Winnie the Pooh: Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig
Rhys Frake-Waterfields Horrorfilm "Winnie the Pooh: Blood and Honey" wurde in den Kinos von Hongkong abgesetzt. Warum? "In Festlandchina ist der tapsige Held aus den weltbekannten Gutenachtgeschichten seit Jahren eine Persona non grata", erklärt Lea Sahay in der SZ: "Grund ist die angebliche Ähnlichkeit zwischen Pu und dem chinesischen Parteichef Xi, die Internetnutzer zum ersten Mal 2013 bei einem Staatsbesuch in den USA entdeckten. Auf einem Foto spazierte Xi etwas nach hinten gebeugt mit rundem Bäuchlein neben dem schlaksigen US-Präsident Barack Obama - viele sahen darin Pu der Bär an der Seite von Tigger, seinem gestreiften Tigerfreund. ... Ein dicklicher Bär mit erklärtermaßen geringem Verstand - die Veralberung ihres großen Führers finden Chinas Zensoren naturgemäß gar nicht witzig."
Edward Bergers Film "Im Westen nichts Neues" wurde zwölf mal für den Deutschen Filmpreis Lola nominert. Einerseits verdient, findet Andreas Busche im Tagesspiegel. Andererseits "wird der Siegeszug von 'Im Westen nichts Neues' wieder das alte Problem des Filmpreises aufzeigen: dass sich die wichtigsten Auszeichnungen um einen Titel konzentrieren. Keine gute Voraussetzung, um die Vielfalt des deutschen Films zu feiern. Genau das aber hat das Kino, drei Jahre nach der Pandemie, gerade nötig."
Weiters: Philipp Bovermann unterhält sich für die SZ mit John Malkovich über dessen Filmrolle als Seneca. Besprochen werden Lars Kraumes Film "Der vermessene Mensch" (taz), die Sky-Doku über den Relotius-Skandal (taz), Till Schweigers "Manta Manta Zwoter Teil" (den ein gerührter Hanns-Georg Rodek in der Welt überraschend gelungen findet) und Reiner Holzemers Filmdoku "Lars Eidinger - Sein oder nicht sein" (SZ).
Überall wird heute die Relotius-Doku "Erfundene Wahrheit" über den schreibenden Fälscher Claas Relotius besprochen. Seine Chefs bezirzte er mit Geschichten, die buchstäblich zu schön waren, um wahr zu sein. Viele von ihnen wollten nicht mit dem Regisseur Daniel Sager sprechen, berichtet etwa Andrea Diener in der FAZ: "Stattdessen schaut sich die Dokumentation an den Schauplätzen der Reportagen um und stellt Relotius' Beschreibungen gegen Bilder vor Ort. In der Reportage 'Die letzte Zeugin' ist von Gräbern Hingerichteter die Rede, auf denen die Namen kaum noch zu lesen seien. Die Kamera fährt über Grabkreuze, darauf nur Nummern. Er war also wirklich nicht einmal dort."
Besonders schlecht steht in der Doku immer noch die Spiegel-Chefredaktion da, schreibt René Martens in Zeit online. Im Film tritt etwa Gabi Uhl von der "Initiative gegen Todesstrafe e.V." auf, die den Spiegel frühzeitig auf gravierende Ungereimtheiten über Relotius Reportage "Die letzte Zeugin" aufmerksam gemacht hatte. In der Reportage ging es um eine Frau, die angeblich durch die USA reist, um bei Hinrichtungen zuzusehen: "Uhl, die selbst drei Hinrichtungen miterlebt hat, kommt zwar im Abschlussbericht der Spiegel-Aufklärungskommission vor (ohne dass ihr Name genannt wird), das Ausmaß ihres Zweifels wird darin aber nicht ersichtlich. Uhls Äußerungen werfen nicht nur kein gutes Licht auf die Redakteure der Dokumentationsabteilung, sondern auf alle Personen beim Spiegel, die 'Die letzte Zeugin' gelesen haben."
