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Über Bücher, Bilder und Ausstellungen Von Peter Truschner
16.01.2023. Mit dem Ausscheiden von Ingo Taubhorn und Felix Hoffmann aus zwei der einflussreichsten Posten in der deutschen Fotografie-Szene lässt sich hoffen, dass auch deutsche Ausstellungshäuser wieder mehr aktuellen internationalen Entwicklungen in der Fotografie öffnen.
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Wieder mal für längere Zeit in Berlin, fehlt mir die Motivation, um für Ausstellungen und Veranstaltungen im Bereich der Fotografie eigens das Haus zu verlassen. Und das nicht nur, weil der Betrieb gerade seine obligate Winterpause einlegt. Der Mix aus ostdeutscher Fotografie (vor 1989) und "Ostkreuz"-Fotografie (nach 1989), der die letzten Jahre hier dominant geworden ist, macht, wenn man in Paris die Arte Povera Ausstellung, in der Gemäldegalerie gerade Donatello und im Kino zuletzt "Nope" gesehen hat, nicht wirklich Lust, sich damit zu beschäftigen.

Auf die unzähligen Ausstellungen, Bücher und Dokumentationen einzugehen, die in Bezug auf die Fotografie in der DDR innerhalb kürzester Zeit in Berlin zu sehen waren (und weiterhin sein werden), würde den Rahmen sprengen. Konzentrieren wir uns also auf Ostkreuz, die unmittelbare Gegenwart und dabei nur auf einen kleinen Abschnitt - die werten LeserInnen werden rasch erahnen, warum jemand wie Richard Mosse, der vor zehn Jahren wie so einige andere ernsthaft überlegt hat, nach Berlin zu ziehen, inzwischen der Meinung ist, dass sich das in künstlerischer Hinsicht nicht mehr lohnt (wer es genauer wissen will, dem empfehle ich diesen Beitrag, der bis heute nichts von seiner Gültigkeit verloren hat).

Anett Stuth stellt demnächst im "Haus am Kleistpark" aus. Sie studierte unter anderem bei Arno Fischer, der bis zu seinem Tod 2011 an der Ostkreuzschule für Fotografie unterrichtete. Die einführende Rede zu ihrer Ausstellung hält Ingo Taubhorn, Chefkurator am "Haus der Photographie" der Deichtorhallen Hamburg und Dozent an der Ostkreuzschule für Fotografie. 2019 ließ Taubhorn Tobias Kruse das Stipendium "Recommended" zukommen. Kruse studierte an der Ostkreuzschule für Fotografie (Meisterklasse Arno Fischer), wurde später Mitglied der Agentur Ostkreuz, schließlich selbst Dozent an der Ostkreuzschule und stellt aktuell in der Galerie ARTCO aus.

Ebenfalls Dozent der Ostkreuzschule ist der Verleger von Buchkunst Berlin, Thomas Gust, der das Künstlergespräch mit Kruse im Zuge der Ausstellung geführt hat. Buchkunst Berlin fasst ein Buch mit Robin Hinsch ins Auge, der unter anderem bei Ute Mahler, der Gründerin der Ostkreuzschule, in Hamburg studierte. Die nächste Ausstellung bei ARTCO wird Johanna Maria Fritz bestreiten, die an der Ostkreuzschule studiert hat und Mitglied der Agentur Ostkreuz ist. Im Haus am Kleistpark stellte vor Stuth übrigens Anne Schönharting aus, die Co-Geschäftsführerin der Agentur Ostkreuz.

© Robin Hinsch


Alle, die nicht auf Monopole und Cliquen-Wirtschaft stehen, werden jetzt im ersten Moment vielleicht den Drang verspüren, sich zu besaufen. Verständlich - aber wir befinden uns gerade erst am Anfang eines neuen Jahres, und wenn wir es überblicken, gibt es an seinem Ende einen Hoffnungsschimmer (nein, damit ist definitiv nicht die Fotografiska gemeint, die dieses Jahr im ehemaligen Berliner Indie-Areal Tacheles ihre Pforten öffnet): Die Ausstellung von Katrin Linkersdorff soll die letzte sein, die der informelle Chef-Promoter der Ostkreuzschule, Ingo Taubhorn, zu verantworten hat. Danach soll für ihn an den Deichtorhallen Schluss sein.

Der Wechsel in der Führungsetage am Haus der Photographie ist erfreulich und war längst überfällig.

