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Nicht das Letzte seiner Art

Über Bücher, Bilder und Ausstellungen Von Peter Truschner
17.06.2020. Buchkunst Berlin zeigt bislang unveröffentlichte Fotografien von Dieter Keller aus dem Jahr 1941/42, die dieser als Soldat der Wehrmacht in der Ukraine machte. Selbst wenn Keller sich die Freiheit eines künstlerischen Zugangs inmitten des Grauens herausnimmt und etwa vier abgeschlagene Gänseköpfe zu einem skurrilen Bukett menschlicher Brutalität arrangiert, hält er sich doch zumeist zurück, wahrt eine beinahe unangenehme, ästhetische Distanz.
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Rund ums Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkriegs vor fünfundsiebzig Jahren hat der junge Berliner Fotobuchverlag Buchkunst Berlin eine zweite Publikation zum Thema herausgegeben. Die erste  - "Valery Faminsky - Berlin Mai 1945"  - zeigt auf teils unbekannten und zum ersten Mal publizierten Fotos, wie die Menschen in Berlin die Kapitulation Deutschlands und das Ende des Krieges erlebten (hier eine ausführliche Besprechung im Fotolot).

Das Buch war ein durchschlagender Erfolg und geht (bei bereits hoher erster) in die zweite Auflage. Bis zum 20.06. zeigt das Kölner Forum für Fotografie noch Faminskys Fotos; in Berlin werden sie nach der Ausstellung im Münzenberg-Forum 2019 ab 10. September noch einmal im Willy Brandt Haus als Teil der Ausstellung "Neue Zeit?" zu sehen sein, die dem Zweiten Weltkrieg gewidmet ist, und die Zeit vom Einmarsch deutscher Truppen in Warschau 1939 bis zum Kriegsende in Berlin behandelt.

Im Zuge dieser Ausstellung gibt es auch bislang unveröffentlichte Fotografien von Dieter Keller aus dem Jahr 1941/42 zu sehen, die dieser als Soldat der Wehrmacht in der Ukraine machte. Buchkunst Berlin veröffentlicht davon nun unter dem Titel "Das Auge des Krieges" ein Fotobuch mit rund hundert Fotos (es haben sich gerade mal gut zweihundert Originaldrucke erhalten, die Negative sind nach dem Krieg durch einen unglücklichen Zufall verbrannt). 
Warum in so kurzer Zeit noch mal eine Veröffentlichung zum Thema Zweiter Weltkrieg, könnte man die Verleger Ana Druga und Thomas Gust fragen. Die Antwort ist einerseits simpel: Sie kamen unverhofft und als Folge ihrer Faminsky-Veröffentlichung zu dem Material; anderseits sind die Fotos von ganz anderem Charakter als die dem Fotojournalismus verpflichteten Arbeiten Faminskys.

© Dr. Nobert Moos (private Sammlung)





















Der 1909 geborene und aus wohlhabender Kaufmannsfamilie stammende Keller bewegte sich im Umkreis des Bauhauses, pflegte rege Beziehungen zu Willi Baumeister und Oskar Schlemmer und hat später nicht nur diese, sondern auch Künstler wie Yves Tanguy und Tom Wesselmann gesammelt.
Man sieht den Fotos das künstlerisch geschulte Auge Kellers an, aber auch den Versuch, derselbe zu bleiben, der er vor seiner Einberufung war, und nicht etwa abzustumpfen und moralisch zu verwahrlosen. Die Fotografien waren dabei mit Sicherheit eine entscheidende Hilfe.

Serialität und Informalität gehören zum Rüstzeug der frühen Moderne, Künstler wie Klee und Baumeister sind in Deutschland deren Ahnherren, weshalb sich einiges davon auch auf Kellers Fotos auffinden lässt. Reihen von Gebäuden, von der meist leergefegten Straße aus fotografiert; Porträts von zerlumpten Kindern, denen das Lachen zum Teil noch nicht vergangen ist - schließlich konnten sie nichts wissen von den Nürnberger Rassegesetzen, wonach "die Slawen" per se Untermenschen und als solche zu behandeln waren. Auch nicht, dass die Deutschen nie vorhatten, die Ukraine nach der Vertreibung der Sowjetarmee als Verbündeten zu betrachten, sondern ausschließlich als auszubeutende Kolonie. (Näher auf die alles in allem unfassbaren Umstände der Besetzung der Ukraine durch die Deutschen einzugehen - vom Massaker von Babyn Jar an der jüdischen Bevölkerung bis zur aus Ukrainern bestehenden SS-Einheit "Galizien" -, würde hier definitiv zu weit gehen.)
 
