Essay

Und allgegenwärtig ist die Trauer

Von Daniele Dell'Agli
16.06.2023. Wenn Kriege, "Friedensmissionen", Terroranschläge und Antiterroreinsätze für die Zivilbevölkerung ohnehin nur als Medienereignis stattfinden, als tägliche Folge austauschbarer Standbilder, Archivaufnahmen und zensierter Informationshäppchen, bleiben nur Filme und Serien, die grausame Härte und desaströse Dynamik bewaffneter Auseinandersetzungen vorzuführen. Die im Feuilleton so gut wie gar nicht wahrgenommene Serie "SEAL Team" wirft immer wieder unerbittlich und jenseits aller Primetime-Bespaßung einen Blick auf die Realität von Krieg.

Find the cost of freedom
Buried in the ground
Mother Earth will swallow you
Lay your body down
(Stephen Stills)

Für deutsche Muttersprachler ist es nicht leicht, bei "freedom" nicht an "Frieden" zu denken, und die Etymologie gibt der Assoziation recht, stammen doch Frieden und Freiheit (und Freundschaft) von der gleichen althochdeutschen Wurzel ab. Dass es keinen Frieden ohne Freiheit (von Angst, Unterdrückung, Leid) geben kann, ist demnach eine sehr alte Intuition und keineswegs, wie manche Pazifisten heute suggerieren, eine ukrainische Überspanntheit. Die Umkehrung hingegen ist, wie allein die Geschichte des 20. Jahrhunderts lehrt, unzulässig. Unabhängigkeitsbewegungen, Befreiungskämpfe, Defensivkriege: sie wurden und werden immer zur Verteidigung  oder (Wieder-)Erlangung von Freiheitsrechten geführt. Im Englischen gibt es dafür sogar zwei Begriffe: "liberty" für die rechtstaatlich garantierten Individualrechte und "freedom" für die Möglichkeit und das Vermögen von Subjekten (bis hin zu Nationen, Gesellschaften), diese Rechte auch auszuüben. Als ginge von letzterem ein ruinöser Überschuss, ein unstillbarer Anspruch aus, greift die US-Regierung stets darauf (und nie auf liberty) zurück, um mit dessen ideologischem Export militärische Interventionen auf der ganzen Welt - zuletzt "Enduring Freedom" in Afghanistan - zu rechtfertigen, derweil die (psychosozial erwartbare) Entlastungsdynamik, die endemische Gewalt durch chronifizierte Auslandseinsätze auf fremdem Boden auszuagieren, ausgeblieben ist. Im Gegenteil, die Zahl der Todesopfer durch Schusswaffengebrauch liegt mittlerweile bei über 20.000 jährlich; Amokläufe, Gangschießereien, ein fahrlässig permissives Waffenrecht, der "war on drugs" (seit 1971): auch ohne den "war on terror" (seit 2001) sind US-Amerikaner weiter denn je von europäischen Vorstellungen einer friedlichen Koexistenz nach innen und strategisch nachhaltiger Optionen nach außen entfernt.

Diese psychopolitische Konstellation erklärt vielleicht die Paradoxie, dass eine friedensbewegte Folkgruppe wie Crosby, Stills, Nash & Young auf dem Höhepunkt des Vietnamkrieges (1969) mit "Find the cost of Freedom" ein Lamento anstimmen konnte, mit dem sich seitdem zahllose amerikanische Kriegsveteranen (Vietnam, Irak, Afghanistan) identifiziert haben, weil es ihnen beides bot: die Klage gegen die Sinnlosigkeit des Sterbens im Krieg (diatonisch absteigende Melodie) und den Trost der allumfangenden "Mother Earth" (Text). Ein Hippie-Song, der geradezu prädestiniert war für das noch kaum erforschte Phänomen der "online war memorials" auf Youtube, insbesondere seitdem seine ergreifendste Version an exponierter Stelle in der Serie "SEAL Team" gestorbenen Soldaten die letzte Ehre erweist.

