Im Kino

Saloon mit drolligen Aliens

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Thomas Groh
16.12.2015. Service am Fan, aber auch eine angenehm abgeranzte Erzählwelt hat J.J. Abrams' lang ersehnter Franchise-Relaunch Star Wars: Erwachen der Macht" zu bieten. Weitgehend Ton in Ton und außerdem eng am Text bleibt Sophie Barthes' bierernster Weltliteratur-Relaunch "Madame Bovary".

"Luke Skywalker has vanished." Der erste Satz aus dem Weltall-Schwebetext, mit dem die Mutter aller Blockbuster-Sagas zur Einstimmung aufs Szenario stets beginnt, bringt das Rätselraten in den letzten Wochen vor dem Kinostart von "Star Wars: Das Erwachen der Macht" treffsicher auf den Punkt. Denn verschwunden ist er seit 1983, als "Die Rückkehr der Jedi-Ritter" als letzter Teil der Original-Trilogie ins Kino gekommen ist, tatsächlich: Nicht nur logischerweise aus den übel beleumundeten Prequels, sondern auch aus der Kampagne zum neuen Film, die hoch und heilig versprach, endlich wieder "Star Wars", wie man es kennt und liebt, zu servieren: Kein Skywalker auf dem Plakat, kein Skywalker in den nach Salamitaktik verfütterten Trailers und Teasern. Sollte Skywalker etwa als sorgfältig gehütetes Story-Gimmick in den rund dreißig Jahren, die nicht nur real, sondern auch in der Erzählzeit der Saga seit seinem letzten Auftritt vergangen sind, zur dunklen Seite der Macht gewechselt sein?

Evil Skywalker? Immerhin zeichnete der von Disney nach der milliardenschweren Franchise-Übernahme mit der Wiederbelebung von "Star Wars" beauftragte Regisseur J.J. Abrams auch für die Serie "Lost" verantwortlich, die den aberwitzigen Plottwist zum heiligen Prinzip erhoben hat. Die Fandiskussionen jedenfalls liefen heiß. "Auf der Suche nach Mr. Spock" hieß der dritte Teil des Star-Trek-Kinofranchise, das J.J. Abrams zuletzt mit zwei Filmen einer Revitalisierung unterzogen hat. Seinen ersten Film nach dem Franchisewechsel könnte man entsprechend dem zentralen Antrieb der Geschichte mit "Auf der Suche nach Mr. Skywalker" überschreiben. Oder auch "Auf der Suche nach der Original-Trilogie".

Deren Welt liegt anfangs gepflegt in Trümmern: Zu den schönsten Szenen des Films - zumindest, wenn man eine Neigung zu apokalyptischer Verfallsästhetik hegt - zählen jene, in denen die überdeutlich als (großartiger!) Skywalker-Ersatz platzierte Plünderin Rey (Daisy Ridley) einen auf dem Wüstenplaneten Jakku gestrandeten Sternenzerstörer (eines der gigantischen Schlachtschiffe aus der ersten Trilogie) auf Einzelteile abgrast, in der Wüste ringsum X-Wing- und Tie-Fighter (die Nahkampf-Flieger von Imperium und Rebellion) verrotten und Rey schließlich im Schatten eines gestürzten AT-ATs (die vierbeinigen Angriffstransporter, wie man sie aus "Das Imperium schlägt zurück" kennt) eine Mahlzeit einnimmt. Hatten die ersten drei "Star Wars"-Filme noch den Look einer abgenutzten, materiellen Science-Fiction-Erzählwelt etabliert, wurden die Prequels nicht zuletzt für ihren geleckten Digitallook getadelt. "Star Wars: Das Erwachen der Macht" setzt von Anfang an Zeichen: Zurück zum Sand, zurück zum abgeranzten Plastik, das insbesondere im nostalgisch in Szene gesetzten "Rasenden Falken", Han Solos Schmugglerfrachter, zur Geltung kommen darf. "Star Wars" stinkt wieder nach Motoröl und speckigen Klamotten. Das ist erstmal schön.


Noch schöner wäre es allerdings gewesen, würde der Geist der Originaltrilogie tatsächlich nur so filigran gespensterhaft über diesem ersten Film schweben, wie es das erste Viertel mit seinen Sternenzerstörern im Dunst des Horizonts erhoffen lässt: Als Reverenz an die Vergangenheit, deren Einzelteile man zwar plündert, die aber doch bei etwas vielleicht nicht völlig Neuem, aber weitgehend Eigenständigem zum Einsatz kommen. Nochmal so ein Fan-Desaster wie die von Lucas' nachgereichte Prequel-Trilogie, die finanziell zwar einschlug, aber mit Leidenschaft gehasst wird, wollte Disney bei vier Milliarden Investition nicht riskieren: Keine Experimente, unbedingter Service am Fan, den man mit "Star Wars: Das Erwachen der Macht" vom dunklen Lucas-Empire abholen und auf die helle Seite der Disney-Macht bugsieren will.

