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Tritsch-Tratsch-Polka

Über Bücher, Bilder und Ausstellungen Von Peter Truschner
28.09.2023. Bei der Gründung des "Deutschen Fotoinstituts", aber auch in der strategischen Entfaltung der "Folkwang Seilschaft für Fotografie" lässt sich sehen, dass alle  wichtigen Posten von einem kleinen Kreis von Kuratoren, Beamten und Stiftungspersonen besetzt werden. Geht die Entwicklung in dieser Art weiter, droht der deutschen Fotografie ein ähnliches Schicksal wie dem deutschen Film, dem alles Widerständige zwischen Fernsehredaktionen und Filmförderung durch Verbeamtung, Verschulung und Cliquenwirtschaft so gut wie ausgetrieben wurde.
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Die Sommerpause ist vorüber - der Alltag hat den Kulturbetrieb wieder. Gleich zu Beginn der Saison 23/24 gibt es im Bereich Fotografie mit der Vergabe begehrter Posten und Subventionen verbundene, kulturpolitische Entscheidungen, die im Überblick sich genauer anzuschauen lohnt.

Seit einiger Zeit ist es verblüffend, mitzuerleben, in welcher fürs Feuilleton ungewöhnlichen Deutlichkeit Kulturstaatsministerin Claudia Roth ihr Fett abbekommt (etwa hier).

Es ist tatsächlich beachtlich, was sich in der kurzen Zeit von Roths Wirken angesammelt hat: Der Documenta-Skandal, die verschleppten Reformen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und der staatlichen Filmförderung, die Unentschlossenheit beim Berliner Museum der Moderne  und natürlich die Personal-Entscheidungen rund um die Berlinale, deren grenzüberschreitende Außenwirkung das Fass zum Überlaufen brachte. Dazu ihr von jeglichen Selbstzweifeln unbelastetes Auftreten, das Harry Nutt in der Berliner Zeitung "zu viel, zu laut" und dabei "schroff und zerstörerisch" nennt.

Der Kolumnist Rüdiger Suchsland formuliert es in seinem viel gelesenen Film-Blog so: "Schade, dass sich im Bund niemand für Kultur interessiert. Sonst würde man Roth die rote Karte zeigen, und sie müsste gehen."

Stattdessen hatte Roth nun einen Auftritt auf der Pressekonferenz zur Gründung des "Deutschen Fotoinstituts" am künftigen Standort Düsseldorf. Man könnte ihr zugute halten, dass sie auch diese Problematik von ihrer Vorgängerin Monika Grütters geerbt hat. Allerdings scheinen weder Roth noch ihre Mitarbeiter in der Lage, in dieser und anderen Fragen auch nur einen positiven Impuls geben können. Kulturstaatsdilettantismus, sozusagen.

Die versammelte Politik - neben Roth waren das Ina Brandes, Kulturministerin von NRW und Vorstandsmitglied der Kunststiftung NRW, und Stephan Keller, Oberbürgermeister von Düsseldorf - erging sich ausschließlich in Lobreden über die Exzellenz des Standortes. Eng mit der Politik verbundene Kulturfunktionäre aus NRW wie Susanne Gaensheimer (Direktorin Kunstsammlung NRW) und Florian Krämer (Direktor Kunstpalast Düsseldorf) taten es ihnen gleich.

Der aus New York angereiste Restaurator Christian Scheidemann betonte, wie sehr ihm die Konservierung von Fotokunst am Herzen liegt - um wenig später den Fehler zu begehen, auf Andreas Gursky zu kommen, dessen ältere Arbeiten hie und da schon in einem bedenklichen Zustand seien. Scheidemann ist es aus New York gewohnt, dass es nur um große Summen und große Namen geht, so dass ihm nicht bewusst war, dass er damit auf einen zu Anfang der Debatte am meisten kritisierten Punkte hinwies: der Nobilitierung der Werke der Kategorie "Struffsky" (Thomas Struth, Thomas Ruff, Andreas Gursky), indem man deren Konservierung geradezu zur Staatsaufgabe erklärt (und genau das wird natürlich auch passieren).

Beim Findungsprozess für den Standort des Instituts sah es anfänglich so aus, dass die Vergabe ohne jede öffentliche Beteiligung wie in einer Club-Lounge unter Freunden mit kubanischen Zigarren und französischem Cognac ausverhandelt wird (mehr dazu hier).