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"Mission Command" nennt die Nato eine bereits von der Wehrmacht praktizierte  "Auftragstaktik": nur das Ziel der Operation und ein Zeitfenster sind vorgegeben; kleine, dezentralisierte Verbände entscheiden vor Ort flexibel und situationsbedingt wie sie vorgehen, taktische Listen und Improvisationstalent sind gefragt. Von Spezialeinheiten wie den SEALs (US-Navy) werden Kampfeinsätze gleichsam im Modus einer disziplinierten Guerilla mit High-Tech-Unterstützung durch Aufklärungsdrohnen durchgeführt. Mit dem Überraschungsmoment auf ihrer Seite, dank ausgeklügelter Taktik und modernster elektronischer und ballistischer Ausrüstung gelingt es den wendigen Sechs-Mann-Trupps ohne weiteres eine zahlenmäßig vielfach überlegene Feindesmacht auszulöschen. Darin wurden im übrigen auch Einheiten der ukrainischen Armee von der NATO geschult, die dadurch - wo immer sie einen Stellungskrieg vermeiden können - seit über einem Jahr dem vorhersehbaren Agieren der russischen Invasoren mit ihren starren, hierarchischen Befehlsstrukturen weit überlegen sind.  

"SEAL Team". Szenenbild aus der sechsten Staffel.




Die SEALs haben's vergleichsweise schwerer, da sie auf fremden Terrain entweder nach Anforderung, mit Duldung, oft aber auch ohne Wissen der jeweiligen Regierungen operieren und gehalten sind, internationale Zwischenfälle zu vermeiden. Und das, obwohl an den designierten Infiltrationsorten meistens Chaos herrscht, das von Warlords, Drogenbaronen, Dschihadisten und paramilitärischen Milizen bewusst geschürt wird, um im Schutzschild der Zivilbevölkerung ihr destabilisierendes Unwesen zu treiben. Nur mit den SEALS können die USA ihren Anspruch als weltpolizeiliche Ordnungsmacht aufrecht erhalten, der durch die unvermeidlichen "Kollateralschäden" von Luftschlägen und Drohnenangriffen arg in Verruf geraten ist. Will man zielgenau und möglichst ohne Opfer in der Zivilbevölkerung zuschlagen, ist der Einsatz von Bodentruppen nach wie vor unverzichtbar. Dafür ist die "Naval Warfare Development Group", kurz DEVGRU genannt, zuständig. Ihre Angehörigen sind Berufssoldaten mit Scharfschützen- und Sprengstoffausbildung, die darüber hinaus ein extrem hartes Auswahlverfahren einschließlich Freefall Fallschirmspringen, Kampftauchen, Gewaltmärschen und Folterresistenz durchlaufen. Nur einer von hundert Marines wird angenommen.

Kriegsfilme und -serien erzeugen schon deshalb eine semidokumentarische Suggestion von Authentizität, weil sie für die glaubwürdige Inszenierung ihrer Geschichten auf echtes (und immer beeindruckendes) Kriegsgerät angewiesen sind - das vom Pentagon nach Prüfung der Drehbücher auch gern zur Verfügung gestellt wird (die Produktionsfirmen müssen nur die Spritkosten bezahlen). Auch wird von jeher große Sorgfalt auf die Rekonstruktion historisch dokumentierter Kampfhandlungen gelegt. Die von Benjamin Cavell entwickelte US-amerikanische Militärserie "SEAL Team", die seit 2017 ausgestrahlt wird (bislang 104 Episoden in sechs Staffeln), treibt die Authentizitätsfiktion weiter und gewissermaßen an ihr Ende. Dass ihre Darstellungen realitätsnäher anmuten als die vom (halbwegs) sicheren Rand des Geschehens gesendeten Reporterberichte, mag Sat1 veranlasst haben, die Serie kurz nach Beginn des Ukraine-Krieges nach den ersten fünf Episoden der fünften Staffel aus dem Programm zu nehmen (die Streaming-Dienste hatten diese Skrupel nicht).

