Im Kino

A Whiter Shade of Pale

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
02.09.2009. Andreas Dresen inszeniert mit seiner Schauspieler-Hommage "Whisky mit Wodka" ein zartbitteres Endlichkeitsrondo am Ostseestrand. Ganz anders zur Sache geht es in "Final Destination 4": Hier tun nicht nur Rolltreppen Dinge, die man sich nur in seinen schlimmsten Alpträumen vorstellen kann.
Der eine trinkt, der andere nicht. Der eine ist ein landesweit bekannter Filmstar, der andere ein weithin unbekannter Mann des Theaters. Weil aber der Star Otto Kullberg (Henry Hübchen) mit seinen Alkoholproblemen die Produktion eines Films gefährdet, wird der andere - Arno Runge (Markus Hering) - engagiert: als das, was im Theater die zweite Besetzung heißt; einer, der einspringt, wenn der eigentliche Darsteller ausfällt. Im Film aber funktioniert das nur als Nägel mit Köpfen: Autorenfilmer Martin Telleck (Sylvester Groth) lässt alle Szenen seines jüngsten Werks "Tango zu dritt" doppelt drehen, einmal mit Star, einmal mit Nobody. Für den Fall eines Falles.



In diese Konstellation ist das Drama der Konkurrenz bereits eingebaut: Der andere wäre gerne da, wo der eine schon ist. Der eine reißt sich am Riemen, um es dem anderen zu zeigen und aus Angst vor dem Bedeutungsverlust. In dieser kleinen Konkurrenztragikomödie liegt das Zentrum von Andreas Dresens "Whisky mit Wodka". Darum herum aber versammelt das Drehbuch von Wolfgang Kohlhaase ein Film-im-Film-Ensemble, das mehr oder weniger jedes Klischee, das über SchauspielerInnen im Umlauf ist, ausagiert. Es wird sich geliebt, es wird miteinander gevögelt, es wird der Nächstbeste und der Ruhm begehrt, es gibt Narzissmus und Selbstmitleid, die traurige Einsamkeit und die auch nicht fröhlichere Zwangs-Zweisamkeit in der Wohnwagenwelt.

Alle, die es in "Whisky mit Wodka" miteinander treiben, auch das Buch, auch der Film selbst, wissen im Grunde, dass sie nichts anderes als eine Second-Hand-Komödie zur Aufführung bringen. Darum ist genau das recht eigentlich auch der Gegenstand: Wie es sich anfühlt, zweiter zu sein, oder dritter zu sein; oder ausgeschlossen zu werden, wo andere eingeschlossen sind (oder dem neidvergifteten Auge jedenfalls scheinen); was es heißt, über die Jugend hinaus zu sein, die größte Zeit hinter sich zu wissen, desillusioniert nachzuspielen, was einen, als man es erstmals tat, noch erregt hat. Dazu gehört, zuerst eher als zuletzt, auch der Sex.



Nicht nur ist das Hotelzimmer, das Kullberg und seine Ex-Geliebte Bettina Moll (Corinna Harfouch) mieten, um dort noch einmal miteinander zu schlafen, schrecklich schäbig. Das kümmerte sie ja nicht, wären sie vor Leidenschaft blind. Die beiden aber erkennen, und nur zu genau, im lieblosen Ramsch-Mobiliar die Möblierung des eigenen Gefühlshaushalts wieder, im erst zu grellen und dann zu fahlen Licht dieser Absteige. Die Szene ist nur zu typisch: Vom Fahlen und Schäbigen angekränkelt ist in "Whisky mit Wodka" alle Welt. Sogar die Blütenträume des randständigen Filmpersonals sind schon halb welk, wenn Andreas Dresen sie in die Szenerie seines mit mildem Spott beobachteten Konkurrenzdramas stellt. (Einer nur wird in dem Film tatsächlich sterben, ein ganz seltsamer Schnabeltassen-Exkurs; bizarre Hommage, todkrank liegt er im Bett, an den großen DDR-Theaterregisseur Fritz Marquardt.)

