Der Wasserstoff glimmt blauEssay 26.01.2021 Sollte nicht jeder Mensch für sich das Klima retten? Wer selbst kein Auto fährt, profitiert immer noch von Produktionsketten, die an fossiler Energie hängen. Der Mensch von heute kann sich nur scheinbar ausklinken. Ein Einkauf lässt sich super mit dem Rad transportieren. Wollte man den Traktor abschaffen und ein Fahrrad vor den Pflug spannen, käme man schnell an Grenzen. Plädoyer für die so faszinierend vernünftige Fusion. Von Johannes Siemensmeyer
Die Berliner Adresse des ParadiesesEssay 25.01.2021 Entgegen einer populären Vorstellung vollzieht sich der Medienwandel heute nicht zwangsläufig als Verdrängungswettbewerb. Im Gegenteil. Wir erleben die Bibliotheken als Gestalter der Digitalisierung. Die Staatsbibliothek Berlin führt vor, wie sich analoge und digitale Medien sogar ergänzen. Sie hat einen großen Teil ihrer Schätze in einer eigenen Abteilung digitalisiert - und auf diese Weise für ein weltweites Publikum erschlossen. Und Bibliotheken gehören zu den unabdingbaren Filtern der Öffentlichkeit. Denn wird die Freiheit grenzenlos, setzt sie die freiheitliche Demokratie unter Druck. Festrede zur Eröffnung des Hauses Unter den Linden der Staatsbibliothek zu Berlin. Von Wolfgang Schäuble
Am Ende am StrandEssay 11.01.2021 "Rocky Beach von Christopher Tauber und Hanna Wenzel und "Ausnahmezustand" von James Sturm begleiten ihre Protagonisten beim Transit ins Middle Age. Das Unglück entfaltet sich zwischen Telefonaten, Waschsalons, Autofahrten und geplatzten Schecks. Zwei Comics für Zwischenzeiten, eher grau und schwarzweiß, elliptisch und erratisch und doch auch hinreißend. Von Stefanie Diekmann
Eva hinter Gittern, im Sträflingsanzug, mit Victory-ZeichenEssay 13.11.2020 Die Frauen, die im Sommer 2020 unverhofft die politische Bühne und später die Straßen und Plätze von Belarus betraten, sind in mehrfacher Hinsicht symbolhaft. Ihr Aufstand ist eine Auflehnung gegen Lukaschenkos Patriarchat, in dem Frauen dazu bestimmt sind, Kinder zu gebären und in der Küche am Herd zu sein. Ihr Aufstand steht aber auch für das Erwachen der Nation - einer vermeintlich "schwachen Frau", die ihre eigene Courage neu entdeckt. Ein Vorabdruck aus dem Buch "Belarus! Das weibliche Gesicht der Revolution". Von Marina Scharlaj
Terra X antwortet nichtEssay 01.10.2020 Es gibt hervorragende Tier-, Natur- und Georeportagen in den öffentlich-rechtlichen Sendern. Aber warum muss jede Landschaft mit aufgedonnerten Streichertapeten zugekleistert, jede Spannungslücke mit psychagogischen Klangmodulen gefüllt und jedes Beute schlagende Tier von gezupften Bässen in einen Mörder verwandelt werden? Das entwertet nicht nur die Reportagen, sondern derealisiert auch unser Bild vom nichtmenschlichen Leben auf der Erde. Und es verschenkt die einzigartige Chance des virtuellen Tourismus. Von Daniele Dell'Agli
Mitnichten antidemokratischEssay 21.09.2020 Die Anschuldigung, dass die Linke den öffentlichen Diskurs mithilfe ihrer "Cancel-Kultur" strategisch zu ihren Gunsten formen wolle, entlarvt sich bei genauem Betrachten selbst als versuchtes Cancelling: Wer Kritik an Einzelentscheidungen von Veranstalter*innen oder Redakteur*innen zum Beleg für eine neulinke Diktatur aufbauscht, möchte vor allem linke Identitätspolitik diskreditieren. Von Anna Huber
Wie sonst das Zeugen Mode warEssay 20.08.2020 Die heutige Linke gibt sich ökologisch sensibel, aber Geschlecht ist für sie ein reines Konstrukt. Nun ist der Begriff der "Konstruktion" von jeher ein genuin technischer Begriff, der im Spannungsverhältnis zum Konzept "Natur" steht. Wir konstruieren, was wir in der Natur nicht vorfinden, etwa Geräte, Gebäude und Maschinen. Dazu brauchen Menschen natürliche Ressourcen, die sie "Rohstoffe" nennen. Konstruktionen brauchen und verbrauchen Natur. Über eine Theorie-Paradoxie und ihre Tabus. Von Jochen Hörisch
