Im Kino

Sei kein Held!

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
09.12.2009. Mit angenehmer Lässigkeit karriolt Ruben Fleischers inspirierte Horror-Komödie "Zombieland" durch die zeitgenössische Genrelandschaft. Zoltan Pauls "Unter Strom" versucht sich an einer deutschen Screwballkomödie und landet in einem Ferienhaus voller herumflatternder Irrer.

Zombies sind, neben manch anderem, ja auch einfach: Menschen, die man kaputtmachen darf; Splatterfilm-Kanonenfutter; Wesen, die man nicht opfern kann, aber straflos totschießen darf. Ist überdies immer Notwehr, denn der Zombie will - seit ca. 1968, nämlich George Romeros "Nacht der lebenden Toten" jedenfalls, begonnen hat er als recht friedlicher Scheintoter - nichts als fressen und macht dabei noch die edelsten Vertreter der Menschheit zu seinesgleichen: zu hirnlos durch die Gegend torkelnden Kannibalen. Es taugt der Zombie, auch wenn es keinem von ihnen je träumte, wunderbar zur Metapher: fürs Enthirnte am Menschen bzw. für die Drohung, am Menschen das Großhirn zu löschen und ihn ganz und gar aufs Jagen, Fressen und Töten zu reduzieren. (Es ist interessant, dass sich dabei, anders als bei der noblen Untoten-Verwandtschaft, den Vampiren, zwar leicht eine politische, in der Regel aber kaum eine sexuelle Komponente heraussymbolisieren lässt. Vampirfilme sind was für Instant-Psychoanalytiker, Zombiefilme was für Instant-Gesellschaftskritiker. Für eine sehr unterhaltsame Gegenüberstellung der beiden Erscheinungsformen des Untoten vgl. Sam Leiths Artikel in Prospect).

Lässig schließt "Zombieland" an die in den letzten Jahrzehnten entfaltete Zombie-Mythologie an. Mit der Reise durch ein nicht nur gott-, sondern weitgehend auch menschenverlassenes Land etwa an "28 Days Later" (hier die USA, nicht Großbritannien). Mit seiner Entschlossenheit, zwar an Gore, was geht, mitzunehmen, das ganze andererseits aber nicht im strengen Sinn zu parodieren, zugleich dennoch nicht ernster als nötig zu nehmen, an "Shaun of the Dead" des - wiederum britischen - Trios Pegg/Frost/Wright. Ein wahrer Horrorfilm kann das ganze von Anbeginn nicht werden, weil nämlich sofort eine höchst souveräne Instanz installiert wird: Ein so gewitzter wie ironischer Erzähler, dem die unterschiedlichen Register, die der Film zieht, mühelos zur Verfügung stehen. So ist er zum einen ein veritabler Experte fürs Leben in Zombieland, USA. Gleich zu Beginn macht er uns mit den säuberlich durchnummerierten Regeln fürs Überleben in menschenfeindlicher Umwelt vertraut. Regisseur Ruben Fleischer setzt, zweite souveräne Geste, diese Regeln schriftlich ins Bild. Und zwar in einer Mischung aus Insert und quasi-dreidimensionaler Inschrift in den Erzählraum des Films. Die Regeln reichen vom Zombie-Spezifischen zum Lebensphilosophisch-Allgemeinen: "Töte immer zweimal", "Schau auf dem Rücksitz nach", "Sei kein Held", "Genieße die kleinen Dinge" etc.

Die Erzählerstimme gehört zu einem jungen Mann (Jesse Eisenberg, demnächst als Facebook-Gründer Mark Zuckerberg in David Finchers "The Social Network"), ein klein wenig nerdig, wohl noch Jungfrau und definitiv schlau. In einer Rückblende sehen wir, wie sich eine gleichaltrige Schönheit vom Objekt des Begehrens in ein blutspuckendes beißendes Zombie-Monster verwandelt: unschön, aber nicht unerwartet. Der junge Mann hat nämlich immer schon Pech mit den Mädchen. Versteht sich von selbst, dass sich im Verlauf des Films da etwas tut und dass "Zombieland", wie eben auch "Shaun of the Dead", zu einer RomZomCom wird, einer romantischen Zombie-Komödie. Vor der schönen Frau taucht freilich noch der Buddie auf, den es ebenfalls braucht: als die englische Sprache - im Original - südstaatenmäßig zerkauender Mann mit den Schießgewehren und einer Schwäche für Leckerlis macht Woody Harrelson mal wieder eine wunderbare Figur. Dann begegnen die beiden auf ihrer Roadmovie-Tour der schönen jungen Frau (Emma Stone), unterwegs im Team mit einer ebenso ausgeschlafenen Zwölfjährigen (Abigail Breslin). Die beiden haben vor allem eine goldene Regel: "Trau keinem!"


Eine Regel, an die sich alle erst einmal halten: Nur wer allen misstraut, ist stark. So kennen die vier nicht einmal ihre wahren Namen, sondern nennen sich nach den Namen der Städte, aus denen sie stammen und deren letzte überlebende Bewohner sie jeweils mutmaßlich sind: Tallahassee (Harrelson), Columbus (Eisenberg), Wichita (Stone) und Little Rock (Breslin). Als Zombies auf mehr oder minder originelle Weise fällende, einander neckende-betrügende-raushauende Zombiekiller-Roadshow-Combo splattern die vier sich durch die USA und landen schließlich, wen wundert's, in Hollywood. Downtown wird ein herantorkelnder Charlie Chaplin niedergeschossen, dann geht es hinauf in die Villengegend von Beverly Hills. Dort trägt sich zu, was man eigentlich nicht verraten darf, weil einer der Untoten, denen sie da begegnen, in Wahrheit gleich doppelt nicht untot und außerdem ein prominenter Schauspieler in einem Cameo-Auftritt ist. (Soviel sei verraten: Viel schönerer und überzeugenderer Einsatz als in Jim Jarmuschs "Limits of Control".) Folgt: der Showdown im Amusement-Park. Endet alles mit: Modifizierung der Misstrauensregel - wir sind eine Patchwork-Familie der etwas anderen Art.

