Efeu - Die Kulturrundschau
Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
30.11.2023. Sharon Dodua Otoo weist den Peter-Weiss-Preis nun ihrerseits zurück und bereut ihre Unterschrift unter eine Petition von Artists for Palestine, meldet die FAZ. Deutsche Filmschaffende sind frustriert von ihrer Arbeit bei den Öffentlich-Rechtlichen: Immer geht es nur um Technik, nicht um Inhalte, beklagen Drehbuchautoren und Regisseure. Ein geglücktes Experiment hört der Standard mit John Scofields neuem Album, auf dem er unter anderem Bob Dylan in den Bereich der Jazzgitarren-Improvisation überführt. Die taz fragt sich in einer Ausstellung im Haus am Lützowplatz, was eigentlich eine schlechte Mutter ist.
29.11.2023. Das Solidaritätskonzert gegen Antisemitismus im Berliner Ensemble bewegt die Feuilletons. Die Waffen der Kunst mögen wundersam weltfremd wirken, meint etwa die NZZ, hier aber zeigen sie Wirkung. Die FAZ fühlt sich in einer Ausstellung über Fehler in Computerspielen an Dantes Höllevisionen erinnert. Auch im Tel Aviv Museum of Art ist man geschockt über das laute Schweigen der Kunstwelt, weiß die SZ. In der Ukraine wiederum wird laut NZZ im Zuge der russischen Angriffe über eine Neudefinition der Rolle von Museen nachgedacht. Wie es ist, wenn der Krieg in die Stadt kommt, zeigt der taz Sepideh Farsis Animationsfilm "Die Sirene".
28.11.2023. Die FAZ streift glücklich durch Edvard Munchs Schneelandschaften, die sie im Museum Barberini in Potsdam entdeckt. Im Gespräch mit der Berliner Zeitung zeigt sich Igor Levit schwer enttäuscht von einem Großteil der Kulturlinken: Deren Solidarität gelte allen - aber selten Juden. Ziemlich einseitig findet die NZZ Peter Kempers Studie über die politische Geschichte des Jazz: Weiße Jazzmusiker können offenbar nicht politisch sein. Und das Zeit Magazin erkennt echte Macher an der Patina ihrer Aktentasche.
27.11.2023. Die NZZ bekommt glühende Wangen bei Yana Ross' Adaption von Virginie Despentes Roman "Liebes Arschloch" am Schauspielhaus Zürich. Die FAZ taucht in einer Ausstellung der Kunsthalle Tübingen ab in Sigmund Freuds "Innenwelten" und blickt dabei auch dem Entsetzen ins Gesicht. Mit seinem Film "Die Bologna-Entführung" über ein vom Papst entführtes Kind, ging es Marco Bellocchio nicht um eine Skandalgeschichte, erklärt der Regisseur der FR. Die Jungle World versenkt sich mit der neuen Doku-Serie von Ken Burns tief in die Geschichte der Country Music, deren Ursprünge schwärzer sind als man denken würde.
25.11.2023. Nennt mich nicht postkolonial, sagt Literaturnobelpreisträger Abdulrazak Gurnah der FR. Peter Stamm plädiert in seiner von der NZZ dokumentierten Poetikvorlesung für Gefühl statt für gedrechselte Sätze. Bastian Kraft inszeniert die "Buddenbrooks" an der Berliner Volkbühne als Fotoalbum, durch das die Nachtkritik angeregt blättert. Sie darf weiterhin kritisch über Adania Shiblis Roman "Eine Nebensache" berichten, meldet die taz in eigener Sache: Literaturkritik hat das Recht auf Zuspitzung, bescheinigt ihr ein Gericht. Und Zeit Online tanzt mit dem neuen Album von Take That durch den Regen.
24.11.2023. Ohne Skandal wäre die Documenta ja auch langweilig, meint Ex-Leiter Roger M. Buergel in der Welt, Verantwortung übernehmen will er aber auch nicht. Dass sich auch bei anderen Kunstveranstaltungen Antisemitismus finden lässt, erkennt die SZ anhand der nun abgesagten Biennale für aktuelle Fotografie. Die Reaktionen auf Ken Loachs letzten Film reichen von Zufriedenheit und Anerkennung bis Skepsis. Reine Irritation ruft indes das neue Album des Ex-Outkast-Rappers André 3000 hervor - aber vielleicht kann man mit Ende Vierzig auch einfach keinen würdevollen Rap mehr produzieren, mutmaßt ZeitOnline.
23.11.2023. Alle schimpfen auf die Documenta, nur die Zeit glaubt: Die nächste wird die beste überhaupt. Die taz bewundert den leeren Uterus der Künstlerin Kiki Smith. Eine Pariser Racine-Inszenierung lässt Pyrrhus mit ungewaschenen Haaren im Kampfanzug auftreten, weiß die FAZ. An kreisende Galaxien und Supernova-Ausbrüche fühlt sie sich anlässlich eines Bruckner-Konzerts der Berliner Staatskapelle erinnert. Der finnische Dokumentarfilm "Smoke Sauna Sisterhood" begeistert den Perlentaucher durch wabernden Rauch und offenherzig ausgebreitete Frauenschicksale.
22.11.2023. Die Filmkritiker schlachten Ridley Scotts Schlachtengemälde "Napoleon". Im SZ-Gespräch berichtet Michael Barenboim von den Herausforderungen, gerade jetzt das West-Eastern Divan Orchestra zu leiten. Die SZ feiert Magdalena Koženás Medea als Meisterin schrecklicher Mächte des Jenseits in Peter Sellars Inszenierung an der Berliner Staatsoper. Colson Whitehead macht der Zeit Hoffnung, dass jede politisch regressive Phase auch wieder vorbeigeht.
21.11.2023. Die Nachtkritik reist mit Falk Richters Monolog "The Silence" an der Berliner Schaubühne ins Herz des Schweigens. Die Künstlerin Bracha Lichtenberg Ettinger spricht mit der FAZ über ihren Rücktritt von der Findungskommission der Documenta: Man ließ ihr keine Zeit zu trauern, sagt sie. Ebendort wird gemeldet, dass Regula Venske als Generalsekretärin des PEN International zurückgetreten ist: Sie beklagt die mangelnde Empathie gegenüber den Hamas-Opfern. Und Elektropionier Jean-Michel Jarre sucht den Fehler in der KI als Quelle der Inspiration, wie er der FR verrät.
20.11.2023. Bei einem Symposium zur Documenta erlebt die SZ vor allem Erschöpfung und Ratlosigkeit. Ganz berauscht ist sie hingegen von der Musik in Jaromír Weinbergers Oper "Schwanda, der Dudelsackpfeifer". Die nmz taucht mit Philipp Stölzls "Andersens Erzählungen" in München hinab zu einem märchenhaften Meeresgrund. Die FAS entdeckt beim Jubiläum zum 100-jährigen Geburtstag der Spitzenorganisation der deutschen Filmwirtschaft ein Deutschland der zwei Geschwindigkeiten. Rolling Stones, Beatles, Madonna: Der Gegenwarts-Pop ist eine einzige Retro-Zeitmaschine, seufzt der Tagesspiegel.