Ambros Waibel denkt in der taz anlässlich des Films eher noch mal über die Verhältnisse nach, die die Affäre offenlegte: "Auch an meinem kleinen Arbeitsplatz gab es 2018 aus der Führungsebene Zweifel am Vorgehen von Juan Moreno, ohne dessen Hartnäckigkeit Relotius heute eine Macht- und Vorbildfunktion im deutschen Journalismus inne hätte. Der Grund für diese Skepsis war schlicht: Die Leute, die dann - sehr sanfte - Konsequenzen aus der Affäre tragen mussten, waren auch Führungskräfte, und Relotius war ihr Traum eines Untergebenen, eine Art menschliche ChatGPT, die beständig, bescheiden und brillant lieferte, was sie - alles Männer by the way - sich unter großem Journalismus vorstellten." In der entscheidenden Frage aber, schreibt Andreas Scheiner in der NZZ, bringt uns der Film nicht weiter: "Wie war es möglich, dass das offensichtliche Zerrbild, das Relotius von der Realität zeichnete, nicht aufgefallen ist?"
Hier ein längerer Trailer des Films:
Robert Schwentkes "Seneca"-Film kann man am besten würdigen, wenn man ihn nicht ganz so ernst nimmt wie dieser sich selbst, meint Bert Rebhandl in der FAZ. Sonst "müsste man wahrscheinlich in Biografien nachschlagen, was Schwentke sich so angelesen hat, und bei diversen Gegenwartszeichen die Stirn runzeln vor Besorgnis darüber, dass die Welt jetzt schon seit bald zweitausend Jahren untergeht: Rom 'fiel' nicht, sondern 'it slipped away', sagt Schwentkes Erzähler, es entglitt (sich? uns?). 'Seneca' wird in die Filmgeschichte eingehen nicht als Menetekel, sondern als eine der besten Übungen in hohem Camp, die es seit Alejandro Jodorowsky oder Werner Herzog gab."
Jan-Philipp Kohlmann spricht im Tagesspiegel mit Girley Charlene Jazama, die in Lars Kraumes Film "Der vermessene Mensch" eine der Hauptrollen spielt. Der Film spielt bekanntlich vor dem Hintergrund der Genozide an den Herero und Nama. Kraume war vorgeworfen worden, eine "white savior"-Perspektive einzunehmen. Aber Jazama ist dafür eher dakbar: "Ich hätte ein Problem damit gehabt, wenn er aus der Perspektive der Opfer hätte erzählen wollen. Das wäre für mich kulturelle Aneignung. Es gibt großartiges Potenzial für Filme aus der anderen Perspektive, etwa über Jakob Morenga oder Samuel Maharero, die den Kampf gegen die Deutschen anführten. Aber das ist unsere Aufgabe als namibische Filmemacher:innen."
John Malkovich in "Seneca" Neulich philosophierte Lars Eidinger übers Schauspielen und sagte mal dies, mal das (unser Resümee). John Malkovich, der gerade im Kino den "Seneca" spielt, spricht mit Rüdiger Suchsland von artechoc wesentlich pragmatischer: "Jede Szene ist anders und jede Kameraeinstellung ist anders. Jede Aufnahme enthält etwas Neues, abhängig von der Linse und von dem, was der Kameramann macht. Ich denke von Szene zu Szene, von Einstellung zur Einstellung. Es ist sehr sehr schwierig, als Schauspieler im Film die Kontinuität im Auge zu behalten. Man muss sich auf den Moment konzentrieren. Ich glaube, dass es vor allem der Job des Regisseurs ist, darauf zu achten. Mein Job ist es, aus jeder Szene das Beste herauszuholen und in jeder Einstellung in jedem Moment präsent zu sein." Daniel Kothenschulte bespricht "Seneca" in der FR.
"Tagebuch einer Pariser Affaire" scheint eine sehr altmodische französische Komödie zu sein, obwohl sich Perlentaucher-Kritiker Michael Kienzl eher an Woody Allen als etwa an Eric Rohmer erinnert fühlt. Es wird in dieser Komödie über ein bildungsbürgerliches Paar, das sich über eine Dating-App kennenlernt, geredet, geredet, geredet: "Charlotte und Simon suchen keinen oberflächlichen Sex, sie wollen erklären und verstehen, sich öffnen und zuhören, umschmeicheln und auch selbst ein wenig angehimmelt werden. Die Liebe schleicht sich so zwangsläufig wie hinterhältig ein." Mehr in critic.de.