Nach einigem medialen Wirbel und einem Gutachten des Staatsrechtlers Helmut Siekmann, das feststellte, dass diese Art der Vergabe einen "Verstoß gegen das Willkürverbot" darstellt, kam es (wie so oft) nicht etwa zu einer öffentlichen Ausschreibung unter Hinzuziehung möglichst unabhängiger internationaler Experten - es stritten sich nur die üblichen Verdächtigen Düsseldorf und Essen um den größeren Anteil an der Beute.

Bei der Entscheidung ums Fotoinstitut hat sich - und vielleicht nicht zum letzten Mal, wenn es um richtig große Summen geht - die vergangenheitsselige Lobby der Düsseldorfer Schule für Fotografie durchgesetzt. Langfristig dürften sich - wenn man auf die Filmförderung schaut und das von allen Seiten verkündete "Ende der autonomen Kunst" bedenkt - wohl jene Netzwerke durchsetzen, die weniger auf renommierte KünstlerInnen als auf Führungspositionen im Kulturapparat setzen.

Im ersten Augenblick könnte man glauben, dass der ebenfalls in der Findungskommission vertretene Direktor des Essener Museums Folkwang, Peter Gorschlüter, der Kurator an der Düsseldorfer Kunsthalle war und aktuell Kuratoriumsvorsitzender der Deutschen Börse Photography Foundation ist, etwas zu bedauern hätte.

Sieht man über den Tellerrand dieser Einzelentscheidung hinaus, wird klar, dass man um etwas, das man die "Folkwang Seilschaft für Fotografie" nennen könnte, in Deutschland schlicht nicht herumkommt, erst recht nicht, seitdem die Zusammenarbeit zwischen Folkwang (Selbstauskunft) und der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Stiftung so richtig ins Laufen gekommen ist. In ihrem Stipendienprogramm "MuseumskuratorInnen für Fotografie" bietet die Stiftung künftigen KuratorInnen im High End-Bereich die Möglichkeit, an renommierten Institutionen zwischen Los Angeles und Paris praktische Erfahrung zu sammeln und Kontakte zu knüpfen. Im Kuratorium versammelt sich dementsprechend geballte Kompetenz in Kunstfragen, zum Beispiel Ex-NRW Ministerpräsident Armin Laschet, Ex-BMW CEO Bernd Pischetsrieder oder die Vize-Präsidentin der Deutschen Bundesbank, Sabine Leutenschläger.

Wer das liest, versteht besser, warum sich in der Gründungskommission für das Deutsche Fotoinstitut außer einer Alibifrau - Fotokuratorin Inka Schube vom Sprengel Museum in Hannover  - keine Person befindet, die sich professionell ausschließlich mit (zumal künstlerischer) Fotografie beschäftigt.

Womit wir bei einigen wichtigen Personalentscheidungen zwischen Hamburg und München wären.

Wie in Fotolot beschrieben, geht dieses Jahr die zwanzigjährige Ära von Ingo Taubhorn am Haus der Photographie der Deichtorhallen Hamburg zu Ende. (Dass Taubhorn, neben Florian Ebner der einflussreichste Fotokurator Deutschlands, sich nun gänzlich "in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet", wie es in der Presseaussendung heißt, wage ich zu bezweifeln.)

Seine Nachfolgerin wird die dreiunddreißigjährige Nadine Isabelle Henrich. Beim Blick auf ihre Vita stößt man schnell auf Referenzen, denen man in jüngerer Zeit gehäuft begegnet. Im Zuge des KuratorInnen-Programms der Krupp Stiftung war sie zwischen 2021 und 2023 als Curatorial Fellow am Getty Research Institute in Los Angeles und in den kuratorischen Teams des Fotomuseums Winterthur, des Museums Folkwang und des Münchner Stadtmuseums. Zuvor war sie Kuratorin bei Daimler Contemporary, wissenschaftliche Mitarbeiterin für Heiner Bastian Fine Arts (Berlin/London) und 2013 kuratorische Assistentin beim von Susanne Gaensheimer kuratierten Deutschen Pavillon der Biennale von Venedig.

