Im Kino

Schreie auf der Tonspur

Die Filmkolumne. Von Patrick Holzapfel
28.02.2024. "The Zone of Interest" beschreibt eine Idylle neben dem Schrecken. Eingerichtet hat sie sich die Familie des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß. Regisseur Jonathan Glazer versucht, alle Fehler zu vermeiden, die im filmischen Umgang mit dem Holocaust gemacht werden können. An der Aufgabe, das Unmenschliche auf menschliche Art zu filmen, scheitert jedoch auch er.
Eine Vorbemerkung sei erlaubt: Dass sich die sonst so dreist um bisweilen fantasievolle Übertragungen ins Deutsche bemühten Filmverleiher ausgerechnet hier zurückhalten, um den historische Begriff "Interessengebiet" zugunsten des in deutschen Ohren doch eher nach einem aufregenden SciFi-Film klingenden "Zone of Interest" zu umgehen, ist nichts anderes als marktorientierte Feigheit (auch wenn im Falle Jonathan Glazers tatsächlich jeder seiner bisherigen Filme mit englischem Originaltitel in die Kinos kam). So lässt sich das mit düsterem Wabern unterlegte Idylleplätschern im Nazihaushalt neben dem KZ Auschwitz-Birkenau gleich besser auf Distanz halten, zumindest theoretisch.



Da das aber nicht der einzige Widerspruch ist, mit dem der sich ausschließlich den Tätern widmende Film lebt, wollen wir uns nicht zu lange damit aufhalten. Da wäre beispielsweise noch die Frage nach der Adaption. Angeblich nämlich, so liest man in den Credits, basiert der Film auf dem gleichnamigen Roman des britischen Schriftstellers Martin Amis. Dieser jedoch schildert in seinem durchaus polemischen, sprachverliebt mit deutschen Versatzstücken im Englischen arbeitenden Werk die Perspektiven von drei verschiedenen, fiktionalisierten Männern, die alle in einem an das Vernichtungslager Auschwitz gemahnenden "Interessengebiet", einem Sperrgebiet der SS, leben. Ein Offizier, der Kommandant und ein Kapo. Besonders fragwürdig am Ansatz von Amis ist sein Umgang mit romantischer Heimeligkeit und, wie von ihm gewohnt, expliziter Sexualität.

Die Männerphantasien à la Amis sind jedenfalls wenig um jene Abstrahierung bemüht, über die Klaus Theweleit in Bezug auf die Männer des Faschismus schreibt. Im Film gibt es nur eine Sexszene zwischen Rudolf Höß und einer Inhaftierten, nach der er sich verschämt das Geschlechtsteil wäscht. Aus dem Text von Amis spricht ein sich nicht zurückhaltendes Gewissen, eine dunkle, teilweise überhebliche Faszination des Autors, interessanter als Literatur denn als Umgang mit der Geschichte. Gleichzeitig aber ist sein Buch offenkundig das Werk eines Menschen, während bei Glazer eine seltsame Distanz zwischen Film und seinem Thema aufklafft. Was Glazer von Amis neben einigen Szenen wie einem Dialog über das Zähneputzen zwischen Vater und Tochter übernommen haben dürfte, ist die Sekundärliteratur, die biografischen Texte und gerichtlichen Aussagen von Höß insbesondere.

Wo Amis offensiv provoziert, erstarrt Glazer in paradoxen Repräsentationsskrupeln. Das kann man ihm durchaus zu Gute halten, schließlich gibt es wohl keinen Gegenstand, der eine ähnliche Vorsicht von einem Filmemacher verlangt. Gleichzeitig addiert "The Zone of Interest" letztlich nur einen weiteren, intellektuell nachvollziehbaren Ansatz zur seit Jahrzehnten florierenden, von Imre Kertész so benannten Stilisierung und Verfälschung des Holocausts. Glazer fokussiert sich jedenfalls auf die Familie Höß, vor allem auf Hedwig, die sich um ihr an der Lagermauer errichtetes Gartenparadies kümmert und eben auf Rudolf, den Kommandanten des Konzentrationslagers Auschwitz. Man sieht die Familie beim Plaudern, Schwimmen, Rudern, im Gewächshaus, zu Tisch, mit Gästen, im Alltag. Erzählt wird von einer Verlegung von Höß nach Berlin, darüber womöglich über eine Verschränkung eines kapitalistischen Apparats mit Faschismus, das ist aber bereits Interpretation. Glazer schwimmt lieber im Uneindeutigen, da ist es sicherer.



Inhaftierte sieht man nicht, nur einmal erahnt man sie hinter hohem Gras. Stattdessen verlegt Glazer das, was hinter der Mauer geschieht, auf die Tonspur und einige am Horizont erscheinende Rauchwolken von Schornsteinen und einfahrenden Zügen. Wenn man so will, ist "The Zone of Interest" das exakte Gegenteil von Harun Farockis "Aufschub". Ton, Farbe, Stilisierung und Illusion statt Stille, Entsättigung, Analyse und kritische Distanz. Mit bis zu zehn Kameras gleichzeitig versucht Glazer, im nur wenige Meter vom Original entfernten Nachbau der Höß-Villa, mit Hilfe eines von Sandra Hüller und Christian Friedel angeführten Ensembles die von Hannah Arendt beschriebene Banalität des Bösen sichtbar zu machen. Er verzichtet darauf, eine eindeutige Position zum Geschehen einzunehmen, beziehungsweise hat diese erst im Schnitt gefunden. Der Effekt dieser ungewöhnlichen Drehmethode ist zum einen ein an Überwachungsmethodiken erinnerndes Unbehagen, das sich in den Bildern hält, zum anderen eine das Dokumentarische imitierende Realitätsnähe und damit drittens ein Widerspruch zur von Arendt geschilderten Banalität. Denn die Philosophin betonte, dass die Banalität nicht mit Alltäglichkeit verwechselt werden dürfe. Die Realitätsferne der Täter ist nicht filmbar, schon gar nicht, wenn man sie realitätsnah zeigt.