Weitere Artikel: Alex Rühle erzählt, wie die Berlinale-Leitung einknickte und die Premiere des norwegischen Kinderfilms "Helt super" cancelte, weil ihm haltlose Rassismus-Vorwürfe gemacht wurden - nun darf er wohl gezeigt werden. Ursprung der Raissmusvorwürfe war die "Artef", "ein Zusammenschluss europäischer Filmschaffender, die ein Anti-Rassismus-Training durchlaufen haben und in Kooperation mit vielen europäischen Filmorganisationen versuchen, mögliche rassistische Strukturen in der europäischen Filmindustrie abzubauen".
Besprochen werden Lars Krauses Film "Der vermessene Mensch" (der SZ-Kritiker Jörg Häntzschel zu harmlos ist), Kristoffer Borglis Anti-Rom-Com und Satire auf soziale Medien "Sick of Myself" (taz und critic.de), Kaspar Kasics Dokumentarfilm "Erica Jong - Breaking the Wall" (taz) und "John Wick 4" (Tagesspiegel und Welt) und eine Doku über den Fall Relotius (Welt).
Keanu Reevs in "John Wick 4" Keanu Reeves (der vielen Fans übrigens als der beste Mensch der Welt gilt) spielt auch in der vierten Folge des Actionknallers "John Wick" den gleichnamigen Killer, und Maria Wiesner freut sich in der FAZ über seine altmodische Eleganz. Er sei "weder muskelbepackt wie Dwayne 'The Rock' Johnson oder andere Superhelden noch witzig-viril wie Jason Statham. Sein Held bleibt altmodisch einsilbig, nur manchmal scheint sehr trockener Humor in einer Bemerkung durch. Reeves orientiert sich damit am Männerbild der Actionhelden aus den Siebzigerjahren: Von Clint Eastwood hat er sich die sanfte Schweigsamkeit geliehen, von Steve McQueen die Coolness, selbst in größter Hektik nicht den Emotionen nachzugeben, die unter der Oberfläche kochen, und von Charles Bronson die Bereitschaft, hässliche Dinge zu tun, die sich nicht vermeiden lassen."
Kathleen Hildebrand beschreibt in der SZ die Verkitschung des Tierfilms, wie er uns im Fernsehen begegnet. Tierdokus gälten heute nicht mehr der Faszination des Fremdartigen, sondern der Identifikation mit unschuldigen Wesen. Gewalt, ein ausweichlicher Bestandteil der tierischen Existenz, werde weitgehend ausgespart: "Die Einfühlung ins Tier, in sein einfaches, nachhaltiges Leben im Augenblick, ist zu einer eskapistischen Meditation für gestresste Gegenwartsmenschen geworden, die es auch diesen Monat wieder nicht geschafft haben, im verpackungsfreien Supermarkt einzukaufen. Das Tier, der bessere Mensch." Hinzu kommt noch die grottige Musik des Genres, über die Daniele dell'Agli einen Essay im Perlentaucher verfasste.
Besprochen werden die Relotius-Doku "Erfundene Wahrheit - Die Relotius-Affäre", die ab morgen auf Sky läuft (NZZ) und eine Netflix-Dokuserie über den mysteriösen Absturz des Fluges MH370 (ebenfalls NZZ).
Tja, also irgendwie ist Schauspielerei im Kontext der aktuellen Debatten zu einer heiklen Kunst geworden. Schließlich besteht sie in Anverwandlung, Aneignung. Was passiert, wenn er einen SS-Mann spielt, fragt Susanne Lenz in der Berliner ZeitungLars Eidinger, der gerade einen Film über sich selbst und seine Arbeit herausbringt ("Lars Eidinger - Sein oder Nichtsein"). Und seine Antwort klingt so: "Der bin ich natürlich auch. Klar. Man tut sich als Schauspieler keinen Gefallen damit, wenn man anfängt, die Figuren von sich wegzuhalten, sie als etwas Fremdes zu betrachten. Bei dem Ehrgeiz, das Menschliche in den Figuren zu erkennen, muss man bei sich selber anfangen und schauen, welche Anteile von ihnen man in sich trägt. Einfach, um eine Identifikation zu schaffen. Ich versuche, mich jetzt ganz vorsichtig auszudrücken. Denn ich als weißer, privilegierter Cis-Mann habe eigentlich nicht das Recht, mich überhaupt zur Diversitätsdebatte zu äußern. Das wäre genauso, wenn ich Rassismus erklären würde. Da bin ich der Falsche."
