Im Kino

Baumkronen und Boomerpop

Die Filmkolumne. Von Robert Wagner
20.12.2023. Man muss sich Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen nach Wim Wenders' neuem Film. "Perfect Days" handelt von einem Mann, der in Tokio öffentliche Toiletten putzt und im Gleichklang seiner Tage ein Stück Glück findet.


Das Anliegen von "Perfect Days" ist ziemlich simpel. Es liegt darin, uns einen älteren Mann (Koji Yakusho) beim Autofahren und beim Kloputzen zu zeigen. Dieser Hariyama steht in der Frühe auf und fährt zu Songs von Lou Reed, Van Morrison oder Patti Smith auf Arbeit. Bis Dienstschluss reinigt er unerschrocken die öffentlichen Toiletten Tokyos. Dann geht er ins öffentliche Bad sowie in eine Bar und liest noch etwas, bevor er schlafen geht und alles von neuem beginnt. Damit es nicht zu eintönig wird, fährt er an dienstfreien Tagen mit dem Rad zum Fotoshop, wo er seine Schnappschüsse von Baumkronen entwickeln lässt und einen neuen Film einpackt. An solchen Tagen lässt er sich etwas mehr treiben, spontan wird es aber auch hier nur bedingt.

Dieses Aufgehen in der Gegenwart und in ordnungsschaffenden Gewohnheiten ist Zen-Buddhismus nach Art von Wim Wenders. Seinen Ort hat er vor allem anderen in den Freuden an kleinen Dingen. Im Sonnenlicht, das durch die Baumkronen flackert. Vor allem aber in der Erfüllung, die es bereitet, Klos zu putzen. Warum er so gründlich sei, es wird eh wieder dreckig, fragt ihn ein Kollege einmal. Aber gerade an diesem Punkt, wenn er der endlosen Entropie am unglamourösesten Ort der Welt unaufhörlich Einhalt gebietet, unterstreicht "Perfect Days" ohne Nachdruck, dass wir uns Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen sollten - und ist dabei durchaus überzeugend.

Hirayama ruht jedenfalls in sich, und Wenders scheint uns mit ihm einen persönlichen Wunschtraum vorführen zu wollen. So haben die Songs, die Hariyama hört, durchgängig mehr als vierzig Jahre auf dem Buckel. Es ist Musik aus seinen und Wenders' jüngeren Jahren. Hier wird schlicht nicht nach Neuem gesucht, sondern einer gezeigt, der sich gefunden hat. Wenn die Kamera das Bücher- und Kassettenregal unseres Protagonisten abfährt, kommt dies fast schon einem religiösen Heilsversprechen gleich. So sehr werden hier Schönheit, die eigenen Vorlieben und Glück in einfachen Inszenierungshandgriffen gleichgesetzt. Wenn Hariyamas Verharren im Analogen (seine Fotos und seine Musikkassetten) ihn noch dazu zum kulturellen Vorreiter für die Jugend macht und ihm einen Kuss einbringt, dann verbietet es die Nostalgie des Films, Hariymas Alter als etwas zu begreifen, das ihn überflüssig machen würde.



All das sollte klarmachen, dass "Perfect Days" keine spröde Angelegenheit ist. Vielmehr werden die Wiederholungen mit sentimentalen Glücksmomenten angereichert. Beispielsweise in einer Tage überdauernden Runde Tic-Tac-Toe. Hariyama und ein Unbekannter setzen Tag auf Tag ein Zeichen auf einen Zettel, der in einer Ritze eines Toilettenraums deponiert wird. Ein anderer Glücksmoment offenbart sich in der technischen Spielerei eines Klohäuschens, dessen Wände aus einem durchsichtigem Glas sind, das milchig und undurchsichtig wird, sobald die Tür verriegelt ist. Die entspannte Langeweile beschwört hier und da die kleinen Wunder des Lebens.

Oder es gibt kleine absurde Geschehnisse. Hariyamas Kollege (Tokio Emoto) bringt etwas Jugend und Unordnung in den Film. Seine vereinzelten Auftritte, wenn er ins Handy schauend das Klo in seinem Rücken putzt oder Hariyama darum bittet, seine Kassetten verkaufen zu dürfen, um Geld einzunehmen, mit dem er hofft, bei seinem Date zu punkten. Oder ein tanzender Obdachloser, mit dem Hariyama eine unausgesprochene Freundschaft verbindet. Ebenso wie in den mit Musik unterlegten Aufnahmen von Autofahrten kehrt Wenders hier sichtlich zu seinen Ursprüngen zurück. Zu "Alice in den Städten" (1973) und "Im Lauf der Zeit" (1976), zu einer Form der Filmerzählung, die mit den Formeln des Indie-Kinos à la Jim Jarmusch "aufgefrischt" wird. Im Ergebnis erhalten wir ein auf der Stelle tretendes Roadmovie, das wie seine Hauptfigur größtenteils in sich ruht.

Eine andere Parallele zu "Im Lauf der Zeit" besteht darin, dass Wenders der Ruhe nicht zu trauen scheint. In beiden Filmen stellen sich seine schweigsamen Einzelgänger als einsam heraus, als Flüchtige vor ihren Familien und vor Nähe, die sie nur sporadisch zulassen. Beide Filme werden mit der Zeit dramatisch, weil das anscheinend für Filme nötig ist, um nicht zu langweilig zu sein. So bekommt Hariyama Besuch von seiner Nichte (Arisa Nakano), die von zu Hause abgehauen ist. Sie verbringen beschauliche Tage, bis seine reiche Schwester vor der Tür steht und einiges an emotionalem Ballast ablädt. Auch wird Hariyama in das (stille, tragikomische) Ehedrama seiner Barfrau hineingezogen.

Anders als in "Im Laufe der Zeit" kommt das Drama aber nicht mit einem feurigen Schwert, das die zuvor herrschende Ruhe mit Selbsthass niederbrennt. Stattdessen trägt es lediglich Tupfer in den Film ein, die das ewige Putzen der Klos emotional bereichern und den Wunschtraum nicht zu gefällig werden lassen. Was im Endeffekt heißt, dass dies Wenders bester Film seit Jahrzehnten ist - wenn nicht gar sein bester überhaupt. "Perfect Days" ist sicherlich nicht mitreißend, streng, intensiv oder revolutionär, aber seine charakteristische Uncoolness lässt Wenders dieses Mal nicht ins wild Prätentiöse eskalieren; sondern er belässt es größtenteils bei einem selbstbewussten, ruhigen Film über Toiletten, Baumkronen und Boomerpop.

Robert Wagner

Perfect Days - Japan, Deutschland 2023 - Regie: Wim Wenders - Darsteller: Kōji Yakusho, Tokio Emoto, Arisa Nakano, Aoi Yamada - Laufzeit: 123 Minuten.