Im Kino

Feminismus als pinke Rutsche

Die Filmkolumne. Von Carolin Weidner
19.07.2023. Alles bleibt Andeutung in Greta Gerwigs "Barbie", auch der leicht verdaulich dargebotene Feminismus - nur Ken nicht, der die complette Coolness in diesem Film gepachtet hat. Barbie immerhin entdeckt Bewusstsein, Tränen, Wut und am Ende sogar eine echte Vagina.


Die Zeitschrift Vogue verfolgt seit einigen Jahren ein überaus erfolgreiches Video-Format, in dem Prominente, vor allem Frauen, anhand von 73 Fragen Auskunft über sich geben. In einer langen Plansequenz werden die Antworten möglichst schlagfertig und geistreich abgefeuert, während zeitgleich Kaffee, Törtchen und Wasser mit Zitronenscheiben kredenzt werden. Eine unfassbar gestellte, durchchoreographierte Show, die dennoch Mühelosigkeit und Eleganz ausstrahlen möchte. Als Greta Gerwig vor einigen Jahren an der Reihe war, aus Anlass des Kinostarts ihrer zweiten Regiearbeit "Little Women", spazierte sie über ein Studiogelände in Los Angeles. Es gab keine intimen Einblicke in die gemeinsame Wohnung mit Noah Baumbach, keine Aufmerksamkeiten für den Interviewer und - äußerst ungewöhnlich - die Antworten wirkten einigermaßen spontan. Gerwig verriet ihren Lieblingsfilm, "Singing in the Rain", da er das "freudigste" Ereignis sei, das sie jemals "im Film" gesehen habe. Und auf die Frage, welches Gefühl sie sich von ihrem Publikum während des Ansehens ihrer Filme wünsche, teilte sie mit: "Ich hoffe es sagt, dass der Film sie lebendiger leben lässt, nachdem sie das Kino verlassen haben."

Zumindest kann man nicht behaupten, dass es "Barbie", Gerwigs Eintritt in die große Popcorn-Kino-Welt (Produktionsbudget: 100 Millionen Dollar), an "Lebendigkeit" fehlte. Der Film liefert ohne Unterlass: knalliges Set-Design, Musik, Tanz. "Dies ist ein großer Kuchen und jeder ist eingeladen", soll sie im Zuge der gewaltigen Werbekampagne gesagt haben. Was nett und einladend klingt, und sicherlich auch so gemeint ist, verrät ein bisschen die Herausforderung und eventuell auch das Problem von "Barbie". Denn an Bord ist nicht nur Spielzeughersteller Mattel, jener Konzern, der die ikonische Puppe einst erfand und dessen kalifornische Zentrale Gerwig wie eine kühl-futuristische Reminiszenz an Jacques Tatis "Playtime" inszeniert. Sondern auch eine Zuschauerschaft, die, beseelt und selbstvergessen, reale Lebenszeit im Barbieland verbracht hat, die zahlreiche Abenteuer in diversen Franchise-Animationsfilmen mitverfolgte und keinen Angriff auf ihre Plastikfreundin mit den langen Beinen dulden dürfte. Schließlich existiert auch noch so etwas wie eine Indie-Fangemeinde, die Gerwig eher mit deren Debüt "Lady Bird" verbindet, die "Frances Ha" mochte oder "Mistress America". Für die Gerwig New York City ist und Sacramento und Theater.



"Barbie" soll sie alle beglücken. Oder besser: niemanden zu sehr verprellen. Und natürlich die 100 Millionen wieder einspielen. Letzteres steht in den Sternen, die ersten beiden Punkte scheinen realisierbar. Die Firma Mattel kommt irgendwie seltsam rüber, aber eher auf eine Wes-Anderson-Art und nicht wirklich bösartig; Barbies gibt es in jeder erdenklichen Form und Ausführung, sogar an Kens wenig beachteten Kumpel Allan (Michael Cera erlebt hier ein schönes Comeback) wurde gedacht; und wer Lust hat, Referenzen zu erörtern sowie die Vorbilder der zahlreichen Musical-Einlagen zu sezieren, findet im Internet nicht nur eine Schar Gleichgesinnter - auch Gerwig selbst und Teile der Crew versorgen mit Listen, Interviews, Aufschlüsselungen. "Barbie" ist ein sich durch und durch bewusster Film, der etwaige Mängel vorab eingepreist hat. Denn obschon sowohl Gerwig als auch Produzentin Margot Robbie, die gleichsam in der Hauptrolle fungiert, "Barbie" als feministischen Film verstehen, hat jener Feminismus etwas von der pinken Rutsche, auf welcher Robbie gleich zu Beginn ihr Barbie-Dreamhouse verlässt. Eine wunderbar geschwungene Konstruktion, von der aus sich ganz Barbieland überblicken lässt, wo das Hinuntersausen Spaß macht und auf jeden Fall super aussieht. Doch unten angekommen, wartet da natürlich kein Pool, sondern eine Wasserattrappe.