Im Standard wird er auch interviewt und sagt etwas anderes: "Ich glaube nicht an die Verwandlung. Ich werde niemand anderer. Im besten Fall sieht man immer mich, wie ich die Rolle spiele"
Gemeldet wird, etwa in Zeit online, dass Volker Schlöndorff den Ehrenpreis der Filmakademie erhalten soll.
Lars Kraumes "Der vermessene Mensch" Bei LarsKraumes "Der vermessene Mensch", der für sich in Anspruch nimmt, als erster deutscher Film den Genozid an den Herero und Nama zu thematisieren und im Zuge dessen kürzlich auch im Bundestag gezeigt wurde (unser Resümee), muss Bert Rebhandl in der FAS sehr ächzen: Der Film erzählt doch wieder vor allem von einer weißen Figur, die schwer an der Bürde des Kolonialismus zu tragen hat - und Kraume gehe dabei bar jeder "Darstellungsskepsis" mit reiner Ausstattungsstrategie vor: "Das Kino, ein kapitalintensives Medium, ist bei Kraume ein Instrument der deutschen Selbstverständigung, und das heutige Namibia kann dazu beitragen, dass in den Kulissen alles so halbwegs stimmt. Dabei stimmt gerade an den Rändern der Bilder überhaupt nichts, und wenn man sich die Mühe macht, ab und zu vom Plot ein wenig wegzuschauen auf das, was insgesamt zu sehen ist, ist man sofort wieder in einem Menschenzoo, nur in einem halb aufgeklärten."
Im Gespräch mit der Berliner Zeitungbeziehen der Regisseur und die namibische Schauspielerin GirleyJazama Stellung zu den (auch beim Screening im Bundestag laut gewordenen) Vorwürfen, der Film reproduziere Rassismus. Kraume findet "nicht, dass man Rassismus automatisch reproduziert, wenn man von Rassismus erzählt. Außerdem sollte ein historischer Film meiner Meinung nach der Zeit, in der er spielt, entsprechen. Wie soll man sonst den Rassismus zur Kolonialzeit erzählen?... Und ja, der Film reproduziert rassistische Ereignisse, aber damit verfolgt er den Zweck, einer großen Zuschauerschaft eine verdrängteGeschichte zu erzählen." Laut Jazama sei der Film in Namibia "gut aufgenommen worden. Das ist das erste Mal, dass die Menschen in den Dörfern einen visuellen Eindruck von der Geschichte bekommen, die sie sonst nur aus mündlicher Überlieferung kennen."
Weitere Artikel: Andreas Busche freut sich im Tagesspiegel, dass das Berliner Kino Arsenal in nahezu letzter Sekunde SaraGómez' "De cierta manera" aus dem Jahr 1977 - "ein Meilenstein des postkolonialen und feministischen Kinos" - durch eine digitale Restaurierung vor dem Verschwinden gerettet hat. Christiane Peitz wirft für den Tagesspiegel einen Blick auf die Geschichte der Oscar-Dankesreden. In seiner Serienkolumne für die Zeiterinnert Matthias Kalle an den 80s-Klassiker "MiamiVice". Dass rund um die Oscars und generell im Film-Business fortlaufend Altersdiskriminierung angeprangert wird, hat mittlerweile selbst einen ziemlichen Bart, findet Peter Praschl in der Welt: Er sieht darin vor allem eine Boomer-Strategie, die eigene Position zu verteidigen.
Besprochen werden HirokazuKore-Edas "Broker" (Jungle World, unsere Kritik), die Serie "Tulsa King" mit SylvesterStallone als Mafiaboss (BLZ) und VasilisKatsoupis' "Inside" mit WillemDafoe als in einem Luxusappartement um sein Überleben kämpfender Kunstdieb (FAZ).