Was der Film, wie viele Diskurse der letzten Jahre, behauptet, ist eine Art erarbeitete moralische Souveränität gegenüber dem Unbegreiflichen. Sie zeigt sich, wenn die Kinder der Familie sich im Gewächshaus einsperren und so den Sadismus als Spiel weitertragen. Sie zeigt sich, wenn in traumartigen, invertierten Bildern die Wirklichkeit des Lagers angedeutet wird. Sie zeigt sich, wenn Höß sein Pferd umarmt und damit vorspielt, was Theweleit über die Verschränkung von Männlichkeit und Faschismus geschrieben hat. Sie zeigt sich, wenn die angebliche und von Höß ja selbst so geschilderte Normalität hingenommen und mit kleinen auftauchenden Rissen abgefilmt wird.

Außer in einer aus dem Film herausfallenden Szene mit Nahaufnahmen auf die Blumen des Gartens, wonach sich die Leinwand Rot verfärbt und man im von Komponistin Mica Levi erzeugten Soundgeflirr fast erstickt, sowie einer aufregend platzierten Sequenz am Ende des Films, als Höß mit einem Mal in eine Zukunft zu blicken scheint, in der Reinigungstruppen das Staatliche Museum Auschwitz-Birkenau instandhalten, spart der Film die bis heute anhaltende Ohnmacht aus. Er zweifelt nicht, lässt sich nicht erschüttern, gibt den Eindruck, den Nationalsozialismus und seine Methoden gebannt zu haben. Das ist sicher nicht sein Anliegen, aber eine Folge des gewählten Vorgehens.



Die Bilder bleiben klar und ruhig und historisch. Die Menschen bleiben unmenschlich menschlich. Es ist egal. Sie repräsentieren verschiedene Gestalten einer nationalen oder menschlichen Schuld. Sind eigentlich keine Menschen, bleiben Figuren, auf theoretischen Analysen und Berichten basierende Ideen. Glazer zeigt nicht, um etwas zu erkennen oder zu überwinden, sondern verbleibt letztlich in einer visuellen Faszination am Unfassbaren. Dass jemand in einem Garten in der Sonne liegt, während auf der anderen Seite der Mauer Menschen erschossen und verbrannt werden, ist für ihn Grund genug, um ein Haus fast an Ort und Stelle nachzubauen, digitale Schornsteine rauchen zu lassen, Schreie auf der Tonspur erschallen zu lassen, Kostüme herstellen zu lassen, die besten deutschen Schauspieler ans Set zu holen und die Kamera anzuschalten. Wie in so vielen künstlerischen Arbeiten zuvor, ist der Holocaust mehr eine detaillierte Recherche über die historischen Bedingungen sowie die Möglichkeiten der Darstellung als wirkliche, aus der Gegenwart kommende Auseinandersetzung mit den Geschehnissen.

Dass das vom Film so betonte Bemühen, die Re-Präsentation der Gewalt zu vermeiden, nur für die Bild- nicht aber für die Tonebene gilt, ist zumindest seltsam. Gehört der Ton denn nicht zur Repräsentation, ist seine auf existierenden historischen Tondokumenten basierende, Bilder evozierende Gestaltung nicht sogar expliziter als es konkrete, überlegte, sich selbst hinterfragende Bilder wären? In gewissem Sinne tritt "The Zone of Interest" in die Fußstapfen von László Nemes und dessen "Son of Saul", der die Unschärfe als eloquentes Mittel nutzte, um angeblich nichts zu zeigen. Dass ausgerechnet Filmschaffende behaupten, Unschärfe und Ton würden nichts repräsentieren, ist seltsam.

Produktiver ist jene Sequenz, in der Glazer die mechanisch wirkenden Reinigungsarbeiten an der Gedenkstätte in Oświęcim mit ähnlichen Abläufen im Haushalt Höß in Verbindung bringt. Hier befragt sich der Film einmal selbst sowie auch die um ihn schwirrende, sogenannte Erinnerungskultur und deren Arbeitsweisen. Was genau in dieser Sequenz sichtbar wird, ist uneindeutig, aber etwas öffnet sich. In einer Zeit, in der die letzten Zeitzeugen sterben, müsste gerade das Kino sein Verhältnis zum Nicht-Verdrängen des Holocausts überdenken. "The Zone of Interest" will ein verantwortungsvoller Film sein, der alle bereits gemachten Fehler umschifft. Er wiederholt aber letztlich nur das Bemühen um intellektuelle Souveränität, der es im Kern vor allem an Menschlichkeit mangelt. Oder ist es verboten, das leider nur der Redensart nach Unmenschliche menschlich zu filmen? Wahrscheinlich müsste man genauer definieren, was diese Menschlichkeit wäre, sie ist aber sicher irgendwo dort zu finden, wo man kein Wort mehr herausbringt, wenn man sich vergegenwärtigt, was in den Vernichtungslagern geschehen ist.

Patrick Holzapfel

The Zone of Interest - USA, UK, Polen 2023 - Regie: Jonathan Glazer - Darsteller: Christian Friedel, Sandra Hüller, Johann Karthaus, Luis Noah Witte, Nele Ahrensmeier, Lilli Falk - Laufzeit: 105 Minuten.