Im Kino

Durchdefinierte Postapokalypse

Die Filmkolumne. Von Thomas Groh
22.05.2024. George Miller hat einen fünften Mad-Max-Film gedreht und setzt dabei, durchaus überraschend, auf Kontinuität. Allerdings nur an der Oberfläche der Erzählwelt. Tatsächlich interessiert sich "Furiosa: A Mad Max Saga", anders als die Vorgängerfilme, mehr für Menschen als für Autos.

"Faster than steel, fortune on wheels
Brain haemorrhage is the cure"
Venom: "Black Metal"

Kontinuität ist nicht gerade etwas, womit man bei einem Film aus George Millers "Mad Max"-Filmreihe rechnet. In noch jedem der bislang vier Filme (1979-2015) veränderte MIller Details, fügte Facetten hinzu, schwächte andere ab oder änderte auch mal - besonders markant im Sprung vom ersten zum zweiten Teil - Atmosphäre und Look seiner im australischen Outback angesiedelten Postapokalypse. Es verhält sich bei "Mad Max" wie mit der James-Bond-Reihe, deren Filme sich ebenfalls als Variationen einer basalen Idee rund um eine einzelne Figur verstehen lassen, bis dahin, dass nicht einmal mehr der Schauspieler bindend ist. Diesen Schritt vollzog Miller 2015 mit "Mad Max: Fury Road", für den der wohl nicht nur aus Altersgründen nicht mehr tragbare Mel Gibson kurzerhand durch den jüngeren Tom Hardy ersetzt wurde.

Umso mehr erstaunt, dass es Miller mit dem nun vorliegenden fünften Film "Furiosa: A Mad Max Saga" zunächst um nichts anderes als Kontinuität geht: Erstmals bemüht sich ein Mad-Max-Film  händeringend darum, fortlaufend zu beglaubigen, dass es sich auch wirklich um dieselbe Erzählwelt wie im vorangegangenen Film handelt, dass die handelnden Personen und sogar die Spielorte dieselben sind wie in "Fury Road", Millers triumphale, in ihrer geradezu exzessiven wie konsequenten Skelettierung aufs Wesentliche bis heute mitreißende Rückkehr zum Franchise nach annähernd 20 Jahren. So lange hat Miller die Fans diesmal nicht warten lassen.

Wobei, nun gut, was heißt Kontinuität? Denn ansonsten ist in diesem Mad-Max-Film zwar nicht alles anders, aber doch so gut wie. Es fängt damit an, dass kein Mad Max drin ist (wachsame Adleraugen werden sagen: mit Ausnahme eines kurzen Osterei-Moments), sondern nun Imperator Furiosa (je nach Alter Anya Taylor-Joy, bzw. Alyla Browne) im Mittelpunkt des Geschehens steht. Schon in "Fury Road" war die (damals noch von Charlize Theron gespielte) beinharte Kämpferin mit der Unterarmprothese de facto die Hauptfigur des Films (was die dümmeren Teile des vorwiegend männlichen Fantums zu entsprechend öden Mäkeleien veranlasste). "Furiosa" erzählt nun in fünf schlaglichtartigen Kapiteln die Vorgeschichte der Titelfigur, von ihren Kindertagen in einem grünen Paradies inmitten der Wüstenei, wie sie entführt und damit in die Klauen des finsteren Warlords Dementus (Chris Hemsworth) geriet, wie sie im Tauschhandel in die Hände des nicht minder finsteren und aus "Fury Road" bereits bekannten Warlord Immortan Joe (Lachy Hulme) fiel, sich dort jahrelang als (männlicher) Mechaniker tarnte und schließlich in einem territorialen Krieg zwischen allen Warlords mitmischte, dabei stets von ihrem eigenen Bestreben nach Rache angetrieben - weil Dementus zu Beginn des Films ihre Mutter (Charlee Fraser) bestialisch ermorden ließ. Und natürlich weil seine Schergen sie aus dem Paradies entführten.


Was zum zweiten "alles anders hier" führt: So viel Plot, so viel persönliches Drama, so viel Shakespeare'sche Tragödie gab es im Franchise nicht mehr seit dem allerersten "Mad Max" (damals noch der damaligen Gegenwart verpflichtet, die von Punk und Metal informierte Fantasy-Welt, die heute mit dem Franchise in Verbindung gebracht wird, war eine Erfindung des Sequels). War "Fury Road" ein Glanzstück der Tugend "Show, don't tell" und von der Plotstruktur her gut mit dem Originaluntertitel "There and Back Again" von Tolkiens "Der Hobbit" umschrieben, ist "Furiosa" ein Stationendrama, das Millers einst sehr wandelbare, nun aber offenbar durchdefinierte Postapokalypse mit viel World Building ausstattet. Wie lebt ein Mensch in einer Welt, in der alle komfortablen Selbstverständlichkeiten unserer Wohlstansgesellschaft (einigermaßen ethisches Miteinander, niedrigschwelliger Zugang zu Ressourcen) weggebrochen sind, und das Recht des Stärkeren sowie die Machtinteressen psychotisch-dementer Warlords zum gesellschaftlichen Grundprinzip ernannt wurden? Da wir als Publikum immer dicht bei Furiosa sind, erleben wir es quasi hautnah mit: das vom entschlossenen Willen zum Überleben getragenes Zurechtfinden in einer Welt, die fürs Überleben nicht mehr eingerichtet ist. In der lakonischen Aneinanderreihung oft kryptisch überschriebener Episoden, die den großen Erzählbogen erst allmählich zu erkennen geben, erinnert der Film  stellenweise auch an die Manga-Klassiker Kazuo Koikes aus den Siebzigern wie "Lone Wolf and Cub" oder, noch mehr, "Lady Snowblood", die ebenfalls um ein "Kind der Rache" kreisen.

