Fotolot

Papier und seine Beschichtung

Über Bücher, Bilder und Ausstellungen Von Peter Truschner
09.06.2023. "Mining Photography" heißt ein Katalogbuch, das über Umweltschäden informiert, die von Fotografie selbst ausgelöst wurden: Übrigens auch eine Mahnung für Analog-Nostalgiker. Das Buch basiert auf einer Ausstellung, die bereits abgelaufen ist: Macht aber nichts, es ist im Grunde das bessere Medium, um sich kundig zu machen. Die jeweiligen Kapitel sind voller interessanter, großer und kleiner Geschichten.
Fotolot-Newsletter abonnieren
Nachhaltigkeit ist neben Klimawandel und (biologischer, geschlechtlicher, ethnischer) Diversität aktuell das große Thema im (westlichen) Kulturbetrieb. Anderswo auf der Welt dominieren Fragen von der Art "Wo bekomme ich etwas zu essen?", "Überleben wir den nächsten Angriff?" oder "Warum darf ich nicht zur Schule gehen?", aber es wäre wohl trügerisch zu glauben, dass das eine mit dem anderen nicht in Zusammenhang steht.

Feminismus und der Kampf gegen Rassismus sind immer noch aktuell (wie auch nicht?!), haben aber im Ranking ein wenig an Boden verloren, was auch damit zusammenhängt, dass beim Thema Nachhaltigkeit das Herz deutscher Kultur - Gebäude und damit verbundene  Beamte - unmittelbar betroffen ist. Stichwort: Das grüne Museum.

Gendergerechtigkeit und Diversität sind im Grunde einfach herzustellen, indem man kompetente Frauen und People of Color rekrutiert, dabei jedoch bei aller Diversität darauf achtet, dass sie derselben Schicht angehören und über beste familiäre Verhältnisse, beste Ausbildung und beste Beziehungen verfügen. Es dürfte also niemand überraschen, dass seit einiger Zeit eine Welle junger Frauen in damit verbundene Berufsfelder vordringt.

Auf den ersten Blick geht es beim Thema Nachhaltigkeit natürlich um Umwelt schonende und Ressourcen sparende Maßnahmen.

Nicht nur Museen und andere Institutionen, sondern Gewohnheit gewordene Abläufe - Festivals, Wanderausstellungen, Symposien - sind zu hinterfragen und neu aufzustellen. Eine Riesenaufgabe, nicht zuletzt, weil es gilt, sich von Praktiken wie der Vielfliegerei und anderen lieb gewonnenen Selbstverständlichkeiten zu verabschieden - etwas, worin Menschen nicht wirklich gut sind.

Gemessen am großen Ganzen kommt der Kultur dabei wie immer nur eine bescheidene Rolle zu, es werden aktuell im Zeichen von Nachhaltigkeit und Energiewende unglaubliche Summen bewegt, unglaublich lukrative Aufträge vergeben. Es ist daher kein Wunder, dass  - wie unlängst das Online-Medium Ruhrbarone dargelegt hat -  sich in den letzten Jahren ein miteinander bestens vernetzter, grüner Nachhaltigkeitsadel in Europa ausgeprägt hat. Auch die fragwürdige Postenvergabe an Freunde und Familienmitglieder im Umfeld  von Finanzminister Robert Habeck ist ein Indiz dafür, wie wichtig und rentabel dieser Bereich ist.

© KHW, Courtesy: Rare Books, Special Collections and Preservation, University of Rochester


Im Kunst Haus Wien ging gerade eine Ausstellung über die Bühne, die letzten Herbst bereits im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg zu sehen war: "Mining Photography - Der ökologische Fußabdruck der Bildproduktion". Leider Gottes hatte ich aufgrund von terminlichen Unvereinbarkeiten erst auf den letzten Drücker die Möglichkeit, sie zu besuchen.

Auf zwei Stockwerken wurde den BesucherInnen vor Augen geführt, wie sehr die Geschichte der Fotografie mit der großteils schmutzigen, kolonialen Geschichte des industriellen Abbaus von Rohstoffen in Verbindung steht. Die Ausstellung versuchte einen Perspektivwechsel: anstatt wie gewohnt Umweltzerstörung, unzumutbare Arbeitsbedingungen und fragwürdige Abfallentsorgung zu dokumentieren, steht die Fotografie selbst als Verursacherin am Pranger.

© KHW, Optics Division of the Metabolic Studio


Zum Glück gibt es zu dieser Ausstellung anstatt der üblichen, unnötigen Ressourcenvernichtung mal einen überaus sinnvollen Katalog, den durchzublättern und zu lesen sich lohnt.