Noch nie wurden militärisch begrenzte Operationen derart präzise und mit so viel Akkuratesse für realistische Details gezeigt. Großen Raum nehmen die taktischen Vorbesprechungen ein, ebenso die Aufklärungsarbeit der CIA sowie die rivalisierenden  Kompetenzen und Interessen zwischen Streitkräften und Politik, von deren Vorgaben die Truppen im Kampfeinsatz nicht selten spontan abweichen müssen. Man bekommt in actu vorgeführt, wie die Entwicklung von Robotik, Kampfdrohnen und Überwachungstechnologie vor allem dazu dient, die eigenen Verluste möglichst gering zu halten, desgleichen das Simulieren der Abläufe vor dem Start zu einem Kampfeinsatz - alles Elemente einer "postheroischen Kriegführung" (Münkler). SEAL-Veteranen haben an den Drehbüchern mitgeschrieben, spielen in Nebenrollen selber mit, übernehmen alle Stunts. Entstanden ist so ein multifokales Panorama asymmetrischer Kriegszenarien, das die Militärgeschichte des letzten Jahrzehnts getreuer Revue passieren lässt als jede denkbare Dokumentation.

Im Zentrum steht das "Team Bravo", der eigentliche Held der Serie und weit mehr als eine Arbeitsgruppe: das Wort steht für Freundschaft, Brüderlichkeit, bedingungslose Loyalität, die andere "Familie" und eine mental und rhythmisch synchronisierte Operationseinheit. Es gibt einen Anführer, den Master Chief Jason Hayes (David Boreanaz), der letztlich die Entscheidungen über taktische Alternativen trifft, aber im Ernstfall ist jeder gute Plan, jede erfolgversprechende Initiative willkommen. In einer  Sechsermannschaft bleiben die Mitglieder Individuen, die sich auf ihre jeweiligen Stärken konzentrieren (Sniper, Sanitäter, Bombenentschärfer et cetera), zusammengeschweißt werden sie vom Gruppenflow. Ihr Glück, ihr Intensitätsgenuss hängt an den kurzen Momenten des Adrenalinrauschs im Gefecht.

Der eng umrissene Auftrag, das knappe Zeitfenster und die Auflage (meistens), inkognito zu agieren und nach Erledigung unerkannt zu verschwinden, stärken die Kohäsion der Gemeinschaft (die Fliehkräfte psychischer Belastungen machen sich erst bemerkbar, wenn die Crew am Einsatzort untätig auf "Freigabe" warten muss), und fokussieren die Beteiligten auf schnellstmögliche Ausführung des Auftrags beziehungsweise Ausschaltung des Feindes. Fehlschläge, unerwartete Komplikationen oder verletzungsbedingte Schmerzen werden ansonsten mit grimmigem Stoizismus ertragen. Ernst Jünger variierend könnte man vom "Kampf als gemeinsames Erlebnis" sprechen, vom Abenteuer, der Gegenwart der Todesnähe zu trotzen. Allerdings wird man von den triebökonomischen Archaismen in Jüngers berühmtem Kriegsmanual nichts wiedererkennen: kein Blutrausch, keine Faszination des Grauens, nicht das bange Harren in den Gräben und schon gar nicht den Fiebersturm des Todesmuts.

