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Wiese mit Glühwürmchen

Über Bücher, Bilder und Ausstellungen Von Peter Truschner
16.01.2024. Der Trend in Fotoausstellungen geht eindeutig in Richtung Klimawandel, da das postkoloniale Thema künftig mit spitzeren Fingern angefasst werden dürfte. Überall also Steine, Blumen, Bäume und Himmel und didaktische Absichten. Auch wenn man schon jetzt genug davon hat: In Wahrheit sind die Förder- und Austauschprogramme in Bezug auf diesen Themenkomplex gerade erst im Anrollen und werden in Zukunft wohl ebenso wenig verschwinden wie der Klimawandel selbst. An einen Pionier der Thematik wie Michael Flomen reichen die meisten Arbeiten nicht heran.
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In meinem Rückblick auf die "Paris Photo" habe ich neulich auf einen Trend hingewiesen: Einerseits die Rückkehr von Bäumen, Blumen und Stilleben als klassische (und in diesem Sinn meist harmlose) Motive der Fotografie. Andererseits Landschafts- und Naturfotografie als Auseinandersetzung mit Klimawandel, Erderwärmung, Artensterben und anderen Erscheinungsformen des Raubbaus an der Natur.

Diese Auseinandersetzung geht nicht selten mit einem erhobenen Zeigefinger einher, wie er auch in unzähligen, durchwegs langweiligen Beiträgen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens und des Stadttheaters vorkommt, die um ein gesellschaftliches Anliegen oder ein Narrativ eine moralisch aufgeladene Geschichte bauen, deren Botschaft im Verlauf der Handlung früher oder später deutlich wird. In Museen und Galerien ist so etwas noch mal leichter zu realisieren. Mit Vorliebe werden seit je Schulklassen zum Besuch von Ausstellungen dieser Art verdonnert, und Medien berichten mit dem gebotenen Ernst darüber.

Die am 18. Januar (also bald!) zu Ende gehende Ausstellung "Image Ecology" bei C/O Berlin liefert dafür ein gutes Beispiel.

In Kategorien unterteilt, die den Stadien des Stoffwechselkreislaufs entsprechen sollen - Energie, Material, Arbeit und Abfall -, ist das, was es in den Räumen großteils zu sehen gibt, visuell nur mäßig interessant, erst recht nach dem vorangehenden Besuch der Ausstellung von Mary Ellen Mark im Erdgeschoss.

Dabei gibt es Cyanotypien zu sehen, Naturdrucke, die sich mit der Zeit ohne Rückstände zersetzen, und Fotos, deren Negative sich in einem vom Bergbau verseuchten Fluss rot färbten. Aber die meisten Arbeiten dienen nur dazu, das Thema zu illustrieren, und können auch künstlerisch nur punktuell überzeugen, was beim Anspruch der Ausstellung nicht verwundert: "Wie kann eine Welt unter ökologischen, ökonomischen und sozialen Gesichtspunkten gerechter gestaltet werden? Die Ausstellung bietet Perspektiven für menschliches Handeln und transnationale Solidarität und eröffnet Möglichkeiten einer zukunftsweisenden, ökologischen Bildpraxis." Ja, ganz sicher.

Im Abschnitt "Material" gibt es linker Hand eine mit Bildern und Texten gepflasterte Wand. An der gegenüberliegenden Wand sind Leisten wie in Geschäften für Handtaschen angebracht, auf denen Objekte und kleine, gerahmte Bilder stehen. In der Mitte hat wer auch immer ein (eigentlich nicht uninteressantes) Leporello auf eine krumme Holzfläche drapiert, die sich durch den Raum windet wie ein Fluss durch eine Landschaft. Wie aufgrund der Referenztexte zu den jeweiligen Arbeiten zu erwarten, wird auch diese Konstruktion einen tiefen Sinn haben - allein, sie wirkt einfach nur prätenziös.

Image Ecology bei C/O Berlin


Nachdem man gegen Ende an den großformatigen Arbeiten des Fotografen Tristan Duke vorüberkommt, der die interessante Idee hatte, eine Lochkamera mit einer Linse aus Eis zu versehen, landet man unversehens bei den seit Jahr und Tag immergleichen, nächtlichen Aufnahmen junger Menschen von Tobias Zielony, die an der Wand fließend ineinander übergehen wie Poster von Taylor Swift in Zimmern von Jugendlichen.

Apropos Jugendliche: Wenn diese Ausstellung das Ergebnis der Projektwoche einer ebenso fotobegeisterten wie umweltbewussten Abi-Klasse eines Berliner Gymnasiums wäre, wäre das Ergebnis sehr erfreulich - so ist das Ganze doch eher dröge.