"Star Wars: Das Erwachen der Macht" fühlt sich über weite Strecken an wie ein gereimtes Gedicht: Alles kehrt wieder, alles klingt an - Verschiebungen gibt es im Bereich weniger Buchstaben. Die Sturmtruppen sind wieder da (mit neuer Uniform), es gibt eine schwarz gekleideten, maskierten Bösewicht namens Kylo Ren (Adam Driver), das Imperium ist wieder da (heißt nun "First Order" und will wieder die Republik abschaffen), es geht um geheimnisvolle Pläne, die in einer Robotereinheit stecken (herzig: der R2D2-Nachfolger BB-8), eine Rebellion (die nun "Resistance" heißt), eine neue Hoffnung, die sich aus dem Wüstensand erhebt (Rey), eine schicksalhafte Begegnung dieser neuen Hoffnung mit ihrer eigenen Vergangenheit (bei der, wie einst in Obi-Wans Behausung, eine geheimnisvolle Schatulle geöffnet und eine mythische Vergangenheit referenziert werden muss), natürlich einen Saloon mit drolligen Aliens, von wo aus die Handlung Fahrt aufnimmt, eine gemeine neue Waffe, die das Gefüge der politischen Macht in dieser Galaxis zu ungunsten der Freiheit zu verschieben droht, einen Dogfight zur Zerstörung dieser Waffe - und vertrackte Familienangelegenheiten, die hier auf Bitten des Verleihs im Detail nicht wiedergegeben werden sollen. Kurz: Über weite Strecken ist "Star Wars: Das Erwachen der Macht" sklavisch ergebenes Quasi-Remake von "Star Wars: Eine neue Hoffnung". Die wenig eigenständigen Erweiterungen, auf die hier ebenfalls nicht eingegangen werden soll, rücken den Film fast schon und ungut in Richtung des Marvel-Superhelden-Franchise, das ebenfalls bei Disney untergekommen ist.

Die Originaltrilogie konnte ihren Stoff noch unbelastet entfalten. Kennzeichnend war dabei, dass die Filme sichtlich Bestandteil einer größeren Erzählwelt waren, aus der wir nur einen kleinen Ausschnitt zu Gesicht bekommen. Tatsächlich ließ dies die Filme atmen: Sie verströmten die gelassene, selbstverständliche Lebendigkeit einer in sich ruhenden Welt. "Star Wars: Das Erwachen der Macht" knüpft daran in der gelungenen ersten Hälfte an, in der das neue Figurenensemble (neben Rey auch gut: John Boyega als Finn) zusammengeführt wird.

In Turbulenzen gerät der Film allerdings, sobald er die erwarteten und zur künftigen Nutzbarmachung des Franchise dringend benötigten Nostalgieeffekte organisieren muss: Han Solo (Harrison Ford), dessen Film dies über weite Strecken ist, der "Rasende Falke" und Chewbacca (Peter Mayhew) rücken noch einigermaßen geschmeidig ins Filmbild, anschließend hakt der Film allerdings mit einiger Hektik eine mitunter nervige "To Do"-Liste ab. Dazu zählt die emotionale Dynamik, für die Lucas sich noch drei Filme Zeit lassen konnte, die hier aber über schnelle Dialoge und rasch eingeschobene Szenen abgefertigt wird. Zum Lancieren solcher Affekte ist eine bloße Checkliste kein guter Ratgeber. Und auch wenn "Star Wars" noch nie ein Musterbeispiel für plausibles Erzählen war, wiesen die Filme doch wenigstens inhärent eine funktionale Logik auf. "Star Wars: Das Erwachen der Macht" dagegen illustriert ein Drehbuch, das sich ständig allerglücklichste Zufälle und Notlösungen in den Schoß legt. In den ersten drei Filmen sah man zumindest genreimmanent lebendigen Figuren bei einem großen Abenteuer zu - in "Star Wars: Das Erwachen der Macht" wohnt man der sklavischen Umsetzung von Erwartungshaltungen bei. Viele Fans mögen sich das gewünscht haben. Be careful, what you wish for.


Das klingt alles negativer als es tatsächlich ist. Unbestritten gibt es tolle Gänsehautmomente, in denen die alte Magie wieder aufflammt - Danke, Abrams, dafür. Und besser als die Prequels ist dieser Neuauftakt allemal - zumal J.J. Abrams zweifellos ein guter Handwerker ist, der sich aufs Filmemachen versteht. Nüchtern betrachtet ist "Star Wars: Das Erwachen der Macht" vielleicht sogar das Beste, was diesem Neuauftakt passieren konnte: Innerhalb der Saga nimmt der Film die Funktion eines Scharniers zwischen alt und neu ein. Die alten Fans müssen ins Boot geholt, der Boden für eine neue Trilogie muss ausgebreitet werden. Der tolle Beginn des Films verspricht viel für die Zukunft - genau wie die letzten Bilder. Und nicht zuletzt war auch in der Originaltrilogie der zweite Teil der bei weitem stärkere Film. Wenn Disney sich daran hält, steht uns mit der für 2017 angekündigten Fortsetzung und der nicht nur aus feministischer Perspektive hochinteressanten neuen Hauptfigur Rey einiges ins Haus. Von daher gilt vielleicht doch wirklich: "Chewie, you're home indeed."

