Im Kino

Schock, Drama

Die Filmkolumne. Von Thomas Groh, Michael Kienzl
24.07.2019. Morgen beginnt in Frankfurt das Festival "Terza Vision" mit einem ungeheuer faszinierenden und variantreichen Blick auf die große, wilde, chaotische und hygienisch nicht immer ganz einwandfreie Zeit des italienischen Genre-Kinos. Dort zu sehen auch Dario Argentos "Suspiria" (1977) - ein Glanzstück des phantastischen Kinos, das Deutschland  als romantisch düster glühendes Märchenland zeigt. Eine Geschichte des Farbfilms ohne Argentos "Suspiria" ist nicht vollständig.
Nur wenig erinnert noch daran, aber lange Zeit war der italienische Genrefilm eine Konstante der (zumindest westlichen) internationalen Filmproduktion. Heute hauptsächlich eine Sache eines spezialisierten Fantums der Para-Cinephilie, war er ähnlich wie beispielsweise das türkische Yeşilçam-Phänomen ein konjunkturorientiertes Copycatkino: Große Erfolgsfilme zogen rasch produzierte "so ähnlich wie…"-Filme nach sich, mit dem Unterschied allerdings, dass der italienische Genrefilm - im Gegensatz zur Community-Orientierung der türkischen Filme - sich in seiner Hochphase stets als internationale Exportware verstanden hatte.

Regisseure gaben sich daher englische Pseudonyme (aus Antonio Margheriti, einem Realisateur aus der zweiten Reihe, wurde Anthony Dawson), die Filme gaben sich internationales Flair (ein paar Außenszenen in New York hat man immer schnell gedreht, für den Rest bleibt stets Cinecittà) und für in Hollywood aussortierte Schauspieler war Italien eine Art Plan B: Falls es zuhause nicht mehr klappt, go to the Italians. Oder man nutzte Italien als Sprungbrett: Dass Clint Eastwood als bis dahin weder gesichts-, noch dem Namen nach bekannter TV-Schauspieler von Italien aus zu Starruhm aufstieg, ist kein Zufall.

Entsprechend wurden die italienischen Filme ohne Tonaufnahme gedreht: Der oft aus vielen Nationen zusammengewürfelte Cast - auch ein Mario Adorf zum Beispiel pendelte eine Weile zwischen Deutschland und Italien, wo einige seiner besten Filme entstanden -  wäre vor der Kamera eh auf keinen Nenner zu bringen gewesen. Die Synchro ebnete am Ende ein, was beim Dreh noch nach babylonischer Sprachverwirrung geklungen hatte.

Das Geschäftsmodell war dabei im Licht heutiger kleinteiliger Mittelakquisen geradezu wegweisend: Insbesondere die günstiger produzierte Ware war oft schon vor Beginn der Dreharbeiten in der Gewinnzone: Auf den Filmmärkten der Festivals wurden Ideen anhand reißerischer Filmplakate verkauft, hatte man genügend Interessenten und Verleihgarantien eingefahren, gab es telefonisch grünes Licht nach Hause. Ein Drehbuch mit den wichtigsten selling points war schnell geschrieben, die Schauspieler hatten in der Regel Söldnermentalität und standen auf Abruf bereit, Produktion und Schnitt waren rasch erledigt, die italienischen Komponisten saßen eh dauernd überm Notenblatt (oder man bediente sich gleich in der in rauen Mengen produzierten Stock Music) und nach wenigen Monaten wurde das fertige Produkt ausgeliefert. Der Umsatz auf dem eigenen Markt - Italiens Publikum war lange Zeit sehr treu, insbesondere in der Provinz, wo der lautstarke abendliche Kinobesuch zur gesellschaftlichen Selbstverständigung zählte - machte die Bilanz zusätzlich fett.

So entstand ein einzigartiges, reiches, dynamisches Kino mit heute unverwechselbarer Textur, wiederkehrenden Gesichtern, Idiosynkrasien und nicht zuletzt einem sehr eigenen Sound - das von den Muppets bekannte "Mah Nà Mah Nà" entsprang ursprünglich dem softpornösen, sensationell schäbigen Bahnhofskino-Reißer "Schweden - Hölle oder Paradies", der sein empörungswilliges Publikum vorm Verfall der Sitten in Skandinavien warnte, wo der Kommunismus ausgebrochen sei (dass man sich im Zuge an ein paar Nuditäten erfreuen durfte, nahm das Publikum wahrscheinlich gerne in Kauf).



