Intervention

Die Symbolik der roten Hand

Von Thierry Chervel
12.03.2024. Einige der Stars traten bei der Oscar-Verleihung mit einem auffälligen Pin auf. In einem roten Kreis wurde eine rote Hand gezeigt, auf ihre Handfläche ist noch ein schwarzes Herz gezeichnet. Die Hand ist das Signet der Initiative "Artists Call for Cease Fire Now".  Die Hollywood-Stars sind sich der finsteren Symbolik des Zeichens offenbar nicht bewusst.
Einige der Stars traten bei der Oscar-Verleihung mit einem auffälligen Pin auf. In einem roten Kreis wurde eine rote Hand gezeigt, auf ihre Handfläche ist noch ein schwarzes Herz gezeichnet. Die Hand ist das Signet der Initiative "Artists Call for Cease Fire Now". Unter anderem zeigten sich Billie Eilish, Mark Ruffalo, Ramy Youssef mit diesem Zeichen. Youssef spricht hier darüber:


Die Initiative fordert den amerikanischen Präsidenten auf, für einen sofortigen Waffenstillstand einzutreten. Die "sichere Freilassung der Geiseln" wird zwar auch gefordert, aber ein "Kontext" - das war doch mal ein Schlagwort - des israelischen Angriffs in Gaza wird nicht erwähnt, wie üblich in dieser Art von Aufrufen. Die Hamas wird nicht verurteilt, von Terrorismus ist nicht die Rede, auch die 1.200 friedlichen Menschen, die an einem beschaulichen Feiertag in in ihren Häusern oder beim New-Age-Nova-Festival massakriert wurden, finden keine Erwähnung. Das Eigenartige an diesem großen Narrativ vom Gaza-Krieg ist, dass es immer erst mit dem zweiten Kapitel anfängt.

Das Symbol wurde nicht erst für die Oscar-Nacht geschaffen, schon bei der Grammys-Verleihung hatten es sich einige Stars an die Brust geheftet. Die Frage ist: Wer hat sich eigentlich für diese sicher gut gemeinte Aktion die "rote Hand" als Signet ausgesucht? Was symbolisiert sie? Die Hand ist vielleicht als eine Art Stopzeichen gemeint, eine Geste des Einhaltgebietens, oder des Segnens?

Die rote Hand kursiert als Symbol seit dem 7. Oktober. Den Hollywood-Stars ist sicher eine Aktion von Kunststudenten unbekannt, die in Berlin Aufsehen erregte: Etwa hundert Studenten der Universität der Künste hatten sich unter dem Motto "It's not complicated" in der Eingangshalle der Kunst- und Musikhochschule versammelt und sich die Handflächen rot bemalt. Bei ihrer Aktion wedelten sie johlend mit ihren roten Handflächen, "als Zeichen, dass angeblich Blut an den Händen deutscher Politiker klebe", interpretierte Julian Sadeghi in der taz. Zuerst hatte Claudius Seidl am 28 November in der FAZ berichtet (unser Resümee). Er betrachtete die Aktion der Studenten auf einem Video, denn die Aktion lag zu diesem Zeitpunkt schon zwei Wochen zurück. Der Protest galt Norbert Palz, Präsident der UdK, der sich in einer offiziellen Stellungnahme solidarisch mit Israel erklärt hatte.

Hatten die Studenten die "rote Hand" bewusst eingesetzt, um auf ein Ereignis anzuspielen, das Israel im Jahr 2000 entsetzt hatte? Für Israelis verknüpft sich mit der roten Hand nämlich eine ganz klare Assoziation. Im Oktober 2000 hatten sich zwei israelische Reservisten, Vadim Nurzhitz und Yossi Avrahami, nach Ramallah verirrt. Sie wurden erst von der Polizei aufgegriffen, dann von einer mordlustigen Menge auf das Sadistischste gelyncht. Die umstehende Menge geriet in einen seit dem 7. Oktober auch der Weltöffentlichkeit bekannten Blutrausch. Am Fenster zeigte einer der Mörder seine vom Blut geröteten Hände vor. Die Menge antwortete mit frenetischem Applaus und Geschrei. Auch Organe der beiden jungen Männer, die die Mörder aus deren Leibern gerissen hatten, wurden im Triumph herumgezeigt (mehr dazu hier in Belltower).

Auf diesen "Kontext" (man mag das Wort nicht mehr benutzen) der UdK-Aktion hatte auch Maria Ossowski schon am 11. Dezember in der Jüdischen Allgemeinen hingewiesen. "Die Hochschulleitung reagierte zwei Wochen lang nicht", resümiert sie bitter. "Dann erst… gelobte sie, derlei in Zukunft zu vermeiden. Der Rektor gab für den Fall der Fälle den jüdischen Studierenden seine Mobiltelefonnummer. Mit solchen Maßnahmen lässt sich ein struktureller Antisemitismus der angeblich künstlerischen Nachwuchs-Elite allerdings kaum bekämpfen."

Auch nach der gestrigen Hollywood-Nacht wurde von jüdischen Twitterern auf das blutige Geschehen im Jahr und die Symbolik der roten Hand aufmerksam gemacht.


Es gibt auch andere Assoziationen, die mit der "roten Hand" verknüpft werden. Indigene in Kanada benutzen das Zeichen, um auf Kolonialverbrechen gegen sie aufmerksam zu machen, heißt es bei Twitter. Die "rote Hand" wurde auch während der Judenverfolgungen im Irak 1940 benutzt, um die Wohnhäuser von Juden zu kennzeichen, heißt es in einem Bericht der BBC.

Die Hollywoodstars dürften sich des Traumas der Israelis, als sie ihr Symbol wählten, nicht bewusst gewesen sein. Mildernde Umstände kann man ihnen dennoch nicht zubilligen. Ihre Wahl dokumentiert - neben einer rasenden Dummheit - die fast vorsätzlich wirkende Tendenz zur Leugnung dessen, was am 7. Oktober geschah. Das ist sicher einer der entsetzlichsten Aspekte des 7. Oktober: Dass das Verbrechen und dessen Leugnung sozusagen parallel liefen. Das Zeichen wurde ja wie gesagt schon am 4. Februar bei den Grammys gezeigt. Kann es sein, dass niemand die Initiatoren auf die Problematik dieses Zeichens hingewiesen hat? Hätten die Stars nicht spätestens in diesem Moment entsetzt vor ihrer Wahl wie vor einem finsteren Lapsus zurückweichen müssen? Aber sie werden sich doch nicht von einem Pogrom an ein paar hundert Juden in ihrer schönen Moral stören lassen!

Thierry Chervel