"SEAL-Team" entfaltet jenseits der Klischees vom misogynen Männerbund und seinem atavistischen Ehrenkodex eine variantenreiche Typologie "postheroischer Helden" (Broeckling). Das strikte Inkognito der Einsätze, über die nicht einmal mit Kollegen geschweige denn mit Freunden oder Verwandten gesprochen werden darf, hält die Krieger anonym, niemand kann sich seiner Taten brüsten oder wird dafür öffentlich gefeiert - Tapferkeitsauszeichnungen finden in geheimen Zeremonien statt. Pathosgesten leisten sich die Kämpfer (und mit ihnen die Musik) nur beim letzten Gruß an gefallene Kameraden. Vor jedem Einsatz schwören sie einander und ihren Angehörigen, keine unnötigen Risiken einzugehen und aufeinander acht zu geben. Im Gegensatz zu ihren Feinden - Al Qaida, Taliban, Boko Haram, IS - suchen die SEALs den Tod nicht, und wenn sie sich in scheinbar aussichtsloser Lage gegen eine numerisch erdrückende Übermacht behaupten, fühlen sie sich nicht als Helden, sondern als Profis, die ihr Metier besser beherrschen als ihre Feinde. Dabei wird kein Zweifel daran gelassen, dass die hochriskanten Missionen, gleichviel ob zur Geiselbefreiung, Ausschaltung von Terroristen oder Drogenbaronen, Sicherung sensibler Daten, Sprengung gefährlicher Waffenbestände oder Heroinlabors sowie Verhaftung international gesuchter Kriegsverbrecher stets Überfallkommandos mit Tötungslizenz gleichen.

Aber je länger die Serie dauert und sich die Einsätze in allen Weltregionen häufen, desto deutlicher zeichnet sich für die Protagonisten, ein Muster ab, das sie am Sinn ihres Tuns zweifeln lässt. Die Selbstfindungsgespräche in der Gruppe nehmen zu, ebenso die Infragestellung der oft intransparenten Motive ihrer Missionen. Sie trösten sich zwar damit, dass sie womöglich nicht  für Gott und Vaterland kämpfen, aber immerhin gegen das Böse und reden sich ein, dass sie "jedes mal die Welt ein bisschen besser gemacht" haben. Den Verdacht aber, dass ihre Aktionen mehr religiöse Fanatiker, Massenmörder und Kriegsprofiteure auf den Plan rufen, als sie aus der Welt schaffen, werden sie nicht los - verifizieren lässt er sich allerdings auch nicht. Und mit den Dienstjahren wächst die Litanei der Nachwirkungen und Blessuren an Körper und Geist: Kaputte Knochen, Adrenalinsucht, Schädelhirntrauma, PTBS, Bindungsunfähigkeit, zerrüttete Ehen. Am Ende der sechsten Staffel führt die systematische Leugnung "unsichtbarer Kopfverletzungen" (TBI) seitens der Vorgesetzten beziehungsweise die pauschale Entlassung jener, denen es nicht gelingt die Symptome zu verschleiern, zu kollektiver Insubordination. "Den Preis des Krieges", sagt Warrant Officer Ray Perry (Neill Brown jr. als Bravo 2), der auch sonst mit dem Ethos seines Berufs ringt, "zahlen wir nicht auf dem Schlachtfeld. Er kommt nach Hause, dringt in unser aller Leben ein." (II, 14).

Zuhause müssen sie, die kaltblütig durch die Hölle gehen, denn auch die eigentlichen Bewährungsproben absolvieren: in der Therapiesitzung, in der Reha, im Beziehungsclinch, eben "innerhalb des Zauns". Während jene, auf die niemand nach ihrer Rückkehr wartet, in einen Abgrund blicken, sehen sich Väter, Söhne und Partner mit Herausforderungen konfrontiert, die durch das ständige Pendeln zwischen Kriegsschauplätzen und Heimat veritablen Zerreißproben gleichkommen. Im Gefecht müssen sie sekundenschnell Entscheidungen über Leben und Tod treffen - und haben gelernt, darin gut zu sein. Im privaten Alltag werden sie in endlose, kleinteilige, zermürbende Verhandlungen verwickelt, die sich um Nichtigkeiten zu drehen scheinen, ohne dass sie sich sicher sein können, je das Richtige zu tun oder zu sagen. Den schizophrenen Switch zwischen bürgerlicher Existenz und Kommandoeinheit bringt der Texaner Sonny (A.J. Buckley als Bravo 3) sarkastisch auf den Punkt: "Wenn die Ballerei losgeht, sind alle Probleme weg." Diese Ambivalenz durchzieht die meisten der weitverzweigten Nebenstränge, die zusammen mit dem Aufeinanderprallen denkbar unterschiedlicher Lebenswelten die Grundlage für eine dialogpointierte Kontrastdramaturgie etwa der Aufs und Abs in der Liebesgeschichte des Frischlings Clay (Max Thieriot als Bravo 6) mit Stella (Alona Tal als hinundhergerissene Anglistikdozentin) bildet.