Auf Bedürfnisse von Feuilleton, Pädagogen und anderen Sorgenträgern wurde bei dieser Form des rein kommerziell orientierten Filmemachens in der Regel keine Rücksicht genommen. Langwierige Abnahmeprozesse und Endredaktionen waren nicht vorgesehen, die Geldgeber interessierte, was am Ende in der Kasse lag und also Kasse machte. Dies gab nicht nur - im Rahmen des Systems - Ekstatikern und verhinderten Künstlern Raum für Experimente, der italienische Genrefilm funktioniert heute auch wie eine mentalitätshistorische Zeitkapsel, die insbesondere die politischen Spannungen der sechziger und siebziger geradezu kondensiert von der Leinwand tropfen lässt. Von vulgärmarxistischen Allgemeinplätzen bis zu zornigen Rechtsradikalismen findet sich so ziemlich alles in diesem Kino - boulevardesk zugespitzt und mit Karacho in die Kinos gebracht. Wer dieses populäre Kino kennt, wundert sich nicht, woher heutige gesellschaftspolitische Social-Media-Exzesse rühren: Früher übernahmen solche Triebabfuhren jene Kino-Kaschemmen abseits der an Prestige orientierten Erstaufführungshäuser mit den guten Adressen.

Kurz: Das italienische Genrekino - ein Abenteuerspielplatz ersten Ranges. Denn nicht zu vergessen begünstigte dieser Produktionsmodus auch einfach jede Menge Irrsinn, Wahnwitz und waghalsiges Maverick-Kino, das seine Budgetbegrenzungen durch Einfallsreichtum ohne Rücksicht auf die eigenen Knochen wettmachte. Wer einmal gesehen hat, wie Mario Adorf an der Frontscheibe eines VW-Busses hängend den Maniker gibt, findet so schnell nicht zurück zum gesitteten Qualitätsfilm.



Zu Hochzeiten entstanden auf diese Weise jährlich mitunter hunderte Filme, stets den Markt im Blick: von kulissenhaften Filmentwürfen wie den Herkules-Filmen und dem vom Erfolg der britischen Hammer-Produktionen losgetretenen Gothic-Welle über die harten, zynisch-realistischen Western zum Thrillerkino (ob nun psychisch obsessiver Giallo oder reißerische Rechtsaußen-Poliziottesco) und der Commedia sexy all'italiana - von den endgültigen Abstürzen ins Bahnhofskino wie dem Actionreißer, dem Mondo-Film (spekulativ-ethnografisch "Dokumentar"-Filme über "Verkommenheit" und "Primitivität" indigener Kulturen von St. Pauli über Schweden bis ins tiefste Afrika), dem Kriegs- und Söldnerfilmen, dem Kannibalenfilm und Zombie-Splattermanschereien ganz zu schweigen. Nicht zu vergessen, wenngleich tatsächlich eher auf Italien beschränkt, daselbst aber von erheblicher Bedeutung: Das Melodram und die Lacrima-Filme - Filme, in denen es in der Regel um nach Schicksalsschlägen sterbende Kinder und deren Eltern geht. Wer einmal - wie im letzten Festivaljahrgang von "Terza Visione" - erlebt hat, wie ein Saal gestandener Italofilmfans beim "Letzten Schnee des Frühlings" dahinschmilzt, der kehrt aus dem filmischen Italien nie wieder ganz zurück (und mit "Am Tag, als der Weihnachtsmann weinte" dürfte dieses Jahr wohl ein ähnliches Großereignis ins Haus stehen).



Neben den USA war vor allem Deutschland ein zentraler Exportmarkt für Italien. Insbesondere die in den Metropolen rund um die Uhr bespielten Bahnhofskinos brauchten in rascher Folge Ware. Eine heute noch zu beobachtende Spätfolge dieses filmischen Achsenbündnisses ist die ungebremste Popularität des Spencer/Hill-Gespanns hierzulande, die zumindest noch nachvollziehbare Ahnung, dass auch Adriano Celentano in Deutschland mal immens populär war und nicht zuletzt das im allgemeinen durchgesetzten Wissen darum, dass ein Sergio Leone mit dem schon per Definition uramerikanischen Genre wie dem Western ausgerechnet in Italien Filmgeschichte geschrieben hat. Die deutsche Synchronisationskultur - anders als in den schauderhaften englischen Synchros italienischer Filme stößt man hierzulande selbst noch in schundigsten Produktionen auf gestandene, markante Stimmen - verlieh dem Italokino hierzulande eine eigene, spezifische und nicht ganz unumstrittene Anmutung.

