Intervention

Vorerst noch im Hintergrund

Von Richard Herzinger
21.05.2024. Immer noch wird behauptet, China könne zur Befriedung Wladimir Putins beitragen und einen Frieden in der Ukraine herbeiführen helfen. Aber weit davon entfernt, Russland von seinem Vernichtungskrieg abbringen zu wollen, agiert Peking als graue Eminenz und Sponsor der antiwestlichen Kriegsachse Russland-Iran-Nordkorea, indem es hinter den Kulissen dafür sorgt, dass sie ihren globalen Aggressionskurs gegen die demokratische Zivilisation mit voller Kraft vorantreiben kann.
Befürworter verstärkter "diplomatischer Bemühungen" zur Beendigung des russischen Vernichtungskriegs gegen die Ukraine wiederholen meist gebetsmühlenartig, man müsse dazu enger mit China zusammenarbeiten.  

Als Beleg für die Annahme, Peking habe für solche Initiativen ein offenes Ohr, wird in der deutschen Öffentlichkeit eine Legende gepflegt. Demnach habe Bundeskanzler Olaf Scholz den chinesischen Staatschef Xi Jinping bei seinem Besuch in Peking zu einem Machtwort an die Adresse Putins veranlasst, von Drohungen mit Atomwaffen abzusehen. Tatsächlich aber droht der Kreml der Ukraine und dem Westen weiterhin unablässig die nukleare Vernichtung an. Kürzlich hat Putin sogar demonstrativ eine Atomwaffenübung nahe der ukrainischen Grenze durchführen lassen. Dass das chinesische Regime dagegen irgendwelche Einwände erhoben hätte, ist nicht bekannt. Vielmehr hat es bei dem jüngsten Besuch Putins in Peking seine Allianz mit dem Aggressor weiter befestigt.

Weit davon entfernt, Russland von seinem Vernichtungskrieg abbringen zu wollen, agiert Peking als graue Eminenz und Sponsor der antiwestlichen Kriegsachse Russland-Iran-Nordkorea, indem es hinter den Kulissen dafür sorgt, dass sie ihren globalen Aggressionskurs gegen die demokratische Zivilisation mit voller Kraft vorantreiben kann. Zwar exportiert China keine Waffen für den Krieg gegen die Ukraine, dafür aber Vorprodukte und Maschinen, mit denen sich Waffen bauen lassen. Es ist chinesische Waffen- und Dual-Use-Technologie, die Russlands Kriegsmaschine am Laufen hält und dem Kreml die massive Aufrüstung für den von ihm bereits fest eingeplanten Krieg gegen die Nato ermöglicht.

Chinesische Technologie findet sich auch in iranischen Drohnen, die Moskau für sein Bombardement gegen die ukrainische Zivilbevölkerung und zivile Infrastruktur einsetzt - und die vom Iran kürzlich auf Israel abgefeuert wurden. Nicht nur Russlands Krieg hat die Rückendeckung des Xi-Regimes, sondern auch die verschärfte Aggression Teherans sowie seiner Stellvertretertruppen Hamas und Hisbollah gegen den jüdischen Staat.  

Hartnäckig aber hält sich im Westen die Illusion, dem chinesischen Regime sei primär an Frieden und Stabilität in der Welt gelegen, und es betrachte den russischen Kriegskurs daher zumindest mit Unbehagen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Nichts passt Peking besser ins Konzept als dass seine Verbündeten an verschiedenen globalen Schauplätzen Kriege anzetteln, die den Westen in wachsende Bedrängnis bringen, ohne dass China selbst als militärischer Akteur in Erscheinung treten muss.