In "Barbie" wird nicht eingetaucht, genauso wie nicht gegessen oder getrunken wird. Alles bleibt Andeutung, perfekt ausgeführt und on point, aber eben auch leicht verdaulich und höchstens dann subversiv, wenn man sich noch nie mit so etwas wie dem Patriarchat auseinandergesetzt hat, oder im Fall des einen oder anderen Zuschauers - vielleicht auch nicht auseinandersetzen musste. Das alles gelingt "Barbie" fabelhaft, Kens (Ryan Gosling) Reise in die Menschen- beziehungsweise Männerwelt, aus der er eben jenes Patriarchat einschleppt wie eine Seuche, woraufhin alle zuvor berufstätigen Barbies eine Amnesie erleiden und zu stumpfen Bier-Reicherinnen werden, ist so tragisch wie bissig. Auch das Triptychon vermeintlich netten Mansplainings - beim Sport, beim Anschauen von "Der Pate" oder bei Erläuterungen zur Gitarrenmusik - ist köstlich. Trotzdem hat Ken/Gosling die komplette Coolness gepachtet, selbst wenn diese sich als einfältig und vorhersehbar erweist. Auch ist seine Figurenentwicklung die interessantere. Vom langweiligen Ken, der nichts weiter tut als "Strand", und der sich so sehr eine echte Beziehung mit Barbie wünscht, über den scheinpotenten Zerstörer des Barbie-Paradieses zum letztlichen Entdecker seiner Selbstliebe. Dass Gosling ultimativ Meme-tauglich ist, ist spätestens seit der breitenwirksamen "Hey Girl"-Offensive der Zehnerjahre bekannt. Was von "Barbie" bleibt, könnten demnach vor allem "Kenergy", "I am Kenough" und Fake-Pelze mit Pferde-Aufdruck-Innenfutter sein. Auch ist es vor allem ein Ken-Satz, der nach dem Film widerhallt: "Hier bin ich, nur ein Junge." Barbie entdeckt immerhin ihr Bewusstsein, ihre Tränen, Wut, und, Trommelwirbel, am Ende sogar eine echte Vagina. Touché.

Ernstlich übelnehmen möchte man Gerwig diesen Fokus trotzdem nicht, dafür funktioniert ihr Überblenden der beiden Welten, das Schmelzen und Durchlässigwerden von Grenzen, zu gut, ist alles zu prachtvoll, zu perfekt und sind die angelegten Botschaften doch zu klar. Sie hat das Wesen eines jeden guten (Puppen-)Spiels erkannt und zur Prämisse, zum Plot von "Barbie" gemacht. Das ist nicht nur klug, sondern ermöglicht auch gewissermaßen ein Trojanisches Pferd oder zumindest einen Hack in den Film zu schmuggeln: Fantasien und andere Gedankengebäude werden auf leicht zugängliche Weise in ihre Einzelteile zerlegt und demonstrieren damit, wie störanfällig sie sind. Barbieland und Kalifornien diffundieren fröhlich vor sich hin und sorgen für den ein oder anderen (K)Entwicklungsschub. Dazu Musik von Mark Ronson, Billie Eilish sowie ein bemerkenswerter Crazy-Town-Moment. Ob all das zu einem "lebendiger" gelebten Dasein reicht, sei dahingestellt. Aber schlechter wird es ganz gewiss auch nicht. Und wer weiß, was es im nächsten "73 Fragen" zu erfahren gilt... Ryan Gosling hat jedenfalls noch nicht mitgemacht.

Carolin Weidner

Barbie - Regie: Greta Gerwig - Darsteller: Margot Robbie, Ryan Gosling, Ariana Greenblatt, Kingsley Ben-Adir, Emma Mackey, Will Ferrell - USA 2023 - Laufzeit: 114 Minuten.