Doch unter diesem Höhenkamm der Popularität liegen prall gefüllte Archive. Teilweise sind diese zwar ausgewertet: Diverse auf Italien spezialisierte DVD-Kleinlabels machen sich um die Bergung eines wichtigen Teils der Geschichte des populären Kinos immens verdient und eine zwar überschaubare, aber dafür umso familiärere Fan-Community vernetzt sich seit einigen Jahren zum Austausch im Netz. Doch liegen weite Teile der Archive auch bedauerlich brach und harren ihrer Wiederentdeckung und kontextueller Einordnung - was ist schon eine Filmkopie im Regal ohne Publikum im Saal und den Diskurs drumherum?

Zum nunmehr sechsten Mal macht sich daher ab morgen das ursprünglich in Nürnberg beheimatete, nunmehr in Frankfurt ansässige Festival "Terza Visione" daran, diesen Umstand wenigstens ein kleines bisschen zu lindern und greift beherzt in die Vollen. Von 1955 ("Das letzte Paradies", Folco Quilici) bis 1985 ("Die Lust", Joe D'Amato) reicht der abgedeckte Zeitraum, gezeigt wird die ganze Spannbreite des Italogenrefilms. Gespielt werden - zum Vergnügen des aus dem gesamten deutschsprachigen Raum anreisenden Publikums - ausnahmslose analoge Kopien: historische deutsche Verleihkopien, noch lieber allerdings teils mühsam aus italienischen Privat- und Kinemathekenarchiven herangeschaffte Kopien von Filmen, die - eigens per Hand restauriert und aufopferungsvoll untertitelt - mitunter erstmals überhaupt in Deutschland zu sehen sind.

Um reinen Fan-Service nach tarantino-eskem Vorbild geht es allerdings nicht. Zwar hat sich im Italo-Kino-Fantum längst ein eigenes Autoren- und Starsystem entwickelt - um die großen Drei, Mario Bava, Lucio Fulci und Dario Argento - kommt kein Italo-Genrefilmfestival herum. Doch neben diesen obligatorisch besetzten Positionen im Spielplan geht es weniger um bierseliges Abkulten altbekannter Ware, sondern um wagemutige Erkundungen bislang unerschlossenen Terrains.

So zählte zu den gewagteren Entscheidungen der letzten Jahre, den obligatorischen Fulci-Film nicht mit einem seiner typischen Horrorfilme zu bestücken, sondern stattdessen "Mit Damenbedienung" zu zeigen, eine leicht anzügliche, aber umso effektivere Sittenkomödie aus den frühen Sechzigern. Fulcis Werk, hierzulande insbesondere wegen seiner ab den späten Siebzigern am Fließband produzierten Zombie- und Schlitzersauereien berüchtigt, umspannt immerhin von den fünfzigern bis in die Neunziger das gesamte Spektrum der Goldenen Zeiten des Italo-Genrefilms und lässt sich schwerlich auf seine späte Bahnhofskinophase reduzieren. Engstirnigere Fans können freilich beruhigt sein: Mit "Das Haus an der Friedhofsmauer" läuft in diesem Jahr wieder ein Fulci, wie man ihn hierzulande kennt und liebt - eine pulp-poetische Variante des im Zuge von Kubricks "The Shining" wieder popularisierten Geisterhaus-Films, in dem sich eines der tristesten Kinder der italienischen Filmgeschichte - triste Kinder, ein Standard für sich im Italofilm - vor einem im Keller eingemauerten Dr. Freudstein fürchten muss.



So leisten die "Terza"-Kuratoren Andreas Beilharz und Christoph Draxtra filmhistorische Basisarbeit und legen einen auch durch die insulären Emphasen der Fankultur oft verzerrt wahrgenommenen Filmkontinent peu à peu frei. Das italienische Kino, das zeigt sich in Frankfurt immer wieder, ist mehr als Autorenkino auf der einen Seite und Western- und Horrorfilme auf der anderen. Es reicht an den Produktionsstandard von Hollywood vielleicht nicht ran - aber es ist eine immens umfangreiche, voll ausgeprägte Nationalkinematografie mit allen Wesensmerkmalen, die ein klassisches Genrekino braucht: Nähe zum Publikum, Konstanz der Produktion, regelmäßig bediente und dann wieder gebrochene Muster. Das Frankfurter Publikum, immer wieder von den Entdeckungen verzückt, dankt eine solche Perspektiverweiterung mit regem Zuspruch und obligatorisch tosendem Applaus zum Ende des Festivals.