Neben den Frauen, die auf dem Stützpunkt den ausgleichenden zivilen Gegenpol des Familienlebens organisieren, sind Berufskolleginnen wie Nachrichtenoffizierin Lisa Davis (Tony Trucks) oder CIA-Verbindungsoffizierin Amanda "Mandy" Ellis (Jessica Paré) im DEVGRU integriert, freundschaftlich-intime Bande zu den Team-Mitgliedern sind ebenso unausweichlich wie kompliziert, weil offiziell verboten. Die Frauen sind für Profiling, Zielfahndung, Überwachung der Operationen und Verhör von Gefangenen zuständig; sie managen die komplizierte Logistik, sorgen für freie Wege, Hilfstruppen oder koordinierten Luftschlägen zur Unterstützung der Kombattanten am Boden. Alles essenziell für den Erfolg der Operationen. "SEAL Team" erinnert allerdings daran, dass es immer die Männer sind, die an der Front ihre Haut zu Markte tragen.

Das sind Einblicke in institutionelle Strukturen und mäandernde Geschichten, wie sie nur von mehrstaffeligen Serien erzählt werden können, zumal wenn sie wider den Zeitgeist ausgerechnet am testosteronstrotzenden Elitekämpfer, dem untauglichsten Objekt sollte man meinen, differenzierte Porträts einer widersprüchlichen Männlichkeit zeichnen, die gerade nicht auf ihre körper-, waffen- und handlungsfixierte Performance reduziert wird. Dass sie dabei die Messlatte für traumatisierende Erfahrungen wieder realitätsgerecht einjustieren, die von der Schneeflöckchen-Generation auf das Niveau von schiefen Blicken oder falscher Anrede abgesenkt wurde, ist nur eine der lehrreichen Lektionen en passant.

Kann man das noch Unterhaltung nennen? Von der ersten Folge an fällt auf, dass die Kommandoaktionen selbst bei längeren Feuergefechten nie zum pyrotechnischen Spektakel geraten, ganz gleich welche Waffen zum eingesetzt werden, wie gewagt die Manöver oder unübersichtlich die Schauplätze sind. Die Action-Szenen beschränken sich auf präzise getimete und von den Akteuren minuziös vorbereitete Sequenzen, die trotzdem spannend bleiben, weil sich vor Ort immer Unvorhergesehenes ereignet. Stilistisch orientieren sie sich weniger an Vorläuferserien wie "The Unit" oder "Strike Back" als an neueren Kriegsfilmen, vom hektischen Pressing von "Green Zone" (Paul Greengrass 2010) bis zur Belagerungsdramatik von "Thirteen Hours" (Michael Bay 2016) - zwei Meilensteinen des Genres. Dabei stehen die reinen Kampfhandlungen ebensowenig im Vordergrund wie der wohlfeile Voyeurismus, der auf eine "viszerale" Mimesis (Elsässer) von Gewaltexzessen beim Publikum zielt. Wer erwartet, von "SEAL Team" körperlich affiziert, überwältigt oder mitgerissen zu werden, dürfte enttäuscht sein; wer sich hingegen auf den nüchternen Realismus dieser Serie einstimmt, wird sich künftig von Fantasy-Mätzchen à la "Mission Impossible" ebenso gelangweilt  abwenden wie von einer martialischen Kulinarik à la "Im Westen nichts Neues". Die spartanische Action-Ästhetik hebt umso deutlicher die Charakterisierung ihrer Darsteller hervor.  