Noch etwas ist anders: Filetstück jedes Mad-Max-Films seit Teil 2 sind die waghalsigen Action-Setpieces rund um einen motorisierten Trek, der von Freaks, Mutanten und anderen Albtraumgestalten gekapert werden soll, um an eine begehrte Ressource (in der Regel: Sprit) zu gelangen. Sinnbild einer Welt, deren Fetischisierung fossiler Rohstoffe so weit reicht, dass selbst noch nach ihrem Untergang die Aussicht auf Benzin wahnwitzige und mörderische, wenn nicht sexuelle Energien freisetzt. Die Wurzeln des "Mad Max"-Franchise liegen deutlich erkennbar in den Siebzigern - als einerseits das Auto in zahlreichen Road-Movies und Actionkomödien als Spektakelgarant entdeckt wurde, andererseits Ölkrise und Kalter Krieg die prinzipielle Endlichkeit dieses Wohlstandssymbols eindrücklich vor Augen führte.

Jedenfalls: Ja, es gibt noch solche Spektakelszenen in "Furiosa". Aber sie wachsen sich nicht mehr zum seit Teil 2 etablierten Fluchtpunkt der Geschichte aus (in "Fury Roard" bestand der größte Teil des Films aus nichts anderem), sondern haben eher eine strukturiende Funktion, während der immer wieder von theatral-bühnenartigen Dialogszenen durchzogene FIlm schlussendlich auf eine Art Kammerstück-Höhepunkt hinausläuft. Lieferte "Fury Road" in seinen Trek-Setpieces noch völlig entfesselten Bombast inklusive exzessiv nach oben gedrehter Farb-Saturierung, kehrt Miller nun zu einem etwas realistischeren Register zurück: Die Wüste sieht wieder annähernd aus wie eine Wüste (und nicht wie etwas, was sich Donald Trump aus dem Gesicht gerieben hat), die Karren sind allesamt deutlich weniger durchgeknallt gestaltet (dafür packt Miller in jeden Quadratmeter mindestens einen Motorradfahrer) und die Actionszenen zeichnen sich mitunter durch eine fast analytische Kamera-Arbeit aus, die das Geschehen in langen, mutmaßlich digital vernähten "Plansequenzen" einfängt, statt es dromologisch anzuheizen. "Fury Road" war bildgestalterisch um einen Renaissance-Fluchtpunkt im Bild herum gestaltet - die Action war stets sehr mittig, geradezu phallisch-viral platziert -, hier nun gleitet die beobachtende Kamera eher: Konzentration statt Agitation - was gut zu dieser Furiosa-Figur passt, die in einer exzessiven Männerwelt kühl taktiert.

Die postapokalytischen Vehikel stehen diesmal weniger im Vordergrund; das Ensemble hingegen ist ausstaffierter denn je. Miller hat sichtlich Freude daran, weniger Autos als Menschen in ihrer grotesken Selbstinszenierung auszustellen. Das ist schön wild anzusehen und macht zuweilen  viel Freude, wenngleich manchmal ungute Terry-Gilliam-Vibes aufkommen - auch der britische Regisseur hatte sich irgendwann etwas zu sehr in die verfaulten Zähne und die unreine Haut seiner Figuren verliebt hat. Ein bisschen schade ist, dass der Film weit weniger aus einem Guss wirkt als die vorangegangenen Mad-Max-Filme. Manche Spezialeffekte sind atemberaubend gut gelungen, ein andermal gewinnt man den Eindruck, Cut-Out-Figuren vor einem digitalen Hintergrund zu beobachten, ohne dass sich beide Bildebenen zu einem kontinuierlichen Raum vermählen - was auch daran liegt, dass die Spitzlichter nicht immer plausibel gesetzt sind oder sich von Einstellung zu Einstellung verändern. Immerhin: Seit den ersten Vorab-Trailern ist offenbar ein bisschen Arbeit in die Spezialeffekte investiert worden. Dennoch entsteht zuweilen der Eindruck, dass der Film für die letzten entscheidenden Prozente unter zu hohem Zeitdruck stand.

Ernsthaft beschädigen kann das diesen Film allerdings nicht. Miller zieht das Publikum doch immer wieder verlässlich zurück in seine Erzählwelt. Die Konsequenz, mit der der Regisseur nach dem Action-Dauerfeuer "Fury Road" seine nunmehr gefundene Erzählwelt weiter ausstaffiert, sie als Spielkasten begreift und das "more of the same" unter das Vorzeichen eines "Yes, but on my terms" stellt, ist sehr beeindruckend. War "Fury Road" noch geradlinig, ist dieser Film deutlich verwinkelter und kantiger - darin vielleicht nicht immer zu jedem Moment geglückt, aber eben doch von einer im Feld des Action-Blockbusters selten gewordenen Auteur-Souveränität getragen.

Thomas Groh

Furiosa: A Mad Max Saga - Australien 2024 - Regie: George Miller - Darsteller: Anna Taylor-Joy, Chris Hemsworth, Tom Burke, Alyla Browne, George Shevtsov, Lachy Hulme - Laufzeit: 148 Minuten.