Im Kino

Verbitterte Ichs aus der Zukunft

Die Filmkolumne. Von Olga Baruk, Robert Wagner
24.09.2020. Auch Bill & Ted, die zwei Luschen, die 1989 in MTV, Bowling und Shopping Malls das Paradies sahen, bevor sie durch Zeit und Raum reisten, sind älter geworden. Ihre Ambitionslosigkeit sollte einst die Welt retten, doch jetzt zehrt der Misserfolg an ihnen: "Bill & Ted Face the Music" und sie klingt hässlich.  Elsa Kremser und Levin Peter setzen in ihrem Dokumentarfilm "Space Dogs" den Raumfahrthündinnen Belka, Strelka und Laika ein Denkmal, aber auch den Moskauer Straßenhunden.


Wenn wir eine rosige Zukunft haben wollen, dann müssen wir nur naiver und lockerer sein. So stellte es "Bill & Teds verrückte Reise durch die Zeit" 1989 in den Raum und damit H.G. Wells' "Die Zeitmaschine" auf den Kopf. In besagtem Roman finden sich in der Zukunft auch die Eloi: Nachkommen der Menschheit, die durch ein Leben in Bequemlichkeit nur noch ein kindliches Stadium erreichen und sich Richtung Tierreich zurückzuentwickeln. Ihre kindliche Unbedarftheit findet sich mit Abstrichen auch bei Bill S. Preston, Esquire (Alex Winter) und Ted "Theodore" Logan (Keanu Reeves) wieder. Zwei unbedarfte Jugendlichen, die mit ihren Instrumenten und Kameras lieber ein Rockstardasein in der Garage und im Kinderzimmer nachspielen, als ihre Träume tatsächlich zu verfolgen. Zwei Frohnaturen, die ihre Schulzeit ohne Interesse und Rebellion absitzen und nun wegen mangelhafter Allgemeinbildung phänomenal zu scheitern drohen. Nur ist die Implikation eine völlig andere: Die beiden sind keine Anzeichen einer einsetzenden Degeneration, sondern nicht weniger als die Retter der Menschheit. Mit einem Lied werden sie einst die Welt vereinen und allgemeine Harmonie stiften - nachdem sie mittels einer von der Zukunft gesponserten Zeitreise ihre Geschichtsprüfung bestehen.

Etwas weniger Engstirnigkeit wird die Menschheit durch sie wagen. Die Utopie von "Bill & Teds verrückte Reise durch die Zeit" ist, dass ohne Zwang keine "Idiocracy" entsteht, sondern eine friedliche Gesellschaft, die es schafft, aus Telefonzellen Zeitmaschinen zu entwickeln. Der Film kam im Jahr in dem in die Kinos, in dem der Eiserne Vorhang fiel. Den "Sieg" der westlichen Welt und die kurzzeitige Euphorie bezüglich der Zukunft schien die Komödie bereits aufgesaugt zu haben, wenn der aus der Vergangenheit gekidnappte Napoleon jedes Anzeichen von Verbissenheit und Sehnsucht nach Größe vermissen lässt, sobald er durch Eisbecher und Wasserrutschen gezähmt ist. Die simplen Freuden der "freien Welt" - MTV, Bowling und Shopping Malls - legen den Grundstein für das Paradies.

Mit "Bill & Teds verrückte Reise in die Zukunft" folgte umgehend eine Fortsetzung dieses grundsympathischen Hits. Und nun, fast genau 30 Jahre und die unwahrscheinliche Weltkarriere Keanu Reeves' später, folgt eine weitere. Für einen Tag gelangt diese in die deutschen Kinos, bevor umgehend die Auswertung als Video-on-Demand einsetzt. Die meisten Schauspieler der ersten beiden Teile wurden für das Projekt wiedergewonnen, Running Gags wurden wieder aufgenommen - die inzwischen nicht mehr ganz so junge Missy heiratet sich beispielsweise weiter durch die Familien unserer Protagonisten -, es wird wieder durch die Zeit gereist, und sowieso muss die Welt gerettet werden. Augenscheinlich soll der redliche Klassiker wiederbelebt werden, und doch ist inzwischen alles ganz anders.



Nach dem zweiten Teil schien die Geschichte von Bill & Ted auserzählt. Der Film endete mit der weltweiten Übertragung des Songs, mit dem sie die Welt vereinen. Die Ausgangslage von "Bill & Ted Face the Music" liegt nun darin, dass sich dies als trügerisch herausstellt. Bill & Ted spielten nicht das messianische Lied, sondern lediglich einen Hit, auf den ein langsamer Abstieg folgte. Die Schere zwischen dem Wissen aus der Zukunft und dem real gelebten Misserfolg, der die beiden inzwischen zu einer Band gemacht hat, die Autohäuser einweiht, wird immer größer. 30 Jahre leben sie in der Sicherheit des Wissens um ihren Erfolg, jetzt allerdings nagt die Unsicherheit zunehmend an ihnen, weil sie keine Ahnung haben, wie sich dieser Erfolg überhaupt einstellen soll. Was wiederkehrt, ist der Prüfungsdruck des ersten Teils, und er verstärkt sich sogar noch, als ein Bote aus der Zukunft erscheint, um ihnen zu offenbaren, dass die Realität - aus Gründen - kollabieren wird, wenn sie nicht in wenigen Stunden ihren Weltrettungssongs zur Aufführung bringen.