In "SEAL Team" gibt es zwar mit David Boreanaz einen Star, der sich alle Mühe gibt, die smarte Lässigkeit des FBI-Agenten aus zwölf Jahren "Bones" vergessen zu machen;  doch die Ausgelaugtheit, die ihm schon altersbedingt ins Gesicht geschrieben steht, konterkariert den markant-virilen Typus des Haudegens. Die leicht fahrige Diktion seiner Ansagen ist eine Zutat des deutschen Synchronsprechers, aber sie lässt früh schon die im Laufe der Staffeln sich abzeichnende Auflösung seiner Persönlichkeit ahnen. Er treibt sich und seine "Brüder" ständig an, wirkt aber selbst wie ein Getriebener, den Blick immer weit nach vorne gerichtet und unfähig, den Zielsuchlauf des habituellen (und ungeduldigen) Problemlösers abzustellen. Dabei stirbt er innerlich ratenweise, erst am banalen Tod seiner Frau (Autounfall), dann an den Folgen der Druckwellen von Explosionen im Gefecht (Breacher-Syndrom). Von den potenziellen Sympathieträgern in den Nebenhauptrollen wird einer entführt und gefoltert, ein anderer lebensgefährlich verwundet, dass ihm ein Bein amputiert werden muss, und zuletzt auf der Basis infolge eines tragischen Missverständnisses getötet. "Full Metal", ein weiteres, im Hintergrund agierendes Mitglied (Bravo 4) stirbt an seinen Schusswunden auf dem Operationstisch.

Wenn Kriege, "Friedensmissionen", Terroranschläge und Antiterroreinsätze für die Zivilbevölkerung ohnehin nur als Medienereignis stattfinden, als tägliche Folge austauschbarer Standbilder, Archivaufnahmen und zensierter Informationshäppchen, bleiben nur Filme und Serien, die grausame Härte und desaströse Dynamik  bewaffneter Auseinandersetzungen vorzuführen, wobei die Zuschauer in der Regel über Identifikationsfiguren "eingebettet" werden. Da die Haupt- und Nebendarsteller  von "SEAL Team" indes keine Projektionsflächen bieten, verfolgt man die Kampfhandlungen auch dank alternierender Bodycam-Perspektive am Boden und Drohnenüberwachung aus der Luft eher in der Rolle von Chronisten. Medienpolitisch setzt diese dokufiktionale Ästhetik weder auf Abschreckung noch wirbt sie um Akzeptanz. Vielmehr unterbricht sie immer wieder die Automatismen sich selbst reproduzierender Waffengänge, etwa in jenen Momenten, in denen die Totale auf Distanz zum Geschehen geht und, manchmal auch aus der Vogelperspektive, zu sagen scheint: "Seht her, das ist der Preis des Kriegs gegen den Terror! Ist er euch das alles wert?" Ein Gestus, der in den beiden letzten Staffeln (5 und 6) zugespitzt wird auf die wiederholt und explizit aufgeworfene Frage: "Und was hat das gebracht?"

So ist ein nachdenklicher Gegenentwurf zum trendigen Unernst von Superhelden-Filmen, Marvel-Fantasien, Sci-Fi-Dystopien und Horror-Schockern entstanden. Alles Produkte einer gepamperten Generation narzisstischer Pseudogenies, die unverbindliche Realitätsferne mit Vision verwechseln. "SEAL Team" zeugt eher vom Gegenteil, vom Überdruss an Special Effects, virtuellen Welten, Mindgame-Movies und kostümierten Apokalypsen. Ein für Hollywood fast schon unheimlicher existenzieller Ernst durchweht diese Serie, der selbst Momente der Ausgelassenheit oder Albernheit (etwa beim rituellen Abhängen in der Stützpunktbar) mit der Vorahnung kommender Schicksalsschläge überschattet; sogar das düstere Rattern des Abspanntracks klingt elegisch gedämpft (entsprechend gingen die Zuschauerzahlen in den USA schon nach Ausstrahlung der ersten Folge merklich zurück).

