Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Als Mensch ist man echt nicht unverwundbar

26.04.2024. Die Volksbühne verabschiedet sich mit einer Trauerparty von ihrem Intendanten René Pollesch, Tagesspiegel und Berliner Zeitung sind froh und wehmütig zugleich. Alle wichtigen Schriftsteller leben im Exil, sorgt sich die NZZ um die Zukunft der russischen Literatur. Die Kritiker freuen sich über die intime Kenntnis der deutschen Schlagerszene, die die Pet Shop Boys auf ihrem neuen Album zeigen. Artechock und Blickpunkt Film machen sich Gedanken zum Antisemitismus auf Filmfestivals. Wolfgang Tillmans macht sich im Interview mit dem Tagesspiegel für die differenzierende Mitte in der Kulturpolitik stark.

So lernt man Respekt vor harter Maloche

25.04.2024. Im Tagesspiegel erzählt Ronya Othmann, wie schwierig es war, über das Massaker des IS an den Jesiden zu schreiben. Die Berliner Zeitung schaut im Barberini in die sphinxhaft leeren Mandelaugen von Amedeo Modiglianis selbstbewussten Evas. Die Filmkritiker wundern sich, dass in Luca Guadagninos "Challengers" erstaunlich wenig auf dem Tennisplatz gebumst wird. Und die SZ blickt mit Alexander Zeldin an der Schaubühne in die Schmutzecken der Klassengesellschaft.

Nachtfahrten durchs Leben

24.04.2024. Knapp die Hälfte der nominierten Autoren und Übersetzer wirft dem PEN America eine zu israelfreundliche Haltung vor, in Folge ist die Verleihungsfeier des Literaturpreises abgesagt worden, meldet unter anderem die SZ. Die FAZ listet die Werke auf, die der russische Großverlag Eksmo-AST auf Druck einer "Experten"-Kommission canceln muss. Es gibt keine russische Nation, sondern nur eine "Ansammlung von zig Kulturen unter einem imperialen Dach", sagt die Schauspielerin Valery Tscheplanowa in der Berliner Zeitung. Die Filmkritiker bewundern, wie Matthias Glasner die schwachen Stellen des Schmerzes in seinem Film "Sterben" auslotet.

Melancholie eines nächtlichen Grabstättenbesuchs

23.04.2024. Die taz sucht auf der Biennale nach dem iranischen Pavillon und findet nur ein Phantom. Backstage Classical beäugt skeptisch die Entourage der Klassiklegende Justus Frantz, der wohl kein Problem hat, mit Rechts- wie Linkspopulisten das Glas zu heben. Die FAZ singt "Es lebe der Zentralfriedhof" - allerdings findet sie in Herbert Fritschs neuem Stück in Wien keine makabre Friedensutopie. Die NZZ fragt, ob wir uns dank KI bald mit Romanen unterhalten können.

Zur Weltmetapher werden

22.04.2024. Der Goldene Löwe der diesjährigen Venedig-Biennale geht an den australischen Künstler Archie Moore - damit gewinnt die "strengste und stillste" Installation des Wettbewerbs, findet die SZ. Wegen Solidaritätsbekundungen mit Israel werden die Kurzfilmtage Oberhausen nun boykottiert, erklärt der Festivalleiter Lars Henrik Gass in der SZ. Vollkommen irre findet es Dirigent Antonio Pappano in der FAZ, dass Klassik und Oper der Vorwurf gemacht wird, zu sehr in den Archiven der eigenen Geschichte zu stecken. Die FAZ-Kritiker bekommen außerdem große Augen bei einer Pracht-Ausstellung in Konstanz über das Kloster Reichenau.

SHHhhhhh-s-s-shhh-sh

20.04.2024. Die Kritiker drehen weiter Runden auf der Biennale von Venedig. Die SZ lernt im Ukraine-Pavillon die Sprache von Tod und Vertreibung. Die taz findet das Motto "Foreigners everywhere" gut - nur warum muss man das Fremde denn noch fremder machen als es ist? Die FAS beklagt, dass man beim Deutschen Filmpreis eher auf Konsens denn auf Kunst setzt. Und alle hören Taylor Swifts neues Album - auf dessen Veröffentlichung gleich noch ein zweites folgte. Die Nachtkritik hat Depressionen selten schöner gesehen als bei Alexander Giesches Abschieds-Inszenierung in Zürich.

Männerschlagerkitschnudelei

19.04.2024. Die FAZ ist ganz zufrieden mit der Kunstbiennale in Venedig. Die taz erzählt, wie die Biennale zum Wohle des "Globalen Südens" westliche Sanktionen gegen Russland unterläuft. Im Blick auf Ryūsuke Hamaguchis Film "Evil Does Not Exist" fragt sich die Filmkritik, ob es eine ökologische Filmästhetik gibt. Der Schriftsteller Christof Weigold erzählt im Filmdienst, warum er keine Drehbücher mehr schreibt.

Es braucht des Erbarmens

18.04.2024. Erste ernüchterte Eindrücke von der Biennale in Venedig, die vor allem Kunst aus dem Globalen Süden zeigt: Was ist das denn nun, fragt die Welt und die Zeit stellt fest: Auch queere oder indigene Künstler können sehr altbacken sein. Immerhin der deutsche Pavillon ist überwältigend, meint die SZ, die von Ersan Mondtag lernt: Türkische Gastarbeiter und DDR-Bürger teilen ein Schicksal. Die Filmkritiker erfahren mit Alex Garland und Kirsten Dunst, wie man das Leid in einem amerikanischen Bürgerkrieg betrachtet. Und in der Zeit ekelt sich Feridun Zaimoglu vor zeitgenössischem Theater.

Es ist ungeheuerlich

17.04.2024. Auf der Biennale in Venedig bleibt der israelische Pavillon geschlossen. Ruth Patir, die dort ausstellen wollte, fordert die Freilassung der Geiseln und einen Waffenstillstand in Gaza. Boykott lehnt sie dennoch ab. Die Jungle World freut sich über ein satirisches Filmtableau, das die iranische Glaubensbürokratie aufs Korn nimmt. In Berlin wird DDR-Architektur abgerissen, die einst zur Hebung der Lebensfreude errichtet wurde, ärgert sich die SZ. Die FAZ freut sich: Am Hamburger Schauspielhaus wird endlich wieder in die Hände gespuckt.

Weil Sie nicht zu lachen wussten

16.04.2024. "Die Geschichte von Salman Rushdie ist die Geschichte unserer Gegenwart", schreibt die SZ anlässlich der Erscheinung seines neuen Buches, in dem er das Attentat auf ihn verarbeitet. Die FAZ freut sich, dass der Autor trotz allem Grauen seinen Humor behalten hat. Der Tagesspiegel begegnet im Buch einem ungewöhnlich privaten Rushdie. Die NZZ besucht das neu sanierte Holocaust-Museum in Amsterdam. Die Nachtkritik tauchte beim Istanbuler Theaterfestival in faszinierende Parallelwelten ab. Die FAZ betritt bei einer Retrospektive von Roni Horn in Köln eine Wunderkammer der Fluidität.