Im Kino

Schlittenfahrt in die Hölle

Die Filmkolumne. Von Michael Kienzl
06.03.2024. Zwei ungleiche Freundinnen machen sich in Ethan Coens "Drive-Away Dolls" auf ins konservative Florida. Der Road Movie und Gangsterkomödie verbindende Film besticht durch die sich aneinander reibenden Hauptdarstellerinnen.


Der drive-away-Service von Curlie (Bill Camp) verbindet unterschiedliche Interessen zu einem kostengünstigen Kompromiss. Wer einen Mietwagen zu einem bestimmten Ort benötigt, erhält von dem missmutigen älteren Herrn ein Auto, das ohnehin zu diesem Ziel gebracht werden muss. In "Drive Away Dolls" werden durch diese, für Verwechslungen und schmutzige Geschäfte anfällige Dienstleistung nicht nur zwei Geschichten, sondern auch zwei Genres verknüpft: ein Road Movie mit einer Gangsterkomödie.

Ersteres dreht sich um die mit reichlich mackerhaftem Charme ausgestattete Jamie (Margaret Qualley), die ihre zugeknöpfte Freundin Marian (Geraldine Viswanathan) in deren Heimatstadt Tallahassee begleitet. Noch vor der Abreise sorgt die Stadt im konservativen Florida für verzogene Gesichter und abfällige Bemerkungen. Hier möchte man nicht einmal gestorben sein. Auf den Kofferraum kritzelt Jamie deswegen: "Liebe ist eine Schlittenfahrt in die Hölle". Doch ganz der Logik eines filmischen Road Trips folgend, ist der Weg das eigentliche Ziel. Zwar sind beide Frauen lesbisch, aber erst einmal nicht mehr als gute Freundinnen. Die Fahrt entlang der Ostküste lässt Jamie jedoch nicht nur etwas zahmer und Marian etwas lockerer werden, sondern bringt die beiden auch einander näher.

Die Dynamik zwischen den Frauen beruht auf extremen Gegensätzen. Jamie gibt mit Jeansweste und tief gebrummtem Texanisch gerne die draufgängerische Verführerin, während Marian der Welt so skeptisch und verachtungsvoll gegenübersteht, dass ihr nur der Verzicht bleibt; was im Film gleichbedeutend ist mit Henry-James-Bücher zu lesen. Jamie versucht, ihre Freundin immer wieder zu bearbeiten, was oft zu lustig angespannten Situationen führt und die beiden schließlich in die Arme experimentierfreudiger Fußballerinnen treibt, die wie übermenschliche Sexgöttinnen wirken.



Die Freude an dem sich erst im übertragenen und später auch im buchstäblichen Sinn aneinander reibenden Schauspielerinnenduo macht den größten Reiz des Films aus. Besonders Geraldine Viswanathan - die oft nicht mehr als ein Minimum an Mimik braucht, um eine Szene an sich zu reißen - ist toll. Dafür muss Marian nur etwas dumm oder anmaßend finden, sei es eine freizügige Perfomance ihrer Freundin oder einen pedantischen Provinz-Cop. Ihr erster Auftritt ist schon die beste Szene des Films: Einen flirtenden Kollegen zerlegt sie mit staubtrockener Verachtung in seine Einzelteile. Dass die Probleme der beiden Frauen bald weniger alltäglich sind, hat damit zu tun, dass das klapprige Mietauto eigentlich für jemand anderen gedacht war und eine heiße Fracht enthält.

Die antagonistische Energie zwischen Jamie und Marian spiegelt sich, wenn auch deutlich weniger lustig, in den beiden Gangstern, die sie verfolgen. Während der eine (Joey Slotnik) elegant mit charmantem Small Talk an sein Ziel kommen will, ist der andere (C.J. Wilson) ein maulfauler Brutalo, der als Gentleman alter Schule immerhin keiner Frau ein Haar krümmen kann - was sich im entscheidenden Moment natürlich als Vorteil erweist. "Drive Away Dolls" ist Ethan Coens erste Regiearbeit ohne seinen Bruder Joel. Dafür ist Ethans Frau Tricia Cooke gleich in mehreren Funktionen (Drehbuch, Produktion, Schnitt) an dem Film beteiligt, der manchmal wie eine spritzigere und freizügigere Version von "Thelma und Louise" wirkt. Der Film hat ein gutes Händchen für Situationskomik sowie zotige Witze (eine Lesbenbar in der Provinz heißt "Butterdose") und öffnet mit seinen, zunächst ohne erkennbare Motivation auftauchenden, psychedelischen Zwischenspielen einen beknackten Handlungsstrang um einen erzkonservativen Senator (Matt Damon) und seine Jugendsünden. Lobend erwähnt sei außerdem Beanie Feldstein als Jamies rachsüchtige Ex-Freundin sowie ihr notgeiles Hündchen.

Obwohl "Drive Away Dolls" über solche hochkarätigen Einzelteile verfügt, gelingt es Coens Regie, einem doch auch immer wieder auf die Nerven zu gehen. Bereits aus der Eröffnungsszene, die von der Herkunft des Koffers handelt, wird eine Slapstick-Nummer mit weit aufgerissenen Augen und gekippten Einstellungen, bei der vor lauter steifem Gestackse der Humor auf der Strecke bleibt. Auch danach verkünstelt der Film vieles durch seine demonstrativ wissende und ironisierende Erzählperspektive. Oft werden Situationen mit postmodernem Quatsch bis zur Verfremdung übertrieben. Mal ist es eine Autopanne, die unverhältnismäßig dramatisch geschnitten ist, mal "lustige" Szenenübergänge, bei denen Leuchtreklame mit eine lauten "Klong" ins Bild rauscht oder ein absurd endlos in die Länge gezogener Schrei, der einen Überfall zum Erliegen bringt. Als Einzelmoment wäre das alles verschmerzbar, auf die Dauer sabotiert dieser abgeklärte, gewollt schlaue Erzählton das Komische regelrecht. Da passt es dann auch, dass die Schlussszene auf eine selbstgefällige Pointe gegen die berüchtigte homophobe Politik des Sunshine States hinausläuft. 

Michael Kienzl

Drive-Away Dolls - USA 2024 - Regie: Ethan Coen - Darsteller: Margaret Qualley, Geraldine Viswanathan, Beanie Feldstein, Joey Slotnick, C.J. Wilson, Colman Domingo, Bill Camp - Laufzeit: 84 Minuten.