Überhaupt ist der Tod, der gewaltsame Tod relativ junger Männer, omnipräsent in "SEAL Team", und er dient ausnahmsweise nicht der Primetime-Bespaßung einer saturierten Gesellschaft. Denn er wirft immer wieder unerbittlich die peinliche Frage auf, welchen Sinn diese Opfer haben. Soviel kritische Reflexion war in einer Actionserie noch nie. Und allgegenwärtig ist die Trauer. Getrauert wird um gefallene Gefährten, verlorene Lieben, verletzungsbedingtes Ausscheiden, die Vergeblichkeit vieler Einsätze und mit zunehmender Frequenz um jene neun (!) Millionen im Stich gelassener Veteranen, die mangels sozialer, medizinischer, therapeutischer und finanzieller Versorgung obdachlos, drogenabhängig oder straffällig wurden und extrem suizidgefährdet bleiben (jeden Tag bringen sich 22 von ihnen um). Dieser Skandal ist zwar seit Hal Ashbys "Coming Home" (1978) Dauerbrenner eines eigenen Subgenres in Hollywood, doch so ostentativ, als untergründiges Leitmotiv einer ganzen Serie ist es noch nie thematisiert worden. Allein die Schlusssequenz der 19. Episode (zweite Staffel) gehört zum Erschütterndsten, was jemals hierzu gedreht wurde: in einer Parallelmontage wird die Heimholung eines getöteten Marines in einer Boeing C-17 enggeführt mit dem gleichzeitigen Suizid eines ehemaligen SEALs auf dem Parkplatz des Veteranenkrankenhaus, nachdem ihm die Behandlung seines Schädelhirntraumas aus bürokratischen Gründen verweigert wurde (Tony Curran mit einem furiosen Gastauftritt als Retired Senior Chief), beide Geschichten zu einer Klage vereint durch den Hippie-Gesang, der a cappella ausklingt, während der Mann seinem Kameraden tot in die Arme fällt und die Kamera über beide emporschwebt.

Epilog

Rudolf Bilz diagnostizierte Mitte der sechziger Jahre eine weitgehende "Dehostilisierung des Planeten", der allerdings keine Mutation unseres archaischen Angsterlebens entsprochen hätte ((Johannes Rau brachte diese Entwicklung auf den Punkt: "Wir sind von Freunden umzingelt"). Zum Glück, muss man über ein halbes Jahrhundert später angesichts von Bevölkerungsverdichtung, Ressourcenknappheiten, Waffenproliferation und der epidemischen Vermehrung territorial ungebundener Terrornetzwerke konstatieren, die eine Rehostilisierung planetarischer Koexistenz hemmungslos vorantreiben. Das Problem hat sich seit Herfried Münklers luziden Analysen (2015) eher noch verschärft, seit mit der Gruppe Wagner zum todessüchtigen Fanatismus psychotischer Gotteskrieger noch der spezifisch russische Nihilismus (sadistische Brutalität mit staatlicher Rückendeckung) hinzugekommen ist. Ein Ende bellizistischer Provokationen, ob in Gestalt von Attentaten, Sabotagen, Geiselnahmen, Massakern oder "low intensity conflicts" ist nicht abzusehen, und auch wenn die entsakralisierten "Missionen" der SEALs auf die strategische Bedeutung von reinen Präventivschlägen ohne Weltbeglückungsdoktrin geschrumpft sind: sie bleiben unverzichtbar, solange die Schlüsselfrage der Serie wie der amerikanischen Interventionspolitik unbeantwortet bleibt: "Wenn wir's nicht tun, wer dann?"

Daniele Dell'Agli

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Literatur

Herfried Münkler, "Kriegssplitter - Die Evolution der Gewalt im 20. und 21. Jahrhundert", Rowohlt 2015.
Ulrich Broeckling, "Postheroische Helden". Suhrkamp 2020.
Thomas Elsässer / Michael Wedel, "Körper, Tod und Technik. Metamorphosen des Kriegsfilms". Konstanz University Press 2016.
Rudolf Bilz, "Studien über Angst und Schmerz", Suhrkamp 1971.