Vorworte

Leseprobe zu Ling Ma: Glückscollage

Über Bücher, die kommen.
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Los Angeles

Ein Ehemann und hundert Ex-Liebhaber - kann das gutgehen? Der erste Teil von Ling Mas Erzählung zeigt, wie man's anstellt.

Das Haus, in dem wir leben, besteht aus drei Flügeln. Im Westflügel wohnen der Ehemann und ich. Im Ostflügel wohnen die Kinder und ihre jeweiligen Au-pairs. Und im größten, aber hässlichsten Flügel, der sich wie ein krummer, gebrochener Arm hinter dem Haus erstreckt, wohnen meine 100 Exfreunde. Wir leben in L.A.

Unser Haus hat den schönsten Ausblick in den Hills. Von unserer Küche mit den spanischen Fliesen aus kann ich meine alte Wohnanlage unten am Hügel sehen, ein korallfarbenes Stuckgebäude, das mal ein Motel war. Auf dem ausgebrannten Schild steht EL PARAISO. In meinem Studioapartment wohnt jetzt eine andere junge Frau. Mit T-Shirt und Unterhose bekleidet trinkt sie über das Waschbecken in der von mir gischtgrün gestrichenen Küche gebeugt ein Glas Saft. Es ist drei Uhr morgens, es ist drei Uhr nachmittags.

Sie ist dort, ich bin hier, und alle meine Exfreunde, mit denen ich dort zusammen war, sind auch hier. Aaron. Adam. Akihiko. Alejandro. Anders. Andrew. Und das sind nur die As.

Meine 100 Exfreunde und ich verbringen jeden Tag zusammen. Wir packen uns in den Porsche 911 Turbo S, als wäre er innen größer als außen, und fahren durch die Straßen und Boulevards, die Hügel und Canyons, durch palmengesäumte Alleen und die Parkhäuser der Einkaufszentren. Geoff fährt. Endlos breitet sich die Stadt vor uns aus. Blutergussfarbene Bougainvilleen wachsen über die Zäune der Leute. Manchmal ein Bambushain. Manchmal ein Friedhof. Manchmal eine kostenlose Klinik, die auf die Entfernung geplatzter Kapillaren spezialisiert ist. Die Sonne knallt uns ins Gesicht, wir kneifen die Augen zusammen, unser Haar flattert im Wind.

Auf der Kreditkarte des Ehemanns: 101 Burger von Umami Burger, 101 Eintrittskarten für das LACMA, 101-mal Goldene Milch bei Moon Juice. Wir gehen shoppen. Wir gehen zu Barneys. Wir gehen nach Koreatown. Wir gehen ins Urth Caffé und lesen etwas Unterhaltsames.

Kann ich noch einen Weizengras-Shot haben?, fragt Benoît.

Seh ich in diesem Hoodie dick aus?, fragt Fred.

Wir müssen bald nach Hause, sagt Chang.

Und Aaron, der sagt nichts. Adam auch nicht.

Es ist schon fast Abend, als wir in unsere geschlossene Wohnanlage zurückkehren, der Himmel eine Schichttorte in Pink- und Orangetönen. Am Sicherheitshäuschen öffnen sich, von ihrem eigenen Gewicht fast erdrückt, die schwarzen Eisenpforten.

Nachdem wir ausgestiegen sind, kehrt der Ehemann von seiner Investmentfirma zurück nach Hause. Er tritt leise durch unsere geräuschlose Garagentür. Ich weiß, dass er es ist, wenn ich Eiswürfel gegen Glas klirren höre, dann Bourbon, der aus der Flasche gluckert. Er lässt ihn einen Moment ruhen.

Hallo Schatz, sage ich. Wie war dein Tag?

$$$$, $$$$$$$$$, sagt er. $$$$$$$$$$$$$$.

Aha, ist er gestiegen oder gefallen?

$$$$$$$$$$.

Heißt das, du arbeitest am Wochenende?

$.

Der Ehemann ist ein Platz zum Ausruhen. Er ist wie ein Stuhl. Manchmal drapiere ich mich über ihn und verspüre den körperlichen Trost, nicht allein zu sein. Ich kann es fühlen, wann immer ich will; meistens Samstagnachts, meistens Sonntagmorgens. Aber am dringendsten brauche ich es am frühen Abend, wenn ich das Gefühl habe, mich aufzulösen. Während dieser Zeit zerstreuen sich meine Exfreunde, und der Ehemann und ich gehen irgendwo essen.

Ich ziehe meinen Fliegermantel an, und wir nehmen einen Timesharing-Jet nach Marin County. Gegen acht sinken wir nach Sausalito hinab, wo Danielle Steel wohnt, wo launische Zypressen an steilen Hügeln wachsen und die Ausläufer der tiefen Bucht an die Felsen entlang der Küste schwappen. Hier ist es nett, aber man kann nirgendwo shoppen, außer bei Benetton.

In dem Slow-Food-Restaurant am Hafen strahlt uns ein älteres Paar am Nachbartisch an. Es dauert einen Moment, um zu begreifen, dass wir wie eine jüngere Version der beiden aussehen, nur ohne deren Partnerlook-Pullunder und graue Haare. Zwischen unseren Tischen liegen dreißig Jahre. Ich erwidere ihr Lächeln und wende den Blick ab.

Der Ehemann bestellt einen Rotwein, und ich bestelle eine Cola Light. Man bringt uns die Teller: Thunfisch-Carpaccio mit Sesamkruste, zarte Erbsensprossen an Kalbsmedaillon in abstrakter Kräutersoße, Zucchinispäne mit Minz-Dill-Schaum.

