Im Kino

Alles grünlich, alles krank

Die Filmkolumne. Von Jochen Werner
03.01.2024. Ein digitaler Grünschleier liegt über den Bildern des neuen Films Sofia Coppolas, der vom Leben der Priscilla Presley erzählt. Das Thema der Frau im goldenen Käfig passt gut ins Werk der Regisseurin, allerdings gelingt es der großen Melancholikerin des Kinos in "Priscilla" nicht, allzu viel Interesse zu wecken für die Welt, die sie entwirft.


Es beginnt mit Mädchenfüßen auf einem unwahrscheinlich flauschigen Teppich. Lackierte Fußnägel, knallig rosafarbene Teppichfasern. Oder zumindest können wir mutmaßen, dass es sich um ein knalliges Rosa handeln soll, denn zu sehen ist davon nicht viel. Das liegt an dem grünen Schleier, den Sofia Coppola über (nahezu) alle Bilder ihres neuen Films "Priscilla" legt. Alles trüb und entsättigt, alles grünlich, alles krank.

Man kann das durchaus als eine ästhetische Idee begreifen, um dem nur oberflächlich glamourösen und wohl tatsächlich, jedenfalls zur in diesem Biopic nacherzählten Zeit, einigermaßen freudlosen Leben ihrer Protagonistin Priscilla, geborene Beaulieu, später Presley, visuell gerecht zu werden. Aber dafür wirkt es letztlich zu unoriginell, bleibt viel zu sehr im Klischee jener Farbfiltertristesse verhaftet, die das Zeitalter des digitalen Filmemachens oftmals visuell so eintönig erscheinen lässt. "Priscilla" ist der erste digital gedrehte Film der bisher stets als 35mm-Enthusiastin aufgetretenen Sofia Coppola, und wie groß der ästhetische Verlust bei diesem Materialwechsel ausfällt, ist frappierend. Dabei fügt sich das Biopic thematisch nahtlos in das halbwegs homogene Werk Coppolas ein. Lediglich der Weg ihrer Protagonistin, hervorragend und ergreifend verkörpert von Cailee Spaeny, beginnt hier ein paar Schritte früher, in einem anderen Leben.

Denn das Leben im Goldenen Käfig, die Konfrontation mit einer tristesse royale jenseits aller existenziellen Nöte, die das Dasein praktisch aller Protagonist*innen in Coppolas Filmen prägt, ist für die zu Filmbeginn erst 14-jährige Priscilla zunächst einmal ein Fluchtpunkt. Als army brat aufgewachsen und mit ihrem Offiziersvater von Station zu Station ziehend, lernt sie den während seines Wehrdienstes in Hessen stationierten, zehn Jahre älteren Elvis Presley kennen und fühlt sich von der umwerbenden Aufmerksamkeit des weltberühmten Kindmannes geschmeichelt. Der Rockstar verkörpert für sie den Traum eines anderen, weniger monotonen Lebens. Auch wenn Priscillas Eltern den beträchtlichen Altersunterschied irritiert zur Kenntnis nehmen und sich fragen, was der Weltstar in ihrer minderjährigen Tochter sieht, geben sie am Ende nach und erlauben der inzwischen 17-Jährigen, in die USA zurückzukehren und mit dem King of Rock'n'Roll zusammenzuleben - in Graceland, jener schillernden Bombastkitsch-Parallelwelt, die Elvis für sich als Rückzugsraum aus der Welt, die ihm zu Füßen lag, erbauen ließ.

Wobei zusammenleben zuviel gesagt ist, denn während der langen Tourneen Presleys bleibt Priscilla allein mit feindseligen Managern und Hausangestellten zurück, der vermeintliche Palast gerät ihr immer mehr zum Gefängnis. Der Blick hinter die Zäune und Wände Gracelands durch ihre Augen könnte durchaus faszinierend sein, wenn der Film ein bisschen mehr Interesse für diesen Ort und die Träume, aus denen er errichtet wurde, aufbringen könnte. Denn die Geschichte Elvis Presleys - und das hier muss durchaus keine Geschichte über Elvis sein, aber zwingend eine über die Träume, die er für Priscilla und zahllose andere Teenagermädchen verkörperte - ist nicht zuletzt eine der heillosen Überforderung, und die Geschichte Priscillas, so wie Sofia Coppola sie erzählt, ist dort, wo sie am interessantesten ist, eine Geschichte darüber, wie sich Überforderung weitergibt an die Menschen um uns herum.



Am stärksten wirken eine Handvoll von Momenten nach, die gar nicht groß in den Vordergrund gestellt werden. Man sieht Priscilla inmitten von Elvis' allgegenwärtiger Bro-Entourage, einer scheinbar ewig adoleszenten Partycrowd, mit der sich der Superstar - in Wirklichkeit ein schlicht gestricktes Landei, das nie erwachsen wurde, weil es nie die Chance dazu hatte - in jeder freien Minute zu umgeben scheint. Graceland ist auch die ultimative Vorstudie zu Michael Jacksons Neverland Ranch - noch so ein eskapistischer Rückzugsort eines heillos überforderten, psychisch zugerichteten Rockstars, der schlussendlich selbst zum Täter wurde: die Idee eines Kindes davon, wie ein reicher Rockstar leben könnte. Auch Priscilla wird zugerichtet: das formbare Kind wird, fast vertigohaft, mehr und mehr zur Idee eines Glamour-Weibchens umgestyled. Solange, bis Elvis' Tablettensucht zu immer heftigeren Gewaltausbrüchen führt und Priscilla erkennt, dass sie ihr Leben fortan selbst in die Hand nehmen muss.

Sofia Coppolas Biopic reiht sich ein in eine ganze Reihe jüngerer Filme, die Geschichten von Frauen in goldenen Käfigen erzählen - entweder geht es dabei, wie in Pablo Larraíns eine Klasse besserer "Spencer", um den Ausbruch aus den Gefängnissen von Klasse und Tradition, oder, wie in den beiden sehr ähnlichen jüngeren Sissi-Filme "Corsage" und "Sisi & ich", um das Zugrundegehen daran. Das lässt sich natürlich als das Lebensthema Sofia Coppolas, dieser großen Melancholikerin des Kinos lesen, und immer wieder ist es ihr gelungen, ihm große, traurige Kinomomente abzuringen. Wenn der Funke jedoch nicht überspringt, wandelt sie auf einem schmalen Grat und ihre Filme laufen Gefahr, so redundant zu wirken wie die leeren Leben ihrer Protagonist*innen. "Priscilla" hat ein paar Spurenelemente solcher Augenblicke, die aus der grünlichen Digitalmatschtristesse hinaus auf etwas Größeres verweisen, schlägt aber viel zu selten wirklich Funken.

Jochen Werner

Priscilla - USA 2023 - Regie: Sofia Coppola - Darsteller: Cailee Spaeny, Jacob Elordi, Ari Cohen, Dagmara Dominczyk, Tim Post, Lynne Griffin - Laufzeit: 113 Minuten.