Einen ersten Eindruck davon, was die 30 Jahre Scheitern und das zunehmend verzweifelte Ankämpfen gegen den Misserfolg mit Bill & Ted angerichtet haben, erleben wir zu Beginn bei einer Hochzeit. Für ihren neuen Versuch spielt Ted ein Theremin und Bill vollführt Kehlkopfgesang. Sie verwenden Loops, Bongos, Gitarren und haben sich von Strukturen der Popmusik abgewendet. Ihre Musik ist ein unharmonischer Mischmasch, der planlos möglichst viele Musikkulturen einbeziehen möchte. Bill & Ted wirken zwar so unbedarft wie eh und je, aber ihre Musik erzählt inzwischen eine andere Geschichte.

Auch im Film selbst haben 30 Jahre Wartezeit Spuren hinterlassen. Die Ansprüche, denen er gerecht werden will, sind enorm. Fanservice und Wille zu mehr Diversität bestimmen das Geschehen. Bekanntes soll aufleben, und trotzdem soll es Innovationen geben. Statt mit den bösen Roboterdoppelgängern aus dem zweiten Teil bekommen es Bill & Ted dieses Mal mit ihren verbitterten Ichs aus der Zukunft zu tun, denen sie den Song abnehmen wollen, statt ihn selbst zu komponieren. (Die mit jedem Zeitsprung wechselnde Aufmachungen der heruntergekommenen Weltenretter gibt vor allem den Ausstattern die Möglichkeit sich hemmungslos auszuleben.) Gleichzeitig reisen die Töchter der beiden (Brigette Lundy-Paine und Samara Weaving) in die Vergangenheit und lassen damit den ersten Teil der Serie wieder aufleben. Dort sammeln sie die besten Musiker für die bestmögliche Band ein - Jimi Hendrix, Louis Armstrong, Mozart, Ling Lun und einen afrikanischen Schlagzeuger aus der Steinzeit, damit die zeitliche wie kontinentale Diversität halbwegs ausgeschöpft ist. Der innere Kern von "Bill & Ted Face the Music" ist der gute Wille. Die Auflösung des Plots lässt daran keinen Zweifel. Nur das tatsächliche Ergebnis ist leider wirr, uninspiriert und gewollt.

Die Lockerheit und die Naivität sind dahin, wie auch Keanu Reeves seinen Ted nur noch hüftsteif wiederaufleben lässt. Zwangsläufig ist das auch, weil die Zeiten eben andere geworden sind. Globale Krankheiten, eine kollabierende Natur, ein politischer Rechtsruck, Raubtierkapitalismus…: Die Apokalypse scheint zurzeit deutlich näher als das Paradies. Und so ist auch die Zukunft in "Bill & Ted Face the Music" kein einheitlicher Sehnsuchtsort, der höchstens von lachhaften Disziplinterroristen bedroht wird, sondern ein zerrissener Ort. Die Utopie hat sich an die Gegenwart und die Vergangenheit angeglichen. Große Führer warten dort, die alles falsch machen, die dem Druck nachgeben, statt locker zu bleiben. "Bill & Ted Face the Music" ist kein Film, der in die Fußstapfen seiner Vorgänger steigen kann. Aber er schafft es, mit seinem sensationell hässlichen Grau-in-Grau, abermals seine Zeit zu spiegeln; was ihn nicht zu einem hoffnungsvollen Erlebnis macht, sondern zu einer vielsagenden Kakophonie des Scheiterns.

Robert Wagner

Bill & Ted Face the Music - USA 2020 - Regie: Dean Parisot - Darsteller: Keanu Reeves, Alex Winter, Brigette Lundy-Paine, Samara Weaving, Kristen Schaal - Laufzeit: 91 Minuten.

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Als wir damals im postsowjetischen Belarus die Grundschulbank drückten, erzählte man uns von Belka und Strelka, den ersten Hündinnen, die 1960 in den Weltall geflogen sind. Die vierbeinigen Heldinnen kannte jedes Kind. Doch in den wilden 1990ern hatten andere Dinge Priorität. Der Traum von Kosmonautik war verblasst, er war nicht mehr der unsere. Wir fanden Belka und Strelka natürlich süß, aber niemand von uns Kindern fragte sich, wie es den beiden Lebewesen in ihren Raumkapseln erging. Wie fühlten sich die vielen Erdumkreisungen an, Tage und Wochen in stickiger Finsternis, Einsamkeit und Immobilität? Was haben sie gesehen? Wovon haben sie geträumt?

