Im Kino

Katzenkino

Die Filmkolumne. Von Patrick Holzapfel
25.10.2023. Der südkoreanische Regisseur Hong Sang-soo arbeitet seit nunmehr 30 Filmen an seiner eigenen Welt, die leider zumeist nur auf Filmfestivals zu besichtigen ist. Sein neuester, "In Our Day", zeigt, was dadurch verloren geht: ein Kino, das uns das Entspannen lehrt.


Es ist der 30. Spielfilm von Hong Sang-soo in 26 Jahren und längst mussten auch seine hingebungsvollsten Zuschauer eingestehen, dass sie kaum mehr wissen, was in welchem Film geschah und ob sie überhaupt alles gesehen haben. Das liegt selbstverständlich an der enormen Geschwindigkeit, in der der südkoreanische Filmemacher seine Arbeiten produziert, aber auch an deren Ähnlichkeit. Bereits beim Einsetzen der Titelmusik seines "In Our Day" fühlt man sich als Eingeweihter, wie einer, der das eigene Haus betritt. Man kennt die Gesichter, Gerüche und Wege. Es ist ein wohliges Gefühl, das viel erzählt von der Bedeutung des Vertrauten im und für das Kino. Dass Hong leider ausschließlich von einem cinephilen Publikum auf Festivals wahrgenommen wird und auch für dieses produziert, erzählt ganz nebenbei von einer Ökonomie, die sich insbesondere in den letzten zwei Jahrzehnten so rasant verändert hat, dass es schwerfällt, vom Kino im Singular zu sprechen.

Schreibt man über die Filme von Hong - so wird er in Festivalkreisen genannt - richtet man sich zum einen an ein Insidertum, das die kleinsten Variationen seines Schaffens bemerkt und im Detail das Bedeutende findet, andererseits ertappt man sich dabei, die ganze Zeit erklären zu wollen, was daran so herausragend ist. Wahrscheinlich hofft man doch noch, irgendwen überzeugen zu können. Ob das überhaupt möglich ist, sei dahingestellt. Auf die Hong-Schiene kommt man eben oder kommt man nicht, vielleicht ist das auch gut so.

In seinem neuen Film lehrt der Filmemacher zumindest das Entspannen. "In Our Day" erzählt von zwei verschiedenen Dreiergruppen an zwei verschiedenen Orten, die durch Kleinigkeiten wie eine Gitarre oder ungesundes Essen in Verbindung zu stehen scheinen. Drei Frauen und eine Katze, die auf den Namen "Wir" (oder "Unser") (ein telling name, wenn es je einen gab) hört und ein alternder Poet, der von einer Filmemacherin und einem Schauspielstudenten besucht wird. Mehr als die Hälfte der Laufzeit wird über die/mit der Katze und die Lust auf alkoholische Getränke gesprochen. Nichts davon hat mit dem zu tun, was einem durch den Kopf geht, wenn man dieser Beiläufigkeit folgt.

Denn zwischen der geradezu ausgestellten Nicht-Handlung samt einer minutenlangen Schere-Stein-Papier-Szene, in die sich dramaturgisch immerhin das kurzzeitige Verschwinden von "Wir" schiebt, entfaltet sich eine geradezu philosophische Ebene, die nach einem größeren Sinn sucht. Das liegt an der Parallelstruktur des Films: Man fragt sich unablässig nach der Verbindung dieser beiden ineinander geschnittenen Episoden und kommt so ins Nachdenken über spirituelle Berührungspunkte zwischen Menschen, die sich womöglich nie begegnen. Was bedeutet es beispielsweise, wenn jemand an einem ganz anderen Ort in einer Sekunde genau das gleiche isst wie man selbst?



Außerdem stellen sich die Protagonisten solche Fragen selbst. Sie suchen nach einer doppeldeutigen Bedeutung. Sie wollen wissen, was das Leben bedeutet und sie wollen bedeutend leben. Hier lässt Hong seinen alten Poeten mit einigen Weisheiten auftrumpfen, die in eine Art Zen-Haltung münden, in der fettiges Essen, Alkohol und Zigaretten zum Glück führen. Es geht in beiden Erzählsträngen (es sind eher zwei Situationen) letztlich darum, das Beste aus seiner Zeit zu machen und nochmal zu hinterfragen, was wirklich das Beste wäre. Man könnte das auch als bittersüßen Kommentar auf eine Selbstoptimierungsgesellschaft verstehen, die nicht nur in Südkorea ihr Unwesen treibt. Statt sich zu verbessern, so Hong, könnte man auch eine schöne Zeit verbringen. Sein Kino mit seinen bewusst rauschigen Digitalbildern, der gerade aufreizend lässigen Kadrage oder den von ihm so geliebten Zooms passt sich dieser Haltung an, errichtet sich als Bollwerk gegen die zeitgenössische Bildkultur, als Erinnerung an die verlorengegangene Alltäglichkeit des Kinos.

Gleichzeitig führen einen diese Bilder von Wohnzimmern, Terrassen und Balkonen in einen dämmrigen Zustand, die ostentative Sanftheit des Films, begleitet vom monotonen Plätschern der Dialoge, passt sich der Selbstgenügsamkeit der Figuren an. Plötzlich glaubt man, all das geschehe nur im Kopf der schlafenden Katze, im Kopf von "Wir" ("Unser") also. Der Kern, um den alles kreist, erinnert an unser Unwissen darüber, wohin Katzen verschwinden, bevor sie nach einigen Tagen zurückkehren, als wäre nichts passiert. Der Titel, wenngleich das schwer zu übersetzen ist, spielt auch auf den Namen der Katzen an, schließlich sind es unsere Tage oder die Tage von "Unser". Manchmal hört man Leute sagen, dass man so leben solle wie eine Katze. Hong hat einen Film gemacht, als wäre er eine Katze.

Hier präsentiert niemand etwas und schon gar nicht repräsentiert jemand etwas. Sogar der für Hong charakteristische Humor ist etwas zurückgefahren. Die Lächerlichkeit männlichen Verhaltens, sonst ein wichtiges Motiv des Filmemachers, verkehrt sich hier in eine Verlorenheit, von der auch Wärme ausgeht. Es ist ein streunender, geheimnisvoller Film. Hong ist keiner, der mit seinen Filmen sagt, dass das Leben absurd ist, er sagt nur mehr, dass es ist. Und das ist ziemlich viel und radikal und ja, es wäre angebracht, dass sich mehr Menschen damit auseinandersetzen als einige Eingeweihte, die sofort in den nächsten Film stürmen.

Patrick Holzapfel

In Our Day - Südkorea 2023 - OT: Uriui haru - Regie: Hong Sang-soo - Darsteller: Ki Joo-bong, Kim Min-hee, Song Sun-mi, Park Miso, Ha Seong-guk, Kim Seung-yu - Laufzeit: 83 Minuten.