Folkwang und die Krupp-Stiftung spielen auch bei der neuen Leiterin der Sammlung Fotografie des Stadtmuseums München, Kathrin Schönegg, eine Rolle, die zuvor nach dem Weggang von Felix Hoffmann für gerade mal ein Jahr die kuratorische Leitung von C/O Berlin innehatte. Bevor sie dort 2019 einstieg, war sie zwischen 2013 bis 2015 Krupp Stipendiatin und danach mit KollgeInnen wie der Essener Kunsthistorikerin Kerstin Meincke im kuratorischen Team der "Biennale für aktuelle Fotografie" (Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg 2017), dem Florian Ebner vorstand. Ebner war von 2012 bis 2017 Leiter der fotografischen Sammlung des Museum Folkwang Essen, kuratierte 2015 den Deutschen Pavillon bei der Biennale von Venedig und ist seit 2017 Leiter der fotografischen Abteilung im Pariser Centre Pompidou.

Sophia Greiff, Schöneggs Nachfolgerin bei C/O Berlin, kann Ähnliches vorweisen. Sie war Kuratorin der Folkwang Universität der Künste Essen und im selben Zeitraum Stipendiatin der Krupp-Stiftung wie Schönegg, was sie ans Münchner Stadtmuseum, ans Victoria and Albert Museum in London und natürlich ans Museum Folkwang führte, wo sie 2012 Ute Eskildsen kuratorisch assistierte, der Vorgängerin von Florian Ebner, die auch Mitglied der ersten Expertenkommission zur Gründung des Fotoinstituts war.

Das ebenfalls im Umfang des Krupp-Stipendiums vorgesehene Getty Research Institute hat Greiff im Vergleich zu Henrich ebenso ausgelassen wie Katharina Täschner, die seit kurzer Zeit "Junior-Kuratorin" bei C/O Berlin ist. Dafür hat sie ebenso wie Henrich nicht nur einen Arbeitsaufenthalt am Fotomuseum Winterthur auf der Habenseite, sondern hat 2022 an zwei Ausstellungen von Florian Ebner im Centre Pomipdou mitgearbeitet. Täschners Doktorvater ist übrigens Professor Steffen Siegel von der Folkwang Universität der Künste.

Im Gegensatz zu renommierten Universitäten, die stolz ihre erfolgreichen AbsolventInnen auflisten, gibt es auf der Homepage der Krupp-Stiftung keine solche Liste - wer diesen Artikel aufmerksam gelesen hat, kann sich denken, warum.

Um eins klarzustellen: Niemand zweifelt an der Kompetenz einer Wissenschafterin wie Kathrin Schönegg; ein Blick auf ihre gesammelten Werke genügt. Kritisch zu sehen ist sehr wohl die Engmaschigkeit der Netzwerke, derer man sich bedienen muss, um Karriere zu machen. Dabei verdankt sich die künstlerische Entwicklung der Fotografie einem Heer von Autodidaktinnen, Studienabbrechern, Einzelkämpferinnen und Quereinsteigern. Aus deren Vitalität, Improvisationsgenie und positiver Verrücktheit speist(e) sich ihre Kraft.

Geht die Entwicklung in dieser Art weiter, droht der deutschen Fotografie ein ähnliches Schicksal wie dem deutschen Film, dem alles Widerständige, Unkalkulierbare, Riskante, Ambivalente zwischen Fernsehredaktionen und Filmförderung durch Verbeamtung, Verschulung und Cliquenwirtschaft so gut wie ausgetrieben wurde.

Dieses Fotolot war weniger ein komplexes, Mahlersches Orchesterwerk (wie die Beiträge über Garry Winogrand oder Jo Ractliffe) als eine spezielle Variante einer Straußschen Tritsch-Tratsch-Polka.

Dennoch kann es Antworten auf bestimmte Fragen geben: Spinne ich, oder kommen tatsächlich immer dieselben Namen vor? Wo kommen plötzlich all die Getty Research Fellows her? Wer ist eigentlich dieser Florian Ebner? Oder allgemeiner: Kann es wirklich sein, dass sich in einem Land mit achtundachtzig Millionen Einwohnern bei einer so weit verbreiteten Technologie wie der Fotografie die maßgeblichen Ressourcen auf so wenige Institutionen und Personen verteilen? Die Antwort lautet in Bezug auf die "Folkwang Seilschaft für Fotografie" nicht anders als bei meinem Beitrag über die "Ostkreuz Seilschaft für Fotografie" schlicht und ergreifend: ja.

Peter Truschner
truschner.fotolot@perlentaucher.de