"Zombieland" legt keinen übertriebenen Ehrgeiz an den Tag, sich zur vollgültigen USA-Gegenwarts-Allegorie zu entfalten, aber diesen oder jenen satirischen Blick auf zeitgenössische Shopping- und Vergnügungskultur gibt es nebenbei doch. Überhaupt ist es die Lässigkeit, die gefällt. Der Ton, den Buch und Regie finden. Angenehme Mittellage, ein schlauer Spaß, lehrreiche Instruktionen zum Überleben in widriger Gegenwart.

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Womit wir bei einem viel ernsteren Thema wären: dem Versuch einer deutschen Screwballkomödie. Titel, damit wir da ja nichts missverstehen: "Unter Strom". Unter den Darstellern, da staunt man: Sunnyi Melles, Catrin Strieback, Robert Stadlober, Harald Krassnitzer. Die Handlung: Ein Unschuldiger namens Frankie (Hanno Koffler) wird zu fünfzehn Jahren Haft verurteilt, kidnappt sich den Weg aus dem Gericht ins Freie, nimmt ein streitendes, frisch geschiedenes Ehepaar als Geisel, schnappt sich unterwegs noch einen Politiker auf offener Straße, ruft seine Frau (Anna Fischer) an, die von Frankies bestem Freund Cheesy (Stadlober) schwanger ist - und ab geht es in ein Ferienhaus, wo der Liebhaber der geschiedenen Ehefrau gerade ein paar Viagra zu viel geschluckt hat - und dort wird nun auf engem Raum gestritten, geschossen, bedroht, geliebt, geflucht, hektisch herumgerannt und summa summarum also Komödie gespielt.

Das alles geht offenbar von der Prämisse aus, dass eine hochbeschleunigte und bis zur Absurdität handlungsverdichtete Kreuzung aus Vorabendsoap und Vorabendsoko qua Tempo schon Komik entwickelt. Dem ist, von wenigen Momenten abgesehen, nicht so. Wie aufgescheuchte Hühner rennen und flattern die Darsteller durch die Gegend, sprechen dabei Dialoge, deren Mangel an Witz und Originalität durch Schnelligkeit nicht zu übertünchen ist, zitieren in aufgesetzter Medienreflexivität Hollywoodfilme und gewinnen nicht die leiseste Spur Eigenleben, was doch die Voraussetzung wäre für ein Minimum an Identifikationspotenzial. Man hasst sie nicht, man liebt sie nicht, man lacht, weint, rennt und flattert kein bisschen mit ihnen. Mit der Ausnahme vielleicht von Sunnyi Melles, der es gelingt, die hysterisierte Tragödin zu geben, bühnenhaft, sinnlos verzweifelt, und so wenigstens eine Spur jener Fallhöhe zu erzeugen, die es bräuchte, um das ganze zu etwas anderem als Trash um des Trashs willen zu machen.




Am interessantesten daran ist fast noch, dass sich der Film in die Reihe eines das deutsche Kino der letzten Jahre dominierenden Spezial-Genres stellt: das nämlich des Haus-Films, der seine Figuren, seine Handlung auf dem engen Raum eines Einfamilien- und öfter fast noch eines Ferienhauses konzentriert. Dazu gehören Stefan Krohmers "Sie haben Knut" ebenso wie Ulrich Köhlers Debüt "Bungalow", Rainer Knepperges' übrigens auch um eine Entführung kreisende, aber unendlich viel gelungenere Komödie "Die Quereinsteigerinnen" oder zuletzt Thomas Arslans "Ferien" und Sebastian Schippers "Mitte Ende August" (durch den Verweis auf die "Wahlverwandtschaften" ist Schipper nur bedingt entschuldigt). Wenn der deutsche Drehbuchautor und/oder Regisseur kein Geld hat, aber einen Ensemblefilm drehen will, verfällt er auf meist ziemlich abgeschieden liegende Häuser. Das Geld, das fehlt, ist sicher nicht der einzige Grund. Das Ergebnis fällt jeweils nicht nur qualitativ sehr unterschiedlich aus. Dennoch deutet dieser rudelhafte Rückzug in geschlossene Räume auf eine Angst vor der Offenheit, eine Flucht der Fantasie in kontrollierbare Situationen, einen Willen zur Überschaubarkeit, den man in den besseren der genannten Fälle vielleicht sogar als Gesellschafts-Diagnose lesen kann, bei den weniger geglückten Beispielen wie "Unter Strom" aber als Symptom eines fatalen Sicherheitsdenkens verstehen muss.

Zombieland. USA 2009 - Regie: Ruben Fleischer - Buch: Rhett Reese, Paul Wernick - Darsteller: Woody Harrelson, Jesse Eisenberg, Emma Stone, Abigail Breslin, Bill Murray, Amber Heard, Robert Hatch, Jacob G. Akins, Dalton Cole, Mike White, Melanie Booth, Daniel Burnley

Unter Strom. Deutschland 2009 - Regie: Zoltan Paul - Buch: Zoltan Paul, Uli Bree - Darsteller: Harald Krassnitzer, Catrin Striebeck, Robert Stadlober, Hanno Koffler, Anna Fischer, Ralph Herforth, Sunnyi Melles, Tilo Nest, Franz Xaver Zach, Dietmar Horcicka