Neben seiner Funktion in den Deichtorhallen und seinem Wirken an der Ostkreuzschule vergibt Taubhorn mit Gleichgesinnten (Nina Röder, Peter Bialobrzeski, Heidi Specker, Reinhard Spieler, Anna Gripp) den hoch dotierten Vonovia Award, vergibt mit Celina Lunsford das Recommended-Stipendium des Kameraherstellers Olympus, ist Präsident der "Deutschen Fotografischen Akademie" und zeichnet hauptverantwortlich für die jährliche Foto-Nachwuchs-Schau "Gute Aussichten" - um nur das Augenfälligste zu erwähnen.

Ein machtbewusster Multifunktionär, den zu kritisieren in der Szene sich so gut wie niemand leisten kann und will.

(Einen ähnlichen Checker gibt es in Hamburg übrigens auch am Theater: Joachim Lux, langjähriger Dramaturg und inzwischen Intendant des Thalia Theaters, der nur ein paar Monate später ebenfalls aus dem Amt scheidet.)

Für das Haus der Photographie unter Taubhorn gilt ungleich mehr, was ich vor einiger Zeit über C/O Berlin geschrieben habe: dass so gut wie alles, was in den Zehnerjahren in der Fotografie international heiß und wichtig war, zielsicher an dieser Institution vorübergegangen ist.

Neben der Vorliebe für (gerne tote) US-amerikanische Fotografen, die Taubhorn mit Stephan Erfurt von C/O Berlin teilt (Saul Leiter, Irving Penn) gab's in Hamburg oft Eingemachtes der Marke "Ingo & Friends" (Peter Bialobrzeski, Ute Mahler)) oder Ausstellungen, deren Fundament andere legten (Michael Wolf).

Dass Taubhorn in seinem eingeschränkten Blick auf die Fotografie (der von nicht wenigen KuratorInnen und FeuilletonistInnen geteilt wird) auf die Idee gekommen wäre, dafür zu sorgen, dass etwa Richard Mosse' fantastische Installation "Broken Spectre" über das ganze Ausmaß der Zerstörung des amazonischen Regenwalds, deren Screening aufgrund großer Nachfrage in London gerade bis 26. Februar verlängert wurde, oder Antoine D'Agatas atemberaubende COVID-Wand in der Pariser Brownstone Foundation nach Hamburg kommt - no way (von den meisten Destinationen zwischen Essen und Leipzig hat man dahingehend ohnehin nichts zu erwarten).

Seit das Haus der Photographie nun renoviert wird und Taubhorns Abschied näher rückt, versucht er in der baulichen Übergangslösung "Phoxxi" mit der Präsentation einiger international hoch gehandelter KünstlerInnen wie Jack Davison, Omer Fast und Alix Marie an seinem Image zu feilen - zu spät.


© Alix Marie


Die Deichtorhallen um Direktor Dirk Luckow bräuchten sich im Grunde nicht lange zu fragen, wie es nach Taubhorn weitergehen soll - eine mögliche Antwort, die den Weg in die richtige Richtung weist, haben sie selbst schon gegeben.

Letztes Jahr gab es dort die Ausstellung "Currency: Photography beyond capture". (Ich habe nicht darüber geschrieben, weil ich mich die meiste Zeit tausend Kilometer entfernt gerade in einer intensiven Arbeitsphase befand.) Ein internationales KuratorInnenteam - Koyo Kouoh, Rasha Salti, Gabriella Beckhurst Feijoo und Oluremi C. Onabanjo - hat diverses, sich von völlig unterschiedlichen Ansätzen und Quellen speisendes Material in einer konfrontativen Hängung der Arbeiten und einer originellen Aufteilung des Raums intelligent und überzeugend inszeniert.

Die Krux an der Sache: Die Ausstellung war Teil der "Triennale der Photographie", bei der es in Hamburg immer Spannendes zu sehen gibt, während man es im Alltag zwischen Sammlung Falckenberg und Stiftung Gundlach, Photonews und Griffelkunst lieber ruhig angehen lässt.

Wie auch immer. Mit dem Ausscheiden von Ingo Taubhorn und Felix Hoffmann (mehr dazu hier) werden zwei der wichtigsten und einflussreichsten Positionen im Bereich der Fotografie in Deutschland neu zu bestellen sein. Obwohl ich persönlich nicht daran glaube, kann ich wie alle, die der Sache der Kunst verpflichtet sind, nur hoffen, dass beide Institutionen die darin liegende Chance erkennen und nutzen.

Peter Truschner
truschner.fotolot@perlentaucher.de