Der Ehemann nippt an seinem Wein und isst sein Kalb, während ich ihm erzähle, was meine Exfreunde und ich den ganzen Tag gemacht haben, welche Kunst wir uns angesehen, was wir gekauft haben. Der Nachtisch kommt, Vanilletorte mit Himbeer-Coulis und Mascarponecreme.

Ich versuche, es zu genießen, aber offenbar schaffe ich es nicht, mich dem Blick des Paares am Nachbartisch zu entziehen. Die Ehefrau kann es nicht lassen. Sie beugt sich vor, legt ihre Hand auf mein Handgelenk und sagt: Sie werden wunderschöne Kinder haben.

Das ist schon erledigt, sage ich zu ihr und ziehe die Hand weg.

Ich habe einen Sohn und eine Tochter, sie kamen Knall auf Fall nacheinander. Sie sind sechs und sieben. Sie kommen in Aussehen und Art ganz nach dem Ehemann. Sie kauen mit geschlossenen Mündern. Sie wissen, wie sie die Gabel richtig halten. Nachts kriechen sie auf meinen Schoß, voll mit mühelos zu enthüllenden Geheimnissen, leicht wie Klappstühle.

Wenn zu Hause die Tochter Himbeersaft auf den Teppichboden kleckert, schimpft der Sohn: Deshalb können wir keine schönen Sachen haben.

Nein, das stimmt nicht, sage ich zu den beiden und sehe die Tochter an. Ihr könnt alles haben.

Wirklich?, fragt sie. Es gibt nichts, was du jemals aufgeben musst, sage ich und bin mir ziemlich sicher, dass es falsch ist, so etwas zu einer Sechsjährigen zu sagen, aber ich sage es trotzdem. Du kannst den Kuchen behalten und ihn essen.

Ich kann meinen Saft behalten und ihn verschütten?

Klar. Gute Anwendung einer Analogie.

Meine Exfreunde bringen den Kindern abwechselnd etwas Neues bei. Sie üben Klavier, lösen mathematische Gleichungen, führen Logik und Rhetorik vor.

Finde das mittlere C, sagt Philippe.

Löse nach x auf, sagt Akihiko.

Wenn a, dann b, sagt Hans.

Aber Aaron sagt nichts. Adam auch nicht.

Es gibt 100 Exfreunde, aber nur zwei, die wirklich etwas bedeuten. Ihre Namen sind ähnlich: Aaron und Adam. Adam und Aaron. Aaron, weil ich verliebt war, Adam, weil er mich geschlagen hat. Erst lernte ich Adam kennen, dann Aaron. Die Wunde, dann die Heilsalbe. Vielleicht weiß man gar nicht, dass man verwundet ist, bis man die Salbe bekommt. Die Salbe lässt alles zurückkommen. Nachdem man geschlagen wurde, geht man nicht raus. Das Gesicht schwillt zu einer Schnauze an. Man kauft kein Paracetamol und keine Lebensmittel, weil man wie ein ausgebrochenes Tier aussieht. Der Tierschutz würde einen glatt verwechseln. Stattdessen blieb ich drinnen, wusch das Blut von den Wänden und aus den Laken. Behielt das bespritzte Kissen als Beweisstück, nicht für jemand anderen, nur für mich. Ich hörte Musik. Cat Power, The Covers Record. Ich informierte mich. Aus dem Leitfaden für Misshandlung: Geübte Täter schlagen einer Frau nicht ins Gesicht. Nur der Anfänger wird durch extreme, unkontrollierbare Konditionen dazu gebracht. Ich las es noch einmal. Nicht "Konditionen". "Emotionen". Ich frischte meine Philosophiekenntnisse auf: Zu leben heißt, in der Zeit zu existieren. Zu erinnern heißt, die Zeit zu negieren.

Mein ganzes Erinnern setzt spät am Nachmittag ein und reicht bis spät in die Nacht. Woher weiß ich denn, fragte Adam einmal, bevor er mich schlug, ob das, was du empfindest, echt ist? Und nicht etwas, das du für jeden empfunden hast, der vorher war? Und für jeden, der danach kommt?

Nach dem Abendessen nehmen der Ehemann und ich den Timesharing-Jet zurück nach L.A. Es ist dunkel, als wir die Flügelspannweite Kaliforniens entlangfegen. Unter uns gehen die Lichter an, Stadt für Stadt, die Zeit zieht vorüber. L.A. ist nachts aus der Ferne so wunderschön wie ein Sternbild. Es breitet sich überallhin aus, aber nicht so sehr als Stadt, sondern als eine Anreihung städtischer Planungsentscheidungen, die ohne Weitblick getroffen wurden. Frank-Lloyd-Wright-Häuser machen Platz für Kirchen im Le-Corbusier-Stil, Bungalows aus der Jahrhundertmitte koexistieren mit mediterranen Villen, Lustschlösser reiben sich an asketischen Lifestyle-Zentren. Es gibt kein Muster, es gibt keine Bedeutung.

Unter der Flugzeugdecke findet die Hand des Ehemanns die meine.

$$$$$$$$$$$$$$?, fragt er.

Natürlich bin ich das, antworte ich und drücke seine Hand.

Als wir nach Hause kommen, schlafen die Kinder schon. Der Ehemann zieht sich in unser Schlafzimmer zurück und ich mich ins Gästehaus, wo ich die meisten Nächte verbringe. Früher hatten wir es vermietet, aber jetzt steht es leer. Ein Steinpfad schlängelt sich durch den weitläufigen Hinterhof und führt mich durch ein Dickicht aus Bougainvilleensträuchern, die vor pollenschweren Blüten nur so strotzen. Das Gästehaus ist mit Stücken möbliert, die frühere Mieter zurückgelassen haben: ein Stuhl, ein Bett, ein Laufband. Ich öffne das Fenster, gehe auf dem Laufband und lese alte Modemagazine.

Mit freundlicher Genehmigung von Culture Books
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