Die erfreulich austarierte Balance zwischen nostalgischer Wiederbegegnung auf Grundlage werktreuen Filmmaterials und lustvoller Erkundungen führt mitunter auch dazu, dass ein heiliger Gral des Italo-Genrefilms überhaupt erst jetzt, im sechsten Jahrgang zu sehen ist: Dario Argentos "Suspiria" (1977) - ein Glanzstück des phantastischen Kinos, das insbesondere durch Luca Guadagninos Remake im vergangenen Jahr wieder einem breiteren Publikum ein Begriff wurde, und die endgültige Autorenfilmapotheose seines Machers. In legendär knalligen Primärfarben, die sich Argento im italienischen Genrefilm von Mario Bava geliehen und zugespitzt hat, erzählt der Meister von einer Ballettschülerin, die es aus New York nach Freiburg verschlägt (über eine Zwischenstation am Münchner Flughafen, dessen kühler Modernismus in Argentos Vision mit einem Mal zu einem Art-Déco-Gothic-Schausplatz mutiert), wo sie nach langen Verwicklungen die Machenschaften eines Hexenzirkels aufdeckt.



Gedreht am Vorabend des Deutschen Herbsts - einer im deutschen Bildgedächtnis eher mit erdigen Farbtönen verbundenen Periode zwischen braunem Cord, dunkelgrünem Parka und beigen Hemden - skizziert Argento Deutschland als ein romantisch düster glühendes Märchenland in satten Farben - Triumph der Cine-Ekstase über die schnöde Wirklichkeit: Nicht zuletzt in den entfesselten, inszenatorisch genau ausgetüftelten Mordszenen zeigt sich das Primat des Künstlichen. Der peitschend-manische Soundtrack der italienischen, ursprünglich im ProgRock beheimateten, sich aber rasch aufs Filmgewerbe verlegt habenden Band Goblin tut ein Übriges - Film als makabres Gesamtkunstwerk, das den Hinterhoftheatergrusel des Grand Guignol auf die ganz große Opernbühne holt.



Eine Geschichte des Farbfilms ohne Argentos "Suspiria" ist nicht vollständig - oder hat zumindest gesteigerten Erklärungsbedarf. Umso zentraler ist das Ausgangsmaterial bei der Betrachtung. Gerade ein Film, der seine Effekte durch ein komplexes Produktions- und Kopierverfahren erzielt - entgegen der allgemeinen Gerüchtelage ist der Film nicht auf Technicolor-, sondern auf Eastmanmaterial gedreht, aber der Technicolor-Prozess spielte eine zentrale Rolle bei der Produktion -, gerade ein solcher Film also stellt eine Herausforderung für jede Heimkinoaufarbeitung dar. "Suspiria" liegt mittlerweile in zahlreichen internationalen Editionen vor, von denen sich jede von den übrigen mehr oder weniger stark unterscheidet in Sachen Farb- und Lichtbestimmung. Wer einmal sehen will, wie sich Menschen im Netz gegenseitig zerfleischen, sollte sich eine Fanforendiskussion darüber zu Gemüte führen, welche Edition von "Suspiria" denn nun farblich die tatsächlich gültige ist. Eine Entscheidungsfindung, die dadurch, dass die Filme auf sehr unterschiedlicher Hardware mit sehr unterschiedlichen Einstellungen gesehen werden, noch erschwert wird.

Umso schöner und wichtiger, dass es Institutionen wie "Terza Visione" gibt, die historisches Material wieder zugänglich machen. Von "Suspira" ist eine im Technicolor-Farbdruckverfahren erstellte Kopie angekündigt - und somit ein authentisches Filmerlebnis.

Auf diese Weise wird auch eine Wiederbegegnung zu einem Entdeckungserlebnis. "Terza Visione", das ist im heißen Juli längst Tradition: Für wenige Tage im Sommer liegt Italien in Frankfurt am Main.

Thomas Groh

---

"Mania" (1974) spielt in einer Welt, die der unseren zwar ähnelt, in Wahrheit aber ihren eigenen Regeln gehorcht. Bereits der nächtliche, in ein radioaktives Grün getauchte Himmel lässt ahnen, wie kontaminiert hier nicht nur das soziale Miteinander ist, sondern auch die gesamte Umwelt. Der Titel von Renato Polsellis Horrorfilm ist Programm: Nicht nur seine Protagonistin wird vom Wahnsinn überwältigt, auch der Film selbst befindet sich in einem Zustand permanenter Hysterie. Dementsprechend darf man von ihm nicht erwarten, fein säuberlich zwischen Fakten und Täuschungen zu unterscheiden; oder wie uns der Erzähler zu Beginn warnt: "Niemand wird mehr wissen, wo die Wirklichkeit endet".
 