Kuratiert wurde die Ausstellung noch von Kathrin Schönegg, die inzwischen ans Münchener Stadtmuseum gewechselt ist. Co-Kurator war der neu zum C/O-Team hinzu gestoßene Boaz Levin, der zuvor schon an der ebenso wenig berauschenden, aber deutlich stringenter gestalteten Ausstellung "Mining Photography" beteiligt war (mehr dazu hier). Schönegg und Levin dürften auch für die schlicht willkürliche Hängung von Zielonys Arbeiten verantwortlich sein. Schließlich fanden alle Beteiligten 2017 auf der Biennale für Fotografie in Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg im kuratorischen Team um Zielonys Mentor Florian Ebner zusammen.

Schon wie bei "Mining Photography" dürfte die Lektüre des wieder bei Spector Books erscheinenden Katalogs "Image Ecology" sinnvoller sein als der Besuch der Ausstellung.
Im Museum für Photographie Braunschweig gibt's zeitgleich die Ausstellung zum Themenkreis "Clima, Food, Nature", In der Berlinischen Galerie gibt's die Gruppenausstellung "Grünzeug - Pflanzen in der Fotografie der Gegenwart" (mit der einen oder anderen Position, die man etwa im Vergleich zu Klaus Pichlers Petunien-Projekt nicht anders als arg konventionell bezeichnen kann).

Die Berliner Galerie Robert Morat zeigt wiederum (allzu) schlichte Fotos von "Steinen, Wasser, Bäumen und Himmel", die Bernhard Fuchs auf seinen Wanderungen durchs österreichische Mühlviertel gemacht hat. (Um mehr Schwung in die Sache zu bringen, könnte Morat einen Baumstamm in der Galerie aufstellen, den Besucher im Zuge einer "immersive and audience embedding performance" umarmen können. Zeitgemäßer Titel: "Sista Tree.")

Simone Nieweg zeigt "Pflanzen, Schuppen und Ackerland" in der Kölner SK Stiftung Kultur. Die Alfred Erhard Stiftung in Berlin zeigt Jan Schefflers vom Menschen (einstweilen noch) so gut wie unberührte, nordische Landschaften. In Hamburg sieht man bis zum 21. Januar noch die Blumen von Kathrin Linkersdorff, in Zürich die von Brigitte Lustenberger noch ein wenig länger.

© Ingar Krauss, Berlinische Galerie

Auch in Österreich steppt dahingehend der Bär.

Im Wiener Museumsquartier wird Ursula Biermann neben anderen, themenverwandten Arbeiten ihre Videoinstallation "Becoming Earth" zeigen, "die sie als embedded artist in Amazonien erstellt hat. Dabei beleuchtet sie den Klimawandel nicht nur aus künstlerisch-wissenschaftlicher, sondern auch aus gesellschaftlicher und regional-kultureller Perspektive". (Genial im Sinne allfälliger Förderungen und des gängigen Kuratoren-Sprechs finde ich Biermanns Wortschöpfung "Geobodies".)

Auch wenn man schon jetzt genug davon hat: In Wahrheit sind die ganzen nationalen und internationalen Förder- und Austauschprogramme in Bezug auf diesen Themenkomplex gerade erst im Anrollen und werden aufgrund der Faktenlage in Zukunft wohl ebenso wenig verschwinden wie der Klimawandel selbst, während etwa postkolonial basierte Projekte (viele davon noch in Vorbereitung) angesichts aktueller Entwicklungen an Boden verlieren dürften.

Seit einigen Jahren sind Bücher wie das von Benedikt Bösel "Rebellen der Erde. Wie wir den Boden retten - und damit uns selbst" oder "Das geheime Leben der Bäume" von Peter Wohlleben vieldiskutierte Bestseller.

Rund zwanzig Jahre vorher galt man, wenn man sich mit Helmut Schreiers "Bäume: Streifzüge durch eine unbekannte Welt" beschäftigt hat, überwiegend noch als grüner Spinner. Ins Museum oder auf die Bestseller-Liste des Spiegel hätte man es damit jedenfalls nicht geschafft.

Es gibt auch Fotografen und Fotografinnen, die sich schon lange und auf eine ganz eigene Art und Weise mit dem Bäumen und Böden, Natur und deren Vernichtung auseinandersetzen - einst vermeintliche Sonderlinge, die aus heutiger Sicht ihrer Zeit schlicht voraus waren.

