Deniz Utlu

Vaters Meer

Roman
Cover: Vaters Meer
Suhrkamp Verlag, Berlin 2023
ISBN 9783518431443
Gebunden, 384 Seiten, 25,00 EUR

Klappentext

Yunus ist dreizehn Jahre alt, da erleidet sein Vater zwei Schlaganfälle und ist fortan nahezu vollständig gelähmt. Er kann nur noch über Augenbewegungen kommunizieren. Zehn Jahre wird er von Yunus' Mutter gepflegt, erst in einem Heim, dann zu Hause, bevor er stirbt. Und Yunus, der zum Studium ausgezogen ist aus der elterlichen Wohnung, ruft sich immer wieder Bilder aus seiner Kindheit wach: Erlebnisse und Gespräche mit dem Vater, von denen er manchmal gar nicht mehr wusste, dass er sie noch in sich trägt. Sie fügen sich zu dem warmherzigen Porträt eines Mannes, der mit lauter Stimme lachte oder auf Arabisch fluchte, der häufig abwesend und leicht reizbar war und der einst aus Mardin nahe der türkisch-syrischen Grenze nach Istanbul ging, dort den Militärputsch miterlebte und schließlich mit einem Frachtschiff nach Deutschland kam.Vaters Meer erzählt von einem Schicksalsschlag, der eine ganze Familie trifft, von einer Vater-Sohn-Beziehung, die abrupt endet, von Migration und Zugehörigkeit.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 30.11.2023

Der zentrale Satz von Deniz Utlus drittem Roman ist "Ich stellte mir vor", findet Rezensent Guido Graf: Der Erzähler Yunus sucht in der Beschäftigung mit seinem Vater, der nach zwei Schlaganfällen unter dem Locked-In-Syndrom leidet, die eigene Stimme. Das geschieht, so Graf, im Modus der Möglichkeiten und Vorstellungen, die sich Yunus über den Vater, über dessen Leben zwischen Türkei und Deutschland, über die Einsamkeit macht. Für den Kritiker ein einfühlsames und melancholisches Buch über Erinnerungen und ihre Möglichkeiten, wie er schließt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.09.2023

Dass Deniz Utlus' Roman von der Jury des Bachmannpreises mehrheitlich verrissen wurde, kann Rezensentin Lerke von Saalfeld überhaupt nicht nachvollziehen. Sie liest hier ein "vielschichtiges Buch der Erinnerung", das gekonnt zwischen Imagination und Realität changiert. Utlu erzählt vom Vater Zeki, der nach zwei Schlaganfällen bis zu seinem Tod gelähmt ist und sich nur noch mit seinen Augen verständigen kann, lesen wir. Sein Sohn Yunus, in dem die Rezensentin den Autoren wiedererkennt, erzählt episodisch dessen Leben nach: wie der Vater von seinem Geburtsort in Südanatolien, den er geradezu märchenhaft schildert, nach Istanbul reiste und schließlich auf einem Schiff nach Hamburg stieg. Später schildert er nuanciert das Leben der Familie in Hamburg, wo der kranke Vater gepflegt werden muss. Immer wieder geht es um "das Meer", so die Kritikerin, mal als mythische Fiktion, dann als realen Ort, so Saalfeld. Die Verletzlichkeit der Familie, in der alle irgendwie Außenseiter sind, weiß Utlu in allen Nuancen zu beschreiben, lobt die bewegte Kritikerin, die dieses Buch mit Nachdruck empfiehlt.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 31.08.2023

Mit Gewinn liest Rezensentin Jolinde Hüchtker Deniz Utlus Roman, in dem der Protagonist Yunus die Lebensgeschichte seines Vaters rekonstruiert. Der wächst zunächst in der Türkei auf, lernen wir, und landet schließlich in Hannover. Jetzt ist er todkrank und Yunus kramt in Dokumenten. Die Mutter der Hauptfigur bleibt hingegen eine Leerstelle, was Hüchtker schade findet. Gerne hätte sie zum Beispiel mehr darüber erfahren, warum die Frau einmal ihren Mann verlassen, dann aber wieder zurückgekehrt ist. Gut nachvollziehen kann die Rezensentin hingegen die vielen Wiederholungen in Utlus Prosa: gezeigt wird, wie Erinnerungen fest- und umgeschrieben werden, führt sie aus. Auch das Motiv einer unsichtbaren Katze als Vaterersatz gefällt ihr. Keineswegs sollte man das Buch nur als einen Roman zur Migrationsthematik lesen, schließt die Rezensentin. Vielmehr gehe es um einen Jungen, der sich in der Geschichte seines Vaters selbst findet.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 19.08.2023

Rezensentin Marie Schmidt trifft sich mit Deniz Utlu auf einen Spaziergang in Hannover, um über dessen neues Buch zu sprechen und erfährt viel über den Entstehungsprozess: So gibt es viele Ähnlichkeiten zwischen Utlu und seinem Protagonisten Yunus, beide müssen mit den Schlaganfällen des Vaters und letztlich dessen Tod klarkommen, dennoch macht der Autor klar, dass es sich nicht um ein autobiografisches Buch handelt. Der Roman widmet sich auch immer wieder dem Hinterfragen der eigenen Erinnerung und dem, was die Eltern über ihr Leben erzählen. Ein Buch, das es mit Autorinnen wie Fatma Aydemir und Ronja Othmann aufnehmen kann, findet Schmidt, und das ihr nochmal verdeutlich, wie dringend auch in Deutschland die Diskussion um deutsch-türkische Literatur angestoßen werden muss, resümiert die Kritikerin.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 19.08.2023

Einen "turkish turn" sollte die deutsche Literaturkritik eigentlich nicht benötigen, meint Rezensent Andreas Fanizadeh, um zu erkennen, dass Deniz Utlus Roman ein Meisterwerk ist. Denn das Buch über den in Hannover aufwachsenden Teenager Yunus und dessen Vater, der nach zwei Schlaganfällen nur noch per Augenlid mit der Umgebung kommunizieren kann, hat Qualitäten, die ihn universell zugänglich machen sollten. Im Zentrum steht, lernen wir, einerseits Yunus' jugendliche Erfahrungswelt und andererseits seine Versuche, mehr über die Geschichte seines Vaters zu lernen. Gerade die Schwierigkeit, die Kommunikation mit dem Vater aufrechtzuerhalten, führt laut Fanizadeh dazu, dass Yunus einen gewissermaßen literarischen Blick auf die Welt erlernt, die seine eigene biografische Perspektive übersteigt. Fanizadeh zeigt sich begeistert von der sprachlichen Wucht der Erinnerungsbilder, die dabei entstehen und erklärt Utlu zu einem zentralen Protagonisten einer neuen diversen Generation deutschsprachiger Literaten; einer Generation, die Attribute wie "Migrationsliteratur" nicht nötig habe.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.08.2023

Rezensent Andreas Platthaus bekommt mit Deniz Utlus Roman über seinen Vater eine Zeitreise in die Vergangenheit. In diesem Buch, das laut Platthaus an frühere Romane des Autors anknüpft, sogar Figuren fortführt, wenngleich unter anderem Namen, sucht der Erzähler nach den Erinnerungen an seinen durch zwei Schlaganfälle zum Pflegefall gewordenen Vater. Er erforscht die Konsisntenz der Erinnerungen, ihre Haltbarkeit und schreibt zugleich seine eigene Geschichte, erklärt Platthaus, für den diese (Selbst-)Erforschung zum Intimsten gehört, was er gelesen hat.
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