Rüdiger Suchsland findet es auf Artechock ziemlich schäbig, wie Kulturstaatsministerin ClaudiaRoth beim Erfolg von EdwardsBergers "Im Westen nichts Neues" in Champagner-Laune inklusive Reise nach Los Angeles verfällt, während die ihr untergeordnete Filmförderung mit dem Film überhaupt nichts zu tun hatte: "Dieser Oscar zeigt vor allem, dass die deutsche Filmförderung vollkommen den Kontakt zur Realität verloren hat." Critic.despricht mit dem Schauspieler VincentMacaigne über dessen Zusammenarbeit mit dem Regisseur EmmanuelMouret. Die FAZplaudert mit dem Schauspieler RolfLassgård über seinen Auftritt in einem neuen Skandinavien-Krimi-Film, auch wenn er diesmal nicht Wallander spielt. Joachim Huber fragt sich im Tagesspiegel, ob der Fernseh-Schmonz, der den Vorabend verklebt, mittlerweile von einer K.I. geschrieben wird. Für die WamS hat sich Martin Scholz mit KeanuReeves getroffen, der zum vierten Mal den Auftragskiller John Wick spielt.
Besprochen werden Sergei Loznitsas "Luftkrieg: Naturgeschichte der Zerstörung" (ZeitOnline, Artechock, SZ, unsere Kritik hier), HirokazuKore-edas "Broker" (Standard, Artechock, unsere Kritik hier), ReinerHolzemers Dokumentarfilm "LarsEidinger - Sein oder nicht Sein" (ZeitOnline), VasilisKatsoupis' "Inside" mit WillemDafoe (Artechock) und MaryamTouzanis "Das Blau des Kaftans" (Tsp, Freitag).
Slavoj Zizek hält den Oscar-Abräumer "Everything Everywhere All at Once" in einer Wortmeldung auf Welt+ für verlogenes Feelgood-Cinema, dessen anarchische Multiverse-Qualitäten nur behauptet sind und der am Ende sogar in falsche Versöhnlichkeit mit der Realität abdriftet: "Trotz all der schillerndenDynamik, der Vermischung von Genres, der plötzlichen Wechsel vom intimen Drama zum Karatekampf: Die Form des Films folgt einfach den alten Standards. Der Film spielt zwar mit multiplen Realitäten. Doch diese Vielfalt bleibt eng mit den Traumata und Sackgassen unserer einzigen 'wahren' Realität verwachsen. Zu sagen, 'es ist in Ordnung, sich für eine Variante zu entscheiden und damit glücklich zu sein', ist falsch, denn es sind nicht wir, die sich für eine Variante entscheiden: Niemand trifft die Wahl, es passiert einfach. Das Bewusstsein, dass es auch andere Versionen hätte geben können, sollte uns für den Kampf mobilisieren, statt uns in resignativer Zufriedenheit einzulullen."
Außerdem: Georg Stefan Trollererinnert sich in der Welt an seine Begegnung mit OrsonWelles. Besprochen werden HirokazuKore-edas Roadmovie "Broker" (Tsp, unsere Kritik), die Apple-Serie "Extrapolations", die den Kampf gegen den Klimawandel in all seiner zermürbenden Langsamkeit zeigt (taz, ZeitOnline) und ein neuer Superheldenfilm der "Shazam"-Reihe (Standard).
Im Bundestag hat LarsKraume seinen bereits auf der Berlinale gezeigten Film "Der vermessene Mensch" vorgeführt - der Film kommt nächste Woche auch regulär in die Kinos und soll die erste deutsche Produktion sein, die sich mit dem deutschen Genozid an den Herero und Nama befasst. Bei der Vorführung gab es allerdings auch Unmut, berichtet Tobias Schulze in der taz: Die Hauptfigur ist nämlich ein weißer Ethnologe, der sehr mit sich hadert. Dafür habe er sich bewusst entschieden, sagte der Regisseur. "Natürlich sollten Spielfilme über die Opfer folgen. Hätte er aber einen solchen Film gedreht, wäre das kulturelleAneignung gewesen: Die Opfergeschichten müssten namibische Filmschaffende erzählen. Er wollte sie ihnen nicht wegnehmen. Trotzdem erhält der Regisseur am Dienstag aus dem Publikum zum Teil massive Kritik für die Entscheidung, sowohl von Schwarzen deutschen Filmschaffenden als auch von einer weißen Filmwissenschaftlerin. Die Vorwürfe: Er reproduziere im Film Rassismus, erzeuge Empathie für einen Täter, erzähle eine White-Savior-Geschichte. Und: Die strukturelle Benachteiligung von Schwarzen im deutschen Filmwesen habe er fortgesetzt, indem er - abgesehen von namibischen Beteiligten - nur weiße Deutsche auf entscheidende Stellen seines Teams gesetzt habe."