Dass der chinesische Staatschef für europäische Aufrufe zur Friedensstiftung nur Verachtung übrig hat, demonstrierte er bei seinem kürzlichen Besuch auf dem Kontinent. Schon die Auswahl seiner Reiseziele kam einer Demütigung der EU gleich. Außer in Frankreich, wo ihn Präsident Emmanuel Macron mit höchstem zeremoniellen Pomp empfing, machte Xi nur in Serbien und Ungarn Station, deren Regierungen die antiliberalen ideologischen Prämissen Pekings teilen. Den restlichen Europäern signalisierte Xi damit seine Absicht, Europa zu spalten, um es langfristig unter seine Kontrolle zu bringen - wofür er politische Stützpunkte auf dem Kontinent aufbaut. Mit Orbans Ungarn verfügt er dabei sogar schon über eine Einflussagentur innerhalb der EU.

In Paris ließ Xi Macron und die EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen mit ihrer Forderung nach einem faireren Handelsgebaren Chinas sowie mit ihrem Wunsch nach einem größeren friedenspolitischen Einsatz Pekings kalt abblitzen - und konterte mit der Bemerkung, die EU solle nicht als Vasall der USA agieren. Eine Vorlage dafür hatte ihm Macron vergangenes Jahr mit seiner Äußerung gegeben, Europas strategische Interessen im indopazifischen Raum deckten sich nicht notwendigerweise mit denen der USA. Xi dürfte dies als Signal dafür verstanden haben, dass Europa den USA bei der Verteidigung des demokratischen Taiwan im Ernstfall einer militärischen Aggression Chinas die Unterstützung verweigern könnte.

Seine Parteinahme für den russischen Aggressor kleidet das chinesische Regime in eine systematisch verschleiernde Sprache. So erklärte der chinesische Staatschef bei seinem Besuch in Paris in Bezug auf die Ukraine, nötig sei ein "Dialog" der Kriegsbeteiligten und die Schaffung "einer angemessenen, europäischen Friedensarchitektur." Da Europa in Wahrheit längst über eine solche Friedensarchitektur verfügt, kann dieses Statement nur eines bedeuten: China will die Machtverhältnisse in Europa im Sinne der revisionistischen, hegemonistischen Forderungen seines Alliierten Russland  verändern.

Chinas vermeintlicher "Friedensplan" für die Ukraine dient nur dem propagandistischen Zweck, den Westen hinters Licht zu führen und sich gegenüber dem "Globalen Süden" als der wahre Garant einer globalen Friedensordnung zu inszenieren. Das darin enthaltene Bekenntnis Pekings zum Prinzip der "territorialen Integrität", das von viele Europäern für bare Münze genommen wird, ist so allgemein gehalten, dass es auch im Sinne Moskaus ausgelegt werden kann. Denn Russland hat große Teile der Ukraine annektiert und betrachtet es nun als sein Staatsgebiet, dessen "territoriale Integrität" gegen ukrainische "Nazis" und  den vermeintlich aggressiven "kollektiven Westen" verteidigt werden müsse.

Bei seinem Besuch in Moskau Anfang vergangenen Jahres hatte Xi vor laufenden Kameras zu seinem "lieben Freund" Putin gesagt: "In diesem Moment sehen wir Veränderungen, wie wir sie seit hundert Jahren nicht mehr gesehen haben. Und wir sind diejenigen, die diesen Wandel vorantreiben." Womit er nichts anderes meinte, als dass er den historischen Moment für die Zerstörung der bestehenden, von westlichen Werten geprägten Weltordnung für gekommen sieht.

China agiert dabei vorerst noch im Hintergrund. Schon bald aber könnte es mit seiner zunehmend fadenscheinigen Camouflage als friedliebender "Vermittler" endgültig vorbei sein. Dann nämlich, wenn Peking Taiwan angreifen und sich damit offen als kriegerischer Aggressor gegen die demokratische Welt sowie als expansive Macht mit totalitären Weltherrschaftsambitionen zu erkennen geben wird.

Richard Herzinger

Der Autor arbeitet als Publizist in Berlin. Hier seine Seite "hold these truths". Wir übernehmen in lockerer Folge eine Kolumne, die Richard Herzinger für die ukrainische Zeitschrift Tyzhden schreibt. Hier der Link zur Originalkolumne.