Müde sind sie, aber noch lange nicht tot, enttäuscht, aber noch nicht restlos verbittert, halb abserviert, aber eben noch nicht ganz: seltsam melancholischer Abgehalftertentanz in Binz an der Ostsee. Die halbe Kraft, mit der hier noch auf Punching-Bälle eingeschlagen wird, befällt aber, und das kann keine Absicht sein, auch den Film. Im Drehbuch wird verlässlich immer ein Satz zu viel gesagt, damit alle verstehen, was gemeint ist. Regisseur Dresen, für Experimente sonst offen, sucht hier einen mittleren Grund auch in der Form; aus der Film-im-Film-Konstellation schlägt er keinen einzigen Funken. Auch die sonst so reaktionsschnellen und zu Subtilitäten eher nicht neigenden Darsteller, vor allem Harfouch, Groth und Hübchen, agieren, wie auf eine Melancholie-Droge gesetzt: sie spielen präzis auf den Punkt, aber unscharf am Rand. Sie verzichten dabei nicht einfach auf jede Übersteigerung, vielmehr merkt man ihnen das von Dresen offenkundig ausgesprochene Overacting-Verbot in jedem Moment an. (Wie unendlich furios ist da im Vergleich sogar der aktuelle Almodovar.)

In Machart und Ton, in der Auswahl der Musik und sogar der weißen Vor- und Abspann-Schrifttpye auf schwarzem Grund, ist recht schnell klar: Woody Allen ist hier das Vorbild. Die Komödie als Deckbild für die Tragödie, ein Rondo der Eitelkeiten in gehobenen Schichten, nur halt auf Rügen. Leider aber fehlt es ganz an Allens Bösartigkeit, an seinem Witz, seinem Tempo, seiner Lust am Absurden. Es ist, als würde eine Allen-Geschichte in Zeitlupe gespielt. So kommen die Klischees zwar ganz zu sich selbst, die Tiefe der so hergestellten Einsichten jedoch bleibt reine Behauptung. Was bei Allen schwarz ist - die Komik und die Abgründe, in die sie blickt - ist hier eher a whiter shade of pale. Rügen ist nicht Manhattan. "Whisky mit Wodka": Hellgrau scheint die Sonne am Ostseestrand.

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Ein junger Mann hat am Rand eines Autorennens eine apokalyptische Vision: Es kommt zu einem Unfall, zu Feuersbrunst und fliegenden Autoteilen, seine Begleiterinnen und Begleiter, auch er selbst, werden zerstückelt, gepfählt, erschlagen, vom Feuer verbrannt. Genüsslich malt "Final Destination 4" das aus, ohne sich mit der Auskunft, dass (noch) nicht tatsächlich geschieht, was man sieht, übermäßig zu beeilen. Und in der Tat: Alles wird kommen, wie der junge Mann es gesehen hat, mit einem entscheidenden Unterschied: Weil er begreift, dass seine Vision Wirklichkeit zu werden droht, kann er mit seinen Freunden entkommen. Sie - und wir - blicken auf die Apokalypse gerettet von außen.





Aber denkste. Der Clou aller nunmehr vier Filme dieser Horrorfilmserie: Der Tod versteht keinen Spaß. Hat immer das letzte Wort. Ist geduldig und gnadenlos. Mit einem Wort: Man entkommt ihm nicht. In der Reihenfolge, die die Vision vorgab, schnappt er sich die Noch-Mal-Davongekommenen. (Der Soundtrack dazu: metallastig, ansonsten ritsch-ratsch, mampf-matsch, pitsch-patsch.) Eigentlich ist diese Grundidee, die längst in diverse, allesamt höchst erfolgreiche Franchise-Unternehmungen (Buch, Computerspiel) ausgefranst ist, erzromantisch. E.T.A. Hoffmann oder Edgar Allen Poe könnten sich das ausgedacht haben: Der Tod als Dunkelmann, der, wenn es sein muss, auch zwei- oder dreimal klingelt.

