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1 Presseschau-Absatz

Magazinrundschau vom 27.02.2024 - Cargo

Szene aus "The Zone of Interest"

Simon Rothöhler unterzieht Jonathan Glazers diese Woche in den deutschen Kinos startenden Film "The Zone of Interest" einem umfangreichen, medienarchivarischen und bildpolitischen close reading. Der Film erzählt in scheinbar schlichten Alltagsbeobachtungen vom Leben der Familie des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß in zwar unmittelbarer, aber durch Mauern abgetrennter Nähe zum Massenmord an den Juden, ohne diesen je anders als durch aufs Off verweisende Spuren (Rauchschwaden über der Mauer, Schreie auf der Tonspur, etc) zu konkretisieren. Die Vorlage des Films ist der gleichnamige, laut Rothöhler aber "ziemlich überflüssige" Roman von Martin Amis, eine Recherchegrundlage bildet das Familien-Fotoalbum der Familie Höß, das auf den ersten Blick ein unscheinbares, aber im Kontext zur Shoah obszönes Idyll zeigt. "In gewisser Weise ist 'The Zone of Interest' ein Komplementärfilm zu László Nemes' 'Son of Saul' (2015). In beiden Arbeiten, die filmisch nachgebaute Täter- bzw. Opferperspektiven maximal bildreflexiv ausreizen, das filmästhetische Konstrukt kritisch testen und auf die Probe stellen, operiert dabei auch eine mitlaufende Bildskepsis. Bei Nemes ist es eine immersive, eng kadrierte, quasi Point-of-View-artige Kamera, die zwar selbst vor den Gaskammern nicht Halt macht, den Horror aber bildmaterialiter letztlich nicht zeigt, sondern durch hypermobile, nie zur Ruhe kommende Bewegungsverwischungen und gezielt gesetzte Unschärfen in Zonen des relativ Unsichtbaren, an den Grenzen des Wahrnehmbaren hält - und insofern sehr bewusst mit dem rezeptionsethischen Problem des Trotz-allem-sehen-Wollens spielt. Dieser konzeptuelle Umgang mit Unschärfen, mit Sichtbarkeit und Opazität, führt, wie auch bei Glazers 'The Zone of Interest', in letzter Instanz zur Frage zurück, worin genau bei diesen Bildern und wo genau in diesen Bildern die (ästhetischen, erinnerungspolitischen, aber auch popkulturellen und meinetwegen unterhaltungskonsumistischen) 'Interessensgebiete' heutiger Zuschauerschaft liegen. Denn es sind, das spricht nicht gegen sie, gehört aber zu ihrer empirischen Realität, auteuristische Festivalfilmbilder, ambitionierte Bilder, die in Cannes etc. Preise gewinnen wollen (gewonnen haben) und dann, wie alle anderen (Film-)Bilder auch, mit ihrem Eintritt in die Bildöffentlichkeit der visuellen Kultur der Gegenwart, eben unvermeidlicherweise in allen möglichen postkinematografischen Formaten fortlaufender Entdifferenzierung zirkulieren. So ist es auch den dokumentarischen Filmaufnahmen dieses Ereigniskomplexes ergangen. Seitdem stehen die u. a. von Alexander Vorontsov (Auschwitz-Birkenau), George Rodger (Bergen-Belsen), Arthur Mainzer (Buchenwald) und Samuel Fuller (Falkenau) während der Befreiung der Lager gedrehten Bilder empfehlungsalgorithmisch gefiltert neben allen möglichen anderen Bildern, sind Streamingplattform- und Feed-Content, werden appropriiert, umgebaut, neu verschaltet, kommentiert, bildkommunikativ invasiv bearbeitet, in kontingente Bildnachbarschaften gestellt, zu polyvalentem visuellen Spielmaterial, zu Memes, GIFs etc. Die avanciertesten filmischen Arbeiten zur Shoah der verganenen Dekade (mindestens) - für mich wären das 'Son of Saul', 'Austerlitz' (Sergej Loznitsa, 2015, gedreht in den Gedenkstätten der Konzentrationslager Dachau und Sachsenhausen) und nun 'The Zone of Interest' - reagieren auf dieses plattformbasierte Zirkulationsgeschehen mit Medienspezifik: mit kinematografischen Verdichtungen, die neben einem reflexiveren Umgang mit filmischen Zeitverhältnissen (wie sich diegetisch gebaute Zeit zur historischen verhält) vor allem Fragen des Perspektivismus kritisch bearbeiten."