeitig jedoch kann sie ihm gelegentlich das Leben retten. Wie in Ellis' Fall und wie womöglich auch im Fall des Regisseurs des Films: Bratton wurde selbst von seiner Mutter verstoßen, als die von seiner Homosexualität erfuhr, er war selbst zehn Jahre lang obdachlos, er durchlief selbst die Ausbildung bei den Marines und arbeitete im Anschluss als Navy-Kameramann - ein erster Schritt in Richtung Filmindustrie, der sich am Ende von "The Inspection" auch in Ellis' Leben ankündigt.

Sein autobiografisch inspiriertes Spielfilmdebüt gibt nicht vor, die Wahrheit über die amerikanischen Streitkräfte offenzulegen. Aber doch: eine Wahrheit, Ellis' Wahrheit. Für ihn hat die US Navy die Macht, der Welt eine Form zu geben, in die er selbst sich einpassen kann.

Lukas Foerster

The Inspection - USA 2022 - Regie: Elegance Bratton - Darsteller: Jeremy Pope, Gabrielle Union, Bokeem Woodbine, Raúl Castillo, McCaul Lambardi - Laufzeit: 94 Minuten.