Im Kino

Konsequentes Pokerface

Die Filmkolumne. Von Michael Kienzl
17.01.2024. Roman Polanskis "The Palace" ist bei seiner letztjährigen Festivalpremiere schlecht weggekommen. Dabei hat der Film als grob gepinseltes Boulevardtheater durchaus einen gewissen Reiz. Letztlich bleibt freilich lässt der Regisseur seine Reichensatire nicht konsequent genug eskalieren. Die Handbremse bleibt allzu oft angezogen.


Das Palace Hotel im Schweizer Luxusort Gstaad gibt es wirklich. Wikipedia verrät, dass in dieser "familiengeführten Fünf-Sterne-Superior"-Unterkunft nicht nur Stars wie Elizabeth Taylor, Grace Kelly oder Michael Jackson hausten, sondern auch Holly- wie Bollywoodproduktionen entstanden. Erwähnenswert ist das für den Unkundigen, weil auch Roman Polanskis neueste Regiearbeit hier entstand und man bei jeder Außenaufnahme - die das ans Disney-Schloss erinnernde Hotel vor romantischer Alpenkulisse zeigt - den Eindruck bekommt, das wäre alles viel zu künstlich und irreal, um wahr zu sein.

Zur aus der Zeit gefallenen Komödie "The Palace" und ihren entrückten Figuren passt das wiederum ganz gut. Der Film spielt Silvester 1999, während einige Superreiche das neue Jahrtausend begrüßen. Polanski baut das als episodische Nummernrevue voller elitärer Gäste auf, die sich selbst monumentalisieren, sich durch ihr Scheitern aber letztlich der Lächerlichkeit preisgeben. Zusammengehalten wird der Reigen durch den unermüdlichen Hotelmanager Hansueli (Oliver Masucci). Mit streng zurückgegelten Haaren und adrettem Trachtenjanker versucht er noch im aussichtslosesten Katastrophenszenario Schadensbegrenzung zu betreiben. Wo seine Kollegen die Geduld verlieren, findet er stets den richtigen Ton. Interessant ist diese Figur wegen ihres konsequenten Pokerfaces. Trotz reichlich absurder Wünsche der VIPs verrät kein ironisches Schmunzeln oder genervtes Augenrollen, was wirklich in ihm vorgeht.

Das restliche Ensemble besteht überwiegend aus grob gepinselten Karikaturen, deren Inneres nach Außen gestülpt wird: Adelige, Promi-Schönheitschirugen, Diven von Vorgestern oder finster dreinschauende Russen mit großen Koffern und dauergackernden Models im Schlepptau. Der eher volkstümliche Humor speist sich aus der Konfrontation eines opulenten, von jedem Grundbedürfnis schamlos entfremdeten Lebensstils mit der Erkenntnis, dass man auch mit dem größten Vermögen noch ein Sklave seiner Körperfunktionen bleibt. Wenngleich recht gemäßigt in der Darstellung, enden die Höhenflüge von Polanskis Figuren nicht selten damit, dass gekotzt, gekotet oder auch gestorben wird.



"The Palace" ist ein Historienfilm im Kostüm einer Satire. Zwar gibt es einige Selbstreferenzen (etwa ein Insider-Gag zu "Chinatown"), jedoch (abgesehen von Putins TV-Ansprache als neuer russischer Präsident) kaum etwas, mit dem direkt an die Gegenwart angedockt wird. Was das, vom polnischen Regie-Kollegen Jerzy Skolimowski und seiner Frau Ewa Piaskowska mitverfasste Drehbuch womöglich an dem Stoff interessiert, ist das Gefälle zwischen übersteigerter Dekadenz und der Angst vor dem Y2K-Bug. Die Weltuntergangsstimmung scheint jedoch nur halb ernst gemeint zu sein, was auch damit zu tun hat, dass wir von der Gegenwart aus ja bereits wissen, dass diese spezielle Panik unbegründet war.

Bei der Premiere in Venedig war sich die Kritik in ihrer Verachtung einig. Die Häme hat vermutlich mit dem hohen Erregungspegel bei Filmfestivals zu tun, aber auch damit, dass man Polanski den tiefen Fall nochmal besonders gönnt. Angesichts der Tatsache, dass sein Spätwerk mit "Gott des Gemetzels" und "Venus im Pelz" bereits einen deutlichen Hang zum Boulevardtheater bewies, hätte die Überraschung über "The Palace" so groß nicht ausfallen müssen. So schlecht ist der Film nun auch nicht. Im Vergleich zu Ruben Östlunds thematisch ähnlich gelagerter Reichensatire "Triangle of Sadness" kann man Polanski seine klassizistische Genügsamkeit zugute halten. Sein Augenmerk liegt auf der komödiantischen Grundformel, überzeichnete Figuren in absurde Situationen zu stecken, nicht darauf, die offensichtlicher Machtverhältnisse als weltbewegende Erkenntnis auszubreiten.

Während sich die Funktion des unteren Dienstpersonals darauf beschränkt, kopfschüttelnd auf die Exzesse der Gäste zu reagieren, erweist sich der Reichtum als das eigentliche Spektakel, das gleichbedeutend mit überkandidelten Performances und grotesken, die eigene Vergänglichkeit erfolglos kaschierenden Maskeraden ist. Die Elite ist in dunkelorange Bräunungscreme getunkt, trägt absurde Perücken und ist bis zur Unkenntlichkeit operiert. Tatsächlich hat die Prämisse des Films etwas von einer hemmungslosen Kinderfaschingsparty mit gealterten Stars. Eine völlig überschminkte Fanny Ardant etwa hüpft als hysterische Marquise in bunt gemusterten Leggins um ihr zickiges Hündchen herum, das von seiner Kaviar-Diät Durchfall bekommen hat.

Zumindest in einigen, besonders albernen Momenten schimmert durch, wie dieses Konzept in die Praxis überführt werden kann. Etwa wenn der per Koitus aus dem Leben geschiedene John Cleese unerkannt aus dem Hotel gebracht werden muss und dabei wegen der Leichenstarre eine dümmliche Grimasse schneidet. Oder wenn eine an Alzheimer erkrankte Frau in ihrem Gatten hartnäckig einen Fremden sehen will, in dem abgehalfterten Pornostar Bongo (Luca Barbareschi) aber sofort einen alten Bekannten erkennt.

Aber auch wenn es Polanski offensichtlich zum Grellen, Anzüglichen und Exaltierten zieht, wirkt seine Version dieses Schabernacks ein bisschen zu steif, gediegen und angestaubt, um das Potenzial wirklich auskosten zu können. Zwar steuert der Film immer wieder auf Eskalationen zu, tritt auf der Zielgeraden aber regelmäßig auf die Bremse. Wenn der trottelige Banker Caspar Tell (Milan Peschl) von der finalen Silvester-Party fliehen will, wirbelt er durch die feiernde Menge und rempelt dabei alle möglichen Gäste an. Eigentlich eine klassische Slapstick-Nummer, bei der aber irgendwie die Zündung klemmt. Um wirklich virtuos zu sein, wirkt die Körperkomik in "The Palace" zu gehemmt. Am Ende bleibt das Gefühl, dass zu oft ein kleiner, aber entscheidender Schritt fehlt für einen tatsächlich lustigen Film.

Michael Kienzl

The Palace - Frankreich 2023 - Regie: Roman Polanski - Darsteller: Oliver Masucci, Fanny Ardant, John Cleese, Bronwyn James, Joaquim de Almeida, Luca Barbareschi, Milan Peschel - Laufzeit: 100 Minuten.