Thomas Groh

Star Wars: Das Erwachen der Macht - USA 2015 - Originaltitel: Star Wars: The Force Awakens - Regie: J.J. Abrams - Darsteller: Daisy Ridley, John Boyega, Harrison Ford, Oscar Isaac, Carrie Fisher, Adam Driver, Mark Hamill - Laufzeit: 135 Minuten.

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Laut imdb hatte Mia Wasikowska vor dem hier besprochenen bereits in vier anderen Historienfilmen mitgewirkt, die im 19. Jahrhundert spielen. Beim Nachzählen komme ich nur auf drei - und auch das nur unter der Voraussetzung, dass "Alice in Wonderland" als Historienfilm durchgeht. Freilich ist das konkrete Setting in dem Fall gar nicht so entscheidend: Die schlanke, blasse, hochgewachsene, zartgesichtige, auch sonst zerbrechlich anmutende Wasikowska fügt jedem Film, in dem sie auftaucht, einen gewissen viktorianischen Charme hinzu.

Wenn man sie dann auch noch in oft wechselnde, stets matt glänzende, faltenreiche Kleider steckt, abwechselnd durch herbstliche, nicht mehr ganz opulente Kulturlandschaften eilen und in großbürgerlich möblierten Repräsentantationsräumen herumstehen lässt; wenn man sie dann außerdem gelegentlich melancholische Blicke aus Fenstern hinaus beziehungsweise in Spiegel hinein werfen lässt; wenn man dann noch jede Menge flirrende Klaviermusik auf die Tonspur klatscht und neben einer Handvoll profilloser Schönlinge auch Arthauskino's favorite charming weirdo Paul Giamatti castet; dann wird, so dürfte die Kalkulation der Produzenten gelautet haben, schon niemand die Frage stellen, warum die Welt eine weitere geradlinige, bierernst gemeinte Adaption von Flauberts "Madame Bovary" braucht.


Tatsächlich bleibt nicht nur alles geradlinig, bierernst und stilistisch derart konservativ, dass man sich fast (aber nur fast) nach Wasikowskas vorheriger, sich immerhin noch einige ästhetizistische Mätzchen erlaubender Klassikeradaption "Jane Eyre" zurücksehnt, sondern auch Ton in Ton. Wasikowskas blaues Kleid passt ein wenig besser als das rote zu den Wiesen und Wäldern, durch die sie hüpft. Männer sind Schweine, manche große, andere noch größere. Die Sexszene mit dem zweiten, jüngeren Liebhaber hat etwas mehr Drive als die mit dem aristokratischen ersten - natürlich erst recht mehr als die mit dem Provinzarztehemann, der im Bett wie auch sonst überall nichts anderes liefern kann als brave, langweilige Pflichterfüllung. Aber zu größeren Ekstasen lässt sich ohnehin auch der Film nicht hinreißen. Die Ödnis des Landarztlebens bleibt Behauptung, und schon deshalb auch die Sehnsucht nach Glamour und Abenteuer, die aus ihm erwachsen soll.

Manchmal greift der Film tonal doch komplett daneben und unterlegt zum Beispiel eine Treibjagd, die der Bovary als Inbegriff der Weltläufigkeit erscheinen soll, mit weltschweren Chorälen. Wenn dann auch noch ein in die Enge getriebener Hirsch eine pathosgesättigte Großaufnahme erhält, scheint es kurz, als könnte diese Geschmacksentgleisung den Film dauerhaft und vielleicht sogar auf interessante Art aus dem Gleichgewicht bringen. Aber in dem Moment, in dem der Edelmann zum tödlichen Schlag ausholt, schneidet der Film vorsichtshalber doch lieber weg. Der grundlegende Modus des Films ist simpel: weiter im Text.

Wasikowska gibt sich Mühe, die Innerlichkeit, die ihr das in den Intrigenspielen der flaubert'schen (bei Flaubert freilich komplett nebensächlichen) Plotoberfläche sich verhaspelnde Drehbuch verweigert, sozusagen mit der Brechstange zu erzwingen, durch eher aufdringlich theatrale Schauspieltechnik. All das Zittern und Augenaufreißen läuft leider auch dem Viktorianischen bis fast Gespenstischen an ihr zuwider. Aber im Zweifelsfall zieht die Regisseurin Sophie Barthes ihrer Hauptdarstellerin sowieso lieber ein neues Kleid an, als ihr einmal frei und gerade heraus ins Gesicht zu blicken. Weltliteratur, reformuliert als Kleiderständer: Wenn es am Ende bergab geht mit der Bovary, kann man das vor allem daran ablesen, dass sie ihr Dekolleté nicht mehr wie am Anfang offenherzig rund, sondern spitz und zugeknöpft trägt.

Lukas Foerster

Madame Bovary - USA 2014 - Regie: Sophie Barthes - Darsteller: Mia Wasikowska, Ezra Miller, Rhys Ifans, Paul Giamatti, Henry Lloyd-Hughes, Laura Carmichael - Laufzeit: 118 Minuten.