Im Kino

Mit einem breiten Grinsen

Die Filmkolumne. Von Robert Wagner
06.07.2023. François Ozon führt uns mit seiner federleichten, gutgelaunten Farce "Mein fabelhaftes Verbrechen" ins Paris der dreißiger Jahre: Ein Mordverdacht entpuppt sich als Karrierevehikel für eine junge Schauspielerin und ihre Anwältin. Ein wenig Dschungelcamp und Co. schwingt mit, und Isabelle Huppert hat einen großen Auftritt.


Ganz harmlos wird hierzulande ein kleines, spritziges Adjektiv in den Titel eingefügt, wodurch aus "Mon crime" im Deutschen "Mein fabelhaftes Verbrechen" wird. Wohl, damit der Zuschauer sich gleich einen fabelhaften Film vorstellt. Diese Änderung ist gar nicht so unbedeutend, da die Betonung nun auf dem Verbrechen liegt, welches durch eine Eigenschaft ergänzt wird. Dieses Vergehen, ein Mord, ist an sich überhaupt nicht entscheidend. Viel wichtiger ist, dass die Figuren es für sich beanspruchen, um darüber ihre Identitäten zu definieren. Der Kern von François Ozons Film liegt im Besitzanspruch, im nun an den Rand gedrängten "mein".

Paris 1935: Die Schauspielerin Madeleine Verdier (Nadia Tereszkiewicz) und die Anwältin Pauline Mauléon (Rebecca Marder) finden keine Arbeit, sind dementsprechend verarmt, die Zwangsräumung aus der gemeinsamen Wohnung droht. Da kommt es gerade recht, dass Madeleine verdächtigt wird, einen übergriffigen Theaterproduzenten ermordet zu haben. Nun können beide vor Gericht zeigen, aus welchem Holz sie geschnitzt sind. Pauline gesteht und führt vor Gericht hollywoodreife Darbietungen eines von Gesellschaft und Männern misshandelten Mädchens auf, das sich zur Verteidigung gezwungen sah. Und Pauline offenbart sich als talentierte Drehbuchautorin, die mit Worten das Publikum so zu dirigieren weiß, dass selbst aus einer gravierenden Schuld der Glorienschein einer Heldin entstehen kann. Weshalb es nicht verwundert, dass sich die beiden bald nicht mehr vor Jobangeboten retten können.



Es sind aber nicht nur die beiden jungen Frauen, die den Mord an sich reißen wollen. Die Justiz würde dieses Verbrechen nur allzu gerne für eigene Zwecke nutzen und mit einer schnellen Aufklärung und Verurteilung von ständigen Fehlurteilen ablenken. Nachahmungstäter tauchen auf, die etwas vom Glamour und Erfolg Madeleines abhaben wollen. Ein Liebhaber kehrt zu der nun finanziell unabhängigen und gefragten vermeintlichen Verbrecherin zurück, um einer arrangierten Ehe zu entfliehen und ein romantischer Mann zu sein. Die Mörderin höchstselbst wiederum erpresst Madeleine und Pauline, indem sie droht, die tatsächliche Täterschaft zu offenbaren. Kurz: Die Figuren kämpfen mal gekonnt, mal unbeholfen, vor allem aber durchgängig um potente Außendarstellungen und kalkulierte Behauptungen von Identität.

Trotz der zeitlichen Verortung zielt Ozon augenscheinlich auf gegenwärtige Debatten: Pauline instrumentalisiert #MeToo für ihre Geständnis- und Verteidigungsstrategie. Überhaupt denken die meisten nur in Hinblick auf ein Publikum, als müssten Twitter- und Instagram-Feeds gefüllt werden. Isabelle Huppert hat einen großen Auftritt als Stummfilmdiva, die gegen ihr Vergessen kämpft, die zurück ins Rampenlicht will, zuallererst aber Geld abgreifen möchte. Ein deutlicher Verweis auf "Sunset Boulevard". Aber während Norma Desmond in Wilders Film nach dem großen Rampenlicht giert, gestaltet sich der Kampf um Plätze in der öffentlichen Wahrnehmung in "Mein fabelhaftes Verbrechen" viel profaner. Sprich: Ein wenig Dschungelcamp und Co. schwingt mit.

So klar aktuelle Diskurse aufgegriffen werden, so sehr geht der Film einer ernsthaften Diskussion aus dem Weg. Gesellschaftsanalyse ist nicht Ozons Ding. So gesehen passt der deutsche Titel doch wieder. Denn "Mein fabelhaftes Verbrechen" ist zuvorderst eine federleichte, gutgelaunte Farce. Der inkompetente, aber schnell urteilende Untersuchungsrichter gehört nicht in ein Drama über die Justiz, sondern ist in seinem Streben nach Anerkennung, das an seiner Hanswurstigkeit scheitert, eine sensationelle Komödienfigur. Das Paris der 1930er sieht nicht von ungefähr nach einer farbenfrohen Theaterbühne aus.



Nachdem sich Ozon zuletzt mit "Peter von Kant" von seiner bemühten Kunsthandwerksseite zeigte, überrascht, wie einfach ihm hier alles von der Hand geht. Die Geschwindigkeit ist durchgehend hoch, aber nicht rasend. Die Diskurse sind ernst, verlieren im beständigen Strom der guten Laune aber jede übermäßige Gravitas. Die Schauspieler schlagen vergnügt Volten mit ihren Identitäten und schaffen damit fast eine Schmierenkomödie. Sie landen aber doch immer punktgenau bei einem Augenzwinkern und überspannen den Bogen nicht. Isabelle Hupperts Version von Norma Desmond ist eine Sitcom-Figur, die an der Tragik und dem Horror der Vorlage nie auch nur kratzt.

Genau dieses Lauwarme ist das Subversive an der Sache. Madeleine und Pauline instrumentalisieren die sie umgebene Gesellschaft und deren Misogynie, Oberflächlichkeit und Gier. Sie lügen ihrer Umwelt dreist ins Gesicht und bedrohen damit den Wandel, den sie propagieren. Opfer scheint es keine zu geben. Außer vielleicht der Wahrheit. Aber Ozon zeigt sich von seiner hellsichtigen und selbstbewussten Seite, epistemologische Moraldiskussionen will er nicht austragen. Sein Punkt ist ein anderer.

Unserer Welt, in der zunehmend verbissen über das eigene Ich, über Moral und Verantwortung diskutiert wird, stellt er eine Komödie zwischen der Stilsicherheit eines Molière und der Tolldreistigkeit eines "Maverick - Den Colt am Gürtel, ein As im Ärmel" entgegen. Dieser nur unterschwellig böse Film stellt sich den Verbitterungstendenzen mit einem breiten Grinsen entgegen. Überhaupt lugt unter den lauten Oberflächen der Performances wiederholt eine persönliche und zärtliche Note hervor. Zum Beispiel, wenn Pauline wiederholt gefragt wird, warum sie noch keinen Verlobten oder Ähnliches hat, und sie dann verstohlen auf Madeleine guckt. Die Liebe und damit die verletzlicheren Schichten des Selbst scheinen in diesen kurzen Augenblicken zu wertvoll, um sie in die Zirkusarena der Öffentlichkeit zu zerren.

Robert Wagner

Mein fabelhaftes Verbrechen - Frankreich 2023 - OT: Mon crime - Regie: François Ozon - Darsteller: Nadia Tereszkiewicz, Rebecca Marder, Isabelle Huppert, FabriceLuchini, Dany Boon u.a. - Laufzeit: 102 Minuten.