02.07.2020. Ausstellungen von Francesca Woodman und Louisa Clement in Berlin sowie von Christiane Peschek in Salzburg. Lois Hechenblaikner fotografiert die Apres-Ski-Hölle von Ischgl.Fotolot-Newsletter abonnieren
Auch wenn die Angst vor einer zweiten Corona-Welle bei Virologen, Politikern und Geschäftstreibenden umgeht: Der strenge Lockdown ist fürs Erste vorüber. Die Kunst tut sich dennoch schwer, in die Gänge zu kommen. Buchläden, Galerien und Museen leiden sowohl hinsichtlich des Umsatzes als auch der Stimmung an den gesundheitsbedingten Auflagen; von den immer noch geschlossenen Theatern, Kinos und den unabsehbaren Problemen der Clubs, Konzert- und Eventveranstalter ganz zu schweigen. Hinzu kommt, dass die Urlaubssaison bevorsteht, sodass alles im Grunde darauf schaut, wie es im Herbst weitergeht.
Angesichts dieser zwar verhalten optimistischen, aber unleugbar trägen und abwartenden Atmosphäre wie in einem Glashaus, das Sprünge hat, von denen man hofft, sie mögen nicht größer werden und zum Einsturz des Hauses führen, erlaube ich mir, das Fotolot diesmal nicht als konzentrierten, essayistischen Durchmarsch, sondern als Flanieren im Sinne Walter Benjamins zu gestalten, hie und da zu verweilen, und danach meinen Weg fortzusetzen.
Erleichtert wird das dadurch, dass die Häufung qualitativ hochwertiger Ereignisse - ob Ausstellungen oder Buchveröffentlichungen - sich dieses Frühjahr verständlicher Weise in Grenzen gehalten hat. Das eine oder andere ist es jedoch wert, erwähnt und als sommerlicher Fixpunkt (oder auch Abwechslung) empfohlen zu werden.
Für junge Fotografinnen und Fotografen, die sich vorgenommen haben, Position zum Thema "female gaze" zu beziehen, ein Pflichtbesuch, und sei es, um darüber zu staunen, wo Woodman Mitte der siebziger Jahre schon war. Für mit dem Werk Vertraute ergibt sich die Möglichkeit für Entdeckungen. Ich zum Beispiel habe die Arbeiten mit "Charlie, the Model" - einem älteren, massigen Mann - noch mal neu gesehen und damit auch Woodmans witzige und leichthändige Seite.
Anlässlich ihrer letztjährigen Ausstellung im Sprengel-Museum in Hannover gab es dazu einen ausführlichen Beitrag im Fotolot. Hinzu gekommen sind seither vor allem skulpturale Elemente, die das zwischen Fotografie, Skulptur und virtuellem Raum oszillierende Talent dieser Künstlerin zeigen.
In der um die Gegenwartskunst bemühten Galerie Sophia Vonier im von Thomas Bernhard als "Todeskrankheit" titulierten Salzburg, zeigt Christiane Peschekneue Arbeiten unter dem Titel "Hyperia" (leider nur noch bis 05. 07.). Formal ist Peschek mit einiger Wahrscheinlichkeit die aktuell wichtigste österreichische Fotokünstlerin der Gegenwart und eine der interessantesten im deutschsprachigen Raum (mehr hier). Im Gegensatz zur etwa gleich alten Clement, die schon Einzelausstellungen in großen Museen und Galerien von internationalem Rang hat, ist Peschek trotz einiger Achtungserfolge immer noch zu entdecken. Einerseits liegt das daran, dass Clements Talent unter äußerst günstigen Umständen gedeihen konnte (etwa als Düsseldorfer Meisterschülerin von "Siegerkünstler" Andreas Gursky); andererseits vielleicht auch daran, dass Peschek ihre Zelte in Österreich aufgeschlagen hat, einem toten Winkel der Gegenwartskunst, in dem die Mitgliedschaft in einer politischen Seilschaft in jedem Fall mehr zählt als individuelles Talent.
Pescheks Arbeiten - bearbeitete Fotografien, Videos, Bücher, Installationen, skulpturale Elemente - sind verspielt, formal souverän, vor allem die Dekonstruktion des (Selbst-)Porträts gelingt ihr eindrücklich. Sophia Voniers Galerie liegt in unmittelbarer Nähe zu Festspielhaus und Dom, ein Besuch drängt sich förmlich auf.
Der "Ibiza"-Skandal führte in kultureller Folgerichtigkeit zum "Ischgl"-Skandal, bei dem offensichtlich die Behörden schon einige Zeit vom Ausbruch von Corona gewusst haben (über die näheren Umstände sind bereits Gerichtsverfahren anhängig), die ahnungslosen Touristen dennoch so lange in Apres-Ski-Höllen wie dem "Kitzloch" weiter feiern ließen, bis es einfach nicht mehr ging.
Menschen sind in Folge dieser politisch gedeckten Verdrängungsstrategie gestorben, aber das schert den abgebrühten Tiroler Wintergaudi-Funktionär wenig. Selber schuld, denkt der grimmig, und sieht das Ganze offenbar nur als logische Konsequenz dessen, wie Einheimische und Touristen gemeinsam um des kurzfristigen Fickens, Fressens, Saufens und des Profits willen, der sich daraus schlagen lässt, seit Jahr und Tag die alpine Landschaft geradezu vergewaltigen und sich selbst dabei zu Luxus-Trotteln machen, dass man inzwischen sogar auf Malle nur staunen kann.
Lois Hechenblaikner hat diesen bis in kleinste Detail bestens durchorganisierten und mir als Österreicher nur allzu vertrauten Spaß-Zwang im Zeichen des Konsumkapitalismus schon in mehreren Büchern und Ausstellungen abgehandelt und sich dabei keine Freunde in Tirol gemacht. Alle, die für sich visuell auf den Punkt bringen wollen, was in unseren Breitengraden falsch läuft angesichts des Klimawandels und der raschen Vernichtung der Biodiversität, brauchen nur Hechenblaikners neues Buch "Ischgl" durchzublättern, und wissen instinktiv Bescheid.
Mehr brauche ich dazu nicht zu sagen, da der Kulturjournalist Stefan Gmünder einen sehr guten, im Buch abgedruckten Text geschrieben hat, auf den ich hier gerne verlinke.
Angesichts dieser wenig erfreulichen Aspekte des industriell gefertigten Freizeitvergnügens wünscht Fotolot seinen Abonnent*innen nichtsdestoweniger (oder gerade deshalb) einen erholsamen Sommer.