Genau dieser von uns versäumten Gedankenreise scheint "Space Dogs" zu entstammen. Elsa Kremser und Levin Peter haben einen Dokumentarfilm gemacht, der wie kein anderer ist. Erklärt wird hier nichts, auf Expert*innen und Zeitzeug*innen verzichtet das deutsch-österreichische Regieduo. Der Off-Erzähler (den Schauspieler Aleksei Serebryakov kennt man aus "Leviathan" von Andrei Swjaginzew) klingt hypnotisch und geheimnisvoll, als würde seine Stimme aus dem unendlichen Universum zu uns gelangen. Der Geschichte des sowjetischen Weltraumprogramms räumt der Dokumentarfilm wider Erwarten einen bescheidenen Platz ein, historische Fakten dienen ihm vor allem als Ausgangspunkt. Stattdessen fabuliert "Space Dogs" seine eigene Geschichte, ist an Mythenstiftung und Stimmungen interessiert. Zeiten und Entfernungen, konträre Größenordnungen und Spezies verwebt der Film ganz frei.

Im Unterschied zu den berühmten Belka und Strelka überlebte Laika, eine andere Moskauer Straßenhündin, die weite Reise nicht. Ein Erzählstrang handelt davon, wie sie am 3. November 1957 in den Weltraum geschossen wurde, wenige Stunden danach starb und noch monatelang dort oben schwebte, bis ihr Körper beim Wiedereintritt in die Atmosphäre verglühte. Man rechnete mit ihrem Tod, er war so gut wie geplant. Die Archivbilder aus der UdSSR, die Kremser und Peter in den Film montieren, sind nicht einfach zu ertragen. In ihrer abstrusen, methodisch ausgeführten, mehr propagandistisch als wissenschaftlich motivierten Willkür wirken sie so unglaublich wie nachgestellt. Darauf zu sehen: Menschen, die erschrockenen Hunde in Zentrifugen schleudern, ihnen Sensoren anschließen, Spritzen verpassen, sie in enge Raumanzüge zwingen.



Was "Space Dogs" so besonders macht, sind jedoch die auf den ersten Blick prosaischen Bilder aus unserer Gegenwart: "Einer Legende nach sank Laikas Geist wie ein Komet auf die Erde herab und streift seither durch die Straßen von Moskau." Eine Wohngegend am Moskauer Stadtrand also, bei Tag, bei Nacht, in der Dämmerung. Plattenbauten, eine Tankstelle, KFZ-Werkstätten, ein leerer Marktplatz mit tristen Verkaufsständen, dazwischen eine Diskobar, aus der russische Schlagermusik dröhnt. Vor dieser Bar, so Levin Peter im Interview, hat das Filmteam die beiden Rüden entdeckt. Der eine mit struppigem Fell, schnell missmutig, Zähne fletschend. Der andere scheint jünger und kerngesund, energisch, aufgeweckt.

Beeindruckend, wie die Kamera von Yunus Roy Imer ("Systemsprenger") diesen beiden Streunern auf Augenhöhe folgt. Als ambitionierter und mutiger Dokumentarfilm lebt "Space Dogs" von den Dingen, die sich nicht vorhersehen lassen. Die wilden Rüden streifen durch die Straßen, Gassen und Grünanlagen, schlecken an Autos, schnuppern und wühlen im Müll auf der Suche nach Fressen, lassen sich von freundlichen Obdachlosen umsorgen. Im Schlaf bewegen sich die Pfoten ruckartig. Und weil es Tiere sind, wird auch gejagt. Die animalischen Geschenke der Wirklichkeit hält "Space Dogs" aus - der Film bleibt dran, greift ins Geschehen nicht ein und wagt es, die Aufnahmen zu verwenden. Verwildert dabei stückweit selbst und kommt dem Nicht-Menschlichen unfassbar nah. Nichts für schwache Nerven ist das, aber Hinschauen lohnt sich sehr.

Als "Anti-Tierfilm" bezeichnet das Filmemacher-Duo ihre Arbeit. Das Ziel war, so Levin Peter, den geläufigen Tierbeobachtungen und Naturfilmen einen Kontrapunkt entgegen zu setzten. Das gelingt "Space Dogs" zweifellos. Die Philosophen Gilles Deleuze und Felix Guattari mit ihrem Traum des Tier-Werdens - des Versuchs, Tiere jenseits der anthropomorphen Logik zu denken - wären sicher große Fans des Films geworden. Zum Spannungsverhältnis zwischen Tier und Mensch finden Elsa Kremser und Levin Peter einen sehr eigenen Zugang: Keine Anklage, kein Beitrag zu der Tierrechtsdebatte will der Film sein. Er lässt uns vielmehr spüren, dass den zähen und starken Straßenhunden, Nachfahren der kosmischen Laika, Empathie und Liebkosungen der Menschen fremd sind. Ganz begreifen können wir sie niemals und eine Bevormundung würde stets zu kurz greifen. In der Welt der Straßenhunde sind Menschen lediglich Nebenfiguren.

Olga Baruk

Space Dogs - Österreich, Deutschland 2019 - Regie: Elsa Kremser, Levin Peter - Laufzeit: 91 Minuten.