Sergei Loznitsas "Luftkrieg" Sergei Loznitsa montiert in seinem Essayfilm "Luftkrieg - Die Naturgeschichte der Zerstörung" historische Filmaufnahmen des ZweitenWeltkriegs. Dabei interessiert sich der Regisseur eher für seine allgemeinen Aussagen über den Krieg, als für das tatsächlich versammelte Filmmaterial, bemängeltPerlentaucher-Kritikerin Stefanie Diekmann: "Dass sein Film ... eine bessere Einsicht in den Horror der Luftkriege oder ein neues Verhältnis zur Perspektive der Opfer herstellen würde, trifft nur bedingt zu. Vielmehr vermittelt das Material, das für die Kompilation von 'Luftkrieg' ausgewählt wurde, den Eindruck, dass sich die kinematografische Aufmerksamkeit, die im Umfeld der Bombardements mobilisiert wurde, primär auf Restbestände von Architekturen, Infrastrukturen, Fahrzeugen, Haushalten gerichtet hat und sehr viel weniger auf die Körper, die, tot oder lebendig, nach den Angriffen aufgelesen (ausgegraben) und zur Identifikation in Reihen ausgelegt wurden." Für die FRbespricht Daniel Kothenschulte den Film.
Keine Bösen: Außenseiter in "Broker" von Hirokazu Koreeda Mit "Broker" erzählt HirokazuKoreeda erneut von einer Gruppe Außenseiter, die sich als Gemeinschaft zusammentut, schreibt Olga Baruk im Perlentaucher. Auch wenn es um Turbulenzen rund um eine Babyklappe geht, schadet dies dem warmherzigen Tonfall des Films nicht: "Dass dem Regisseur dennoch ein außerordentlichhumanistischerFilm gelingt, liegt wieder einmal daran, dass es in seinen Filmen zwar das Böse, aber keine Bösen gibt. Höchstens Einsame." Dem stimmt auch Martina Knoben in der SZ zu: "Es ist, als ob 'Broker' fast nur aus solchen Momenten besteht (zusammengehalten von einem etwas konstruiert wirkenden Plot): Augenblicken, in denen sich Zuneigung, Zärtlichkeit, die Verwundungen oder Sehnsüchte der Figuren diskret offenbaren. Auf dem klapprigem Van, der von Anfang an für das Ziel der Reise steht, ist groß der Name einer Wäscherei zu lesen: 'Okay'." Thomas Abeltshauser spricht für die taz mit dem Regisseur. Auf ZeitOnlinebespricht Sabine Horst den Film.
Weitere Artikel: Die SZ unterhält sich ausführlich mit WillemDafoe über dessen Rolle als ein in einer Wohnung festsitzender Kunstdieb in "Inside" - Standard-Kritiker Bert Rebhandl sieht darin für Dafoe "so etwas wie die Rolle seines Lebens". Andreas Scheiner wirft für die NZZ einen Blick auf die Schauspielkarriere von BrendanFraser, der im 90s-Klamauk begann und nun für "The Whale" als bester Schauspieler mit dem Oscar ausgezeichnet wurde. Daniel Kothenschulte spricht in der FR mit Ben Becker, der in OliverHirschbiegels "Der Maler" AlbertOehlen darstellt. "Uns, den deutschen Filmern, fehlt oft die Radikalität. Wir sind zu vorsichtig", sagt der für "Im Westen nichts Neues" mit vier Oscars ausgezeichnete Regisseur Edward Berger im epischen, kurz nach den Oscars in Hollywood geführten Zeit-Gespräch mit Moritz von Uslar, in dem er auch die deutsche Filmförderung beklagt: "Es wird sich in der Förderung viel zu oft am vermeintlichen Markt orientiert. Der Markt aber weiß gar nicht, was er will - er ist schlicht kein Kriterium, keine Kategorie." In der FAZgratuliert Andreas Kilb IsabelleHuppert zum 70. Geburtstag.
