Im Kino

Genau so muss Knochenmark schmecken

Die Filmkolumne. Von Katrin Doerksen
06.02.2024. Tran Anh Hung filmt in "Geliebte Köchin" die Zubereitung von Speisen in meditativer Vollendung. Die von Juliette Binoche verkörperte Hauptfigur stellt in dem Film, der seinem Publikum eine geradezu therapeutische Abwechslung zum gängigen Themenkino serviert, ihren beruflichen Stolz über den sozialen Status.


Der Fluch des Ortolan ist es, dass er als Delikatesse gilt. Der kleine Singvogel wird gefangen und man entfernt ihm die Augen, in vollkommener Dunkelheit wird er vierzehn Tage lang gemästet. Hat er etwa das Dreifache seines ursprünglichen Gewichts erreicht, ertränkt man ihn in Armagnac und gart ihn in Fett. Zum Verspeisen ist es schicklich, sich mit einer Serviette das Gesicht zu verhüllen, um seine Mitmenschen nicht mit dem Anblick und den Geräuschen zu konfrontieren, die nun einmal entstehen, wenn man einen Vogel komplett in den Mund nimmt und mitsamt Knochen und Innereien zerkaut.

Vier Männer, die mit weißen Stoffservietten über den Köpfen um einen Tisch hocken und schmatzen, sind eine Ausnahme in diesem Film, der sonst so viel Wert darauf legt, jeden einzelnen Schritt der Zubereitung und des Genusses einer Mahlzeit zu zeigen und zu würdigen. "Geliebte Köchin" beginnt in der Morgendämmerung, eine Frau schreitet durch einen Garten, schneidet Gemüse, legt es in große Weidenkörbe und trägt es in eine geräumige Landhausküche, wo wir beinahe vierzig, wie im Flug vergehende Minuten lang der Zubereitung eines mehrgängigen Menüs beiwohnen. Ein Maître de Cuisine, eine Köchin, zwei Küchenhilfen und eine Kamera, die Bewegungen vollkommen aufeinander abgestimmt, gesprochen wird nur das Nötigste. Am Ende stehen ein Braten mit perfekter Kruste, geröstetes Gemüse, ein auf den Punkt in Milch und Zitrussud gegarter Fisch, eine illuster aufgetürmte Brioche mit karamellisierten Früchten.

Später gibt es ähnliche Szenen, die nie wieder ganz die meditative Vollendung der Eröffnungssequenz erreichen, deren inszenatorische Sorgfalt aber unbestritten wohlige Gefühle auslöst. Speisen erscheinen in diesem Film nie wie von Zauberhand auf einem Tisch. Ihre Zutaten werden geerntet, gewaschen und vorbereitet, zubereitet, angerichtet, durch Treppen, Gänge, Türen transportiert, serviert und schließlich gekostet. Außer die Ortolane, die die Kamera wie jeden anderen übermäßigen Exzess mit einer befremdeten Distanz betrachtet, aber die bereitet auch nicht die "Geliebte Köchin" persönlich zu.



Trần Anh Hùngs in Cannes für die Beste Regie ausgezeichneter Film ist im Jahre 1885 irgendwo in Frankreich angesiedelt, die Handlung nicht viel mehr als Fragment, ein dünnes Vogelgerippe: Der bekannte Gastronom Dodin Bouffant (Benoît Magimel) erhält eine Einladung zum Mahl bei einem nicht näher identifizierten eurasischen Prinzen. Erschlagen von der sich über acht Stunden hinziehenden Odyssee protziger Gänge erwägt Dodin, den seine Freunde immerhin den "Napoleon der Kulinarik" nennen, seine Hoheit auf einen einfachen Pot-au-feu einzuladen.

Viel interessanter ist das Verhältnis zwischen Dodin und seiner langjährigen Köchin Eugénie (Juliette Binoche), die seine Liebe zu erwidern scheint und dennoch seine regelmäßigen Heiratsanträge ablehnt. Lieber ist sie seine Köchin als seine Frau, weil ihr dieser Status das Recht erhält, des nachts die Tür zu ihrem Zimmer zu verschließen, sobald ihr nicht nach Gesellschaft ist. Mit einem gewissen Maß an Stolz dürfte das ebenfalls zu tun haben. Eugénie ist eine Frau, die ihren Selbstwert statt aus ihrem sozialen Status aus ihren Fähigkeiten und Neigungen zieht. Wie der Film selbst, der vollkommen darauf verzichtet, den Hintergrund seiner Figuren auszumalen; keine Rede von Adelsständen, Klassenunterschieden, psychologischen Motiven. Stattdessen Figuren, die ganz in ihrer Gegenwart stehen, befasst mit ihren unmittelbaren emotionalen Reaktionen auf die Schicksalswendungen, die das Leben ihnen hinwirft, mit dem Wechsel der Jahreszeiten, mit der einfachen Frage: Was koche ich heute?

Nicht überraschend und im Grunde auch wenig subtil weht ein Hauch von Vergänglichkeit durch "Geliebte Köchin": Die Speisen, nach Stunden mühevoller Arbeit innerhalb von Minuten vertilgt, die verschämt unter Servietten einverleibten Singvögel, und vor allem Eugénies rätselhaften Schwächeanfälle. Aber wir haben es nicht mit einem Memento-mori-Stillleben zu tun, vielmehr nutzt Trần Anh Hùng die Melancholie als Antrieb und stattet seine Figuren mit dem arterhaltenden Instinkt aus, ihr Wissen zu vermitteln und weiterzugeben.

Zu Beginn des Films bringt Dodins Küchenhilfe ein junges Mädchen mit. Pauline (Bonnie Chagneau-Ravoire) hat eine vielversprechende Begabung, schmeckt auf Anhieb fast alle Bestandteile einer Sauce heraus und wird später mit beeindruckendem Starrsinn auf einer Ausbildung bestehen. "Merk dir den Geschmack", rät Dodin, als ihr jugendlicher Gaumen beim Geschmack von Knochenmark an seine Grenzen stößt. "Genau so muss Knochenmark schmecken." In seinem Rat liegt eine Lebensweisheit, die über das Kochen hinausreicht, so wie die sinnlichen Qualitäten und der Resonanzraum, der "Geliebte Köchin" seinem Publikum eröffnet, eine geradezu therapeutische Abwechslung bietet zu Filmen, deren vornehmliches Ziel es ist, markige Botschaften zu zeitgeistigen Themen zu formulieren. Wenn alles so läuft wie geplant, wird Pauline in ein paar Jahren nicht nur in der Lage sein, das Gute vom Mittelmaß zu unterscheiden, sondern es auch für sich selbst zu reproduzieren.

Katrin Doerksen

Geliebte Köchin - Frankreich 2023 - OT: La passion de Dodin Bouffant - Regie: Trần Anh Hùng - Darsteller: Juliette Binoche, Benoît Magimel, Emmanuel Salinger, Patrick d'Assumçao, Bonnie Chagneau-Ravoir - Laufzeit: 135 Minuten.