Letztes Jahr hat der Hirmer Verlag eine umfangreiche Publikation zum fünfzigjährigen Schaffen von Michael Flomen herausgegeben, der mir bis dahin kein Begriff war. 1952 geboren, gehört er zur Flower-Power-Generation, die geprägt ist vom Rock'n'Roll, dem Vietnamkrieg, der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und der Ermordung von John F. Kennedy und Martin Luther King.  Als Fotograf treibt er sich in seinen Zwanzigern wie so viele auf der Straße herum, dabei nicht nur in seiner Geburtsstadt Montreal, sondern auch in New York, Chicago, Paris und Venedig. Er ist dabei geleitet von Henri Cartier-Bressons idee des "Moment décisif", jenes Augenblicks, den es als Fotograf zu erfassen gilt, in dem das mysteriöse Eigentliche einer Situation oder gleich das Wesens von Menschen (vermeintlich) zutage tritt.

© Michael Flomen


In den achtziger Jahren lässt sich Flomen in Montreal nieder, wechselt zum Großformat und eröffnet ein Studio, in dem er sowohl in der Dunkelkammer als auch beim Drucken mit unterschiedlichen Materialien und Vorgängen experimentiert - ein Prozess, der schließlich dazu führt, dass er die Kamera hinter sich lässt, und stattdessen mit lichtempfindlichem Material arbeitet, auf denen sich die Umgebung im Zusammenspiel mit natürlichen Lichtquellen niederschlägt.

In dunkler Nacht transportiert er Negative in einer lichtgeschützten Box auf eine Wiese mit Glühwürmchen in der Nähe seiner Farm im Osten Kanadas. Die Glühwürmchen bewegen sich unter dem lichtempfindlichen Material, ihre Bewegungen werden aufgrund ihrer Biolumineszenz darauf sichtbar wie ineinander verwobene Ketten aus Lichttropfen, die - je länger sich eine Anzahl von ihnen unter dem großen Negativ (20, 3 x 25, 4 cm) befindet, zu Schlieren werden und sich an bestimmten Stellen zu Ballen häufen. Die Belichtungszeit beträgt hier gerade mal vier Minuten, und Flomen achtet darauf, dass kein intermittierendes Mondlicht auf das Geschehen fällt.

Ein anderes Mal versenkt er eine mit einer lichtempfindlichen, Wasser abstoßenden Emulsion beschichte Glasplatte für eine Woche in einem Teich und lässt die darin vorhanden Lebewesen bei wechselndem Sonnen -und Mondlicht ihre Arbeit verrichten. Alles spielt hier eine Rolle: Die Lichtquelle. Die Belichtungszeit. Das verwendete Material und dessen Größe. Ob es Nacht ist oder Tag (oder beides hintereinander). Ob das lichtempfindliche Material dem Boden oder dem Himmel zugewandt ist (oder abwechselnd beidem). Mit welchen lumineszierenden Substanzen und Organismen man es zu tun hat, ja, welches Wetter gerade herrscht (besonders eindrückliche Arbeiten entstehen etwa bei Schneestürmen, bei denen das Material knittert, wellt und einreißt).

Obwohl es auch farbige Arbeiten gibt, ist das meiste schwarzweiß, und zwar in riesigen Formaten. Zweieinhalb Meter (ob lang oder breit) ist für eine Arbeit völlig normal. Ein Triptychon - ein von Flomen bevorzugtes Format - kann dann bis zu siebeneinhalb Meter haben.

© Michael Flomen


Die Arbeiten erinnern an die großformatigen Bilder des Abstrakten Expressionismus, an Jackson Pollock oder Franz Kline, und haben in dieser Größe etwas Urzeitliches an sich, das auf etwas verweist, das schon vor dem Menschen da war und ihn auch überdauern wird. Pollock hat betont, wie sehr für ihn der energetische Fluss und der Zufall, der daraus hervorgehen kann, beim Malprozess eine Rolle spielen. Flomen geht noch darüber hinaus, in dem er in dem Augenblick, in dem etwas eine Spur hinterlässt und mit der Zeit chaotische Muster hervorbringen kann, nicht interveniert, ja, gar nicht anwesend ist, und mit dem Ergebnis erst konfrontiert ist, wenn es in der Dunkelkammer sichtbar wird.

Einer von Flomens Hausautoren, Henry David Thoreau, hat einmal in Bezug auf das Fischen geschrieben, dass die Leute so konzentriert darauf sind, einen Fisch zu fangen, dass sie völlig übersehen, was es währenddessen noch in ihrer Umgebung zu fangen oder zu erhaschen gäbe. Flomens Arbeiten zeigen nicht zuletzt, dass die Dunkelheit nicht wirklich dunkel ist, und das vermeintliche Nichts voller Leben.

Peter Truschner
truschner.fotolot@perlentaucher.de



Michael Flomen: Photograms and Photographs 2020 -1970. 300 Seiten, 23 x 29 cm, Hardcover. Hirmer Verlag, München 2023, 55 Euro. ISBN: 3777441732 - (Zu erwerben bei eichendorff21, dem Buchladen des Perlentaucher)