Aufgeplusterte EmpörungEssay 18.08.2020 Der "menschenverachtende" Skandal, der den "Offenen Brief" von sechzig Intellektuellen an die Bundeskanzlerin auslöste, ist an Lächerlichkeit kaum zu überbieten: Der Autor Arye Sharuz Shalicar hat den Autor Reiner Bernstein angegriffen. Bernstein hat sich dagegen vor Gericht gewehrt und verloren. Die Gruppe um Wolfgang Benz und andere macht daraus eine Aktion der israelischen Regierung, der sich deutsche Gerichte angeblich unterwerfen und deren schärfste Waffe der Antisemitimusvorwurf sei. Rekonstruktion einer Jagd nach Hirngespinsten. Von Matthias Küntzel
Kleiner geht immerEssay 09.07.2020 In Comics gibt es Superhelden oder Anti-Helden. Dazwischen ist wenig. Zum Gewimmel der Antihelden tragen neue Comics von François Schuiten, Paolo Bacilieri und Shane Simmons bei. Bei Schuiten (einem neuen Band der Klassikerreihe "Blake und Mortimer") dominieren die Gebäude, Bacilieri erzählt die Geschichte eines Autors der Harakiri beging. Und bei Shannon werden die Helden zu Punkten. Von Stefanie Diekmann
Ein dritter WegEssay 02.06.2020 Lieber Herr Chervel, was Sie "die Linke" nennen, spielt in der Mbembe-Debatte gar keine Rolle. Hier steht nicht links gegen rechts, sondern Vertreter*innen eines liberalen Bürgertums gegen eine als ungebührlich empfundene Einflussnahme staatlicher und interessierter Kreise auf das kulturelle Leben unseres Landes. Einige Kommentare zu Thierry Chervels Essay "Je nach Schmerz", Absatz für Absatz. Von Jan Assmann
Die allmächtige Waffe der RelativierungEssay 02.06.2020 Wer hat hier unter dem Vorwand, über Achille Mbembe zu sprechen, das Bedürfnis, alte Haltungen zu korrigieren und alte Rechnungen zu begleichen? Aber die Skandalisierung Mbembes verkennt, dass Erinnerungen nicht nur in Form der Polarisierung, Aufrechnung und gegenseitiger Negierung existieren. Eine Replik auf Thierry Chervels Essay "Je nach Schmerz". Von Aleida Assmann
Je nach SchmerzEssay 24.05.2020 Die Mbembe-Debatte ist ein Historikerstreit mit umgekehrten Vorzeichen: Heute sind es Linke, die den Blick auf den Holocaust abschwächen wollen. Achille Mbembe findet für die Neuformulierung der Geschichte viele Bündnispartner und -partnerinnen in den Universitäten. Von Thierry Chervel
Eine Pandemie made in ChinaEssay 08.04.2020 Das wichtigste chinesische Forschungsinstitut für Corona-Viren befindet sich in Wuhan. Seit 2002/2003, seit der SARS-Krise, war gerade dort bekannt, welche Gefahr von Corona-Viren ausgeht. Heute spielt sich die chinesische Regierung als Retter auf. Dabei ist sie zuallererst für den weltweiten Ausbruch von Covid-19 verantwortlich. Und der Westen an zweiter Stelle. Von Matthias Küntzel
Wie eine NussschaleEssay 10.03.2020 Vor zwanzig Jahren haben wir den Perlentaucher gegründet. Seitdem hat sich die Öffentlichkeit radikal verändert, und sie ist leider nicht nur besser geworden. Das Internet ist von gewaltigen Machtinteressen umstellt - und da es heute die Form der Öffentlichkeit ist, bedrohen diese Machtinteressen die Demokratie selbst. Es wäre Zeit, das Internet als ein "Common" zu begreifen. Von Thierry Chervel
Choreografie gestauter ZeitEssay 21.02.2020 Das Festival von Angoulême erstickt in Gallo- und sonstigem Chauvinismus. Ein Rückblick erlaubt dennoch ein paar Schlaglichter auf wichtige Manifestationen der "Neunten Kunst". Zu nennen sind Seths "Clyde Fans" und avantgardistische Erneuerinnen des Comics wie Emily Gleason. Von Stefanie Diekmann