Vorgeblättert

Leseprobe zu Eugen Ruge: Cabo de Gata. Teil 3

30.05.2013.
Stadteinwärts war ich ein paar Stationen mit der U-Bahn gefahren, zurück ging ich zu Fuß, noch immer suchend -– wonach? Mein Reiseführer empfahl mir die barcelonischen Diskotheken, es war die Rede von der heißesten Meile Spaniens, und ich erinnere mich tatsächlich an rot-grün-blau illuminierte Kellereingänge, aus denen Musik heraufpulste. Ich erinnere mich, dass ich vorbeiging, ohne stehen zu bleiben: Schon damals, mit knapp über vierzig, fühlte ich mich zu alt, fürchtete ich die durch mich hindurchgehenden Blicke der jungen Frauen, die ihre Jugend vor sich hertrugen wie ein persönliches Verdienst, fürchtete den Vergleich mit ernsten jungen Männern, die schwarzumrandete Brillen trugen und sich mit nachdenklicher Geste durchs dunkel glänzende Haar fuhren.
Irgendwann landete ich wieder auf der Rambla. Es war jetzt Nacht. Ein, wenn ich nicht irre, zunehmender Mond stand am Himmel. Ein kalter Wind wehte. Die Rambla war leer. Nur die zusammengeklappten Zeitungskioske lungerten, schattenhafte Kästen auf Rädern, kreuz und quer über die Rambla verteilt, und kurz vor der Plaza de Colon, vor einem hell erleuchteten Sexshop jenseits des Fahrwegs, standen, zusammengedrängt wie wärmesuchende Tiere, mehrere Prostituierte im Kreis beieinander, von denen mir eine besonders ins Auge fiel, obwohl ich sie nur von hinten sah: Sie war blond, hochgewachsen, trug ein knappes, blaues, mit Hunderten von Silbersternchen übersätes Pelzjäckchen und einen ebenso blauen Rock, unter dem wohlgeformte und durch die Pfennigabsätze und die schwarzen Strumpfnähte noch länger wirkende Beine zum Vorschein kamen.
Die Frauen bemerkten mich erst, als ich mich, sie weiträumig umkreisend, in den Sexshop schlich, und ich erinnere mich deutlich, wie abwegig, ja krankhaft es mir erschien, dass ich an diesen lebendigen Geschöpfen vorbei, hin zum Toten, zum Fleischlosen strebte. An meinen kurzen Aufenthalt in der Videokabine erinnere ich mich vermutlich nur, weil ich beim Durchschalten der Programme tatsächlich auf etwas Besonderes, Abweichendes, jedenfalls niemals Gesehenes stieß, nämlich auf einen Film, in dem sich zwei Frauen in bunten Strapsen am Gemächt eines - ja, was war es eigentlich? –- Esels oder Maultiers zu schaffen machten. Dann brach der Film ab, ohne dass ich eine Münze nachwarf.
Ich weiß noch, dass ich eine Weile in der Kabine sitzen blieb. Meine Fußsohlen brannten, aus einer Nachbarkabine drang mit gedämpftem Stöhnen versetzte Allerweltsmusik. Als ich den Sexshop verließ, hatten die Frauen, die vorher im Kreis zusammengestanden waren, sich auf der Straße verteilt, die Frau mit dem blauen Pelzjäckchen und den langen schönen Beinen stand jetzt allein vor dem Shop, diesmal mir zugewandt.
Ich sah sie an und sah in das Gesicht einer Siebzigjährigen.

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Auszug mit freundlicher Genehmigung des Rowohlt Verlages
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