Besprochen werden MaryamTouzanis "Das Blau des Kaftans" (taz), MarcoBellocchiosauf Arte gezeigte Serie "Und draußen die Nacht" (FAZ, mehr dazu bereits hier), die Serie "The Consultant" mit ChristophWaltz (NZZ), die DVD-Ausgabe von JoãoPedro Rodrigues' "Das Irrlicht" (taz, unsere Kritik hier), die Disney-Serie "Fleishman Is in Trouble" mit ClaireDanes und JesseEisenberg (Freitag), die Science-Fiction-RomCom-Serie "Tender Hearts" (Tsp) und die dritte Staffel der isländisch-deutschen Krimi-Serie "Trapped" (Tsp). Außerdem erklärt die SZ, welche Filme sich diese Woche lohnen und welche nicht.
Die bleierne Zeit, als auf den Straßen Gewalt herrschte: Marco Belloccios "Und draußen die Nacht" (Arte) In seiner von Arteonline gestellten Miniserie "Und draußen die Nacht" widmet sich der italienische Regisseur MarcoBellocchio erneut der Entführung und Ermordung AldoMoros durch die BrigateRosse. Deutsche RAF-Aufarbeitungen in Film und Fernsehen werden hier in ihrer Biederkeit schlagartig enttarnt, freut sich Jens Müller in der taz: Bellocchio "stiehlt deutschen Produktionen à la 'Todesspiel' und 'Der Baader Meinhof Komplex' in Sachen Kunstfertigkeit und Subtilität und überhaupt spielend die Show." Der Regisseur entfalte, "unterstützt von Stars des italienischen Kinos wie MargheritaBuy und ToniServillo, seine meisterlicheErzählkunst, die den Zuschauer die Tage und Wochen nach Moros Entführung immer wieder aus neuer Perspektive erleben lässt." Etwa aus der des Innenministers Cossiga, "dessen Berater schon nach der Verhängung des Kriegszustandes und der Wiedereinführung der Todesstrafe lechzen. Es ist eine der beeindruckendsten Sequenzen der Serie, wenn die Kamera langsam über die Gesichter der um einen Konferenztisch von Putinschen Ausmaßen versammelten Uniform- und Anzugträger gleitet, während Cossiga sie aus dem Off einsortiert, all diese: 'Ex-FaschistenoderNoch-Faschisten, alte Haudegen. Und sie sollen Aldos Leben retten, dabei hassen sie ihn. Aber ich habe nur sie.'"
Kurt Sagatz vom Tagesspiegelerlebte mit dieser Serie "eine lehrreiche Geschichtsstunde über jene 'Bleiernen Jahre'", eine Zeit, "in der auf den Straßen die Gewalt regierte, und selbst die Ermordung politisch Andersdenkender kein Tabu war". Einigermaßen bizarr ist es allerdings, dass Arte die Serie zwar auf Deutsch, Französisch und im italienischen Originalton anbietet - aber keinerlei deutsche Untertitel bereit stellt. Das schließt nicht nur Hörbeeinträchtigte aus, sondern verprellt auch Cinephile, die natürlich auf den O-Ton Wert legen. Auf Twitterrechtfertigt der Sender dieses unsinnige Vorgehen vollkommen lau: "Umfragen" hätten nun einmal ergeben, dass Deutsche halt Synchros wollen. Die Umfragen würden wir gern mal sehen.
Weitere Artikel: Am Oscarerfolg für EdwardBergers "Im Westen nichts Neues" lässt sich eigentlich nur die Kluft ablesen, die in Deutschland bei der Filmförderung zwischen Absicht und Erfolg klafft, meint Christiane Peitz im Tagesspiegel. Der Oscarregen für "Everything Everywhere All at Once" ist auch ein Triumph für die im US-Kino häufig nur als Witzfiguren dargestellte asiatischeCommunityindenUSA, schreibt Susanne Gottlieb im Standard. Matthias Kalle fragt sich auf ZeitOnline, warum die Serienfigur Ted Lasso so populär ist. In der FAZgratuliert Dietmar Dath dem Regisseur DavidCronenberg zum 80. Geburtstag.