Intervention

Mitgeschleppt

Von Thierry Chervel
25.09.2023. Axel Brüggemann zeigt in seinem Buch "Die Zwei-Klassik-Gesellschaft" die vielfältigen Aspekte der Krise im Kulturbetrieb. Sie betrifft auch den Kulturjournalismus und führt zu gefährlichen Lücken in der Öffentlichkeit. Abhängigkeiten im Betrieb sind mit Blick auf den Ukraine-Krieg durchaus auch politisch von Belang. Aber im Feuilleton wird nicht recherchiert.
Axel Brüggemanns demnächst erscheinendes Buch "Die Zwei-Klassik-Gesellschaft", aus dem wir in dieser Woche vorblättern, ist ein Aufruf zur Debatte, den wir gerne weiterverbreiten möchten: Das Buch thematisiert viele wunde Punkte, die in den Zeitungen und den Sendern allenfalls am Rande und mit großer Schüchternheit berührt werden, weil es hier immer auch um den eigenen Status, die eigene Bedeutsamkeit geht und man nicht gern vor dem Publikum den eigenen Niedergang zur Debatte stellt.

Zugleich stecken aber alle Institutionen der klassischen Musik, die in Brüggemanns Buch vorkommen, in den tiefsten Krisen seit ihrer Entstehung: die Theater, die Medien, der öffentlich-rechtliche Rundfunk, die Orchester, der Musikunterricht. Das Gefüge ist in eine bizarre Schräglage geraten, weil jene Institutionen, die staatlich oder über Gebühren finanziert werden, oft üppig ausgestattet bleiben wie und eh je, sich der Sinnfrage verweigern - die ihnen am Ende doch nicht erspart bleibt: Bei den Premieren sind die Theater vielleicht noch voll, in den Repertoire-Aufführungen sehen sie aus wie eine Katholischen Kirche in Bremen am Sonntagmorgen.

"Die Bühne spielt nicht nur in meiner alten Heimat Bremen kaum noch eine Rolle", schreibt Brüggemann, "Musikunterricht wird an vielen Schulen gar nicht mehr gegeben - und in der öffentlichen Debatte ist die Stimme der darstellenden Kunst kaum noch wahrnehmbar. Aktuelle Themen werden bei Maybrit Illner oder Markus Lanz verhandelt, nicht mehr auf der Bühne des Theater Bremen." Und niemals, niemals würde bei Will oder Lanz über kulturelle Themen gestritten, und wären sie noch so existenziell: Kultur gilt in deutschen Chefredaktionen als Gedöns. Die Äußerungen des WDR-Intendanten Tom Buhrow, der als erstes die Orchester der Sender zur Disposition stellen will (unsere Resümees) sprechen Bände: Sie gehören teilweise zu den besten Orchestern der Welt, aber man schleppt sie mit, in den Hierarchien der Sender haben sie keinen Status. Die Kultursender werden unterdessen gleichgeschaltet: Künftig soll es in den Sendern der ARD nur noch eine Kritik pro Buch geben.

Die privaten Medien können diesen Niedergang kaum widerspiegeln, weil sie erstens selbst zum Betrieb gehören, aber zweitens keine Subventionen erhalten. In den Zeitungen, zeigt Brüggemann in dem von uns vorabgedruckten Kapitel, ist die Kritik schon zum großen Teil geschleift. Dass Zeitungen sich noch Film-, Klassische-Musik- oder Pop-Redakteure halten, ist eher die Ausnahme. Redakteure machen Blatt, allenfalls unter Freien gibt es die Spezialisten noch. Damit hat sich die Macht verschoben: Marcel Reich-Ranicki, Joachim Kaiser oder Fritz J. Raddatz waren als Spezialisten Machtfiguren, Kaiser dabei auch für Klassische Musik. Spätestens seit Frank Schirrmacher war die Selbstinszenierung der Zeitung der Machtfaktor. Und seit dem Tod Schirrmachers gilt nicht mehr mal dies.

Zeitungen haben durchaus noch Macht, aber eben relativ und in einem an allen Ecken bröckelnden Kontext. Der empfindlichste Punkt, den Brüggemann anspricht (nicht in der von uns vorabgedruckten Passage), ist, dass Feuilletons nicht recherchieren: Die politisch kulturellen Verflechtungen gerade der klassischen Musikszene mit Putins Machtapparat werden in den Zeitungen darum kaum je thematisiert. Schließlich war es ein berühmter Cellist, Sergei Roldugin, der in den "Panama Papers" als Strohmann für Putins Milliarden entlarvt wurde.

Brüggemann war auch derjenige, der in seinem Crescendo-Newsletter immer wieder auf die innige Putin-Nähe des Dirigenten Teodor Currentzis hinwies, der zugleich Chefdirigent des SWR-Orchesters ist. Der Mann wird in Russland von Putins Gasmännern finanziert. Dass kaum Journalisten der großen Zeitungen auf diese Themen eingingen, zeigt nicht nur nur ein naives Kulturverständnis - als gebe es in dieser Sphäre keine Netzwerke, keine politische Einflussnahme, kein Geld, das hin- und hergeschoben wird, und keine Ausschlüsse von Musikern, damit andere Musiker auftreten können -, es zeigt auch eine Nähe mancher Journalisten zu den Theatern und Festivals, die diese putinistischen Musiker beschäftigen und die sich nicht selten ebenfalls von Putin-nahen Oligarchen sponsorn ließen. Die Journalisten hängen am Ende mehr von diesen Institutionen ab als diese von den Medien.

Denn die Lage freier Journalisten ist in heutigen Feuilletons noch prekärer als sie immer schon war. Ihnen werden von den Zeitungen oft nicht mal mehr die Reisen zu bestimmten Ereignissen bezahlt. Allerdings liegt das nicht erst am Internet. Es ist schon seit langem normal, dass Institutionen Kulturjournalisten einladen. Auch ich habe in meiner Zeit als taz-Journalist von solchen Einladungen schon vor über dreißig Jahren profitiert: Ich hätte nie über das Max-Ophüls-Festival in Saarbrücken für die taz berichten können, wenn es mich nicht eingeladen und die Reise bezahlt hätte. Damals hielt ich das in aller Naivität für eine selbstverständliche Gepflogenheit. Heute weiß ich: Das ist Korruption. Institutionen kaufen sich auf diese Weise billig Relevanz. Sie brauchen die Zeitungsartikel, um sie als Snippets in ihre Pressemappe zu tun. Nur so ist der Kulturminister am Ende mit der Resonanz zufrieden und gibt im nächsten Jahr wieder Geld. Und billiger als eine Anzeige ist es auch noch. Sowohl Medien als auch Institutionen müssten über solche Gefälligkeiten zumindest Transparenz herstellen.

Ich weiß, wie ich staunte, dass Kollegen von der FAZ oder der Zeit, sogar von Festivals wie Cannes ihre Hotelbetten bezahlt bekamen. Um wieviel problematischer muss es heute stehen, da die Institutionen selbst um ihren Status bangen und die Zeitungen ökonomisch längst nicht mehr die Gelddruckmaschinen sind, die sie mal waren. Vieles ist im Kultur- und Medienbetrieb unausgesprochen.

Und übrigens: Da Medien ja immer wieder so kühn die Frage stellen, was den Verdruss so groß macht: solche Kleinigkeiten spielen dabei eine Rolle. Das Publikum ist nicht blöd.

Thierry Chervel