Filmstill aus "Mania"


Lässt man einmal die kleinen Sonderbarkeiten und Ungereimtheiten beiseite - die nicht nur einen beträchtlichen Teil des Films ausmachen, sondern oft auch die eigentliche Attraktion sind - bleibt folgende Handlung: Lisa (Eva Spadaro) betrügt ihren Gatten, den Wissenschaftler Brecht (Brad Euston), mit seinem Zwillingsbruder Germano (ebenfalls Euston). Das führt irgendwie zu einem Unfall, bei dem Brecht ums Leben kommt. Während Lisa zwischenzeitlich mit einem neuen Mann zusammengekommen ist, wird sie von Schuldgefühlen und Wahnvorstellungen, vielleicht sogar von übernatürlichen Kräften um den Verstand gebracht. Als Teil einer Konfrontationstherapie soll sie schließlich zurück in ihre alte Villa, wo immer noch der verstümmelte Germano haust und das Unheil nicht lange auf sich warten lässt.
 
Polselli - der "Mania" wie auch andere seiner Exploitationfilme unter dem Pseudonym Ralph Brown gedreht hat - verbindet Motive aus Gothic Horror und dem Haunted-House-Genre mit einem finsteren Melodram, in dem die Liebe sich immer auch in einen irrationalen Zerstörungszwang verwandeln muss. Die Produktionsbedingungen waren offensichtlich nicht die allerbesten (wenig Geld, Zeitdruck). Umso interessanter ist, wie der Film davon unbekümmert einen ziemlich wilden und unberechenbaren, teilweise fast experimentellen Stil entwickelt, der von harten Schnitten und abrupten Sprüngen geprägt ist.
 
Polselli setzt auf das Prinzip Überforderung. Allein die erste Szene, die ein abenteuerliches Streitgespräch am Steuer zeigt, ist ein Chaos aus Soundeffekten, Musik und hyperemotionalem Geschrei, in das sich stakkatohaft Szenen aus der Vergangenheit schieben, während das streitende Paar immer wieder von einem führerlosen Auto überholt wird. Abgesehen vom schönen Soundtrack Umberto Cannones, der einen Bogen von morbider Orgelmusik bis zu psychedelischen Rockexzessen spannt, geht in "Mania" kaum etwas geschmeidig ineinander über. Alles ist Schock, Drama, ohne behutsame Einführung einfach schon da. So wie Lisa, die nicht angemessen dramatisch in die gespenstische Villa zurückkehrt, sondern sich, wie man in einem Nebensatz erfährt, schon längst in ihrem Zimmer eingerichtet hat. Man sagt, sie habe sich durch den Hintereingang geschlichen.
 
Auch wenn sich eigentlich alle Schauspieler im absoluten psychischen Ausnahmezustand befinden, ist es vor allem Eva Spadaro (für die es die einzige Rolle bleiben sollte), die das Kräftezentrum von "Mania" bildet. Ihr Körper bebt, die Augen stieren vor Anspannung, immer wieder beginnt sie unvermittelt zu brüllen und steckt sich gerne vor Verzweiflung irgendwelche Dinge (Schlüssel, ihre Finger) in den Mund. Die innere Zerrüttung ihrer Figur verkörpert sie mit maximalem Ausdruck. In den Rückblenden trägt sie auch noch eine gigantische blonde Perrücke, mit der sie wie eine nachlässig gestylte Drag Queen aussieht. Sie ist manchmal nervtötend, aber immer furchtlos in ihrer Hingabe. Genau diese Unbekümmertheit ist das Tolle an "Mania", weil der Film den Wahnsinn, den er umkreist und beschwört, auch als Freibrief sieht, sich von wirklich gar nichts mehr zügeln zu lassen. Oder wie es der Erzähler am Anfang ausdrückt: "die unkontrollierbaren Kräfte des Unbewussten" freilässt.

Michael Kienzl

Terza Visione - Festival des italienischen Genrefilms, Filmmuseum Frankfurt, 25. bis 28. Juli. "Suspiria" steht am 25.7. Um 22:30 Uhr auf dem Programm, "Mania" am 27.7. Um 20 Uhr.