Der Horror der Romantik entstammt allerdings der Ambivalenzproduktion: Was tot schien, wird lebendig und das Lebendige ist zugleich tot. Halluzinatorische Belebung des Toten zum Untoten ist das metaphysisch aufgeladene romantische Unheimlichkeitsprinzip. Unserer Grundunterscheidung zwischen lebend und tot ist nicht zu trauen - das christliche Heilsmotiv wird in der schwarzen Romantik ins Dunkle gedreht. "Final Destination 4" ist deshalb so interessant, weil der Film (und die Serie insgesamt) dazu das radikale, und zwar radikal ambivalenzfreie und radikal materialistische Gegenprogramm sind.

Auf die apokalyptische Vision, die der Fantasie an Zerstückelungsarbeit kein Fitzelchen überlässt, folgt ein atemberaubender Vorspann: In Röntgenaufnahmen sieht man gründlichste Körperpenetrations- und Zerstörungsbilder. Stangen, die durch Brustkörbe stoßen, Köpfe vom Rumpf, Arme von der Schulter getrennt, geknackte, zerbrochene, zerfetzte Körper, brutalste anatomische Studien auf Röntgenbild. Das erinnert durchaus an den klassischen Vorspann von Saul Bass zu Otto Premingers "Anatomie eines Mordes": nun aber als - bei aller sehr strangen Poesie, die das auch hat - unfassbar literalisierte Splatter-Version.



Aber auch vom zeitgenössischen Torture-Porn-Kino (vergleiche etwa die "Hostel"-Serie von Eli Roth) unterscheidet sich das noch einmal deutlich. Und zwar in seiner Lust nicht an der transgressiven Überschreitung, sondern an der puren Mechanik. Alle Körper sind hier, als vorläufig zusammengehaltene Summe ihrer Teile, immer schon auf dem Weg zur finalen Zerstörung, und zwar durch Maschinen. Hier wird nicht psychologisiert, hier wird sich noch nicht einmal wirklich mit den Figuren identifiziert. Eigentlich ist es eher, als wären diese Filme an empathiebefreite Betrachter adressiert: destruction porn für Automaten und Maschinen. Da kichert dein Toaster.

Alles Ingenium, alles Geld wird denn auch nur in eines, nämlich die elaborierten Kettenreaktionen der Vernichtung gesteckt, derer der Tod sich bedient. Ein junger Mann wird am Swimmingpoolgrund von einer Umwälzpumpe erst angesaugt, dann als Innereienhaschee am anderen Ende ausgespuckt. Eine Rolltreppe tut, was in Horrorvisionen Rolltreppen tun. Die Autowaschanlage wird - Kopf ab, Kopf ab - zur Geisterbahn. Und gegen Ende wird, so weit herunter ist inzwischen die Selbstreflexion, das Kino zum Schauplatz der Feuer-Apokalypse. Oder fast. Auch bizarr: Das ist eine ziemlich genaue Kontrafaktur zu Tarantino, dessen "Inglourious Basterds" dies auch in 3D zu habende Machwerk am letzten Wochenende auf Platz eins der US-Kinokassen abgelöst hat. Wenn aber der Tarantino-Film der Palast ist, den einer mit nichts als Liebe zum Kino erbaut hat, dann ist "The Final Destination" die Kettensäge, die ihn - ritsch-ratsch, mampf-matsch, pitsch-patsch - wieder einreißt.

Whisky mit Wodka. Deutschland 2009 - Regie: Andreas Dresen - Darsteller: Henry Hübchen, Corinna Harfouch, Sylvester Groth, Markus Hering, Valery Tscheplanowa, Peter Kurth, Karina Plachetka, Matthias Walter, Kai Börner, Thomas Putensen

Final Destination 4. USA 2009 - Originaltitel: The Final Destination - Regie: David R. Ellis - Darsteller: Bobby Campo, Shantel VanSanten, Nick Zano, Haley Webb, Mykelti Williamson, Krista Allen, Andrew Fiscella