Wenige Motive dominieren das Buch, das unbeherrschbare Chaos des Krieges, das sich in zahlreichen anderen Büchern zeigt: hier ist es einer kühlen, funktionalen Ordnung gewichen, an der am Ende nur die ideologisch abgesicherte Mechanik des vorsätzlichen Massenmordes und die darauf folgende Stille des Todes bleiben.
Auffallend sind die zahlreichen Darstellungen nah aufgenommener Schädel toter Pferde, die den Nahaufnahmen toter Jugendlicher korrelieren - im Buch immer wieder unterbrochen von brennenden Höfen und am Wegrand verdorrenden Pflanzen. Der Himmel darüber ist von einer eisernen Gleichgültigkeit - was hat der Mensch unter ihm im Laufe der Zeit nicht alles verbrochen? Und bei jedem neuen Verbrechen ist klar: wie ungeheuerlich es auch ist, es wird nicht das letzte seiner Art gewesen sein.

Die in dieser Art komponierten Seiten des Buches sind außergewöhnlich und herausfordernd und unterscheiden sich in ihrer Abfolge eklatant von dem, was es sonst jährlich beim World Press Photo Award zu besichtigen gibt.

Der Hinweis des Herausgebers Norbert Moos, Keller stünde mit dieser Arbeit in einer Reihe künstlerischer Kriegsdarstellungen von Bosch über Goya bis Dix, trifft es  dabei nicht wirklich. Der Darstellungen der drei Genannten sind auf unterschiedliche Weise theatralisch und tendieren zum Grotesken. Monströsen, Bestialischen.
Aber selbst wenn Keller sich die Freiheit eines künstlerischen Zugangs inmitten des Grauens herausnimmt und etwa vier abgeschlagene Gänseköpfe zu einem skurrilen Bukett menschlicher Brutalität arrangiert, hält er sich doch zumeist zurück, wahrt eine beinahe unangenehme, ästhetische Distanz.

© Dr. Nobert Moos (private Sammlung)






















Dieter Keller ist nicht Philip Jones Griffiths (mehr hier), dessen dramatische Bilder aus dem Vietnamkrieg geradezu ikonischen Status erlangt haben. Kellers Sachlichkeit und die Bedeutung, die er der blanken, gespenstischen Landschaft beimisst, erinnert eher an die Fotos aus dem US-amerikanischen Bürgerkrieg von Alexander Gardner (mehr hier) und Roger Fenton oder die zeitgleich entstandenen, einprägsamsten Arbeiten von Dimitri Baltermanz.

Gerade in heutiger Zeit, in der die Freiheit der Kunst wieder von allen Seiten in Frage gestellt  wird, und unterschiedliche Lobbys und Ideologien ihr nahezulegen, wenn nicht vorzuschreiben versuchen, was unter welchen Umständen von wem thematisiert und wie gezeigt werden kann, ist es nicht unproblematisch, dass ein Mitglied der vorrückenden deutschen Truppen sich angesichts der totalen, mit unvorstellbarem individuellen Leid einhergehenden Vernichtung derart künstlerisch betätigt hat. Kritik daran ist auch schon hie und da laut geworden.

Auf alle Fälle etwas, das man gesehen haben muss - am besten natürlich, indem man das Buch kauft und damit auch eine in Zeiten von Corona besonders unter Druck stehende Branche unterstützt.

Peter Truschner
truschner.fotolot@perlentaucher.de










Dieter Keller
: Das Auge des Krieges. Hrsg. von Norbert Moos. 118 Seiten, 24x20 cm, Hardcover. Buchkunst Berlin, Berlin 2020, 38 Euro. ISBN 978-3-9819805-2-3