Der Katalog ist wie die Ausstellung gegliedert anhand der Rohstoffe, die für die Fotografie von Bedeutung sind: Kupfer und Gold; Fossile Brennstoffe, Kohle und Bitumen; Papier und seine Beschichtung; Silber; Seltene Erden, Metalle, Energie und Abfall.

Obwohl auch für Insider und ExpertInnen, die sich schon eingehender mit verschiedenen Aspekten der Fotografie und ihrer Geschichte auseinandergesetzt haben, Unbekanntes und Überraschendes dabei sein dürfte, wendet sich "Mining Photography" vor allem an Menschen, die sich dieser Aspekte bislang nicht wirklich bewusst waren -  nicht unähnlich der Situation, als unbedarfte Autofahrer zum ersten Mal über die Emissionen des klassischen Verbrennungsmotors und deren Folgen für die Umwelt informiert wurden.

Die jeweiligen Kapitel sind voller interessanter, großer und kleiner Geschichten.

Alexander von Humboldt bringt von seiner ersten Forschungsreise 1799 durch Süd- und Nordamerika silber -und kupferhaltige Mineralien mit, die später für die Daguerreotypie von Bedeutung werden. Seit 1841 wird Gold für die Fixierung von Daguerrotypien verwendet - Fotos vom amerikanischen Goldrausch verkörpern somit zwei Seiten derselben Medaille.

Ende des 19. Jahrhunderts wird der Gummidruck erfunden, bei dem eine große Menge an Ruß zum Einsatz kommt.
Der Fotograf Charles Nègre dokumentiert eine Forschungsreise, in der es um für das Tiefdruckverfahren wichtige Bitumenvorkommen geht.

Ein skurriles Foto zeigt die in begehbaren Tresoren gehorteten Silbervorräte von Eastman Kodak als Ergebnis des Aufschwungs der Fotografie, die davon profitierte, dass sich Gold ab 1870 als Währungsstandard durchsetzt und Silber abgewertet wird. Lisa Barnard verfolgt die Spuren von Elektroschrott, dessen wertvolle Bestandteile in China mit Salpetersäure aus Geräten extrahiert werden. Mary Mattingly dokumentiert im Kongo den unter lebensgefährlichen Bedingungen vonstatten gehenden Abbau von Kobalt, das für Lithium-Ionen-Akkus unerlässlich ist.

Es scheint mir sinnvoll, noch ein paar Worte über die Ausstellung zu verlieren - nicht zuletzt, da Nachhaltigkeit und Klimawandel die angesagten Narrative und mehr geförderte Ausstellungen, Publikationen und Symposien zum Thema zu erwarten sind.

Als ich Mitte Mai im Kunst Haus war, hat sich außer mir nur eine Person in die Ausstellung verirrt, und ich habe mir Zeit gelassen und die Tafeln an den Wänden gelesen. Ich könnte mir vorstellen, dass ein kurzweilig gestalteter, mit Animationen angereichter Film, der auch im Schulunterricht zum Einsatz kommen kann, das Thema besser vermittelt. Für die jüngere Generation kann auch gerne eine Datenbrille im Spiel sein.

Die Ausstellung selbst behandelt ihr Thema seriös, hat mich jedoch an die technischen und naturkundlichen Themenausstellungen erinnert, die ich als Gymnasiast besuchen durfte. Die dem dokumentarischem Material beigefügten Kunstwerke vermögen abseits ihres für das Kuratoren-Team um Esther Ruelfs und Boaz Levin offensichtlich interessanten Entstehungsprozesses und der dabei verwendeten Materialien nicht zu überzeugen.

In den beiden unteren Stockwerken des Kunst Hauses ist übrigens eine Dauerausstellung zum Werk von Friedensreich Hundertwasser zu sehen, der sich früh für ökologisch nachhaltiges Bauen eingesetzt hat und auch für den Bau des Kunst Hauses verantwortlich zeichnet. Der Strom an Besuchern  - so habe ich mir angesichts der Menschenmenge sagen lassen, die sich auf der Treppe drängte - reißt nie ab.

Vielleicht ja ein dezenter Hinweis darauf, dass die individuellen  Kunstwerke bestimmter  Menschen langfristig womöglich doch interessanter sind als die aktuell verbreitete Bebilderung angesagter Narrative.

Peter Truschner

truschner.fotolot@perlentaucher.de


Boaz Levin, Esther Ruelfs u. a. (Hg.)
: Mining Photography. Der ökologische Fußbadruck der Bildproduktion. 176 Seiten, 19 x 25 cm, Soft Cover. Spector Books, Leipzig 2022, 36 Euro. ISBN: 395905632X - zu bestellen über eichendorff21, den Buchladen des Perlentaucher